Gespräch mit Anwalt Dr. Gerhard Mory PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Anwalt Dr. Gerhard Mory

„Die Gastfreundschaft ist ein Kulturgut, wenn wir das verlieren, werden wir ja wie die Tiere.“

Talk Together: Am 10. Dezember, dem „Internationalen Tag der Menschenrechte“, haben Sie eine Protestaktion vor der Polizeidirektion organisiert. Wogegen richtet sich der Protest?

Dr. Mory: Man müsste sagen wofür: Für Menschen, die – wie ich glaube – Schutz verdienen und ein Recht auf Leben haben. Asylwerber sind Menschen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, sie haben es verdient, menschlich behandelt zu werden. Diese Menschen haben meine Sympathie. Durch die vielen Kontakte und die persönlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, weiß ich, dass diese Leute in der Regel ordentliche und wertvolle Menschen sind, deren menschliche Qualitäten unseren in nichts nachstehen. Mich hat die Erfahrung mit Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen von jeglichem Rassismus befreit und ich empfinde sie als persönliche Bereicherung.
Wogegen sich der Protest richtet? Gegen sinnlose Barrieren. Hier geht es um Leute, die einen glaubhaften Asylantrag gestellt haben. Diese Menschen haben es schwer genug und ich denke, dass man sie ordentlich behandeln sollte, indem man ihnen ein zügiges und faires Verfahren ermöglicht, das nicht von vornherein von Ablehnung und einer negativen Einstellung geprägt ist, und dass man ihnen bereits während des Verfahrens eine Chance gibt, etwas für ihre Integration zu tun. Die Verfahren dauern ja oft sehr lange, das wird auch weiterhin so sein, denn wenn es zu schnell geht, würde die Qualität darunter leiden. Deshalb sollte man den Asylwerbern während dieser Zeit sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu geben. Eine Änderung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ist längst überfällig.

Talk Together: Wie sehen die neuen Flüchtlingsgesetze aus, die seit Anfang des Jahres in Kraft getreten sind? Sind Verschlechterungen oder Verbesserungen zu erwarten?

Dr. Mory: Der Zugang zu einem Asylverfahren ist erschwert worden. Leute, die aus einem anderen EU-Land eingereist sind, werden in Schubhaft kommen. Man versucht im Wesentlichen, so wenig wie möglich Asylwerber hier zu behalten und die anderen wieder loszuwerden. Sie werden eingesperrt, damit man sie wieder zurückschieben kann, wo sie hergekommen sind, nach Slowenien, Ungarn, die Slowakei und Polen - es kann ja keiner vom Himmel hereinfliegen. Kurz zusammengefasst: Verschärfung der Schubhaft, Beseitigung der Begünstigung von Folteropfern und Traumatisierten, die Polizei bekommt mehr Rechte, die Erstbefragung wird von der Polizei durchgeführt.

Talk Together: Wie viele Menschen befinden sich Ihres Wissens in Salzburg in Schubhaft und wie ist ihre Situation?

Dr. Mory: Salzburg ist eines der großen Polizeibehaltezentren in Österreich – es gibt ja nicht so viele –, es ist extra vor einigen Jahren aufgestockt worden, damit man hier mehr Platz hat. Ich glaube, es hat Platz für 150 Leute, wenn es voll ist. Wie viele aktuell da sind, weiß ich nicht, es ist aber anzunehmen, dass mit dem neuen Gesetz die Gefängnisse wieder voller mit Flüchtlingen werden. Grundsätzlich wird die Schubhaft als sehr belastend empfunden: die Dauer ist ungewiss, die Unterbringung im Vergleich zu einem „normalen“ Gefängnis schlechter. Die Gefangenen dürfen z.B. nur einmal in der Woche duschen und das unter großem Zeitdruck, es gibt Einheitskost für alle, ohne Rücksicht auf unterschiedliche Kultur oder Religion. Es gibt keine Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung, mit Ausnahme eines sehr tristen Innenhofs in der Größe von 25 x 20m, wo sie im Kreis gehen, Tischtennis oder Schach spielen können. Die Menschen werden ohne Rücksicht in die Zellen zusammengesteckt. Die deprimierenden Bedingungen schlagen sich auf die Psyche. Sehr schnell gibt es „Sonderbehandlung“ d.h. Einzelhaft. Ich durfte einmal hineingehen und ich war schockiert: Die Luft ist stickig, die Belüftung ist schlecht, acht Personen sind in einem kleinen Raum zusammengepfercht.

Talk Together: In unserer Gesellschaft, in der Profit eine große Rolle spielt, engagieren Sie sich für Flüchtlinge. Woher schöpfen Sie diese Kraft?

Dr. Mory: Ich mache diese Arbeit grundsätzlich gern. Ich kämpfe gerne, ich glaube an Gerechtigkeit und an eine bessere Welt. Es steht schon in der Bibel, dass man den Witwen, den Waisen, den Gefangenen, den Fremden, also den Schutzbedürftigen zur Seite stehen soll. Das ist eine soziale Ader von mir, ich muss aber auch dazu sagen, dass die Zahlungsmoral dieser Menschen sehr gut ist, man kann sich auf ihr Wort verlassen. Die Kraft schöpfe ich zum Teil aus den Menschen, die ich vertrete und aus der Art der Arbeit, die mir liegt. Ich bin ein politischer Mensch und das ist meine Art, die gesellschaftspolitische Wirklichkeit im kleinen Bereich zu verändern. Das ist befriedigend und vor allem erfüllt es mich mit Sinn, ich habe das Gefühl, in meinem Leben etwas Sinnvolles zu tun, ich weiß, warum ich hier im Büro sitze.

Talk Together: Bestimmt haben Sie viele Gegner, wie gehen Sie damit um?

Dr. Mory: Das macht mir gar nichts aus. Wenn jemand auf mich böse ist, dann nehme ich das nicht persönlich. Ich bin privat nicht streitsüchtig, gelte nicht als „Streithansl“. Aber über schlechte und ungerechte Behandlung von Flüchtlingen und über ungerechte Gesetze kann ich mich sehr erregen. Für mich ist ein ungerechtes Gesetz etwas, das man verändern sollte. Für mich gibt es ein Gesetz – ein Naturrecht –, das über den Gesetzen steht, die vom Parlament gemacht werden und sich ständig ändern. Mir hat einmal ein Kollege vorgeworfen, ich hätte keinen Respekt vor dem Gesetz, darauf antwortete ich, es gibt eine Art von Recht, vor dem kann man keinen Respekt haben. Dass man Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind und deshalb ihr Land verlassen mussten, Asyl gewährt, gehört zu den Urrechten einer humanen Gesellschaft. In allen Kulturen gilt es als Pflicht, dass man jemandem, der vertrieben oder unterwegs ist, Schutz gewährt. Die Gastfreundschaft ist ein Kulturgut, wenn wir das verlieren, werden wir ja wie die Tiere.

Talk Together: Viele Menschen sind aus verschiedenen Teilen der Welt geflüchtet und hoffen auf Asyl in Europa. Wer ist als Flüchtling zu betrachten bzw. wer wird als Flüchtling anerkannt?

Dr. Mory: Es gibt eine Definition, die Genfer Flüchtlingskonvention, die ist der Maßstab. Wer verfolgt ist im Sinne dieser Definition, ist Flüchtling. Es ist keine exakte Bestimmung möglich, es stellt sich immer die Frage: Was ist wirklich vorgefallen, kann man dem Flüchtling glauben, ist es wirklich so gefährlich, was droht ihm. Es bleibt immer eine Sache des Ermessens, unscharf, dehnbar. Auch die Problemstellungen der Menschen, die politischen Konstellationen und die Gefahren ändern sich ständig. Die Genfer Konvention war motiviert vom großen Flüchtlingselend nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute gibt es andere Krisenherde, aus denen die Flüchtlinge kommen: Irak, Afghanistan, Iran, Tschetschenien, Sudan, Somalia, vor ein paar Jahren waren es meistens Flüchtlinge aus Serbien/Montenegro, Kosovo, Kurden und andere Minderheiten aus der Türkei. Dann gibt es noch Einzelschicksale, Armutsflüchtlinge, europäische Flüchtlinge: Roma und Kinder aus Romafamilien, die schon seit drei Generationen keine Heimat haben, traumatisierte Frauen aus Albanien und dem Kosovo, Blutracheopfer aus Albanien und es gibt die riesige Not in Afrika, die Menschen veranlasst, ins „gelobte“ Europa zu flüchten.

Talk Together: Es wird immer von politischen und von Wirtschaftsflüchtlingen geredet, wobei sog. Wirtschaftsflüchtlingen Asyl verweigert wird. Wie sehen Sie diese Unterscheidung?

Dr. Mory: Meiner Meinung gibt es schon einen Unterschied. Ein Wirtschaftsflüchtling muss in der Regel nicht um sein Leben fürchten, es sei denn er hat so erbärmliche Lebensbedingungen, dass er vom Hunger bedroht ist. Natürlich ist es ein legitimes Anliegen, seine wirtschaftliche und soziale Situation, die Aussichten für seine Kinder verbessern zu wollen. Wer aber Gefahr läuft, ermordet, verhaftet und gefoltert zu werden, hat eine andere Betroffenheit. Es gibt aber auch viele Fälle, wo es sich überlappt, wo Minderheiten auch wirtschaftlich benachteiligt und diskriminiert sind. Dann stellt sich noch die Frage, wie die Flucht bezahlt wurde, denn in der Regel schaffen es die Ärmsten nicht bis nach Europa, man muss schon privilegiert sein, um überhaupt flüchten zu können. Es geht um die Art des bedrohten Rechtsgutes: Hier sind es wirtschaftliche Güter bis hin zu einer menschenwürdigen Lebensgrundlage, dort sind es Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, das sind die höchsten Rechtsgüter des Menschen.

Talk Together: Wird die Genfer Konvention Ihrer Meinung nach in Österreich eingehalten?

Dr. Mory: Die Genfer Konvention schützt die Menschen, die aus politischen, sozialen, religiösen, nationalen Gründen in ihrer Heimat verfolgt werden und aus diesem Grund nicht dort bleiben können. Das sind Verfolgte im weitesten Sinn, hier haben wir einen Staat oder nichtstaatliche Akteure, und da jemanden, der verfolgt ist. Nur für die verfolgten Menschen ist die Genfer Flüchtlingskonvention da, nicht aber für ganze Völker, die Not leiden. Wie es im Strafrecht Fehlentscheidungen gibt, gibt es im Asylrecht noch viel mehr Fehlentscheidungen. Die Wahrheitsfindung und die Beweisnahme sind viel schwieriger. Ich denke, dass die Fehlerquote sehr hoch ist und wir eine gute zweite Instanz dringend benötigen. Wir müssen darum kämpfen, dass wir die zweite Instanz in dieser Qualität und auch die dritte Instanz behalten. Ohne diese, wenn nur die Frau Innenminister und die Bundesasylämter das Sagen hätten, wäre es traurig. Damit der Chef des Bundesasylamtes in Wien als erfolgreicher Behördenleiter gilt, muss er nachweisen können, dass nicht zu viele Menschen in Österreich Asyl bekommen. Dieser Herr steht nämlich unter ganz gehörigem politischem Druck von rechts. Wenn es nach deren Willen ginge und wir keine Korrekturmöglichkeiten hätten, keine zweite und dritte Instanz, dann hätten wir viel weniger Anerkennungen und eine viel höhere Fehlerquote. Die Asylämter sind nicht neutral, sie sind nicht unabhängig, sie sind im Gegenteil politisch durchsetzt, von oben gesteuert: Das sind alles abhängige Beamte, das darf man nicht vergessen. Eine so verantwortungsvolle Aufgabe, über das Schicksal eines Flüchtlings zu entscheiden, kann man dieser Behörde keinesfalls allein überantworten. Jede Beschneidung der zweiten und dritten Instanz wäre mit enormen Einbußen an Qualität verbunden.

Talk Together: Wie sieht es mit den Erstbefragungen aus, wo innerhalb einer sehr kurzen Frist über eine Ab- bzw. Weiterschiebung entschieden wird?

Dr. Mory: Die Erstbefragung ist ein beschleunigtes Verfahren. Abgeschoben werden aber meistens nur die, für die ein anderes EU-Land zuständig ist oder die sehr schwache Gründe angeben. Es ist verständlich dass viele lieber in einem Sozialstaat wie Österreich leben als z.B. in Polen bleiben wollen.

Talk Together: Werden frauenspezifische Fluchtgründe in der Asylgesetzgebung beachtet?

Dr. Mory: Es gibt keine gesetzliche Regelung mit der Ausnahme, dass ein Recht besteht, von einer Frau befragt zu werden, wenn es um intime Angelegenheiten geht. Ansonsten sind sie im Gesetz nicht genannt. Allerdings gibt es vermehrt Asylanerkennungen für Frauen, ich denke doch, dass heute frauenspezifische Fluchtgründe anders gesehen werden als noch vor wenigen Jahren. Aus meiner Erfahrung hat es in diesem Bereich ein gewisses Umdenken, hat es Verbesserungen gegeben. Ich maße mir aber nicht an, das österreichweit überblicken zu können.

Talk Together: Was empfehlen Sie Aslysuchenden, um Probleme zu vermeiden?

Dr. Mory: Als Anwalt muss ich meinem Klienten glauben. Der Anwalt ist dazu da, für die Interessen seines Klienten einzutreten. Ich kann nur empfehlen, bei der Wahrheit zu bleiben. Ich kann nur mit Fällen umgehen, wo ich das Gefühl habe, der Mann oder die Frau sagt die Wahrheit. Ich bin kein guter Anwalt für erfundene Geschichten. Außerdem, wenn jemand sich Asyl erschwindelt, müssen dafür vielleicht andere büßen. Aber was ist schon die Wahrheit, darüber könnte man philosophieren, wenn man bedenkt, aus welcher Not die Menschen kommen. Oft ist die Realität traurig genug und führt nicht zur Asylgewährung.

Talk Together: Was sind Ihre Anliegen?

Mein Anliegen wäre, Vorurteile abzubauen, Asylwerber, Fremde, Migranten nicht als Feinde zu betrachten, die auf unsere Kosten leben wollen. Ich wünsche mir, dass mehr Initiativen entstehen, um die Menschen zusammenzuführen. Für mich ist die Vielfalt das Schöne und nicht die Eintönigkeit. Es sollte viel mehr Integrationsbemühungen geben, damit sich nicht Parallelwelten entwickeln. MigrantInnen sollten politisch „mit ins Boot“ geholt werden, also Wahlrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft, das ist meine Vision in unserer immer kleiner werdenden Welt. Dass man aufhört, sich zu bekriegen, denn das ist doch Krieg, wenn sich der Staat mit harten bürokratischen Maßnahmen abschottet gegen Nicht-EU-Bürger. Die ganze Weltordnung ist ungerecht. Jeder weiß in Wirklichkeit, dass wir auf Kosten der anderen leben, dass unser Wohlstand nicht erarbeitet ist, sondern auf der Ausbeutung von anderen Teilen der Erde beruht.

Talk Together: Vielen Dank für das Gespräch.

erschienen in: Talktogether Nr. 15/2006