Die Nachbarn Teil XIV von Abdullahi A. Osman Rooble: Wie war eure Diskussion in der Schule? Willi: Die Diskussion ist wie alle anderen Diskussionen über Integration gelaufen. Es wird immer von den anderen erwartet, dass sie sich bewegen. Für mich ist das Wort „Integration“ wie ein Baum, von dem man Früchte erwartet, den aber kein Mensch pflegen möchte. Rooble: Und sobald die Früchte reif und gepflückt sind, wollen alle beim Austeilen dabei sein. Franz: Aber ich bin der Meinung, dass wir „Österreicher“ nicht viel zur Integration beitragen können, die anderen sollen sich an die Gegebenheiten hier anpassen! Rooble: Wenn über Integration gesprochen wird, höre ich sofort, ihr sollt euch anpassen. Was meint man damit? Ich hoffe, Franz, du kannst es mir erklären, was mit „Anpassen“ gemeint ist? Franz: Die Menschen müssen unsere Sprache und Kultur lernen, und das heißt sich anpassen. Rooble: Da bin ich anderer Meinung. Wenn ich hier lebe, ist es doch mein eigenes Interesse, die Sprache zu lernen und die Kultur näher kennenzulernen. Aber Anpassen klingt so, als ob man von den Ausländern erwarte, dass sie ihre eigene Sprache und Kultur vergessen. Franz: Das habe ich nicht gemeint. Rooble: Ich hoffe, dass man das Anpassen zuerst einmal definieren kann, bevor man es von anderen verlangt. Willi: Mir kommt vor, dass die Zuwanderer, die sich integrieren wollen, gar nicht wissen, wo oder wie sie mit der Integration anfangen sollen, denn es gibt keine geregelten und genauen Integrationskonzepte. Die Einheimischen erwarten, dass der Zuwanderer sich anpasst, auch wenn es unklar ist, was man mit „Anpassen“ meint. Bevor die Männer das Thema Integration beenden können, berichtet der ORF-Korrespondent aus den USA über den Wahlkampf von Hillary Clinton gegen Barack Obama. Das ist eines der Lieblingsthemen von Franz. Als er die Bilder der beiden auf dem Bildschirm sieht, ergreift er sofort das Wort: Die Welt ist verrückt, wer hat erwartet bzw. geglaubt, dass ein Schwarzer oder eine Frau in den USA als Präsident kandidieren würden! Willi: Das hätte ich mir im Laufe der Zeit schon vorstellen können, aber, dass ein Afro-Amerikaner und eine Frau so einen wichtigen und spannenden Wahlkampf veranstalten, damit habe ich nicht gerechnet. Rooble: Trotzdem stehen seine Hautfarbe und ihr Geschlecht immer im Vordergrund. Bis jetzt habe ich selten gehört, dass die Menschen über ihre Wahlprogramme diskutieren. Franz: Ja, aber das ist deshalb, weil so ein Wahlkampf für alle neu ist. Schau, ein schwarzer Mann und eine Frau aus der gleichen Partei stehen im Mittelpunkt und kämpfen darum, das mächtigste Land der Welt zu regieren, und die weißen Männer schauen zu, das ist einfach ungewöhnlich, Rooble: …aber die schwarzen Männer auch! Franz: Äh, - überlegt ein bisschen - ja, genau, die auch!! Willi: Es ist doch egal, wer der Präsident der USA wird, ob es ein schwarzer Mann, eine schwarze Frau, eine blonde Frau oder ein blonder Mann ist. Alle müssen für die Interessen der Konzerne und der Waffenindustrie arbeiten. Franz: Weil ich die Atomkraft in dieser Zeit für die Wirtschaft und Energieerzeugung sinnvoll finde, bin ich für Atomkraft. Trotzdem kann ich nicht verstehen, warum die USA andere Länder kritisieren, die ihre Atomkraft entwickeln wollen, wo die Amerikaner sie doch selbst haben und verwenden. Rooble: Das Problem ist, dass zwar die Menschen wegen Energieerzeugung die Atomkraft bräuchten, aber die Menschen nicht in der Lage sind, die Gefahr zu minimieren und die positive Seite der Atomkraft zu nutzen. Wenn ein kleiner Fehler passiert, dann sind die Folgen katastrophal. Wir haben bittere Erfahrungen mit diesem Teufelszeug gemacht wie in Tschernobyl. Was die USA anbelangt: kein anderes Land hat bis jetzt so viele Menschen mit Atombomben geschadet und getötet wie sie, gleichzeitig wollen sie den anderen verbieten, die Atomkraft zu nützen. Was gibt’s denn da zu verstehen? Das ist einfach so, wer mächtiger ist, entscheidet über die anderen. Willi: Die Menschheit kann auf Atomkraft verzichten, denn wir können Energie auf andere Weise erzeugen z. B. mit Sonnenenergie. Aber Atombomben und Waffen sind meiner Meinung nach nur dazu da, Lebenswesen zu vernichten. Nur ein paar Geschäftsleute und Politiker profitieren davon. - - - - - Brigitte: Ich muss leider gehen und wünsche euch viel Glück für eure neue Stelle. Sahra und Hua verabschieden sich von Brigitte Sahra: Wir bleiben doch ein bisschen da, oder? Hua: Ja, natürlich, ich habe sogar den Brief mit, den ich vom Krankenhaus bekommen habe. Hast du deinen auch mit? Sahra: Ja! Hua: Ich möchte gern wissen, ob auf den beiden Briefen das Gleiche steht, und was wir zu tun haben? Sahra zieht den Brief aus ihrer Tasche: Auf meinem steht, dass ich aufgenommen bin und am 17.09.08 um 8.30 im Landeskrakenhaus bei der Personalsabteilung erscheinen muss. Hua: Bei mir steht genau das Gleiche, sogar auch die gleiche Zeit, um 8.30! Sahra: Wir sind aufgenommen worden, aber das heißt bestimmt nicht, dass wir heute auf morgen mit der Arbeit anfangen können. Da wir die Krankenpflegeschule nicht in Österreich besucht haben, werden wir wohl noch Zusatzprüfungen machen müssen, damit unsere Ausbildung als gleichwertig mit der unserer österreichischen KollegInnen anerkannt wird. Hua: Ich bin vier Jahre in die Krankenpflegeschule gegangen und habe drei Jahre als diplomierte Krankenschwester in China gearbeitet, meine österreichischen Kolleginnen haben keine längere Schulausbildung. Noch ein Jahr oder sogar zwei weitere Jahre hier in die Schule zu gehen, das wäre zu viel für mich. Sahra: Ich habe auch vier Jahre die Krankenpflegeschule besucht und habe mehr als vier Jahre diesen Beruf ausgeübt. Was wir aber noch lernen müssen, sind die deutschen Ausdrücke und die Verwendung der Geräte. Hier gibt es viele neue Geräte, die ich noch nicht gesehen habe. Ich kann doch nicht jeden Tag eine Kollegin fragen, wie dieses Gerät funktioniert oder jenes Medikamente heißt. Daher ist es mir lieber, wenn ich an einen Kurs teilnehme und die Ausdrücke und die Namen der neuen Medikamente und ihren Verwendungen lerne. Dann kann ich selbständig meine Aufgabe erledigen. Hua, glaub mir, so ein Kurs ist keine Zeitverschwendung, sondern ganz im Gegenteil. Das ist eine Herausforderung für uns und die Zeit, in der wir im Kurs sind, zahlt sich für uns aus. Hua: Du, weißt du, ich bin nicht mehr jung und ich möchte auch mindestens ein Kind haben. Dass ich noch einmal mit dem Lernen beginnen sollte, fällt mir nicht leicht. Aber was soll ich sonst tun, ich muss mich zusammenreißen. Sahra: Ich bin auch nicht mehr zwanzig, trotzdem habe ich mir vorgenommen, neue Dinge zu lernen, z.B. Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das heißt, wir müssen es anpacken! Hua: Wirklich! Heißt das, dass du dir auch vorgenommen hast, Kinder zu bekommen? Das finde ich schön! Sahra: Das finde ich auch! Hua: Es sieht so aus, als ob wir - ohne voneinander zu wissen - dieselben Pläne haben. Sahra: So etwas nennt man Telepathie. Vielleicht hat auch Brigitte das Gleiche vor? Hua: Kann schon sein. Es würde mich freuen, wenn wir alle drei Kinder bekommen würden. Sahra: Stimmt, dann könnten wir wenigsten unsere eigenen Kinder so erziehen, wie wir uns vorgestellt haben. Und wenn wir wirklich einen Kindergarten eröffnen sollten, haben wir schon drei Kinder, und das ist ein weiterer Antrieb. Hua: Hast du schon mit Rooble darüber gesprochen? Sahra: Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen, aber ich weiß, dass es sich auch Kinder wünscht. Er sagt immer, zu dritt ist es besser als zu zweit. Ich muss auch erwähnen, dort wo wir her kommen, plant man keine Kinder, entweder man bekommt sie oder nicht. Wie sieht bei euch aus, ist der Willi damit einverstanden? Hua: Ja, er ist auch dafür. Wo ich her komme, ist es nicht so. Vor vielen Jahren beschloss die damalige Regierung, dass eine Familie nicht mehr als eines oder höchstens zwei Kinder haben darf. Aber für mich sind die Kinder etwas Schönes, sie sind ein Geschenk des Himmels und sie sind unsere Zukunft. Deswegen sollte man ihre Zahl nicht beschränken oder vorschreiben, wie viele Kinder eine Familie haben darf. Sahra: Ich bin zwar deiner Meinung, dass Kinder Geschenke Gottes sind, aber für diese Geschenke muss man auch Platz haben, man muss sie erziehen und ernähren können. Deswegen bin ich für Familienplanung. Ich muss aber dazu sagen, leider sehen viele heutzutage Kinder nicht als Geschenk, sondern als Belastung an, und das ist für mich unverständlich. Ich verstehe, dass die Lebenserhaltungskosten hier in Europa hoch sind, aber wenn es nur ums Finanzielle geht - ein Kind großzuziehen kostet auch nicht mehr als ein Luxusauto! Hua: Stimmt, ich kenne Paare, die teure Autos haben und jedes Jahr auf Urlaub nach Jamaika oder Thailand fliegen, aber argumentieren, wir können uns ein Kind nicht leisten. Ich glaube, dass es ihnen nicht um das Geld, sondern um die Verantwortung geht. Sahra: Wenn ein Ehepaar der Meinung ist, dass es die Verantwortung für ein Kindes nicht übernehmen kann oder will und deswegen auf die Kinder verzichtet, kann ich das schon nachvollziehen. Es gibt aber auch Leute, die wenn sie noch jung sind, verreisen und das Leben genießen wollen, aber wenn sie älter werden, Angst bekommen, etwas versäumt zu haben oder allein alt zu werden und dann versuchen, mit allen Mitteln, ein Kind zu bekommen. Hua: Aber wir sind auch nicht anders als die Menschen, über die wir reden, oder? Sahra: Zugegeben, wir sind zwar auch wie diese Menschen, aber die Gründe dafür sind unterschiedlich. Ich möchte meinem Kind ein gutes Zuhause bieten können, aber ich will nicht auf Kinder verzichten, nur um jedes Jahr auf Urlaub fahren zu können oder weil ich das Leben genießen möchte. Hua: Meine Eltern waren nicht reich, aber sie haben sehr hart gearbeitet, damit ich eine gute Schulausbildung bekomme. Um meine Eltern nicht zu enttäuschen, strengte ich mich an. Das war für mich ein großer Druck. Ich will aber meinen Kindern nicht den gleichen Druck machen, wie meine Eltern damals. Ich will, dass sie ein gutes Zuhause und eine gute Ausbildung bekommen. Sahra: Meine Familie war zwar nicht reich, aber ich bekam alles, was ich brauchte und hatte eine gute Kindheit. Wir hatten keinen Strom in der Wohnung, deswegen musste ich jedem Abend drei bis vier Stunden mit der Laterne lernen. Das Wasser mussten meine Mutter und ich immer von einem Brunnen, der weit weg von unserer Wohnung lag, auf dem Rücken holen. Meine Eltern haben für mich alles getan, und genauso werde auch ich für meine Kinder alles tun. Weil ich aber bis jetzt keine gute Arbeit bekommen habe, hat mir der Mut gefehlt, Kinder zu kriegen. Wenn ich mit dieser neuen Stelle anfange, dann können wir uns auf ein oder zwei Kinder freuen. Mir fehlt diese Arbeit und ich kann es kaum erwarten, bis ich anfangen kann Hua: Mir geht genau so. Sahra: Mich würde es interessieren, ob wir uns irgendwie für den Kurs vorbereiten können Hua: Das ist eine gute Idee, dann können wir vielleicht Zeit sparen. Aber an wen sollen wir uns wenden? Sahra: Wir sollten in der Buchhandlung Bücher kaufen, wenn es welche gibt, oder unter dieser Nummer (zeigt auf den Brief) anrufen und fragen, ob sie uns Information geben können. Hua: Ich bin deiner Meinung, könntest du bitte das für uns erledigen? Sahra: Das mache ich, und du fragst Brigitte, ob sie sich auchetwas vorgenommen hat… Hua: Darauf kannst du dich verlassen!! Bevor Hua und Sahra sich verabschieden, fragt Hua: Am Samstag kommt ihr doch zu uns oder? Sahra: Ja klar, das haben wir ausgemacht. Es geht ja darum, unsere Männer von unserer Idee zu überzeugen. Bevor ich es vergesse, brauchst du Hilfe? Soll ich was mitbringen? Hua: Mein Mann hilft mir. Ihr sollt nur wie immer gute Laune mitbringen. Sahra: Das sowieso… aber kann ich Kuchen mitnehmen? Hua: Der Willi und ich laden euch ein. Jetzt fällt mir ein, euer Tee hat uns gut geschmeckt, wenn du die Gewürze mitnehmen würdest… Sahra: Es waren Kardamom, Nelken und Zimt. Aber schwarzen Tee hast du? Hua: Ja, schwarzen und grünen Tee haben wir immer. Übrigens hat mir Willi erzählt, dass er sich mit Franz und Rooble getroffen hat und sie unser Projekt kritisiert haben. Sahra: Heute sind sie auch bei den Müllers. Was haben sie denn über unser Projekt gesagt? Hua: Sie meinen, wir vergeuden unsere Zeit… Sahra: Wir müssen sie überzeugen, dass wir unsere Zeit nicht vergeuden, sondern dass wir etwas Wichtiges für die Gesellschaft tun. Wir versuchen, konkrete Lösungen für die Probleme der Welt zu finden, während sie nur streiten. Hast du der Brigitte über ihre Äußerungen erzählt? Hua: Nein, leider habe ich es vergessen, aber ich rufe sie später sowieso an! Sahra: Bitte informiere die Brigitte! Wir müssen unsere Überzeugung verteidigen und Frauenpower zeigen! Fortsetzung folgt…
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