Die Gesellschaft, die ich mir wünsche PDF Drucken E-Mail

Die Gesellschaft, die ich mir wünsche

Katjas Visionen

Viele Menschen machen sich heute Sorgen um die Zukunft.

Und Gründe, sich Sorgen zu machen, gibt es auch genügend. Überall, wo man hinsieht, gibt es Krisen: Kriege und politische Spannungen, Wirtschaftskrise, Finanzkrise, der dro­hende Klimawandel… Die entscheidende Frage lautet: Wie wird die Antwort darauf ausse­hen? Bedrohliche Szenarien sind die Verschärfung internationaler Rivalitäten, aus denen Kriege entstehen könnten, die außer Kontrolle geraten, sowie das Zunehmen faschistischer und reaktionärer Strömungen in vielen Ländern der Erde. Doch für mich persönlich stellen diese Krisen nicht nur ein Anlass zur Sorge, sondern auch einen Grund zur Hoffnung dar. Nämlich der Hoffnung, dass die sich zuspitzenden Widersprüche zu einer fundamentalen Änderung führen könnten. Ein paar zaghafte Anzeichen dafür gibt es ja schon, wenn auch fast nur in abgelegenen Regionen, die an den Rand des Weltgeschehens gedrängt worden sind.

Heute hört man angesichts der Finanzkrise immer wieder, dass der Kapitalismus in Gefahr sei und Rettungsmaßnahmen ergriffen werden müssten. Das hat mich doch ein bisschen erstaunt. Wann hat man in den Mainstream-Medien schon gehört, dass der Kapitalismus offen in Frage gestellt wurde? Wurde hier nicht immer versucht, den Menschen die Vor­stellung zu vermitteln, dass der Kapitalismus für immer und ewig weiterexistieren würde? Aber siehe da, heute müssen sogar die Herrschenden zugeben, dass ihr System ins Wanken geraten ist. Man sieht, wie schnell das gehen kann.

Die Krise hat aber auch nur wieder einmal aufgezeigt, auf welch verantwortungslose Weise mit dem Leben der Menschen gespielt wird. Was können wir von einem System erwarten, in dem Milliarden von Spekulanten in die Luft gesetzt werden, während andere dafür bezahlen müssen? Die Menschen, die ihr Heim verlieren, für das sie ihr Le­ben lang gespart haben, und auf der Straße stehen. Oder die Menschen, die entwurzelt wer­den, weil sie ihre gesamte Lebensgrundlage verlieren und keine andere Lösung mehr sehen, als in Massen ihre Länder zu verlassen. Was können wir von einem System erwarten, dass trotz der enormen Fortschritte in Forschung und Technik vielen Menschen das verweigert, was sie benötigen: Nahrung, Gesundheit, Bildung und menschenwürdige Lebensumstände?

Obwohl es so viele technische Neuerungen gibt, die den Menschen die Arbeit abnehmen können, wird heute auf die Lohnabhängen immer mehr Druck ausgeübt, mehr zu arbeiten. Die Ausbeutung der Arbeitskraft von Menschen hat eine lange und grausame Geschichte. Wäh­rend aber früher Sklaven gefangen und mit Peitschenhieben zur Arbeit gezwungen wurden, tra­gen die Lohnabhängigen ihre Haut selbst zu Markte. Und das zu zunehmend schlechteren Be­dingungen. Arbeitsverhältnisse, die ein geregeltes Einkommen und die Sicherheit bieten, werden immer seltener. Immer mehr Menschen sind heute wie Tagelöhner von Leihfirmen abhängig. Wie sollte es unter solchen Umständen für junge Menschen noch möglich sein, ihre Zukunft zu planen?

In der Gesellschaft, die ich mir wünsche, sollte der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen. Vor allen Dingen müsste die Arbeit befreit werden. Wir Menschen haben doch das angeborene Bedürfnis, kreativ zu sein und etwas zu erschaffen. Das kann man bei jedem Kind beobachten. Doch das herrschende System erfordert, dass die angeborene Neugier und der Wissensdrang in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. So wird die Kreativität behindert statt gefördert. Denn die Arbeit, wie sie im Kapitalismus organisiert ist, erfüllt nicht den Zweck, sich als Individuum zu entfalten und als Teil der Gesellschaft weiter zu entwickeln. Denn der Großteil der Menschen hat keine andere Überlebensmöglichkeit, als einen Teil seiner Lebenszeit und seiner Kraft zu vermieten für den Lohn, den sie dazu benötigen, um ihre Rechungen bezahlen zu können. Und mit der Arbeitskraft der Menschen wird im Kapitalismus genauso gehandelt wie mit jeder ande­ren Ware. Der Lohn richtet sich nicht nach der geleisteten Arbeit und schon gar nicht nach dem Wert, der mit dieser Ar­beit erzeugt wird. Der Preis der Arbeitskraft richtet sich, wie alle bei allen anderen Waren, nach dem Marktwert, nach Angebot und Nachfrage.

Wir sind nicht nur von der Arbeit entfremdet, sondern wir konsumieren auch nicht mehr nur, um unse­rer Bedürfnisse zu befriedigen oder um uns selbst Wohlgefallen zu bereiten. Vielmehr werden täglich neue Bedürfnisse künstlich durch die Werbung erzeugt. Das führt dazu, dass – während ein großer Teil der Menschheit unter Not und Man­gel leidet – viele Produkte hergestellt werden, die wir nicht benötigen, und die schließlich dann wieder auf dem Müll lan­den und die Umwelt verpesten. Aber nicht nur unsere Bedürfnisse, auch unsere Vorstellungen sind von den Massenme­dien mehr manipuliert und beeinflusst, als wir uns eingestehen wollen.

Könnte die Arbeit nicht auch ganz anders aussehen? Wir sollten die Arbeit aus dem Grund machen, weil wir sie als sinnvoll und notwendig erachten. Das passiert ja heute auch schon. Wie viele Menschen engagieren sich und arbeiten freiwillig in Vereinen oder bei der Freiwilligen Feuerwehr? Genau diese Art von Arbeit ist es, die den Menschen Freude und Befriedigung bereitet, während die Lohnarbeit meist nur als notwendiges Übel angesehen wird. Außerdem sollte jeder Mensch die Möglichkeit haben, sich zu bilden und sich weiter zu entwickeln. Niemand sollte sein Leben lang dieselbe Tätigkeit ausüben müssen, sondern jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin eines Betriebes, sollte die gleichen Rechte und die gleichen Möglichkeiten haben, am Entscheidungsprozess teilzuhaben. Egal ob jemand am Fließband arbeitet oder als Reinigungskraft. Denn jeder hat Kompetenzen und Wissen, jeder hat die Fähigkeit zu lernen und sich weiter zu entwickeln.

Die Welt schreit nach Veränderung. Aber die Offensichtlichkeit der Probleme allein führt noch lange nicht dazu, dass sich etwas Grundlegendes ändert. Es muss die Vision da sein, dass es auch anders funktionieren kann, die Überzeugung, dass es Alternativen zu dieser Gesellschaftsordnung gibt. Dass es die Mög­lichkeit gibt, glücklich und in Frieden auf dieser Erde zusammenzuleben. Klingt das wie ein frommer Wunsch oder eine Utopie? Doch nur wenn wir eine Utopie, einen Traum haben, die uns leiten, haben wir auch die Kraft und die Möglichkeit, eine Veränderung zu erreichen. Wenn wir aber „realistisch“ sind und uns nicht zutrauen, die herrschenden Verhältnisse überwinden zu können, ist das Scheitern vorprogrammiert.

Wie diese andere Welt aussehen würde, die sich viele wünschen, und vor allem, wie man dorthin gelangen könnte, dazu gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen und Vorstellungen. Man könnte sogar sagen, dass jeder einzelne Mensch seine ganz persönliche und individuelle Vision davon hat. Auch wenn sich die Ideologien der Menschen unterscheiden, wenn es um konkrete Dinge geht, sind die Vorstellungen meist gar nicht so unterschiedlich. Das konnte  ich unter anderem bei einem Workshop feststellen, der im Mai dieses Jahres im Rahmen der FrauenFrühlingsUni stattgefunden hat. Dort haben die Frauen auf Kärtchen ihre Vorstellungen aufgeschrieben, wie die Gesellschaft aussehen soll, die sie sich wünschen. Die Wünsche unterschieden sich nicht allzu sehr, eher ergänzten sie sich. Im Gunde waren es ganz einfache und bescheidene Wünsche wie Unterstützung bei Kinderbetreuung und Hausarbeit, die bedürfnisgerechte Versorgung mit Konsumgütern usw. Allen gemeinsam war, dass sich die Frauen mehr gemeinschaftliche Einrichtungen wünschten. Es war fast ein bisschen erstaunlich, dass manche Vorstellungen teilweise nahezu identisch waren. Zugegeben, diese Frauen repräsentierten vielleicht nicht alle Schichten der Gesellschaft. Aber ich kann mir vorstellen, dass sich die Ergebnisse dieses Workshops in einem anderen Land auch nicht so großartig voneinander unterscheiden würden. Und wenn man darüber genauer nachdenkt, ist das überhaupt nicht verwunderlich, denn die Menschen haben – bei aller ihrer Unterschiedlichkeit – doch im Grunde die gleichen Bedürfnisse.  

Ist eine andere Welt möglich?

Auch wenn die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit nicht geleugnet werden kann, haben doch viele Menschen Zweifel daran, dass eine Veränderung möglich sei. Sie argumentieren, dass die bisherigen Versuche – zumindest auf lange Sicht gesehen – leider nicht erfolgreich waren. Wie oft ist man mit der Ansicht konfrontiert: „Die Theorie ist schön, aber leider nicht in die Praxis umzusetzen!“ Die Revolutionen der Vergangenheit – ob in Russland oder China – hätten ihre ursprünglichen Ziele nicht erreicht und sich sogar ins Gegenteil davon gekehrt. Wenn auch manche Berichte übertrieben oder einseitig sein mögen, ist dies natürlich eine bittere Wahrheit, die zu verleugnen sinnlos wäre, zu offensichtlich waren die Fehler und Fehlentwicklungen. Aber kann uns das als Ausrede dienen, die Hände zu verschränken und uns zurückzulehnen? Sollten wir deshalb der Ausbeutung, der Unterdrückung und dem Morden tatenlos zusehen?

Ich bin davon überzeugt, dass das, was wir uns wünschen, nämlich eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, möglich ist. Einerseits ist die Erreichung dieses Zieles aber sicher die schwierigste Sache der Welt, denn unsere menschlichen Schwächen wie Egoismus, Neid und Bequemlichkeit stehen dabei oft im Wege. Aber andrerseits, wenn man konsequent auf die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen hört, scheint es wiederum die einfachste Sache der Welt zu sein. Aber bevor wir mit der Arbeit beginnen, sollten wir zuerst prüfen, ob es uns mit diesem Anliegen wirklich ernst ist. Wir brauchen Veränderung, eine Veränderung, die alle gesellschaftlichen Verhältnisse und Werte von Grund auf umgestaltet. Es ist eine nicht zu verleugnende Tatsache, dass so eine Veränderung weder von heute auf morgen passieren, noch ohne Widerstände erreicht werden kann. Eine Revolution bietet ja nur die Möglichkeit einer solchen Umgestaltung, ob und wie eine solche auch umgesetzt werden kann, dafür gibt es kein Patentrezept. Auf jeden Fall ist dafür ein langwieriger Prozess nötig, im Laufe dessen die Menschen die Möglichkeit bekommen, ihre ganze bisherige Kultur und Denkweise umzustellen.

Aber angesichts der gewaltigen Probleme, mit denen wir bereits konfrontiert sind, und der noch viel größeren Herausforderungen, vor der wir in Zukunft stehen werden, ist Aufgeben keine Option. Wenn wir es mit unserem Anliegen ernst meinen, ist es unsere Pflicht, die Fehler der Vergangenheit genau zu analysieren, aus ihnen zu lernen und zu versuchen, neue Wege zu finden. Sollten wir unseren Traum im Vorhinein aufgeben aus Angst zu scheitern? Auch wenn mich manche für eine Träumerin halten werden, so sage ich: Nein, wir dürfen den Mut nicht verlieren. Und wenn wir auch nicht immer sicher sein werden, wohin uns dieser Weg führen wird, ob wir Umwege gehen oder uns auf dem Weg vielleicht sogar einmal verirren, wir haben die Chance zu gewinnen, solange wir nur unser Ziel nicht aus den Augen verlieren.     

Ich freue mich auf eure Visionen und Reaktionen, Katja, eine Leserin

erschienen in: Talktogether Nr. 26/2008