Die Nachbarn Teil XVIII von Abdullahi Osman Brigitte: Wie ich schon gesagt habe, ist es ein Fachbuch und da weiß ich nicht, ob ich euch helfen kann, mal sehen. Hua: Immerhin ist es deine Muttersprache und die kannst du auf jeden Fall besser als wir beide! Sahra: Stimmt, außerdem geht’s eher ums Grobe, ich denke, das Buch ist mehr allgemein und nicht so speziell. Brigitte schaut sich das Buch gründlich an, und dann diskutieren alle drei darüber. Sie kommen zum Ergebnis, dass es nicht so schwer zu verstehen ist, wie sie befürchtet haben. Am nächsten Tag haben Hua und Sahra ihren Vorstellungstermin. Sie fahren wie geplant zur Personalabteilung des Krankenhauses. Sie sind ziemlich nervös, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Aber ihnen ist klar, dass sie diesen Schritt machen müssen, denn auf diesen Moment haben sie lange gewartet. Nachdem sie angekommen sind, das Auto geparkt, den Parkschein bezahlt und, wie es sich gehört, vor die Windschutzscheibe gelegt haben, gehen sie beide gemeinsam über die Treppe zum Personalbüro. Sie betrachten sich gegenseitig: Wie sehen wir aus? Sind wir passend gekleidet? Sie treten ein. Sahra: Guten Morgen, das ist Hua Müller und ich bin Sahra Abdi. Wir haben einen Termin bei Herrn Dr. Mayer. Die Sekretärin schaut auf und wirft einen erstaunten Blick auf Hua: Einen Moment bitte. Sie steht auf und verschwindet im Büro ihres Chefs. Kurz darauf kommt sie zurück: Dr. Mayer telefoniert gerade, nehmen Sie bitte hier ein bisschen Platz. Die beiden sitzen im Warteraum und versuchen, ihre Nervosität zu überwinden. Hua: Ich habe mich schon für mehrere Stellen beworben, aber nie zuvor war ich so nervös wir heute. Sahra: Mir geht es genau so. Aber der Grund ist, dass die Stelle für uns sehr wichtig ist. Hua: Ich musste als Putzfrau arbeiten, aber ich hoffe, dass ich endlich in meinem erlernten Beruf arbeiten kann. Sahra: Putzfrau ist aber auch ein guter Beruf! Ich schätze sowohl die Frauen, als auch die Arbeit, die sie leisten. Es ist eine sehr wichtige und notwendige Arbeit. Hua: Ja, das ist richtig, ich habe es auch nicht abwertend gemeint, oder hast du es so verstanden? Sahra: Alles klar! Aber man hätte es missverstehen und denken können, dass du den Beruf Putzfrau schlecht findest. Hua: Nein, Nein! Das habe ich nicht so gemeint. Die Sekretärin betritt den Raum und teilt ihnen mit, dass ihr Chef auf sie wartet. Dr. Mayer: Guten Tag, kommen Sie nur herein! Möchten Sie beide zusammen herein kommen oder lieber einzeln? Sie schauen sich kurz an und antworten gleich: Gemeinsam, wenn es erlaubt ist! Dr. Mayer: Von mir aus können Sie gerne gemeinsam herein kommen. Er mustert die Bewerberinnen und denkt an die PatientInnen, die diese Frauen pflegen sollten. Eine schwarze und eine chinesische Krankenschwester, würden sie von ihnen akzeptiert werden? Er denkt: Ich brauche die Arbeitskräfte, aber es gibt etwas, das mich zögern lässt, und das ist ihre Hautfarbe bzw. ihr Aussehen. Hua und Sahra warten geduldig, bis der Chef etwas zu ihnen sagt. Aber er schweigt und sieht nachdenklich aus. Hua versucht vorsichtig, ihn auf sich aufmerksam zu machen: Herr Dr. Mayer? Dr. Mayer: Entschuldigung, ich war in Gedanken, wo sind wir stehen geblieben! Sahra: Sie haben uns noch gar nichts gefragt. Hua: Wir sind gerade gekommen. Dr. Mayer beschließt, mit den beiden durch die verschiedenen Stationen zu gehen. Er möchte herausfinden, wie die Kollegen und Kolleginnen auf sie reagieren. Dr. Mayer geht mit ihnen ins Büro und fragt sie, welchen Eindruck sie gewonnen haben. Hua: Ich persönlich kann noch viel sagen, ich kann nur sagen, es ist eine Frage der Zeit, bis wir alles kennen gelernt haben. Sahra: Ja, und uns zurecht finden. Wir müssen die Menschen kennen lernen und sie uns. Dr. Mayer: Das denke ich auch. Ich möchte ihnen klar sagen, dass ich sie brauche, aber mich noch mit meinen MitarbeiterInnen besprechen möchte. Ich sage Ihnen noch in dieser Woche Bescheid. Sahra: Entschuldigung, wir haben aber gedacht, wir wären fix aufgenommen und fangen bereits diese Woche mit der Arbeit an! Hua: Können Sie genauer definieren, was Sie damit meinen? Dr. Mayer: Keine Sorge. Sie sind aufgenommen und Sie werden bei uns anfangen, ob diese Wochen oder nächste Woche, kann ich aber noch nicht genau sagen. Als ich mit Ihnen in den Stationen unterwegs war, habe ich bemerkt, dass ich unbedingt mit meinen MitarbeiterInnen sprechen muss, bevor Sie hier anfangen. Ich möchte ganz offen mit Ihnen sprechen: Wir haben hier noch nie afrikanische und asiatische Ärzte oder Schwestern gehabt. Dass Sie bei uns anfangen, ist für mich eine neue Situation, mit der ich mich auseinander setzen muss. Wie sie gesehen haben, sind in unserer Abteilung viele ältere Menschen, viele kommen vom Land. Einige von ihnen hatten noch nie zuvor mit Menschen aus anderen Kontinenten zu tun. Aber wie gesagt, ich rufe sie so schnell wie möglich an. Hua und Sahra verabschieden sich von Dr. Mayr und hoffen auf einen baldigen Anruf von ihm. Während Dr. Mayer Hua und Sahra in seinem Büro beruhigt, diskutieren die Schwestern und Patientinnen in den Stationen, viele gehen davon aus, dass sie neue Putzfrauen bekommen haben. Als die beide sein Büro verlassen haben, greift er zum Telefon und bittet seine Sekretärin, alle Stationsleiterinnen und Oberschwestern nach der Mittagpause zu ihm zu einer Besprechung zu rufen. Pünktlich kommen alle zu Ihrem Chef, um über die zwei Schwestern aus dem Süden zu diskutieren. - - - Bevor sich Franz, Rooble und Willi kennen lernten, hat ein jeder von ihnen ein Hobby gehabt und es gepflegt. Aber seit sie sich kennen, ist es anders geworden und sie treffen sich jede freie Minute um über die Weltpolitik zu philosophieren. Eines Vormittags treffen sie sich bei den Müllers, und wie immer haben sie schon ein Thema und zwar die Proteste nach der Wahl im Iran. Franz: Ich verstehe das nicht: Warum organisiert man zuerst eine Wahl, wenn man dann das Ergebnis nicht akzeptieren kann? Willi: Vielleicht haben sie gedacht, die Leute werden so wählen, wie man es ihnen vorschreibt. Rooble: Als Ahmadinejad gesehen hat, dass die Leute ihn nicht wollen, hätte er aufgeben sollen, um diese Konflikte zu vermeiden. Aber ich denke, es war ein abgekartetes Spiel, er sollte sowieso an der Regierung bleiben. Willi: Ich war im Iran. Ich habe dort Freunde besucht, die ich hier kennen gelernt habe. Man muss bedenken, dass das Land viele Gegner hat und zwar sowohl seine Nachbarländer, als auch die westliche Welt. Ich erinnere mich an die 1980er Jahre, als im Iran die Revolution stattfand. Der Iran hat deswegen ein schlechtes Image und auch wegen der Geschichte mit Salman Rushdies Buch. Rooble: Ich kann mich noch gut daran erinnern. Ich nahm sogar selbst an einer Demo gegen Rushdies Buch teil. Ich muss zugeben, dass ich damals wegen dieses Buches wütend war, obwohl ich es gar nicht gelesen hatte. Aber dann habe ich in Graz ein Interview mit einem islamischen Wissenschaftler gelesen und erkannt, dass wir naiv waren und ohne zu hinterfragen geglaubt haben, was man uns gesagt hat. Willi: Wer war dieser Wissenschaftler und was hat er über dieses Buch gesagt? Rooble: Es war ein ägyptischer Wissenschaftler, er hat gesagt, dass Gläubige im Koran ein Mittel sehen, das sie gegen den Satan schützt. Als Rushdie in seinem Buchtitel den Koran und Satan zusammen in einem Topf geworfen hat, fühlten sich viele religiöse Menschen beleidigt, auch er habe so empfunden. Weiters sagte er, dass er hoffe, dass alle Menschen, die als an Gott glauben, Rushdie kritisieren würden. Aber der Aufruf, ihn umzubringen, gehe zu weit. Das sei nicht unsere Aufgabe und es habe den Muslimen nicht geholfen, sondern geschadet. Franz: Davon verstehe ich nicht viel. Ich kann nur sagen, dass die Wahl im Iran nur ein Vorwand war, um den Schein aufrechtzuerhalten, und nichts mit Demokratie zu tun hat. Willi: Das Volk ist enttäuscht und fühlt sich hintergangen. Die Menschen drücken zu Recht ihren Protest aus. Nur schade, dass es nicht möglich ist, die Konflikte ohne Blutvergießen zu lösen. Franz: Sie sollten sich an Obama ein Beispiel nehmen. Er versucht, Probleme mit einem Glas Bier aus der Welt zu schaffen, mal sehen, ob es ihm gelingt. Rooble: Obama versucht so einen Konflikt, den er hervorgerufen hat, wieder auszubügeln, es war also eine Notlösung. Gleichzeitig finde ich, dass sein „Biergipfel“ eine neue Methode ist, die durchaus Schule machen sollte. Vielleicht ist die Lösung manchmal gar nicht schwer zu finden, wenn von den Politikern andere Wege gesucht würden, als immer nur Drohungen und Gewalt. Außerdem zeugt es schon von einer gewissen Größe und Menschlichkeit, Fehler eingestehen und offen zugeben zu können. In dieser Hinsicht könnten sicher viele von ihm lernen. Willi: Stellt euch vor, Obama würde die Taliban auf ein Glas Tee einladen – Bier trinken sie ja keines – und es gäbe keinen Krieg mehr. Franz: Dann wäre der schwarze Tee heilig… Alle lachen. Rooble. Wenn man mit Bier oder Tee Lösungen für den Rassismus und sogenannte Religionskonflikte finden könnte, würde ich in diesen Getränken ein Heilmittel sehen, aber leider ist es nicht so!!! Franz: Naja, vielleicht doch… Willi: Warten wir das Bierergebnis ab und hoffen darauf, dass irgendwann auch der zweite Schritt gemacht wird und der Tee zum Einsatz kommt. Sahra und Hua verlassen das Büro und steigen ins Auto ein. Bei ihnen wächst der Zweifel und sie fragen sich, warum Dr. Mayer sie nach Hause geschickt hat. Hua: Bitte, fahr du, denn ich bin momentan nicht in der Lage, das Auto zu lenken. Sahra: Denkst du, mir geht besser? Sie nimmt den Schlüssel von Hua, steigt wortlos ins Auto und fährt los. Fortsetzung folgt…
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