Hiroshima und Nagasaki
Tausendfacher Mord und Leid über Generationen
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Vor 60 Jahren, am 6. August, begingen die U.S.A. das größte Massaker der Menschheitsgeschichte, den Abwurf einer Atombombe mitten ins Zentrum der japanischen Großstadt Hiroshima. Am 9. August zerstörte eine zweite amerikanische Atombombe die Stadt Nagasaki. Die ExploÂsionen erreichten eine Sprengkraft mehrerer Tausend Tonnen Dynamit. Die Hitze betrug 1000 Grad Celsius. Die Explosionen töteten mehr als 200.000 Menschen entweder sofort oder in den nächsten Monaten. Viele verbrannten bei lebendigem Leib, andere starben qualvoll an der Strahlenkrankheit, ausgelöst vom radioaktiven Todesregen. Und viele Jahre des Leidens und Sterbens an den Krankheiten, die durch die radioaktive Vergiftung ausgelöst worden sind, lagen noch vor den Ãœberlebenden und ihren Kindern.
Der Atombombenabwurf fand in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs statt. Die Atombombe war erst kurz vorher das erste Mal in der Wüste von New Mexiko getestet worden. Der Krieg in Europa war schon zu Ende, Deutschland hatte kapituliert. Japans Wirtschaft war zerstört, Japans Militär hatte entscheidende Niederlagen erlitten, die meisten Städte warten in Schutt und Asche gebombt. Nur ein paar Städte hatte man verschont, etwa Kyoto, die alte Kaiserstadt mit den schönen Tempeln - Bauwerke zählen mehr als Menschen, die man nicht sieht und nicht kennt. Hat man Hiroshima und Nagasaki kaltblütig aufgespart, um die noch nicht erforschten Auswirkungen eines AtomÂangriffs an lebendigen Menschen zu testen? Und um Stärke gegen den ehemaligen Verbündeten Sowjetunion zu demonstrieren und die alleinige Vormachtstellung in Asien zu sichern?
Die Rechtfertigung des amerikanischen Präsidenten Truman für den Angriff war, dass die japanische Führung sich weigerte, bedingungslos zu kapitulieren, und dass man den Krieg so rasch wie möglich beenden und amerikanische Soldaten schützen wollte. Kann das eine RechtfertiÂgung für den tausendfachen Tod von unschuldigen Zivilisten sein? Den japanischen Soldaten wurde eingeimpft, dass sie für Kaiser und Gott kämpften und es ihre Pflicht war, auch das eigene Leben zu opfern. Die japanische Führung mit ihrer menschenverachtenden Ideologie verurÂsachte nicht nur den Tod und das Elend von zahllosen Menschen in China, Korea und Südostasien, sie nahm auch ihr eigenes Volk als GeiÂsel und nahm die zahllosen Opfer in der Zivilbevölkerung in Kauf.
Doch auch bei den amerikanischen Soldaten herrscht eine ähnliche Ideologie, bis heute. In einer TV-Reportage zeigen die Soldaten, die den Angriff ausführten, keine Reue. Sie sind stolz darauf, ihre Pflicht erfüllt zu haben. Der Kommandeur benannte das Flugzeug stolz nach seiner Mutter. Sie sahen die Toten und das grauenvolle Leid nicht, das sie auslösten. Nach den Atombombenabwürfen kapitulierte Japan. Der Kaiser und die herrschende Klasse blieben an der Macht. Wann werden die Menschen begreifen, dass andere Völker nicht ihre Feinde sind und sie keinen Grund haben, ihr eigenes Leben und das der anderen für die Machtkämpfe der herrschenden Klassen zu opfern? Mit der ZerstöÂrungskraft der Atombomben kann alles Leben auf der Erde vernichtet werden. Die Technologie ist weiter fortgeschritten als je zuvor, doch noch immer werden die Errungenschaften der Wissenschaft für KriegsÂzwecke und Vernichtung eingesetzt, und nicht, um die Armut, den Hunger und die Krankheiten zu besiegen, unter denen große Teile der Menschheit leiden.
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Der amerikanische Schriftsteller und Jounalist John Hersey, 1914 als Sohn amerikanischer Missionare in China geboren, arbeitete während des 2. Weltkrieges als Kriegsreporter für "Time Life" und den "New Yorker". Seine erschütternde Reportage "Hiroshima" mit den Berichten von Überlebenden erschien im "New Yorker".
Tanimoto war der einzige Mensch, der sich in der Richtung gegen die Stadt bewegte. Er begegnete Hunderten und Hunderten, die auf der Flucht waren, und jeder von ihnen schien irgendwie verwundet zu sein. Manchen waren die Augenbrauen versengt, und ihre Haut hing in Fetzen von Gesicht und Händen. Andere hielten vor Schmerzen die Arme in die Höhe, als trügen sie etwas in beiden Händen. Andere erbrachen sich im Gehen. Viele waren nackt oder mit Fetzen bekleidet. Auf manchen unbekleideten Körpern hatten die Verbrennungen förmliche Muster hinterlassen - von Hemdspangen und Hosenträgern und auf der Haut von Frauen die Zeichnung der Blumen auf ihren Kimonos, da nämlich Weiß die Hitze der Bombe reflektierte, während dunkle Kleider die Hitze absorbierten und der Haut zuleiteten. Viele, obgleich selbst verletzt, stützten Angehörige, die schlimmer daran waren. Fast alle trugen den Kopf gebeugt, schauten gerade vor sich hin, schwiegen und zeigten keinerlei Gesichtsausdruck.
Auf der Landzunge fand Tanimoto ungefähr 20 Frauen und Männer. Er fuhr mit dem Kahn auf den Strand auf und forderte sie auf einzusteigen. Keiner rührte sich, und es wurde ihm klar, dass sie zu schwach waren, um sich aus eigenen Kräften zu erheben. Er langte hinunter und ergriff eine Frau an der Hand, aber da schälte sich ihre Haut in großen, handschuhähnlichen Stücken ab. Darüber ward ihm so übel, dass er sich einen Augenblick hinsetzen musste. Dann stieg er ins Wasser hinaus und hob, obgleich selbst ein kleiner Mensch, einige Männer und Frauen, alle nackt, in sein Boot. Rücken und Brust dieser Menschen waren klebrig, und er erinnerte sich mit Schaudern, wie die großen Verbrennungen, die er tagsüber beobachtet hatte, aussahen: erst gelb, dann rot und angeschwollen, wobei die Haut sich abschälte, und schließlich abends vereitert und übelriechend. ... Am anderen Ufer hob er die schleimigen Körper heraus und trug sie die Böschung hinauf, aus dem Bereich der Flut. Dabei musste er sich fortwährend sagen: "Das sind menschliche Wesen.
https://www.newyorker.com/magazine/2019/04/29/john-hersey-and-the-art-of-fact
erschienen in: Talktogether Nr. 14/2005
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