Die Arbeit hoch? PDF Drucken E-Mail

DIE ARBEIT HOCH?

Im „Lied der Arbeit“ aus dem Jahr 1867 preist Josef Zapf die Arbeit, des Menschen schöpferische Kraft, als das, was den Menschen ausmacht, und ruft zu ihrer Befreiung auf:

„Drum hofft: des Kapitales Joch,
die freie Arbeit bricht es noch.
Die Arbeit hoch! Die Arbeit hoch!“

Der Erste Mai wird oftmals auch als „Tag der Arbeit“ bezeichnet und bietet deshalb Anlass, sich mit dem Thema Arbeit auseinanderzusetzen. Dieses ist durchaus ein sehr widersprüchliches. Wer sehnt sich nicht danach, sich von ihr zu befreien? Wir sehnen uns nach dem Wochenende, nach dem Urlaub (die schönste Zeit des Jahres), nach der Pension oder hoffen auf einen Lottogewinn, um der Arbeit endlich entrinnen zu können. Ist das der Fluch, der uns im Alten Testament auferlegt wurde: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen?“ Dennoch müssen wir der Arbeit nachlaufen, sogar mit anderen darum kämpfen. Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen sind die Lohnabhängigen immer größerem Druck ausgesetzt. Die Arbeitsbelastung und der Zeitdruck steigen kontinuierlich, das Arbeitstempo erhöht sich, aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wagen viele nicht einmal, in den Krankenstand zu gehen.

Im Gegensatz zu der biblischen Aufforderung zur Arbeitspflicht, haben sich Dichter und Schriftsteller aus allen Epochen und Erdteilen oft und gerne mit dem Thema Faulheit auseinandergesetzt. Paul Lafarge etwa forderte „Das Recht auf Faulheit“, Ivan Gontscharov ging mit seiner Geschichte über den sympathischen Faulpelz Oblomov in die Weltliteratur ein und Rabindranath Tagore lobt den Arbeitsscheuen, den er zu Unrecht von der Gesellschaft angegriffen sieht: Während die anderen mit Arbeit beschäftigt sind, ist er der einzige, der Zeit hat, wenn jemand dringend einen Gefährten braucht, und spielt somit eine wichtige soziale Rolle in der Gemeinschaft.

Hat die moralische Forderung des Arbeitszwanges seine Ursache darin, dass der Mensch früher auf niedrigem Existenzniveau lebte und niemals ausreichend materielle Güter vorhanden waren, so dass die Drohung des Hungertodes allgegenwärtig war? Doch heute im Zeitalter des wirtschaftlichen Überflusses können Güter mithilfe der fortgeschrittenen Technik mit einem viel geringeren Aufwand an menschlicher Arbeitskraft hergestellt werden. Noch im 19. Jahrhundert war die Hälfte der Bevölkerung mit der Landwirtschaft, also der Produktion von Nahrungsmitteln beschäftigt. Durch die Entwicklung der Technologie ist es heute möglich, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, obwohl heute höchstens fünf Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind. Ebenso verhält es sich mit der industriellen Produktion. Wir müssten also nicht mehr so viel arbeiten, um das zu produzieren, was wir zum Leben benötigen.

Befreiung der Arbeit oder Befreiung von der Arbeit?

Doch ist es das wahre Ziel des Menschen wirklich die Faulheit? Warum leiden Menschen, wenn sie ihre Arbeit verlieren, selbst wenn sie keine wirtschaftliche Not leiden? Wären wir glücklich im Schlaraffenland, wo wir nur die Hand ausstrecken müssten, um alles zu bekommen, was wir begehren? Könnten wir so ein paradiesisches Leben überhaupt ertragen? Es gibt auch andere Gründe zu arbeiten, außer der Notwendigkeit, sich zu ernähren und die Rechnungen bezahlen zu können, wie gesellschaftliche Anerkennung und persönliche Entfaltung. Sind diese aber nur Privilegien der Bevorzugten, von Künstlern oder Wissenschaftlern? Dem spricht entgegen, wie viel Energie und Zeit Menschen für ihre Hobbys oder den Sport aufwenden.

Dem Argument, dass der Mensch von Natur aus faul sei und nicht arbeiten wolle, wenn das Prinzip „arbeiten oder verhungern“ abgeschafft würde, entgegnet Erich Fromm: „Wie ein überwältigendes Beweismaterial ergibt, hat der Mensch eine angeborene Neigung, sich zu betätigen, und Faulheit ist ein pathologisches Symptom. In einem System der ‚Zwangsarbeit’, in dem der Attraktivität der Arbeit kaum Beachtung geschenkt wird, sucht der Mensch ihr wenigstens auf kurze Zeit zu entrinnen. Würde das gesamte Gesellschaftssystem so geändert, dass die Verpflichtung zur Arbeit nicht mehr mit Zwang und Drohungen verbunden wäre, würde es nur noch eine Minderheit von kranken Menschen vorziehen, nichts zu tun“ (Erich Fromm: Die Revolution der Hoffnung, 1968).

Entfremdete Arbeit

In Hegels Philosophie ist der Mensch erst dann ganz er selbst, wenn er der Welt nicht passiv begegnet, sondern zu ihr aktiv in Beziehung tritt, sie produktiv ergreift und sich aneignet. Laut Marx drückt sich der Mensch in der Arbeit selbst aus, sie ist der Ausdruck seiner individuellen physischen und geistigen Kräfte. Entfremdet wird der Mensch, wenn die eigene Tat zu einer fremden, ihm gegenüberstehenden Macht wird, die ihn unterjocht, statt dass er sie beherrscht.

“Der Arbeiter wird umso ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine umso wohlfeilere Ware, je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in welchem sie überhaupt Waren produziert. Dieses Faktum drückt weiter nichts aus als: Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber“. (Karl Marx 1844: Die Entfremdung von der Arbeit, Pariser Manuskriptfragmente)

Genauso wenig wie es im Kapitalismus darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, geht es darum, die Lebensbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Laut Fromm dient auch der Konsum nicht mehr dazu, sich selbst einen Wohlgefallen zu tun, sondern um „die Befriedigung von künstlich stimulierten Phantasievorstellungen“, die vor allem durch die Massenmedien an den Menschen herangetragen werden. Diese scheinbare Befriedigung lässt die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse des Einzelnen jedoch unbefriedigt zurück.

Selbstbestimmte Arbeit

„Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt.
Wir sind der Sämann, die Saat und das Feld.
Wir sind die Schnitter der kommenden Mahd.
Wir sind die Zukunft und wir sind die Tat.“

heißt im Lied „Die Arbeiter von Wien“ aus dem Jahr 1929. Voller Selbstbewusstsein und Zuversicht erklärt der Autor Fritz Brügel hier die Werktätigen, die den gesellschaftlichen Reichtum erschaffen, zu den Gestaltern der Zukunft.

Inzwischen ist viel Zeit vergangen und manche Illusion zerplatzt. Man musste die bittere Erfahrung machen, dass es auch sich als sozialistisch verstehende Systeme nicht geschafft haben, die Menschen vom Arbeitszwang zu befreien. Nicht nur den Erfordernissen des wirtschaftlichen Aufbaus entsprechend, sondern auch aus einem moralischen Imperativ heraus lautete auch hier die Losung: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Ging es um die Abgrenzung zu den parasitären Klassen, die sich bereicherten, ohne einen Finger zu rühren? Also ein Überbleibsel aus feudalistischen Zeiten? Warum war also auch in der Sowjetunion bei den Arbeitern mangelnde Arbeitsmoral bis hin zur Sabotage zu beobachten, wenn diese jetzt doch formal die Eigentümer der Betriebe waren, so dass man sich entschloss, auf Prämiensysteme und sogar Zwangsmaßnahmen zurückzugreifen? Die naive Vorstellung, dass die Umgestaltung der juristischen Eigentumsverhältnisse automatisch zu einer Befreiung der Arbeit führen würde, hatte sich als fataler Irrtum herausgestellt. (vgl. Charles Bettelheim: "Die Klassenkämpfe in der UdSSR", 1975)

Zurück zur Gegenwart: Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen hören wir jeden Tag von allen Seiten die Forderung, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Doch stehen wir heute nicht nur einer ökonomischen, sondern auch einer ökologischen Krise gegenüber. Deshalb stellt sich die Frage, wie lange wir uns noch ein Wirtschaftssystem leisten können, das auf stetigem Wachstum und Überproduktion beruht. Gleichzeitig wird aber die Befriedigung dringender Bedürfnisse der Menschen vernachlässigt, wie Gesundheitsversorgung oder Bildung. Hier gibt es dringenden Bedarf nach mehr Arbeit, doch diese Sektoren versprechen keine Gewinne. Hat es also Sinn, nach neuen Arbeitsplätzen zu schreien, wenn diese nicht den Erfordernissen der Gesellschaft entsprechen oder sogar Schaden anrichten? Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung dagegen ist eine notwendige, aber nicht die einzige. Verbinden wir sie mit der Forderung nach selbst bestimmter Arbeit und den Erfordernissen ökologischer Nachhaltigkeit! Damit wir eines Tages, wie Marx es ausgedrückt hat, vom Reich der Notwendigkeit zum Reich der Freiheit schreiten werden.

erschienen in: Talktogether Nr. 28/2009