Normal 0 false false false MicrosoftInternetExplorer4
Mindestsicherung oder Grundeinkommen:
Normal 0 false false false MicrosoftInternetExplorer4
Konzepte für einen Ausweg aus der Armutsfalle oder staatliche Subventionierung von Dumpinglöhnen?
Zahlreiche Studien und Statistiken belegen, dass die Zahl der Menschen ansteigt, die einer Lohnarbeit nachgehen, eine Pension oder Arbeitslosengeld beziehen, von ihrem Einkommen aber nicht leben können. In Österreich sind Menschen immer öfter gezwungen, beim Sozialamt um eine Ausgleichszulage anzusuchen. Um zu verhindern, dass immer mehr Menschen in die Armutsfalle tappen, plant das Sozialministerium, eine „bedarfsorientierte Mindestsicherung“ einzuführen, die die bislang je nach Bundesland unterschiedlich geregelte Sozialhilfe ersetzen soll.
Hartz IV in Österreich?
Bei dieser Mindestsicherung handelt es sich laut Sozialminister Hundsdorfer um „keine Hängemattenkonstruktion, wo man sich ausruhen kann“, sondern um eine Mindestsicherung, die erst dann greift, wenn alle anderen Wege aus der Armutsfalle gescheitert sind. Damit sich Arbeit dann noch lohnt, solle die Mindestsicherung weniger sein, als man durch Arbeit verdienen kann. Zumutbarkeitsbedingungen sollen gerechter und praxisnaher gestaltet, Langzeitarbeitslose in gemeinnützige Arbeitsprojekte eingebunden und zur Weiterbildung verpflichtet und die Arbeitswilligkeit gefördert werden, heißt es im Regierungsübereinkommen. Das gibt Anlass zur Befürchtung, dass damit verstärktem Druck auf die Menschen, jede Arbeit anzunehmen, zu sinnlosen AMS Schulungen und Arbeitszwang alle Türen geöffnet werden.
Während wesentliche Leistungen der Sozialhilfe, so wie sie in den 1970er Jahren eingeführt wurden, mit einem Rechtsanspruch versehen wurden, gehe die bedarfsorientierte Mindestsicherung einen Schritt zurück, indem sie Leistungen massiv einschränkt und einen Rechtsanspruch nur für den Mindeststandard vorsieht, kritisiert Simone Leitgeb (2009): „Wo diese Grundleistung nicht ausreicht, um die Kosten zur Lebenserhaltung zu decken, können die Länder zusätzliche Leistungen gewähren, sind jedoch nicht dazu verpflichtet, was auch bedeutet, dass gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt werden kann“. (1)
Wer bekommt eine Mindestsicherung?
Kritisiert wird das Modell der bedarfsorientierten Mindestsicherung auch deshalb, weil subsidär Schutzberechtigte, deren Zahl ständig ansteigt, und Staatenlose nicht berücksichtigt werden, obwohl laut EU-Richtlinie anerkannte Flüchtlinge und Schutzberechtigte im Sozialbereich gleichgestellt werden müssen. Über AsylwerberInnen, also Menschen die unter meist äußerst prekären Verhältnis oft jahrelang auf den Ausgang ihres Verfahrens warten, wird erst gar nicht geredet. Allem Anschein nach ist man also bestrebt, die Aufteilung der Menschen zwischen besser und schlechter Gestellten auch am untersten Rand der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Während Unternehmen heute die Möglichkeit haben, Arbeitskräfte auf globaler Ebene zu erschließen, werden Menschen unterschiedlich behandelt, je nach Herkunft und ob ihre Papiere anerkannt werden oder nicht.
Auch wenn die Mindestsicherung äußerst knapp bemessen ist und es BezieherInnen möglichst schwer gemacht werden soll, wird viel über „Sozialschmarotzer“ geredet. Manche fragen: „Wer sollte dann überhaupt noch arbeiten?“ Arbeit wird in der herrschenden Volksmeinung als notwendiges Übel angesehen, dem sich niemand freiwillig und ohne Zwang unterwerfen würde. Dabei ist es nachweisbar, dass der Mensch das Bedürfnis hat, schöpferisch tätig zu sein. Denn durch Arbeit tritt der Mensch in Austausch mit seiner Umwelt, erhält Anerkennung und einen sozialen Status. Wird das verweigert, kann es gravierende Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden haben. Man weiß, dass Langzeitarbeitslose durch die Isolation den Bezug zur gesellschaftlichen Realität verlieren können. Freilich aber erfüllt nicht jede Art von Arbeit das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung oder gibt die Befriedigung, einen sinnvollen Beitrag für die Entwicklung der Gesellschaft geleistet zu haben. Durch seine Stellung im Produktionsprozess definiert sich ein Mensch aber auch politisch, und die Teilhabe an der gesellschaftlichen Arbeit bietet eine Voraussetzung zur Mitgestaltung der Entwicklung.
Grundeinkommen statt Mindestsicherung?
„Wir leben in einer sich rasch verändernden Welt. Globalisierung, wirtschaftliche und technische Entwicklungen, Wissensgesellschaft und eine Auseinanderentwicklung zwischen Reich und Arm sowohl weltweit, als auch innerhalb der reichen Länder, Zerstörung der Umwelt und Verbrauch natürlicher Ressourcen sind einige Hinweise auf Phänomene, mit denen wir täglich konfrontiert werden,“ liest man auf der Homepage des Netzwerks Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt (1).
Weil die Wirtschaftsweise auf der einen Seite unübersehbaren Reichtum produziert, es aber auf der anderen Seite nicht schafft, die bloße Existenz immer größerer Bevölkerungsteile zu sichern, plädieren die VertreterInnen des Netzwerks für ein aus Steuern finanziertes, Existenz sicherndes Grundeinkommen. Man hofft nicht nur, dass damit Schwarzarbeit oder prekäre Arbeitsverhältnisse zurückgedrängt werden könnten, weil die Menschen nicht mehr darauf angewiesen wären, um zu überleben, sondern auch, dass eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen den Menschen Wahlfreiheit eröffnen und dieser Schritt eine Aufwertung ehrenamtlicher Tätigkeiten im Sozialbereich zur Folge haben würde. Bedarf nach zusätzlicher Arbeit im Sozialbereich oder im Bildungswesen gibt es ja zur Genüge. Schätzungen zufolge werden 60 Prozent aller Arbeitsleistungen wie Haushalt, Erziehung, Pflege und ehrenamtliche Tätigkeiten, unentgeltlich verrichtet. Obwohl es sich dabei um für das gesellschaftliche Zusammenleben unentbehrliche Arbeit handelt, wird nur die Erwerbsarbeit als alleiniger Anspruch auf Existenzsicherung akzeptiert.
„Ein Grundeinkommen fördert alte und neue Formen von Zusammenschlüssen, Vereinen und Aktivitäten. Durch Grundeinkommen werden selbstbestimmte Formen zivilgesellschaftlichen und politischen Engagements für viele erst möglich gemacht…“(2).
Die Sicherheit eines Grundeinkommens würde Flexibilität abfedern, selbstbestimmte Entscheidungen ermöglichen, Kreativität freisetzen und damit auch wieder der wirtschaftlichen Entwicklung zugute kommen, argumentiert das Netzwerk Grundeinkommen. Das Sozialsystem, so wie es heute funktioniert, führt im Gegenteil jedoch meist dazu, dass Menschen in Abhängigkeit gehalten werden, anstatt sie zu motivieren, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Warum sollte sich das durch eine Grundsicherung ändern? Könnte eine Aufwertung sozialen Engagements nicht auch durch eine großzügigere Förderung von Projekten im Sozial-, Umwelt- oder Kulturbereich erreicht und damit sogar Arbeitplätze geschaffen werden? Wer am Existenzminimum lebt, hat es schwer, etwas auf die Beine stellen, wo man in unserer Gesellschaft doch kaum etwas ohne Geld bekommt. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung, so wie sie von der Regierung geplant ist, ist jedenfalls meilenweit davon entfernt, eine solche Wahlfreiheit zwischen Lohnarbeit oder sozialem Engagement zu ermöglichen.
Subventionierung von Dumpinglöhnen
Die BefürworterInnen eines Grundeinkommens kritisieren zwar Höhe und Bedingungen der geplanten Mindestsicherung, akzeptieren aber grundsätzlich die Tatsache, dass Menschen, deren Lebensunterhalt vom Lohn abhängt, unter unsicheren Existenzbedingungen leben. Sozialer Zusammenhalt wird beschworen. Etwa auf die Weise, dass mit einem Grundeinkommen der soziale Friede gesichert wird, die Kapitalisten ungehindert der Kapitalvermehrung nachgehen können und sich nicht um die Verlierer kümmern müssen? Sollen also auf diese Weise Dumpinglöhne vom Staat subventioniert werden? Ist es denn für die Wirtschaft nicht zumutbar, ausreichende Löhne an diejenigen zu zahlen, die mit ihrer Arbeit den Reichtum produzieren?
Die Höhe der Löhne wird nicht von den Bedürfnissen der Werktätigen bestimmt, sondern davon, ob der Einsatz der Arbeitskraft dem Unternehmen einen Gewinn in ausreichender Höhe einbringt. Unternehmer versuchen deshalb, die Produktivität zu steigern und investieren in Maschinen, um Lohnkosten zu sparen. Hinzu kommt, dass das Kapital im Zuge der Globalisierung in den letzten Jahrzehnten auch die Möglichkeit bekommen hat, auf globaler Ebene Lohnunterschiede zu vergleichen und auszunutzen, und so Lohnabhängige, die in verschiedenen Teilen der Erde leben und arbeiten, in Konkurrenz zu setzten.
Dieser Überschuss an Arbeitskräften erzeugt ein Heer von Arbeitslosen - eine industrielle Reservearme auf globaler Ebene, die Druck ausübt auf jene, die Arbeit haben, um ihre Löhne zu senken und ihre Arbeitszeit zu verlängern. Sie wird laut Karl Marx „zum Hebel der kapitalistischen Akkumulation, ja zu einer Existenzbedingung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible industrielle Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eignen Kosten großgezüchtet hätte“.(3)
„In einer vernetzten Welt ist kein Land eine Insel. Einige denken über weltweites Grundeinkommen nach. Andere sind der Überzeugung, Grundeinkommen in den reichen Ländern könnte helfen, unseren Lebensstil zu verändern und dazu beitragen, in den Entwicklungsländern eine auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zentrierte Wirtschaft zu fördern“, plädiert das Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt, das auf seiner Homepage auch gleich Finanzierungsvorschläge mitliefert. Finanzieren solle sich ein Grundeinkommen durch ein damit erzeugtes Wirtschaftswachstum, denn „wo mehr Geld ausgegeben wird, werden Steuern und Abgaben in die öffentlichen Kassen zurückfließen“. Folgen also auch die VerfechterInnen des Grundeinkommens dem Argument der Wirtschaft für mehr Kaufkraft und erkennen das Dogma eines ständigen Wirtschaftswachstums kritiklos an? Gleichzeitig wird die Hoffnung gehegt, dass ein Grundeinkommen nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften unterstützen würde. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass gerade das Wirtschaftswachstum eine der Hauptursachen für die ökologische Krise darstellt.
Gerechte Verteilung von Arbeit und Wohlstand statt Armutsverwaltung
Karl Marx schrieb: "Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee." (4) Die Entwicklung der Produktivkraft in unserer Gesellschaft hat ein so großes Ausmaß erreicht, dass die Arbeit von immer mehr Teilen der Bevölkerung nicht länger gebraucht wird. Dennoch werden diejenigen, die Arbeit haben, unter Druck gesetzt, mehr zu arbeiten, und andere zu Almosenempfängern abgestempelt. Sollen diejenigen, die vom Reichtum ausgeschlossen sind, gerade so viel bekommen, um ihre Existenz zu erhalten?
„In jeder Gesellschaft, die über die Voraussetzungen verfügt, allen ihren Mitgliedern das Lebensnotwendige zu sichern, ist Grundeinkommen finanzierbar“, liest man auf der Homepage des Netzwerks Grundeinkommen. Wäre es dann nicht längst an der Zeit, statt (nur) über ein Grundeinkommen, über Arbeitszeitverkürzung, gute Arbeitsbedingungen, Mindestlöhne, mehr Lebensqualität und Freizeit für alle nachzudenken?
Normal 0 false false false MicrosoftInternetExplorer4
(1) Leitgeb, Simone 2009: Kritik an der geplanten bedarfsorientierten Mindestsicherung. In: Sozialarbeit in Österreich 4/2009, S. 36-37. (2) http://www.grundeinkommen.at/ (3) Marx, Karl, 1867: Das Kapital, Band 1, MEW Werke, Band 23, 1988 Berlin: Dietz Verlag, S. 661. (4) Marx, Karl, 1867: Das Kapital, Band 1, MEW Werke, Band 23, 1988 Berlin: Dietz Verlag, S. 673. Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4
erschienen in: Talktogether Nr. 32/2010
|