Gespräch mit Helga Suleiman,
Mitarbeiterin des Vereins SOMM in Graz (Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen)
„Ich bin davon überzeugt, dass ein Zusammenleben möglich ist. Dazu müssen wir uns aber selbstbefreien und unseren Panzer loswerden. Wir müssten mehr Offenheit an den Tag legen und andereKulturen nicht als Bedrohung ansehen, sondern als Chance, von anderen Denkweisen lernen und damit zu reicheren Menschen werden zu können.“
Talktogether: Welche Aufgaben hat sich eure Selbstorganisation gestellt?
Helga: Unsere Selbstorganisation hat sich zum Ziel gesetzt, die gesellschaftliche Partizipation von Migrantinnen und im speziellen von Musliminnen zu fördern. Wir bieten Rat und Unterstützung in Rechtsfragen oder bei der Arbeitssuche. Außerdem begleiten unsere Mitarbeiterinnen Frauen zum Arzt oder zur Ärztin, ins Spital, zu Behörden.
Der Verein organisiert zudem Workshops, Vorträge und Fortbildungsprogramme. Im Moment arbeiten wir mit großem Erfolg an einem geförderten Bildungsprojekt. Es geht um einen Alphabetisierungskurs für Migrantinnen, die in ihrer Heimat nicht die Möglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen und Lesen und Schreiben zu lernen. Aber wirklich zufrieden mit der grundsätzlichen Herangehensweise an Alphabetisierung in diesem Projekt sind wir nicht, weil wir der Überzeugung sind, dass Alphabetisierung auch in der Muttersprache stattfinden sollte und nicht nur und zuerst in einer fremden Sprache. Und es ist schon gar nicht leicht, die Motivation aufzubringen, die Sprache eines Landes zu lernen, in dem man täglich mit Diskriminierung konfrontiert ist wegen der Herkunft, der Hautfarbe oder dem Kopftuch.
Talktogether: Warum habt ihr einen Verein speziell für muslimische Frauen gegründet, und gibt es auch nicht-muslimische Mitglieder?
Helga: Unser Verein steht allen Frauen offen. Aber es ist eine Tatsache, dass muslimische Frauen mit einer speziellen Art der Diskriminierung konfrontiert sind. Und es ist für viele Musliminnen leichter, an einen Ort zu gehen, an dem sie sich sicher und verstanden fühlen.
Frauen aus Ländern mit strengen Traditionen stehen oft unter einem großen Druck von ihrem familiären und sozialen Umfeld. Frauen mit Eheproblemen haben Angst ausgestoßen zu werden oder alleine nicht weiterleben zu können, und sehen deshalb oft für sich keine andere Wahl, als in der unerträglichen Ehesituation zu verbleiben. Was wir in so einem Fall tun können ist, die Frauen darüber aufzuklären, welche Rechte die Frau im Islam hat, und dass es nach den Regeln der Religion zwingende Gründe für eine Scheidung gibt. Hier ist es notwendig zu trennen zwischen überlieferten Traditionen und der Religion.
Ich denke auch, dass die Frauen unseren Mitarbeiterinnen gegenüber, die mit dem Islam vertraut sind und über religiöse Vorschriften Bescheid wissen, leichter ihre Scheu ablegen und Vertrauen entgegenbringen können, als würden sie Ratschläge von einer anderen Seite bekommen, von der sie weniger Verständnis erwarten.
Besonders Frauen, die sich dafür entscheiden, ein Kopftuch zu tragen, stehen oft vor großen Problemen. Viele Unternehmen stellen Frauen nur unter der Bedingung ein, dass sie ihr Kopftuch ablegen. Es gibt Reinigungsfirmen, die ein Kopftuchverbot für Arbeiterinnen aussprechen. Die Unternehmen nützen es aus, wenn die Frauen ihre Rechte nicht kennen und sich nicht gegen Ungerechtigkeit wehren. Aus Angst, ihren Arbeitsplatz und unter Umständen auch das damit verbundene Visum zu verlieren. Wir setzen uns dafür ein, dass Frauen ihre Rechte kennen. Denn wir sind davon überzeugt, dass es eine Diskriminierung darstellt, wenn eine Firma Frauen ohne zwingende Gründe verbietet, ihr Kopftuch zu tragen. Jede Frau muss akzeptiert werden, so wie sie ist. Durch Intervention bei Firmen ist es uns gelungen, dieses Recht durchzusetzen. Und wenn einzelne Arbeiterinnen ihr Recht erkämpft haben, sind sie ein gutes Beispiel für andere Frauen, das Mut gibt. Damit sie sich nicht ausgeliefert fühlen und damit sie ihre Macht erkennen, nämlich in dem Sinn, dass auch die Firmen ohne Arbeiterinnen nicht auskommen können.
Talktogether: Welche Veränderungen könnt ihr durch die Arbeit in eurem Verein bewirken?
Helga: Initiativen wie unsere bewegen sich auf einem schwierigen Boden. Einer der wichtigen Gründe für unsere Entstehung ist „Selbstvertretung statt Stellvertretung“, ein anderer die existentielle Notwendigkeit für muslimische Frauen - auch mit Kopftuch - gleichberechtigt am Arbeitsmarkt teilhaben zu können. Daher und weil wir merkten, wie notwendig unsere soziale Arbeit eigentlich ist, haben wir beschlossen, um Fördergelder anzusuchen.
Arbeit ohne Bezahlung ist gut, denn man bewahrt Unabhängigkeit, aber leider können wir mit unbezahlter Arbeit nicht alle anfallenden Aufgaben bewältigen. Geld bedeutet einen gewissen Rückhalt. Wir dürfen uns aber nicht vollständig von den Fördergeldern abhängig machen und müssen imstande sein, uns auch ohne diesen Rückhalt zu bewegen.
Ich bin mir über die Widersprüchlichkeit unserer Arbeit im Klaren: Wir wollen Menschen über ihre Rechte am Arbeitsplatz aufklären und sie dabei unterstützen, selbst um die ihnen zustehenden Rechte zu kämpfen. Aber wir können nur manchen helfen und vielen anderen nicht, zum Beispiel jenen, die aufgrund ihres Status als AsylwerberInnen so gut wie keine Rechte haben und gezwungen sind, illegal zu arbeiten, oder denen überhaupt jede Möglichkeit einer Betätigung fehlt. Das ist ähnlich wie bei der Entwicklungszusammenarbeit. Man kann vielleicht ein paar Menschen oder einem Dorf helfen, doch die Ursache der Probleme wird nicht beseitigt und bleibt weiter bestehen.
Talktogether: Wie ist die Arbeitssituation in der Steiermark?
Helga: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich aufgrund der Wirtschaftskrise verschärft, vor allem in der Autozulieferindustrie. Viele ArbeiterInnen sind von Kündigung und Kurzarbeit betroffen. MigrantInnen sind unter den ersten, die unters Fallbeil der Wirtschaftskrise geraten. Sie finden vorwiegend als LeiharbeiterInnen oder in prekären Verhältnissen Arbeit. In diesen Bereichen wird einfach gekündigt und es gibt kaum Möglichkeiten, sich gewerkschaftlich zu wehren.
Dabei arbeiten MigrantInnen oft unter ganz harten Arbeitsbedingungen wie z.B. in der Lederfabrik Wollsdorf bei Gleisdorf. Ich kenne einen Afrikaner, der dazu noch in Kauf nimmt, täglich je eine Stunde hin und zurück zu pendeln, nur um nicht arbeitslos zu sein. Erst im Oktober letzten Jahres hat sich in diesem Betrieb ein schwerer Chemieunfall ereignet. Obwohl Menschen dabei ums Leben kamen, gab es kaum Recherchen oder Information in den Medien.
Vor kurzem fand in Wien eine große Demo des ÖGB statt. Ich fand es schade, dass daran keine organisierte Gruppe von MigrantInnen teilgenommen hat.
Talktogether: Was ist deiner Meinung nach zu tun?
Helga: Wenn die Probleme nicht an der Wurzel gepackt werden, kann es leicht auf eine Spaltung zwischen MigrantInnen hinauslaufen. Es ist einfach, die Schuld für Probleme beim/bei der anderen zu suchen, der/die vermeintlich mehr bekommen hat. Doch mit so einer Einstellung verlieren wir letztendlich alle. Die Ursache für die Probleme ist die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Dafür sind die Politik und die Regierung verantwortlich, die die restriktiven Fremdengesetze beschließt. Dagegen müssen wir uns stellen.
Wir müssen auch über die Ursachen für Flucht und Migration sprechen, denn die globale Ungerechtigkeit schreit zum Himmel. Die Weltbank und der IWF zwingen die afrikanischen Staaten in die Knie. Der Kampf der afrikanischen Länder für Unabhängigkeit forderte viele Opfer, dennoch hat es nach der Unabhängigkeit nicht lange gedauert, bis das System korrumpiert war. Die ehemaligen Kolonialherren nutzten ihr Wissen über die Gesellschaft, die Clan- und Familienstrukturen geschickt aus, um die Eliten zu bestechen und die Länder wieder in die Abhängigkeit zu zwingen. Doch bin ich überzeugt, dass auch diese Zeit sich ihrem Ende nähert.
Talktogether: Siehst du Zeichen von Veränderung?
Helga: Ja. Immer mehr Länder sind nicht mehr bereit, die Regeln zu akzeptieren, die ihnen aufgezwungen werden. Ein Beispiel dafür ist, dass Südafrika gegen den Widerstand der internationalen Pharmakonzerne durchgesetzt hat, Generika zur Aidsbehandlung zu produzieren. Als positives Zeichen sehe ich auch, dass heute angesichts der Krise der „Raubtierkapitalismus“ immer öfter öffentlich thematisiert wird, was vor kurzem kaum denkbar war.
Talktogether: Ist ein Zusammenleben der Kulturen in unserem Land möglich? Welche Schritte sind dazu nötig?
Helga: Ich bin davon überzeugt, dass ein Zusammenleben möglich ist. Dazu müssen wir uns aber selbst befreien und unseren Panzer loswerden. Wir müssten mehr Offenheit an den Tag legen und andere Kulturen nicht als Bedrohung ansehen, sondern als Chance, von anderen Denkweisen lernen und damit zu reicheren Menschen werden zu können.
Talktogether: Danke für das Gespräch!
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SOMM: Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen Graz, Griesgasse 8, Mittwoch zwischen 9.30 und 12.30 und nach Vereinbarung Telefon: 0316/76 30 80
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www.somm.at
erschienen in: talktogether Nr. 29 / 2009
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