Die Nachbarn Teil XV von Abdullahi A. Osman Am frühen Nachmittag Auf dem Weg nach Hause fällt Sahra ein, dass sie sich nicht über ihr Projekt geeinigt haben. Sie fürchtet, dass dies eine Auseinandersetzung und Diskussion zwischen den Frauen hervorrufen könnte. Denn während die Sahra und die Brigitte sich auf die Idee, einen Kindergarten zu gründen, konzentrieren, war es offensichtlich, dass Hua lieber mit ihrer Kochkunst die fünf Kontinente näher zueinander rücken möchte. Mit dem Gedanken, Brigitte anzurufen und sie zu fragen, was sie darüber denkt, beruhigt sie sich innerlich ein wenig. Zu Hause angekommen, geht sie sogleich zum Telefon Brigitte: Müller Sahra: Hallo Brigitte, hier ist die Sahra! Brigitte: Hallo Sahra, Wie geht es dir? Wie ist euer Gespräch gelaufen? Sahra: Mir geht es gut, und durch unser Gespräch sind wir einander noch näher gerückt. Schade, dass du nicht dabei warst! Brigitte: Hua hat mir auch erzählt, dass ihr noch lange geblieben seid. Glaub mir, ich wäre auch gern noch geblieben! Aber du weißt, dass ich gehen musste. Sahra: Ja natürlich, aber der Grund meines Anrufs ist ein ganz anderer. Brigitte: Aha, und der wäre? Sahra: Wie du weißt, sind wir morgen bei den Webers eingeladen und wir Frauen haben uns vorgenommen, den Männern unsere Projekte vorzustellen. Aber nun ist mir klar geworden, dass wir eigentlich über zwei verschiedene Projekte gesprochen haben, nämlich über einen Kindergarten und ein Restaurant. Aber ich finde, dass wir nur ein gemeinsames Projekt brauchen, was denkst du? Brigitte: Stimmt, das habe ich total vergessen. Es ist gut dass du darüber nachgedacht hast! Ich bin deiner Meinung. Sahra: Bevor wir unseren Männern überhaupt etwas präsentieren, sollten wir uns doch lieber auf ein Projekt einigen, oder? Brigitte: Du hast Recht! Wenn wir vor den Männern diskutieren und uns widersprechen, wäre das ein großer Fehler! Sahra: Wie können wir diesen Fehler vermeiden? Brigitte: Als ersten Schritt müssen wir Hua anrufen und sie fragen, was sie denkt. Sahra: Richtig, wir sollten sie sofort anrufen! Birgitte: Wer ruft sie an, du oder ich? Sahra: Ich rufe sie gleich an und frage sie, ob wir uns heute noch treffen können. Die Frauen treffen sich bei Sahra. Hua: Hallo Freundinnen! Was gibt es so wichtiges zu besprechen? Ich hätte gern gewusst, worum es geht? Brigitte: Hat es dir Sahra nicht gesagt? Sahra: Nein. Ich habe gedacht, wir erklären es ihr lieber gemeinsam. Brigitte: Sahra ist darauf gekommen, dass wir die ganze Zeit über zwei unterschiedliche Projekte geredet haben, aber wir können doch nur ein Projekt aufbauen! Hua: Genau, das Restaurant und den Kindergarten Sahra: Ja und worauf sollten wir uns nun konzentrieren? Hau: Ich bin für das Restaurant, denn dort können sich die Menschen treffen, wir können verschiedene internationale Speisen und Getränke anbieten, auf diese Weise könnte das Kennenlernen und die Diskussionen auf entspannte und genussvolle Weise in unserem Restaurant stattfinden. Dass die Menschen sich kennen lernen, miteinander reden und gemeinsam Lösungen für unsere Probleme finden, das ist doch unser Ziel, oder? Sahra: Und was denkst du über den Kindergarten? Hua: Was kann ich über den Kindergarten sagen? Darüber kann ich nichts sagen! Sahra: Da ist Brigitte die Fachfrau. Sie soll uns erklären, wie wichtig ein Kindergarten ist. Brigitte: Ich bin für alles offen. Mit ist vor allem sehr wichtig, dass wir uns über ein Projekt einigen. Ich kann verstehen, dass Hua für ein Restaurant ist, denn sie kann sehr gut kochen. Und ich bin für einen Kindergarten, weil ich gelernte Kindergärtnerin bin. Hua: Was sagst du Sahra? Sahra: Bevor ich euch kennen gelernt habe, habe ich nur an einen Job für mich gedacht. Aber eine gemeinschaftliche Arbeit oder gar eine „die-Welt-retten“-Aktion wären mir nicht einmal im Traum eingefallen. Erst seit ich euch kenne, habe ich erfahren, welche Kapazitäten in mir stecken, oder besser gesagt, durch euch habe ich gelernt, nicht nur an mein Ego zu denken. Hua und ich haben jetzt Arbeit gefunden und ab dem kommenden Monat wird unsere Zeit sehr begrenzt sein. Aber Brigitte, abgesehen davon, dass du Kindergärtnerin bist, hast du mehr Zeit als wir. Deswegen bin ich für einen Kindergarten. Hua: Aha, ich sehe schon: eine gegen zwei! Sahra unterbricht: Nein, wir sind nicht gegen dich. Wir diskutieren nur. Aber sei mal ehrlich, wie stellst du dir ein Restaurant vor? Hua: Das stelle ich mir so vor: Wir mieten ein Lokal. Ich weiß, wir können nicht immer im Restaurant stehen. Aber wir öffnen jedes Wochenende und jedes Mal kocht eine andere Familie. Brigitte: Aber was kostet so ein Raum? Und wenn wir mit eurer Arbeit im Krankenhaus anfangt, dann müsst ihr auch am Wochenende arbeiten, aber für ein Restaurant kochen, das kann ich nicht. Schlimm genug, wenn ich für Franz kochen soll. Trotz alledem muss ich aber zugeben, dass ich deine Idee auch für sinnvoll halte. Sahra: Hua, hör zu, wenn wir mit der Arbeit anfangen, dann können wir nicht viel anderes machen und kochen sowieso nicht. Aber bei einem Kindergarten wäre die Brigitte die Hauptperson, und wir unterstützen sie. Deshalb bin ich der Meinung, dass es besser wäre, gemeinsam einen Kindergarten zu eröffnen. Hua: Warum ist euch der Kindergarten so wichtig? Brigitte: Es geht doch nicht darum, dass der Kindergarten wichtiger ist als ein Restaurant, sondern darum, was wir es leichter schaffen können. Sahra: Mir gefällt deine Idee auch sehr gut. Aber ich fürchte, dass wir ein Restaurant und unsere Arbeit nicht unter einer Hut bringen können. Aber wie gesagt, für einen Kindergarten hätten wir die Brigitte! Hua: Okay, ihr habt mich überzeugt! Aber so leicht wie mich werdet ihr unsere Männer nicht überzeugen können. Ich muss auch dazu sagen, dass ich eure Argumente nicht so einleuchtend finde. Jetzt muss ich aber einkaufen gehen und wir sehen uns eh morgen. Bitte, überlegt es euch gut! Sahra: Wenn wir drei zusammen halten, schaffen wir alles! Die drei Frauen verabschieden sich. * * * * * Es ist Freitagnachmittag kurz vor Dienstschluss im Betrieb, wo Franz arbeitet. Mandy ein Arbeitskollege und Freund fragt: Gehen wir wieder einmal ins Bräustübl? Wann hast du endlich wieder einmal Zeit? Franz: Heute habe ich leider keine Zeit und morgen auch nicht… Aber bestimmt ein anderes Mal. Mandy: Was treibst du überhaupt so die ganze Zeit? Früher warst du immer überall dabei, und jetzt auf einmal hast du keine Zeit mehr? Oder bist du wieder bei deinen Ausländern, über die du mir erzählt hast, und brauchst uns nicht mehr? Franz: Blödsinn, ihr seid immer noch meine Freunde, aber immer nur saufen und über die anderen schlecht reden, das freut mich nicht mehr. Und diese Ausländer sind unsere Nachbarn und Freunde. Seit ich sie kenne, habe ich mehr über andere Menschen und Kulturen erfahren. Mandy: Achso. Und was erzählen sie? Franz: Wir reden über verschiedene Dinge, z.B. über Politik oder Kultur. Sie leben schon lange hier und wissen schon viel über unsere Lebensweise, aber ich möchte auch gern etwas über ihre Kultur erfahren. Mandy: Wo kommen sie denn überhaupt her? Franz: Meine Nachbarn kommen aus Afrika und Hua ist aus China. Mandy: Das finde ich sehr interessant, dass du jetzt Afrikaner als Freunde hast, die du früher immer „Neger“ genannt hast. Franz: Ich muss zugeben, damals hatte ich keine Ahnung, aber durch meine Bekanntschaft mit Rooble, Sahra und Hua habe ich viel gelernt und meine Einstellung geändert. Mandy: Wenn sie anständige Menschen sind und uns nicht ausnützen, dann habe ich nichts gegen sie. Franz: Sie arbeiten genau wie du und ich. Sahra und Hua sind Krankenschwestern. Aber vielleicht treffen wir uns einmal auf einen Kaffee und du kannst sie kennenlernen. Mandy: Alles klar, geht in Ordnung. Aber wenn sie Bier trinken, wäre es natürlich noch besser Franz: Schönes Wochenende! Bei Familie Weber Früher haben Hua und Willi, wenn sie ihre Freunde eingeladen haben, immer Chinesisch gekocht. Aber heute hat Hua vorgeschlagen, dass dieses Mal ein österreichisches und ein chinesisches Gericht auf den Tisch kommen sollten. Die Vor- und Nachspeise sollte ein chinesisches und die Hauptspeise ein österreichische Gericht sein. Deswegen haben sie mit der Vorbereitung bereits in der Früh angefangen. Sie haben vereinbart, dass sie sich beide in chinesischer und österreichischer Tracht kleiden. Hua trägt ein österreichisches Dirndl und Willi eine traditionelle chinesische Männertracht. Hua: Damit bestätigen wir, dass wir unsere beiden Kulturen pflegen und beide integriert sind! Willi: So ist es. Ich bin schon längst in der chinesischen Kultur integriert wie du in der österreichischen Kultur. Nur so kann Integration funktionieren! Eines möchte ich dir aber sagen, die Tracht steht dir gut! Aber mir ist wichtig, dass du dich damit wohl fühlst. Du solltest das nicht einfach anziehen, damit die anderen zufrieden sind. Mir passt die Kleidung (Willi betrachtet sich im Spiegel), und ich fühle mich damit wohl. Hua: Keine Sorge, ich fühle mich in dem Dirndkleid auch wohl. Aber ich kann mich noch gut erinnern, wie mich alle erstaunt ansahen, als ich ein Dirndl bei der Hochzeit deiner Schwester trug. Außerdem möchte ich beweisen, dass ein Dirndl auch anderen gut steht, auch wenn manche Leute denken, es wäre nur für die Österreicher gemacht! Willi: Wir Österreicher müssen stolz sein, dass wir so schöne Trachten haben, dass auch andere Menschen sie tragen wollen. Hua: Und nun aber rasch an die Arbeit! Hua und geht in die Küche. Sie schaut in das alte Kochbuch ihrer Schwiegermutter und wählt ein Rezept aus. Hua zu Willi: Bist du einverstanden, dass wir heute Gulasch und Knödel nach dem Rezept deiner Mutter machen? Willi: Ja, natürlich! Das Gulasch meiner Mutter hat mir immer sehr gut geschmeckt. Aber denkst du, dass Sahra und Rooble das auch mögen? Hua: Ja, aber sicher. Sie wollen doch auch einmal etwas andres kennenlernen. Mach dir deswegen keine Sorgen. Willi: Wenn du das sagst, dann ist es gut. Inzwischen ist es fast Mittag geworden und das Essen ist fertig. Beide decken den Tisch. Hua schaut aus dem Fenster nach draußen und sieht das Auto von Rooble und Sahra: Schau, die Abdis sind schon da. Sie wirft einen Blick in den Spiegel, ordnet ihr Dirndl und wartet, bis es läutet. Sie öffnet die Tür auf und wartet. Doch anders als erwartet, stehen Franz und Rooble im Stiegenhaus. Hua verwundert: Was ist das für eine Überraschung, wo sind denn eure Frauen? Franz: Du bist aber heute fesch mit diesem Dirndl! Rooble: Wirklich, wunderschön. Die Frauen streiken heute und kommen heute nicht. Hua: Wenn sie streiken, dann gehe ich bestimmt und streike mit! Willi bringt den Gästen Getränke, gleichzeitig läutet das Telefon. Hua hebt ab, Sahra ist am Apparat. Hua: Hallo Sahra! Was ist los, wo bleibt ihr denn? Fortsetzung folgt…
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