Die Nachbarn, Teil 17 PDF Drucken E-Mail

Die Nachbarn

Teil XVII

von Abdullahi Osman

 

Sahra: Was sagst du da, wir sind gelangweilte Hausfrauen?!? Weißt du, was das heißt? Wir sind keine gelangweilten Hausfrauen, sondern wir sind Frauen, die nicht mehr zusehen wollen, wie die Welt zugrunde gerichtet wird. Jahrhunderte lang haben die Männer gegen den Willen der Mütter ihre Söhne in die Kriege geschickt, und die Frauen haben sowohl ihre Männer als auch ihre Söhne verloren. Da stellt sich die Frage, warum sollten die Frauen immer die Verlierer sein? Wir wollen von null anfangen  und ein Zeichen dagegen setzen. Wir wollen mit einem Kindergarten anfangen. Unser Prinzip ist: wir lehnen alle Art von Waffen und Kriege ab. Wir werden den Kindern zeigen, dass ein Leben ohne Waffen und Krieg möglich ist. Wir werden die Kinder dazu erziehen, dass eine Auseinandersetzung auch möglich ist, ohne einen Menschen zu hassen oder zu töten. Die Kinder oder auch erwachsene Menschen sollen erkennen, dass Rassismus und Neid ein Charakterzug ungebildeter und schwacher Menschen ist.

Hua: Wenn ich etwas ergänzen darf, würde ich sagen, es ist eine Tatsache, dass die Menschen mehr die Muskeln verwenden als das Gehirn, daher ist unser Ziel: Den Kindern beizubringen, ihr Gehirn zu trainieren und es zu benutzen anstatt die Muskeln, vor allen Dingen, wenn es um Auseinandersetzungen und Konflikte geht. 

Willi: Es ist schön, dass ihr euch so ein hohes Ziel gesetzt habt. Aber wie wollt ihr das bewerkstelligen? Zumindest braucht ihr eine pädagogisch ausgebildete Kindergärtnerin.

Sahra: Die Brigitte ist ausgebildete Kindergärtnerin, und wenn Hua und ich die Stelle bekommen, werden wir in unserer Freizeit eine pädagogische Ausbildung machen.

Brigitte: Ja, und unser Konzept ist, durch geeignete Spiele die Gemeinschaft zu fördern und die Kinder ihrem Alter entsprechend mit Aufgaben zu betrauen, damit sie schon früh lernen, Eigenverantwortung zu übernehmen, und auf diese Weise ihr Selbstbewusstsein zu fördern.

Franz: Brigitte, was ist mit deiner Stelle? Und kannst du überhaupt die ganze Arbeit alleine machen?

Hua: Bevor Sahra und ich mit der Arbeit anfangen, unterstützen wir sie, und sobald wir die Stelle haben, spendieren wir einen Teil unseres Lohns, damit Brigitte eine pädagogisch gut ausgebildete und engagierte Mitarbeiterin einstellen kann.

Sahra bestärkt Hua: Genau, so machen wir’s!

Franz: Aha. Ihr wollt sagen, ihr wollt einen Kindergarten eröffnen, habt aber kein Geld: bitte um Spenden! Super. Oder wollt ihr vielleicht jeden Sonntag in die Kirche gehen und mit einer Büchse betteln? Bitte hört mit diesem Blödsinn auf!

Hua: Du hast mich nicht verstanden. Wir spenden unser eigenes Geld für unser Projekt, aber wir betteln nicht!

Brigitte schaut Franz an und sagt zu Hua: Er hat dich schon verstanden, er will unser Vorhaben nur schlecht machen… 

Franz: Da sehe ich keinen Unterschied. Spende bleibt Spende!

Rooble: Darf ich auch einmal etwas sagen, den Ausdruck gelangweilte Hausfrauen nehme ich zurück. Aber ich möchte euch konkret fragen: Was ist der Sinn dahinter? Glaubt ihr im Ernst, durch einen Kindergarten die Welt verbessern zu können?

Willi: Das ist aber eine vernünftige Frage, auf die ihr antworten sollt.

Franz: Ja genau, wie ernsthaft ist die Sache?

Brigitte, Hua und Sahra schauen sich gegenseitig an und lassen sich ein bisschen Zeit.

Brigitte: Sehr ernst und sehr wichtig ist uns die Sache, und wir sind entschlossen, den Kindergarten zu eröffnen. Wenn wir auch nicht die ganze Welt retten können, leisten wir zumindest einen Beitrag, dass sie ein bisschen besser wird.

 

Franz wiederholt seine Frage an seine Frau: Was ist mit deiner Stelle, willst sie aufgeben?

Brigitte: Diese Arbeit mag ich nicht mehr. Ich möchte zu meinem erlernten Beruf zurück. Ich kann nicht jeden Tag tun, was andere von mir wollen. Ich will endlich einmal das machen, was mir Freude macht. Es stört mich, Menschen unterstützen zu müssen, die nur ans Geld denken. Du musst dich immer schick anziehen, immer lächeln, schreiben Sie einen Brief an Herrn XY, reservieren Sie einen Tisch für die Gäste, alles nur, damit sie noch mehr Gewinn machen. Von denen habe ich nie irgendetwas Menschliches gehört. Mir ist lieber, ich arbeite mit und für Menschen, die mich brauchen, auch wenn ich weniger verdiene als jetzt.

Franz: Damals hast du bei einer Leihfirma gearbeitet und da ich habe Verständnis dafür gehabt, dass du diese Arbeit aufgeben wolltest, aber bei der Bank ist es doch besser, oder?

Brigitte: Es klingt besser, aber im Prinzip ist es das Gleiche. Denn es geht nur darum, Geld zu machen. Es geht darum, den Menschen Kredite einzureden, damit die Menschen immer weiter für sie arbeiten müssen - Zinsen über Zinsen. Oder dass die Leute Geld anlegen, damit sie damit spekulieren. Wie gesagt, ich arbeite lieber mit Kindern.

Franz: Und woher sollen die Kinder kommen? Ihr habt weder Kinder noch Geld. 

Sahra: Denkst du, dass alle Kindergärtnerinnen selbst viele Kinder und viel Geld haben?

Franz: Wenigstens sind sie realistischer als ihr. Ihr könnt nichts auf die Beine stellen und redet nur!!

Willi schüttelt den Kopf: Nein. Was hast du dagegen, wenn sie einen Kindergarten nach ihren Wünschen und mit ihren Mitteln und ihrer Kraft eröffnen wollen? Bestimmt gibt es auch Möglichkeiten, Förderungen zu erhalten, wenn sie ein gutes Konzept vorlegen können.

Brigitte zu Franz: Ich frage mich, warum du nicht einfach objektiv über die Sache nachdenken kannst? Wie meine Freundinnen gesagt haben, wir sammeln keine Spenden, und wir bitten euch auch nicht um Hilfe. Da wir aber mit euch verheiratet sind, wollten wir euch informieren.

Sahra: Natürlich brauchen wir eure Hilfe und ihr sollt uns auch kritisieren, aber bitte konstruktiv und fair!

Rooble: Ich frage mich, welche Art von Unterstützung ihr von uns erwartet. Und ich wiederhole die Frage von Franz. Woher sollen die Kinder kommen und wie informiert ihr die Eltern? Aber versteht mich nicht falsch, das ist nur eine Frage.

Hua: Brigitte ist unsere Fachfrau, bitte Brigitte!

 

Brigitte: Danke Hua und Sahra. Zuerst möchten wir ein Konzept zusammen schreiben, was unsere Grundsätze sind, welche Ziele wir haben, und wer unsere Zielgruppe ist, und dann suchen wir einen passenden Raum. Danach schicken wir unser Angebot an die Gemeinde und stellen es ins Internet.

Sahra: Wie die Kinder aussehen oder woher sie stammen, ist uns egal!

Brigitte: Am besten wäre es, wenn die Kinder unterschiedlicher Herkunft sind. Wir möchten beweisen, dass die Herkunft kein Hindernis darstellt, wenn es darum geht, zu lernen. 

Hua: Es geht darum zu beweisen, dass, wenn alle die gleiche Chance bekommen und nicht entmutigt werden, eine Bevölkerungsgruppe nicht mehr oder weniger begabt ist als die andere. Wir wollen, dass jedes Kind gefördert wird, um seine eigene spezielle Begabung zu entfalten.

 

Franz: Sie wollen einen Kindergarten eröffnen, in den viele Kinder mit verschiedenen Hautfarben und aus unterschiedlichen Kulturen gehen. Wir sehen sehr unterschiedlich aus und denken unterschiedlich, aber wir sitzen gemeinsam an einem Tisch und essen gemeinsam, was wollt ihr noch mehr?

Brigitte: Aber hallo, es geht nicht nur um uns, sondern um die Welt!

Sahra: Dass wir unterschiedlich aussehen, aus verschiedenen Kulturkreisen gekommen sind und zusammen an einem Tisch sitzen, ist ja überhaupt die Vorraussetzung, dass wir auf die Idee gekommen sind, gemeinsam etwas zu unternehmen.

Hua: Ich stelle mir einen Kindergarten vor, in dem sich viele Kinder befinden. Wie Blumen in einem Garten. In diesem Kindergarten gibt es keine Vor- oder Nachteile und jedes Kind bekommt die gleichen Chancen und Möglichkeiten, sich zu entfalten. 

Willi: Die Zeit ist gekommen, in der die Menschen mit Respekt und Anerkennung miteinander umgehen sollten. Ich erinnere mich, wie es Ende der Sechziger und Siebziger Jahre war: Wenn einer ein guter Boxer oder Läufer war, war er schwarz, aber wenn er Tennis oder Golf spielte war, war er Weiß etc. Aber in der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, dass es nicht auf die Hautfarbe ankommt, sondern ob jemand eine Chance bekommt.

Sahra: Wir haben euch von unserem Plan erzählt, was denkt ihr?

Franz: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eure Sache keinen Sinn hat und nur Zeitverschwendung ist.

Rooble: Das kann ich jetzt noch nicht sagen!

Willi: Ich werde euch unterstützen!

Dann herrscht Stille.

 

Willi unterbricht das Schweigen: Nun könnten wir aber eine kleine Pause machen und unseren Nachtisch essen, was denkt ihr?

Rooble: Eine Pause kann nicht schaden, außerdem denke ich, dass wir für heute genug diskutiert haben!

Hua steht auf: Ich hole den Nachtisch. Aber danach reden wir weiter.

Willi steht auf und folgt seiner Frau in die Küche.

Franz: Wir haben den ganzen Tag umsonst geredet.

Brigitte: Wir haben doch alles gut ausdiskutiert.

Sahra: Das finde ich auch. Wir hatten gehofft, dass ihr unser Projekt unterstützt.

Rooble: Ich weiß nicht, wie oder wobei ich euch unterstützen kann. Ich bin noch nicht überzeugt! Mir kommt die Sache nicht wirklich ausgereift vor.

 

Die Vorstellung ihres Projekts bei ihren Männern war nicht erfolgreich, aber die Frauen sind dadurch einander noch näher gerückt. Bevor alle nach Hause fahren, geht Sahra in die Küche, wo Hua das Geschirr in den Geschirrspüler räumt.

Sahra zu Hua: Die Bücher habe ich besorgt, wie wir besprochen haben. Sollen wir die Brigitte fragen, ob sie morgen Zeit hat und sie sie mit uns anschauen kann?

Hua: Natürlich, das können wir machen, ich frage sie!

Hua: Brigitte, hättest du morgen Zeit für einen Kaffee und um mit uns das Buch über Medizin anzuschauen?

Brigitte: Ja, Zeit für einen Kaffee habe ich sicher, aber ob ich euch mit dem medizinischen  Fachbuch helfen kann, weiß ich nicht!

Hua: Aber du kommst?

Brigitte: Ja, ich komme!

 

Fortsetzung folgt…