Gespräch mit Jubril aus Nigeria PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Jubril aus Nigeria:

„Einmal sagten sie zu mir: Jubby, mit dir haben wir ja kein Problem, du gehörst doch zu uns! Ich antwortete: Wie sollte ich zu euch gehören, wenn ihr Leute, die wie ich aussehen, nicht akzeptiert?“

Talk Together: Vor ein paar Jahren hast du dich entschlossen, mit deiner Familie nach Nigeria zurückzukehren. Was waren deine Beweggründe?

Jubril: Als ich 1991 nach Österreich kam, hatte ich nicht geplant, auf Dauer hier zu bleiben. Damals hatte ich meine Frau und meinen Sohn zurückgelassen. Nach drei Jahren kehrte ich wieder nach Nigeria zurück, doch die politische Situation war so chaotisch, dass meine Frau vorschlug, gemeinsam nach Österreich zu gehen. Doch in meinem Kopf blieb der Gedanke, dass ich in meine Heimat zurückgehen werde. Die Gründe kann ich nicht so genau nennen, es ist keine bewusste Entscheidung, sondern mehr wie ein körperliches Gefühl, mein ganzes Denken ist davon geprägt. 2001 war es dann soweit, wir hatten ein bisschen Geld gespart und Pläne geschmiedet, um in Nigeria eine Existenz aufzubauen.

Talk Together: Mit welchen Hindernissen wart ihr konfrontiert?

Jubril: Das Geld war einfach viel zu knapp, alle Pläne, die ich hatte, funktionierten nicht. Die Inflation war gigantisch, innerhalb von ein paar Tagen wurde alles teurer. Auch das Schulgeld für die Kinder war unerschwinglich. Das öffentliche Schulsystem hat sich total verschlechtert. Ich selbst bin in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen, als Kind bin ich schon auf den Markt gegangen, um zum Familieneinkommen beizutragen. Ich kannte keine Privatschule, trotzdem habe ich eine gute Ausbildung genossen. Doch in den letzten Jahres ist das ganze öffentliche System kaputtgegangen, wer seinen Kindern eine gute Ausbildung bieten will, muss sie in eine Privatschule schicken. Um ein Geschäft aufzubauen, von dem wir alle leben könnten, hatte ich einfach nicht genügend Kapital, deshalb mussten wir nach sechs Monaten wieder nach Österreich kommen. Obwohl ich nun schon 14 Jahre hier lebe, ist es mir aber nicht gelungen, mich zu Hause zu fühlen. Immer wieder passieren Dinge, man ist mit Rassismus konfrontiert, das verstärkt den Wunsch, schnell wieder heimkehren zu können.

Talk Together: Hattet ihr in Nigeria Probleme mit der Sicherheit?

Jubril: Ich komme aus Lagos, aber meine Eltern stammen aus einem Dorf 240 km von Lagos entfernt. In Lagos ist es natürlich schon gefährlich, wie in jeder Großstadt. Aber schließlich kenne ich mich dort aus und weiß, wie ich mit der Situation umgehen kann. In meinem Heimatort ist es aber ganz ruhig und sicher. Allerdings ist die Gegend dort nicht sehr entwickelt, deshalb gibt es auch keine höheren Schulen. Wenn man genügend Kapital hat, könnte man aber sicher einen Weg finden, beides zu kombinieren, um gut zu leben.

Talk Together: Man hört in letzter Zeit viel von Religionskonflikten in Nigeria. Was sind die Ursachen?

Jubril: Nigeria ist ein sehr großes Land und die Situation ist nicht überall gleich. Diese Konflikte gibt es hauptsächlich im Norden des Landes. Die verschiedenen Teile des Landes sind kulturell sehr unterschiedlich und die verschiedenen Provinzen sind nur aufgrund der Kolonialisierung zu einem Staat geworden. In den nördlichen Provinzen leben die Haussa und Fulani, dort dominiert der Islam. Leider existiert in Nordnigeria kein gutes Bildungssystem, die meisten Kinder besuchen nur die Koranschule. Der Osten und der Süden des Landes sind katholisch dominiert, während im Westen, im Gebiet um Lagos, wo ich herkomme, Menschen unterschiedlicher Religionen zusammenleben. Auch in meiner Familie gibt es sowohl Christen als auch Moslems. Meine Eltern sind Moslems, die Eltern meiner Frau Christen. Unsere Eltern hatten kein Problem wegen dieser Heirat. Meistens wird das Problem so gelöst, dass die Frau die Religion des Mannes annimmt. Wir sind Yoruba und bei uns zählt die ethnische und kulturelle Zugehörigkeit viel mehr, die Religion kommt erst an zweiter Stelle. Ich denke aber, dass die Religion für politische Machtkämpfe benützt wird. In Wahrheit verstecken sich ethnische Probleme hinter diesem Konflikt.

Talk Together: Eine andere Krisenregion ist das Nigerdelta, man hört immer wieder von Auseinandersetzungen. Wie ist die Situation dort?

Jubril: Das Problem im Nigerdelta ist eigentlich ein generelles Problem in Nigeria. Die Regierung hat diese Menschen immer unterdrückt und die Region vernachlässigt. Es gibt wenig Bildungsmöglichkeiten, und weil alles verseucht ist, können die Menschen dort auch nicht mehr von der Landwirtschaft oder vom Fischfang leben wie früher. Viele müssen in andere Teile des Landes abwandern und dort schlechte Jobs zu niedrigen Löhnen machen, sie sind Gastarbeiter im eigenen Land. Das Nigerdelta wird von kleineren Volksgruppen bewohnt, wie den Ogoni, sie umfassen nur eine halbe Million Menschen. Der 1995 ermordete Schriftsteller Ken Saro Wiwa war einer von ihnen. Ihr Siedlungsgebiet ist nicht größer als das Bundesland Salzburg, aber die meisten Ölvorkommen befinden sich auf diesem Gebiet. Von dem Ölreichtum haben die Bewohner aber überhaupt keinen Vorteil. Das meiste Geld fließt in den Westen, nur sehr wenige Leute profitieren von diesem Geschäft. Die ausländischen Konzerne pumpen das Öl ab, die Einheimischen bekommen keine Jobs, weil die Firmen ihre eigenen Mitarbeiter mitbringen, und sie verkaufen das Öl auf dem internationalen Markt, der auch seinen Preis bestimmt. Den Schaden haben aber die Bauern und Fischer. Für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage haben sie keine Entschädigung bekommen, obwohl es immer wieder Versprechungen von Seiten der Regierung gab, die wurden aber nie eingehalten. Die Regierung hat überhaupt keinen Plan, etwas für die jungen Menschen zu tun, um ihnen bessere Möglichkeiten zu geben. Es ist kein Wunder, wenn es zu Protesten und Aufständen kommt.

Talk Together: Es gibt Organisationen, die Afrikaner zur Rückkehr motivieren wollen. Was hältst du davon?

Jubril: Wenn jemand aus wirtschaftlichen Gründen sein Land verlassen hat, kann ich mir schon vorstellen, dass ihm ein bisschen Kapital helfen könnte, etwas aufzubauen, wenn er eine gute Idee hat. Wer jedoch aus politischen Gründen sein Land verlassen hat, wer geflohen ist, um sein Leben zu retten, was könnte ihm Geld nützten? Man darf nicht vergessen, dass die europäischen Länder Mitschuld an der Misere haben. Früher gab es nicht so viele Nigerianer, die nach Europa auswanderten, vielleicht kamen manche, um zu studieren. Doch in der Zeit der Militärdiktatur in den 1980er und 1990er Jahren setzte eine regelrechte Massenauswanderung ein. In dieser Zeit gab es zahlreiche Protestbewegungen gegen die Militärdiktatur, die hauptsächlich von Studenten und jungen Menschen getragen wurden. Diese Oppositionsbewegungen wurden von der Regierung grausam unterdrückt, viele Menschen wurden verhaftet, getötet oder verschwanden spurlos. Wer verfolgt wurde, konnte sich nur retten, indem er auswanderte. Der Westen aber hat diese korrupten Regierungen 40 Jahre lang direkt und indirekt unterstützt. Wenn aber im Land keine Entwicklung stattfindet, wenn es weder Jobs noch Ausbildungsmöglichkeiten gibt, hoffen viele auf eine Chance im Ausland. Natürlich haben viele auch falsche Vorstellungen von den Möglichkeiten in Europa, sie wissen nicht, wie schwer es hier ist.

Talk Together: Was wird benötigt, damit die Menschen in Afrika eine bessere Zukunft aufbauen können?

Jubril: Ich muss leider sagen, dass die Hilfe, die aus Europa kommt, nur oberflächlich und nicht langfristig ist. Was bringt es denn, Geld zu sammeln oder gebrauchte Sachen nach Afrika zu schicken? Wer redet darüber, wie viele Reichtümer und wie viel von korrupten Politikern gestohlenes Geld nach Europa geschafft worden sind? Wer redet über Entschädigungszahlungen für die Schäden, die der Sklavenhandel angerichtet hat? Nicht Hilfslieferungen, nur Bildung und Ausbildung können eine eigenständige Entwicklung in Afrika ermöglichen.

Talk Together: Du warst der erste schwarze Taxifahrer in Salzburg. Welche Erfahrungen hast du gemacht?

Jubril: Am Anfang war es sehr schwer, die Leute waren nicht an einen schwarzen Taxifahrer gewöhnt. Oft genug wurde ich von Fahrgästen blöd angeredet, am meisten Probleme hatte ich aber mit meinen Kollegen, manchmal wurde ich beschimpft. Einmal hatte ich sogar mit einem Taxler eine Schlägerei, die Geschichte endete vor Gericht – ich wurde freigesprochen. Inzwischen haben sich die Leute daran gewöhnt, mit einem schwarzen Taxifahrer zu fahren. Auch meine Kollegen haben mich inzwischen akzeptiert, aber jetzt gibt es neue afrikanische Fahrer, die haben jetzt diese Probleme. Ein Kollege sagte einmal zu mir: „Wir haben in der Zeitung gelesen, das die Afrikaner Drogenhändler sind!“ Darauf antwortete ich: „Aber sie arbeiten jetzt!“ Woher sollte ein afrikanischer Flüchtling überhaupt das Kapital haben, um mit Drogen zu handeln. Dahinter stecken doch Großdealer, die die Afrikaner auf die Straße schicken.

Einmal sagten sie zu mir: „Jubby, mit dir haben wir ja kein Problem, du gehörst doch zu uns!“ Ich antwortete: „Wie sollte ich zu euch gehören, wenn ihr Leute, die wie ich aussehen, nicht akzeptiert?“ Vor ein oder zwei Jahren wurde ein afrikanischer Taxifahrer vor der Rathauswachstube aus dem Taxi gezerrt und ins Gefängnis gesteckt, nur weil er sein Fahrzeug nicht korrekt abgestellt hat. Da frage ich mich schon, ob das mit einem Österreicher auch passieren könnte. Was mich auch sehr ärgert, ist, wenn ich von einem Polizisten mit „du“ angeredet werde, von einem Beamten ist das respektlos.

Ich war einmal mit einem österreichischen Freund zusammen in Nigeria auf Urlaub. Manchmal war er allein unterwegs, weil ich keine Zeit für ihn hatte. Da ist er gut zurechtgekommen. Er ist überall freundlich aufgenommen und unterstützt worden. Als wir zusammen im Flugzeug zurück nach Salzburg saßen – jetzt war die Situation umgekehrt, ich war der einzige Schwarze – bemerkte ich, dass er traurig war. Ich fragte ihn, was ihn bedrückt. Er sagte: „Es macht mich traurig, dass ich nicht dasselbe für dich tun kann, was du für mich getan hast.“

Talk Together: Danke für das Gespräch!

erschienen in: Talktogether Nr. 16/2006