Für mich war vor allem das Nichtstun ein Problem…
Bevor ich nach Österreich kam, wussten weder ich noch ein anderer Mensch, wie und wann meine Flucht enden würde. Meine ersten friedlichen Nächte in Österreich bleiben mir unvergesslich. Wegen Erschöpfung ging ich früh ins Bett und erwachte in der Früh, ohne dass ich Albträume gehabt oder Geräusche vom Krieg und weinenden Kindern und Frauen gehört hatte. Ich war immer noch im Halbschlaf und fragte mich, wo ich mich befand und woher diese Ruhe plötzlich gekommen ist, als mich jemand ansprach: „Du musst aufstehen und dich im Büro melden, sonst bekommst du kein Mittagessen.“ Da erst öffnete ich die Augen richtig, setzte mich auf und realisierte, dass ich mich in einem Drei-Stock-Bett im Flüchtlingslager Traiskirchen befand. Für viele Menschen war dieser Tag ein gewöhnlicher Tag, für mich aber ein Tag, den ich niemals vergessen werde. Wegen meiner langen und gefährlichen Fluchtreise habe ich nicht erwartet, dass ich so schnell so tief und friedlich schlafen würde. Jedoch die Angst zog aus meinem Herzen und meinem Kopf aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gedacht, dass Krieg und Flucht die einzigen Probleme seien, die es auf der Welt gibt. Aber es hat nicht lang gedauert, bis ich erfuhr, dass es noch ganz andere Sorgen gibt, mit denen die Menschen in friedlichen Ländern zu kämpfen haben.
Ich gewöhnte mich an das friedliche Leben. Essen, Schlafen und Spazierengehen waren unser tägliches Programm. Doch bald erkannte ich, dass auch das Nichtstun zum Problem werden kann. „Wie kann ich die Sprache lernen? Wo kann ich Arbeit finden?“ fragte ich. „Beruhige dich und sei vernünftig! Siehst du nicht, dass wir auch sitzen und warten? Oder denkst du, dass wir nicht arbeiten und die Sprache lernen wollen?“ sagte der älteste Mann in Heim zu mir. Ein anderer meinte: „Er ist neu, er wird sich beruhigen, wenn er ein paar Mal zum Arbeitsamt gegangen ist und ‚Bitte warten’ gehört hat!“ „Wenn du Arbeit willst, musst du zum Arbeitsamt gehen, aber zuerst musst du warten, bist du Asyl bekommst“, sagte ein anderer. „Wann bekomme ich denn Asyl?“ „Das weiß man nicht, wir warten auch!“ Trotzdem machte ich mich auf den Weg zum Arbeitsamt. Nachher dachte ich mir, ich hätte besser den Weg und das Ticket sparen sollen. Im Flüchtlingsheim waren wir 15 Personen aus sieben Ländern. Wir hatten weder die Sprache noch den kulturellen Hintergrund gemeinsam, aber doch verband uns das gleiche Schicksal. Keiner von uns wollte über seine Fluchtgründe sprechen, aber man erzählte gern von seinem Beruf. Wir wohnten und aßen auf Staatskosten, darauf waren wir nicht stolz. Aber eine andere Möglichkeit gab es nicht. Obwohl wir an einem Deutschkurs teilnehmen konnten, war bei manchen die Verzweiflung schon so groß, dass sie sich nicht konzentrieren konnten. Am schlechtesten ging es denen, die Kinder und Frauen in ihren Ländern zurücklassen mussten. Manche konnten deswegen nicht einmal mehr essen.
Obgleich wir uns weit weg vom Krieg und der Verfolgung befanden, blieb im Hinterkopf der Gedanke, dass wir schon morgen zurückgeschickt werden könnten. Solange man noch nicht als Flüchtling anerkannt ist, sind Krieg und Gefahr nicht so weit entfernt. Auch wenn wir von der Abschiebung verschont bleiben sollten, plagte uns die Angst um unsere Existenz, denn unsere Zukunft war ungewiss und wir waren auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen. Allen Flüchtlingen ging und geht es genauso. Sie wünschen sich, mit eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu verdienen und „arbeiten zu dürfen“. Bei mir dauerte es sechs Jahre, bis ich endlich arbeiten durfte. Nun war meine Flucht beendet und ich versuchte, meine Zukunft hier aufzubauen. Trotz aller Schwierigkeiten und Hürden glaube ich, ich hatte Glück im Unglück. Aber leider bin ich weder der erste noch der letzte, der flüchten musste, denn die Fluchtgründe sind immer noch nicht von der Welt verschwunden. Die Menschen versuchen, sich vor Gewalt, Armut, Bedrohung und Verfolgung zu retten. Für viele von ihnen endet die Flucht mit dem Tod - während ihrer Flucht oder nach der Abschiebung.
Viele Jahre später hatte ich eine Nachbarin, die auch Flüchtling gewesen ist. Sie kam 1945 nach Österreich. Sie erzählt: „Wir flohen und ließen alles zurück, was wir hatten. Die Russen sagten mir, ich soll ‚Austria’ sagen, dann wäre alles in Ordnung. In meiner Zeit musste man auf Asyl nicht so lange warten wie heute und die Arbeitsbewilligung war auch leicht zu bekommen. Wir haben uns auch nicht vor einer Abschiebung fürchten müssen“. Die jetzige Situation findet meine Nachbarin auf jeden Fall sehr schlecht, und sie glaubt, dass die Arbeitslosigkeit daran schuld sei. Sie meint: „Wenn die Menschen anständig sind und arbeiten wollen, dann sollen sie hier bleiben, wenn nicht, dann sollte man sie zurückschicken.“ Ich habe gedacht, sie hätte alles erzählt, aber auf einmal sagte sie: „Wissen Sie, damals hatten wir nicht so viele Ansprüche wie die Flüchtlinge heute. Wenn wir alte Sachen bekamen, waren wir zufrieden. Heute wollen die Flüchtlinge etwas Neues haben“. Ich selbst habe alte Sachen von der Caritas gekauft oder bekommen, und ich kenne genug Flüchtlinge, bei denen es ebenso ist.
Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde angesichts der Massenvertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg vereinbart und ist 1951 in Kraft getreten. Sie besagt, dass Menschen, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung in ihrem Herkunftsland verfolgt werden und dorthin aus diesen Gründen nicht zurückkehren können oder wollen, Schutz zu gewähren ist. Obwohl die meisten Staaten diese Konvention unterschrieben haben, werden ihre Bestimmungen missachtet. Täglich werden Menschen mit Gewalt abgeschoben und den Gefahren wieder ausgeliefert, vor denen sie geflohen waren. Der neue UNHCR-Bericht kritisiert, dass die immer strengeren Asylgesetze dieser Konvention widersprechen. Noch dazu werden AsylwerberInnen oft mit Terroristen in einen Topf geworfen. Auch das am 1.1.2006 in Österreich in Kraft getretene Fremdenrechtspaket verletzt in zahlreichen Bestimmungen die Menschenrechte.
Qaaxooti - FLÜCHTLING
von Abdullahi A. Osman
Niemand flüchtet freiwillig aus seinem Land, denn Flüchten heißt vor dem Strick des Henkers zu fliehen Der Grund das Risiko, das bis zum Hals steht. Jemanden, der die bittere Entscheidung getroffen hat, seine Familie und Freunde und alles, was ihm kostbar ist, hinter sich zu lassen nur mit dem nackten Leben in einen weit entfernten Erdteil zu fliehen In eine völlig neuen Welt, wo andere Völker leben, und er nicht einen einzigen Menschen kennt nur in der Hoffnung noch ein paar weitere Tage die Sonne zu sehen. Sollte man diesen Menschen verachten, ins Abseits drängen und jeden Morgen mit neuen Paragraphen bedrohen? ihm vielleicht ein paar Tage Frühstück, Abendessen und einen Schlafplatz geben um ihn dann seinem Henker zu übergeben?
Sein Bedürfnis ist mehr als Brot und eine warme Decke. Die Not soll die Menschenwürde nicht verdrängen. Flüchtling zu sein, macht nicht stolz Es ist ein Schicksal, das deinen Körper und deine Seele erfasst, gegen das du dich nicht wehren kannst und das du nicht ablehnen kannst. Die Angst und die Fragen, lassen den Flüchtling nicht zur Ruhe kommen und den Gedanken nicht vertreiben, wann werde ich festgenommen und zurückgeschoben? Die Verzweiflung raubt ihm den Schlaf.
Schmerz und Albträume nagen an seiner Seele So dass ihm keine Speise schmeckt und sein Hunger nicht gestillt werden kann. Erst wenn er eine Chance bekommt sein Brot aus eigener Kraft verdient Wird es ihn sättigen und zufriedener machen Als Almosen und Abhängigkeit. Dann kann er seine Zukunft planen und in Freiheit und Würde leben.
Freunde: zu Euch ist man geflüchtet, weil ihr in Wohlstand und Sicherheit lebt und in Eurem Land Frieden herrscht. Ihr sollt nicht die Reisenden verabscheuen, nicht ignorieren und ihre menschliche Würde verletzen, sondern ihnen Respekt erweisen.
Ihr Flüchtlinge: Das Leben wird nicht immer so grausam sein die entbehrungsreichen Tage werden vorübergehen. Wenn Eure Wünsche nicht erfüllt werden, verzweifelt nicht und gebt nicht auf, denn die schönen Tage werden wieder kommen und ihr werdet wieder lachen!
erschienen in: Talktogether Nr. 16/2006
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