Die Nachbarn
Teil X
von Abdullahi A. Osman
Franz: Bei uns gibt es alle vier Jahre eine neue Wahl. Wir haben Demokratie und es geht uns gut. Aber in Afrika gibt es immer nur Putsche und Bürgerkriege. Man sollte die kritisieren, die keine Demokratie kennen und ohne Gewalt nicht regieren können.
Rooble: Du hast zwar das Recht deine Meinung zu sagen, aber ich frage mich, ob du auch weißt, dass die Ursachen der Kriege aus Europa stammen.
Willi: Ich habe oft gehört, dass die afrikanischen Gesellschaften zurückgeblieben sind, und dass die Europäer an allem schuld sind. Ihr vertretet diese Meinungen, die Menschen entweder als Opfer oder Täter darstellen und damit die Konflikte noch größer machen. Ist das eurer Meinung nach eine Lösung? Es ist eine Tatsache, dass die Probleme in Afrika durch die Kolonialisierung und deren Resultate entstanden sind.
Franz: Ich habe heute und jetzt gemeint und nicht vor 40 Jahren und mehr...
Rooble: Die Kolonialisten verließen damals Afrika, weil sie dem Widerstand der Völker nicht mehr standhalten konnten. Damals hatten sie schon die Probleme gesät und ihre Freunde haben sie fleißig weiter gepflegt, und wir ernten heute das Ergebnis. Damit ihr System weiter existiert, übergaben sie die Macht an ihre Freunde. Doch die Freunde der Kolonialherren arbeiten nicht für die Interessen der Völker, sondern für die Kolonie.
Willi: Und die nennen wir Diktatoren. Ich vermisse aber auch einen richtigen Volkswiderstand und eine allmähliche Entwicklung in Afrika. Lateinamerika macht Fortschritte, und Asien auch!
Rooble: Die Kolonialherren haben in Afrika gegeneinander gekämpft und die Völker durch verschiedene Sprachen gespalten und gegeneinander ausgespielt. Deshalb ist ein einheitlicher Widerstand in Afrika schwieriger, während Lateinamerika fast nur unter einer Macht war und durch Sprache und Religion geeint ist.
Da das Wetter so schön war und die Gespräche sehr interessant waren, ist die Zeit schnell unbemerkt vergangen.
Hua schaut ihre Armbanduhr an und sagt: „Leute, es ist fast 6 Uhr. Wollen wir nicht nach Hause gehen und den Nachtisch essen?
Willi: Ja, genau, es ist tatsächlich schon sechs. (zu den anderen) Was sagt ihr, sollen wir nicht zurück zu unserem Nachtisch gehen?
Franz: Wir haben doch keinen Stress! Wir können den Nachtisch ja auch später essen, jetzt ist es noch hell und warm.
Brigitte: Lasst uns langsam zurückgehen…
Rooble: Und dort weiter diskutieren!
Sahra: Das ist eine gute Idee, sonst war Huas Mühe umsonst!
Willi: Wir könnten bei uns zu Hause eine Diskussionsrunde machen.
Hua: Ihr könnt ruhig eure politischen Diskussionen weiter führen. Wir machen eine Frauenrunde.
Brigitte: Genau, das machen wir!
Sahra: Ich interessiere mich sehr für die chinesische Kultur und würde gerne mehr erfahren, könntest du uns darüber erzählen?
Hua: Ja, aber unter einer Bedingung,
Sahra: Unter welcher?
Hua: Dass du uns etwas über Afrika erzählst. Denn von Afrika weiß ich fast nichts.
Sahra: Was weißt du von Afrika?
Hua überlegt, was sie von Afrika weiß: Ja, es gibt viel Sonne und viele Früchte wachsen dort wie Bananen. Früher haben wir in China Bananen aus Somalia bekommen. Das ist aber schon lange her.
Sahra: Gut, das nächste Mal erzähle ich dir mehr über Afrika als über Sonne und Bananen
Brigitte: Ich bin auch an beiden Kulturen interessiert. Ich werde euch dafür über die Geschichte Österreichs erzählen und die Landschaft Salzburgs zeigen.
Sahra: Ich lebe schon sieben Jahre in Salzburg, ich kenne doch schon fast alle, du sollest uns ein anderes Angebot machen!
Brigitte: Auch wenn du hier sieben Jahre wohnst, gibt es bestimmt vieles, was du noch nicht gesehen hast. Ich werde euch interessante Orte zeigen, wie das Steintheater, oder wir fahren aufs Land, ins Gebirge, z.B. nach Zell am See.
Sahra: Ich war in allen Orten, die du gerade genannt hast, Steintheater, Hellbrunn und Zell am See. Dort kann man sich entspannen, ich muss sagen, dass ganz Österreich eine wunderbare Landschaft hat, vor allem das Salzburger Land.
Hua: Obwohl ich schon in allen Bundesländern Österreichs gewesen bin und die Berge und Wasserfälle gesehen habe, kann ich nicht genug davon bekommen, die Landschaft immer wieder zu betrachten. Darum werde ich jede Gelegenheit nutzen und bei diesen Ausflügen dabei sein.
Während die Frauen über Kulturen und die Landschaft ihrer Länder diskutieren und langsam ein paar Meter hinter den Männern spazieren, debattieren die Männer weiter lautstark über die Weltpolitik. Manchmal reden alle drei auf einmal, und jeder will seine Meinung durchsetzen. Willi versucht zwischen Rooble und Franz zu vermitteln und spielt sozusagen Schiedsrichter. Er versucht, die Diskussion in eine vernünftige Richtung zu lenken, was ihm aber nicht immer gelingt.
Willi schlägt vor: Wir können doch nicht auf der Straße so miteinander reden. Üblich ist, dass man ins Wirthaus auf ein Bier geht und über die Sache diskutiert.
Franz: Rooble trinkt kein Bier, was sollen wir im Lokal tun?
Rooble: Ich bestelle Almdudler und ihr Bier, wo ist das Problem?
Franz gekränkt: Wir sind doch keine Kinder!
Willi: Ich trinke auch schon seit langem kein Bier mehr. Ich trinke lieber grünen Tee.
Franz: Ich trinke auch Kaffee und hin und wieder Tee, aber Bier ist mir lieber. Das gehört zu unserer Kultur. Bei uns zu leben und nicht einmal Bier trinken wollen, das finde ich absurd.
Rooble: Du meinst, man soll sich hier anpassen, oder?
Franz: Ja, natürlich sollt ihr euch anpassen.
Rooble: Inwiefern sollen wir uns anpassen, deiner Meinung nach?
Franz: Na ja, dass ihr Bier trinkt, die Sprache lernt, es gibt viele Dinge, die ihr machen könnt.
Rooble: Es gibt doch genügend Leute, die Bier trinken und die Sprache sprechen, aber trotzdem Probleme haben. Außerdem würde ich nicht Bier trinken, nur damit die anderen zufrieden sind. Wenn ich Bier trinken sollte, dann weil ich das will.
Inzwischen holt Hua die Männer ein: Sagt, wann gehen wir endlich nach Hause?
Auf dem Weg nach Hause
Rooble: Bevor man über Verständigung der Volker redet, gibt es viele Dinge, die geklärt werden müssen. Erst dann ist meiner Meinung nach eine Versöhnung möglich. Jetzt redet man von zusammenleben, tolerieren, akzeptieren usw.
Franz: Aber wenn wir uns toleriert und akzeptiert haben, brauchen wir nicht mehr.
Rooble: Stimmt, aber das Ergebnis ist dann nur ein oberflächliches nebeneinander leben.
Willi: Es gibt schon einen großen Unterschied zwischen Toleranz und Freundschaft. Toleranz heißt ja nur, jemand zu dulden. Um miteinander zu leben, ist mehr nötig. Aber wir sollten wenigstens einmal anfangen, miteinander zu reden.
Franz: Die Völker leben ja in verschiedenen Welten mit ihren verschiedenen Kulturen und Traditionen. Es genügt, sage ich mal, gegenseitige Toleranz, mehr als das ist zu viel verlangt.
Willi: Einst wurden Menschen zwangsweise als Sklaven nach Amerika gebracht. Mit der Zeit sind sie dort heimisch geworden. Wenn sie als Sportler oder Musiker Erfolg für ihr Land brachten, war man stolz auf sie, andrerseits wollte man sie nicht als Einheimische anerkennen und wenn, dann nur als Menschen zweiter Klasse. Als Reaktion auf die Ausgrenzung und die Demütigungen haben sie sich als Afro-Amerikaner bezeichnet. Trotzdem sind Kinder aus Verbindungen zwischen den Menschen beider Seiten entstanden und wurden so zu Angehörigen und Verwandten. Seit damals leben die Menschen aber nicht mehr in verschiedenen Welten, die Menschen sind näher zueinander gekommen. Die Frage ist, wie können wir gemeinsam leben?
Rooble: Wenn ein Sklavenhändler seine Sklavin vergewaltigt hat, nennst du das Verwandtschaft? Wenn diese Menschen aus ihrem eigenen Willen geheiratet hätten, könnte ich es als Verwandtschaft akzeptieren, aber nicht mit Zwang.
Franz: Verwandtschaft mit Menschen aus anderen Kulturen oder anderer Hautfarbe? Das ist mir zuviel.
Willi: Warum denn? Ich finde es schön, ein buddhistisches Fest zu feiern, ohne dass ich deshalb darauf verzichten muss, Weihnachten zu feiern, und zwar gemeinsam mit meiner Frau.
Franz: Mir ist lieber, wenn jede Gruppe unter sich bleibt.
Rooble: Inwiefern sollte jede Gruppe unter sich bleiben?
Franz: Ja, wie du und deine Frau. Du bist ein gut aussehender Afrikaner und hast eine schöne Frau aus deinem Land geheiratet. Aber Mischmasch-Ehen finde ich nicht so gut.
Willi: Bezeichnest du meine Ehe als Mischmasch?
Franz: Das habe ich nicht persönlich gemeint, aber im Allgemeinen halt.
Rooble: Man kann zwischen Ländern Grenzen oder Mauern aufbauen. Man kann ein Visum und mehr von den Menschen verlangen, wenn sie in ein Land reisen wollen. Aber man kann zwischen den Herzen der Menschen keine Grenze ziehen. Wenn die Europäer sich nicht mit anderen vermischen wollten, hätten sie früher besser zu Hause bleiben sollen.
Willi: Das würde ich nicht sagen! Ich finde es gut, dass die Menschen von Anfang an neugierig und reiselustig waren. Durch den Austausch der Kulturen wurden doch neue Entdeckungen gemacht und neues Wissen verbreitet. Das Problem ist nicht das Reisen und Wandern, sondern dass die Europäer die Völker der Erde unterdrückt, ausgebeutet und sich auf ihre Kosten bereichert haben.
Franz: Ich verstehe überhaupt nicht, was die Europäer so falsch gemacht haben. Sie haben den Einheimischen viel beigebracht. Bis heute ist die Dritte Welt abhängig von der Hilfe aus Europa!
Rooble: Durch die Kolonialisierung haben die Europäer den Kolonisierten ihre Kultur, Sprache und Denkweise aufgezwungen und deren eigene Sprachen und Kulturen begraben. Von der Kolonialisierung bis zur Versklavung, von Eroberungen bis zu Vertreibung und Besatzung, sollten sie dafür vielleicht auch noch dankbar sein? Abhängig sind die Völker der "Dritten Welt" doch nur geworden, weil die Europäer ihre eigene Entwicklung verhindert haben.
Willi: Ich glaube, wir gehen zu weit, und wenn wir so miteinander reden, können wir doch nichts erreichen. Mit diesen Tönen kommen wir der Völkerverständigung nicht näher, ganz im Gegenteil!
Rooble: Ich bin der Meinung, dass die Menschen verschiedener Völker über alles reden sollten, sowohl über die Vergangenheit als auch über die Gegenwart. Durch Schweigen und Ignorieren erreichen wir ja auch nichts und können nicht zusammenkommen. Denn, wenn ein Arzt eine Wunde behandelt, muss er zuerst gründlich den Schmutz entfernen, damit die Wunde heilen kann. Damit möchte ich sagen, wenn die Menschen sich versöhnen wollen, wenn die Menschen im Frieden leben wollen, dann dürfen sie nicht vergessen, was in der Vergangenheit passiert ist. Gleichzeitig appelliere bzw. fordere ich, dass die Geschichte keine Hürde für die Versöhnung sein soll!
Franz: Bevor ich dich kennen gelernt habe, habe ich noch nie mit einem schwarzen Mann gesprochen. Ich muss auch gestehen, dass ich misstrauischer war.
Willi: Die Gründe sind Unwissenheit und Unkenntnis. Die Menschen haben Vorurteile und Vorbehalte. Die Ängste sitzen tief, weil sie uns schon von Kindheit an eingetrichtert wurden. Wer kennt z.B. nicht das Kinderspiel “Wer hat Angst vor dem Schwarzem Mann"?
Franz: Mag sein, aber ich hatte einfach kein Vertrauen. Ich habe nie gedacht, dass ich mit einem Afrikaner solche Diskussionen führen könnte. Jetzt aber sehe ich etwas anderes. Viele Freunde von mir sind der Meinung, dass jedes Volk dort bleiben soll, wo es zu Hause ist, und bis heute habe ich diese Meinung geteilt.
Willi: Das finde ich einseitig und engstirnig! Als die Europäer andere Kontinente eroberten, gab es keine Flugzeuge und die Reise dauerte hundertmal länger als heute. Da können wir doch heute, wo man in ein paar Stunden am anderen Ende der Erde sein kann, nicht sagen, jeder soll zu Hause bleiben und nicht zu uns kommen.
Rooble: Der Weg führte von Europa aus in die Welt, und die Menschen sind auf dieser Spur zurück nach Europa gekommen. Jetzt zu sagen, bleibt, wo ihr seid, mit euch wollen wir nichts zu tun haben, dafür ist es zu spät und es ist auch unmöglich.
Willi: Die Europäer waren nicht die einzigen Kolonialherren. Alle, die mächtig waren, haben die Schwächeren unterdrückt und kolonialisiert, z.B. lebten viele Völker unter türkischer Herrschaft, auch die Mongolen und später die Japaner versuchten Asien zu erobern.
Rooble: Mir ist klar, dass viele Sklaven von Afrika in die Wüste nach Arabien geschleppt wurden. Ich weiß auch, dass sie andere Namen bekommen haben, als die, die nach Amerika kamen. Und ich weiß auch, unter welchen Bedingungen sie noch heute leben!
Fortsetzung folgt …
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