Türkei: Die Verhaftung von Sandra Bakutz PDF Drucken E-Mail

Was bedeutet internationale Solidarität?

Die Verhaftung der Österreicherin Sandra Bakutz hat die Menschenrechtssituation in der Türkei in die Medienöffentlichkeit gebracht. Festgenommen wurde Sandra am 10. Februar unmittelbar nach ihrer Ankunft in Istanbul, wo sie im Rahmen einer internationalen Delegation einen Massenprozess gegen Oppositionelle beobachten wollte. Nach Angaben ihrer Anwälte wurde die Verhaftung damit begründet, dass Sandra Sympathisantin einer terroristischen Organisation sei. Der angebliche Beweis: die Teilnahme an einer legalen Demonstration in Brüssel.

Die Menschenrechtsaktivistin, die sich für die Rechte der politischen Gefangenen in der Türkei einsetzte, ist sieben Wochen lang eine von ihnen geworden. Sie ist bereits die zweite Österreicherin innerhalb kurzer Zeit, die Erfahrung mit dem türki­schen Faschismus gemacht hat. Vor einem halben Jahr wurde Elisabeth Brunner Opfer von Folter und Vergewaltigung durch türkische Beamte.

Weil in den Medien ohnehin Stimmung gegen einen EU-Beitritt der Türkei gemacht wird, fand die Thematik Aufmerksamkeit. Sonst wäre das Interesse an der Situation in türkischen Gefängnissen zweifellos geringer. Dort hat sich nämlich trotz aller EU-Anpassungsmaßnahmen nicht viel geändert. Als die Behörden im Dezember 2000 die hungerstreikenden Gefangenen angriffen, ließ das die österreichischen Regierungsvertreter kalt, auch bei der Bevölkerung war wenig Anteilnahme zu spüren. Viele meinten: Was geht uns das eigentlich an?

Manche fragen verwundert: Warum setzt sich eine junge Frau für Gefangene in der Türkei ein und riskiert sogar die eigene Verhaftung? Doch dass es nicht egal ist, was in anderen Teilen der Welt geschieht, spüren wir täglich. Durch die sog. Globalisierung hat sich die internationale Abhängigkeit noch verstärkt. Wenn die Produktion in Länder verlegt wird, wo die Lohnkosten niedrig sind und die Arbeiterrechte mit Füßen getreten werden, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen in Österreich. Können wir uns denn noch sicher sein, nicht selbst zu Opfern von Unterdrückung und Folter zu werden, wenn sich die sozialen Spannungen in Europa verstärken?

Die Arbeiter- und Menschenrechtsbewegung ist in diesem Bewusstsein immer eine internationale Bewegung gewesen. Während des spanischen Bürgerkriegs ris­kierten zahlreiche Menschen aus Europa und der ganzen Welt ihr Leben, um die Demokratie zu verteidigen, auch viele Österreicher waren unter ihnen. Diese Menschen stell­ten einen großen Teil der Gefangenen in Hitlers Konzentrati­onslagern. Gedenken wir dieser mutigen Internationalisten, wenn wir heuer den 60. Jahrestag der Befreiung Europas vom Hitlerfaschismus feiern.

Aus der Geschichte haben wir gelernt, dass das Kapital nicht vor der Auflösung von Rechtsstaat und Demokratie zurückschreckt, wenn es um die Aufrechterhaltung des Systems geht. Deshalb ist es ein Alarmsignal, das wir nicht ignorieren dürfen, wenn für Flüchtlinge und Asylwerber die Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden. Solidarität bedeutet nicht Mitleid oder Almo­sen, sondern sich verlassen zu können, in der Not Hilfe zu erhalten. Solidarität macht nicht halt vor Grenzen oder Nationalität. Solidarität ist das Bewusstsein, dass wir allein schutzlos aus­geliefert sind und nur gemeinsam etwas erreichen können. Solidarität ist die Waffe der Machtlosen, nur sie gibt uns Stärke gegenüber einem scheinbar übermächtigen Gegner.

erschienen in: Talktogether Nr. 12/2005