Talk Together: „Wie heißt euer Verein und seit wann gibt es ihn? Was sind eure Ziele?“
Obmann Hussein M. Nur: „Unser Verein heißt ‚Österreichisch-Somalischer-Kulturverein’ und wurde im August 2007 in Wien gegründet und angemeldet. Unser Verein hat zwei Ziele: zum ersten, Menschen somalischer Herkunft zusammenzubringen, um unsere Kultur und Religion zu pflegen. Der Verein dient aber auch dazu, wenn jemand ein Problem hat, gemeinsam eine Lösung zu finden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es Probleme gibt, die man als Einzelperson nicht bewältigen kann. Zum Beispiel ist vor einiger Zeit ein somalischer Mann ertrunken. Für nicht Familienangehörige war es nicht erlaubt, seine Leiche zu sehen, doch dieser Mann hatte leider keine Verwandten hier. Als Verein war es uns dann möglich, eine Beerdigung zu organisieren.
Zweitens wollen wir als Verein eine Brücke zwischen der somalischen und der österreichischen Gesellschaft sein. Das heißt, wenn wir als Somalis zusammen kommen und einander näher rücken, dann fällt es uns auch leichter, mit Einheimischen in Kontakt zu treten und Wege zur Integration zu finden, z.B. können wir Einheimische zu unseren Veranstaltungen einladen.“
Talk Together: „Was bedeutet für euch, die Kultur zu pflegen?“
Hussein: „Wir stammen zum Großteil aus einer ursprünglich nomadischen Gesellschaft, in der die Gemeinschaft eine große Rolle spielt. Wenn die Nomaden auch um Wasser und Weidegründe stritten, war ihnen doch bewusst, dass der Zusammenhalt überlebenswichtig ist. Die Kultur pflegen, bedeutet für uns: Weil durch den Krieg vieles von der somalischen Kultur auf der Strecke geblieben oder sogar verschwunden ist, sehen wir die Notwendigkeit, die Kinder in der somalischen Kultur zu erziehen und sie ihnen zu erklären. Denn unsere Kinder sind während Krieg und Chaos auf die Welt gekommen und haben noch nie einen friedlichen Feiertag in Somalia erlebt. Daher finden wir es sehr wichtig, ihnen die somalische Kultur näher zu bringen, von der Tracht bis zur Dichtung. Wir sind der Meinung, dass sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen dann die Kultur der neuen Heimat besser wahrnehmen können, je besser sie ihre eigene Kultur kennen. Wenn wir unsere Kultur pflegen, um sie den nächsten Generationen weiterzugeben, damit die Kinder, die hier aufwachsen, ihre Wurzeln kennen, bedeutet das aber nicht, dass wir uns abkapseln wollen. Im Gegenteil. Wir suchen den Kontakt mit der österreichischen Bevölkerung, um von der österreichischen Kultur zu lernen.“
Talk Together: „Ihr nennt euch Österreichisch-Somalischer-Kulturverein. Gibt es auch österreichische Mitglieder in eurem Verein?“
Hussein: „Ja, wir haben österreichische Mitglieder somalischer Herkunft, aber bis jetzt noch keine, die nicht somalischer Abstammung sind. Aber wie gesagt, der Verein sollte eine Brücke zwischen Einheimischen und Zuwanderern sein, und unser Verein steht selbstverständlich für alle offen.“
Talk Together: „Wie sehen eure Aktivitäten aus?“
Hussein: „Vielen Familien, die als Flüchtlinge in Österreich angekommen sind, fällt es schwer, sich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Man darf nicht vergessen, dass diese Menschen aus einem Land kommen, in dem das staatliche System brach liegt, und viele von ihnen keinen Zugang zur Bildung hatten. Deshalb verstehen sie manchmal nicht, wie wichtig Schulbildung für die Zukunft ihrer Kinder ist, manche wissen nicht einmal, dass es in Österreich eine Schulpflicht gibt. Dabei bietet der Verein Beratung und Unterstützung, etwa Übersetzungstätigkeiten bei Gesprächen mit Lehrern und Lehrerinnen, bei der Suche nach Hortplätzen oder Deutschförderunterricht. Da es aber wissenschaftlich erwiesen ist, dass sich ein Kind leichter tut, eine neue Sprache zu lernen, wenn es auch die Muttersprache gut beherrscht, wird in den Schulferien auch ein Unterricht in der somalischen Sprache organisiert.
Zusätzlich bieten wir auch in den Ferien einen Religionsunterricht an, denn obwohl die Kinder islamischen Unterricht in der Schule bekommen, ist es uns wichtig, dass die Kinder auf somalische Art und Weise die Religion lernen. Denn jede islamische Gesellschaft hat ihre eigene spezielle Art und Weise, die Religion zu vermitteln, die zu ihrer Kultur und Sprache passt. So haben wir auch unsere Art, den Koran zu lernen.
Außerdem organisiert der Verein an religiösen oder nationalen Feiertagen (z.B. am 26. Juni oder 1. Juli Unabhängigkeits- bzw. Einigkeitstag) Veranstaltungen und Feste, in denen ein Kulturprogramm dargeboten wird. Damit die jungen Leute mit der Kultur ihres Herkunftslandes vertraut werden, werden somalische Trachten getragen und Folkloretänze aufgeführt. Wir haben auch eine Musik-Theater-Gruppe, die in ihren Stücken soziale Probleme und schlechte Traditionen der somalischen Kultur wie die Frauenbeschneidung zum Thema macht und kritisiert.
Doch dabei wird nicht vergessen, die Verbindung mit der neuen Heimat zu suchen. So hat ein Moderator bei einem Fest einen 11-jährigen Buben gefragt, wie viele Bundesländer Österreich hat und wie deren Hauptstädte heißen. Auf diese Weise wollen wir eine Brücke zwischen unserer alten und unserer neuen Heimat bauen“.
Talk Together: „In Somalia gibt es Probleme zwischen Angehörigen verschiedener Clans und Stämme. Gibt es auch in Österreich solche Konflikte?“
Hussein: „Das stimmt leider. Früher ging es bei den Nomaden um Wasser und Weideplätze, heute geht es um Macht. Da die Konflikte sehr kompliziert und unberechenbar sind, wollen wir uns von der somalischen Politik bewusst fernhalten, damit wir diese Probleme nicht nach Österreich importieren. Natürlich gibt es auch Leute, die uns nicht mögen und nicht bei uns mitmachen wollen, doch das hat meist persönliche Gründe und nicht politische. Auch wenn wir wissen, dass Leute schlecht über uns reden, steht ihnen die Türe offen. Manche haben auch im Laufe der Zeit ihre Meinung geändert und sind dann doch zu unseren Veranstaltungen gekommen. Für uns ist es wichtig, dass die Leute lernen, andere Meinungen zu akzeptieren und Meinungsunterschiede mit Diskussion zu begegnen“.
Talk Together: „Welche Rolle spielen die Frauen in eurem Verein?
Hussein: „Alle waren bei der Gründung des Vereins eingeladen – Männer und Frauen. Doch leider hat sich nur eine einzige Frau gemeldet, die bereit war, im Vorstand mitzuarbeiten. Deshalb haben wir bei 8 Vorstandsmitgliedern nur eine Frau. Doch der Vereinsvorstand spielt nur eine offizielle Rolle und seine Wichtigkeit ist deshalb nicht so groß. Bei unseren Veranstaltungen leisten die Frauen einen großen Teil der Arbeit.“
Talk Together: „Wenn die Frauen so viel Arbeit leisten, warum haben sie nur so einen geringen Anteil beim Entscheidungsprozess?“
Nur: „Ich persönlich glaube, dass manche Frauen zu schüchtern sind, und sich nicht zutrauen, eine führende Rolle zu spielen. Wir ermutigen die Frauen aber, Verantwortung zu übernehmen. Unsere Vorstandsperiode läuft im Juni ab und da haben wir neue Wahlen. Wir hoffen, dass es diesmal anders sein wird und sich dieses Mal mehrere Frauen melden.“
Talk Together: „In vielen Teilen der islamischen Welt ist eine Radikalisierung zu beobachten. Was sagt ihr dazu?“
Hussein: „Wir sind geflüchtet und wissen, was Gewalt und Hass bedeuten, deswegen lehnen wir religiösen und politischen Fanatismus sowie jede Art von Gewalt kategorisch ab. Natürlich kommt es darauf an, was man unter Radikalisierung versteht. Wir sind Muslime und wir wollen unseren Glauben wahrnehmen und praktizieren und zwar auf friedliche Weise. Aber einen politischen Missbrauch und Gewalt im Namen der Religion wollen wir nicht akzeptieren. Stattdessen treten wir ein für einen Dialog zwischen den Religionen und Kulturen.“
Talk Together: „Habt ihr auch Kontakte mit anderen Vereinen und Gruppen? Beteiligt ihr euch an Aktionen z.B. gegen Rassismus oder für die Rechte der Flüchtlinge?“
Hussein: „Wir haben Kontakte zur Deserteurs- und Flüchtlingsberatung und zur Diakonie. Aber zu politischen Aktionen und Diskussionen wurden wir bisher nicht eingeladen. Wir sind aber natürlich sehr daran interessiert, unsere Kontakte zu erweitern und über Aktivitäten informiert zu werden.“
Talk Together: „Wie finanziert sich euer Verein?“
Hussein: „Wir finanzierten uns bisher ausschließlich über Mitgliedsbeiträge. Da unser Lokal sehr teuer und kalt ist, sind wir auf der Suche nach einem neuen Lokal. Da die meisten Mitglieder Flüchtlinge sind und nicht viel verdienen, ist es sehr schwierig, alles privat zu finanzieren. Deshalb hoffen wir, dass wir sowohl neue Mitglieder als auch Unterstützer finden können.“
Talk Together: „Was wünscht ihr euch für die Zukunft Somalias?“
Hussein: „Indem wir hier miteinander arbeiten und versuchen, unsere Probleme und Konflikte auf friedliche Weise zu lösen, wollen wir ein Vorbild darstellen. Ich bin der Meinung, wenn sich alle somalischen Leute, die im Ausland leben, um Frieden und Verständigung bemühen, wird auch eines Tages in Somalia wieder der Frieden einkehren. Dass eine Versöhnung möglich ist, haben wir in unserem Verein bewiesen. Im Ramadan sind manchmal 40-50 Leute aus verschiedenen Teilen Somalias zum gemeinsamen Fastenbrechen gekommen. Durch die Erfahrungen ist uns bewusst geworden, wie wichtig es ist, vor anderen Respekt zu haben und andere Meinungen zu akzeptieren. Das spielt meiner Meinung nach eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einem friedlichen Miteinander.“
Alasow: „IWir Somalis sind ein Volk, wir sprechen die gleiche Sprache, wir haben fast die gleiche Kultur, nur die Angehörigkeit zu Clans trennt uns. Wir haben also mehr gemeinsam, als uns unterscheidet. Ich muss aber betonen, dass es sich nicht wirklich um Konflikte zwischen den Clans handelt, sondern um machtgierige und fanatische Männer, die für ihre eigenen Interessen das Land und das Leben der Menschen zerstören. Auf dieser Welt leben viele Völker mit unterschiedlichen Kulturen in Frieden miteinander, und wir sind sicher, dass wir das auch können. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass eine rasche Versöhnung möglich ist, nur müssen wir daran glauben und dafür arbeiten.“
erschienen in: Talktogether Nr. 27/2009