Demokratie in Afrika: Gespräch mit Firoze Manji PDF Drucken E-Mail

Was bedeutet Demokratie?

Anfang des Jahres richtete sich die ganze Aufmerksamkeit auf die Aufstände in Tunesien und Ägypten. Viele waren über die Mächtigkeit der Bewegung überrascht, aber wenige haben sich über die Proteste gewundert, schließlich waren dort Diktatoren seit Jahrzehnten an der Macht und haben sich auf obszöne Weise bereichert, während ihr Volk in Armut lebt. Schnell breitete sich die Bewegung auf andere Länder in der Region aus, wo die Herrschenden bis heute versuchen, die Rufe nach Demokratie mit Gewalt zu ersticken. Dann ertönten lautstarke Protestrufe auch aus Europa, aus Griechenland, aus Spanien. „Wir wollen Demokratie“ schrien die Menschen in Spanien. Wer hat damit gerechnet? Haben wir nicht hier in Europa Vorzeigedemokratien, die wir so gern allen anderen Ländern der Welt als Vorbild präsentieren?

Oft wird die Politikverdrossenheit der Bürger und Bürgerinnen beklagt, weil immer weniger Menschen zur Wahl gehen. Aber wie groß sind unsere Möglichkeiten wirklich, mitzubestimmen, in welche Richtung unsere Gesellschaft steuert? Der Markt diktiert Preise und Löhne, welche Rohstoffe gefördert und welche Produkte hergestellt werden. Auf dem Arbeitsplatz wird von uns erwartet, auf alle demokratischen Bürgerrechte zu verzichten. Es gibt keine Alternative, hieß es in Griechenland und Portugal, von allen Parteien wurde erwartet, dem unsozialen Sparprogramm zuzustimmen. Es gibt keine Alternative, sagen auch die Fürsprecher einer Wirtschaftspolitik, die die Profitinteressen der Unternehmen über alle anderen gesellschaftlichen Bedürfnisse stellt. Wie demokratisch ist aber eine Gesellschaft, deren wichtigstes Fundament nach völlig undemokratischen Prinzipien funktioniert? Könnte unser Leben nicht ganz anders aussehen? Wir haben uns die Frage gestellt, welche Alternativen es geben und wie eine demokratische Gesellschaft aussehen könnte.


Demokratie in Afrika

Gespräch mit Firoze Manji, Pambazuka News - Panafrican Voices for Freedom and Justice

TT: Unter welchen Vorbedingungen kann Demokratie in Afrika und anderen abhängigen Ländern des Südens funktionieren?

Firoze Manji: Wo immer die Menschen versucht haben, ihre demokratische Kraft einzusetzen um jemanden zu wählen, der die Herrschaft der Konzerne in Frage gestellt hat – wie z.B. Thomas Sankara in Burkina Faso, Patrice Lumumba im Kongo, Amilicar Cabral in Guinea Bissu – hat der Imperialismus versucht, diejenigen lokalen Eliten zu unterstützen, die bereit waren, diese Führer zu ermorden, einen Putsch zu organisieren (wie gegen Nkrumah in Ghana), oder einen offenen Bürgerkrieg zu auszulösen (wie in Angola und Mosambik). Der Imperialismus ist nicht versessen auf Demokratie im globalen Süden. Er tut alles, was er kann, um ihre Entwicklung zu vereiteln.

TT: Was bedeutet für Sie Demokratie und wie sieht Ihre Vision einer demokratischen Gesellschaft aus?

Firoze Manji: Durch die Vorherrschaft des Neoliberalismus hat das Konzept Demokratie einen schweren Schaden erlitten. Im besten Fall wird Demokratie auf das Recht der BürgerInnen reduziert, in regelmäßigen Abständen ihre Stimme in die Wahlurne zu werfen. In den meisten Fällen geht es nur darum, wie John Githongo[1] es kürzlich formulierte, auszuwählen wer an der Reihe ist, sich aus der nationalen Schatztruhe zu bedienen. Ich bezweifle aber, dass das auf Demokratie hinausläuft.

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30 Jahre Strukturanpassungsprogramme und neoliberale Politik haben dazu geführt, dass unsere Länder besetzte Territorien geworden sind, besetzt von Konzernen, von den 500 bis 700 Oligopolen, die nahezu jeden Aspekt unseres Lebens kontrollieren. Obwohl wir in Afrika viel Blut vergossen und viele Leben geopfert haben, um unsere Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft zu erlangen, sind unsere Regierungen immer abhängiger von diesen Unternehmen und immer weniger ihren Bürgern und Bürgerinnen verpflichtet.

Das und die Unterstützung der internationalen Finanzinstitutionen und Hilfsorganisationen erlaubt Konzernen, den Reichtum unserer Ländern auszusaugen, unsere natürlichen Ressourcen und unsere Arbeit auszubeuten, sich Steuern zu entziehen, die Löhne niedrig zu halten und mit dem Einsatz von öffentlichem Kapital die Akkumulation durch Enteignung voranzutreiben und Gemeingüter wie Wasser, Energie und Kommunikation, Land und Sozialsysteme usw. zu privatisieren – eine beispiellose Korruption von Beamten und Politikern, durch die dieses Unternehmen massive Profite an sich raffen.

Das hat zu dem Ergebnis geführt, dass sich die Erwartungen und Ziele der Unabhängigkeit in ihr Gegenteil verkehrt haben: Die Lebenserwartung ist gefallen, die Kinder- und Müttersterblichkeit ist angestiegen, Arbeitslosigkeit und Landlosigkeit steigen sprunghaft an ebenso wie Landraub und Wucher. Gesundheitsversorgung, Bildungs- und Sozialeinrichtungen wurden privatisiert und die Versorgung der Massen ist auf ein Niveau gefallen, das nicht mehr von dem unter der Apartheid zu unterscheiden ist. Heute leiden mehr Menschen unter Hunger als je zuvor, aber nicht weil zu wenig Nahrung vorhanden ist, sondern weil die Spekulation die Preise der Grundnahrungsmittel in die Höhe getrieben hat.

Führt das zu Demokratie? Ich denke nicht.

Wir leben in okkupierten Gebieten – ich habe einmal einen Vergleich zur Vichy-Regierung im von den Nazis besetzten Frankreich angestellt. Imperialistische Regime haben ihre besetzen Gebiete im Irak und in Afghanistan errichtet und

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ihre eigene Version von Vichy-Regierungen eingesetzt. Nur wenige geben sich der Illusion hin, dass das, was hier errichtet wird, zu Demokratie führt. Jemanden wählen zu können, der einer Regierung von Kollaborateuren dient, begründet keine Demokratie.

Deshalb sollte die erste Voraussetzung für Demokratie die Beendigung der Okkupation sein. Solange nicht die BürgerInnen, sondern Privatunternehmen die Kontrolle darüber haben, was produziert, wie es produziert, für wen es produziert wird, was mit dem Überschuss passiert, welche ökonomischen Beziehungen mit anderen Ländern geschaffen werden und wie die Handelsbedingungen aussehen, sind BürgerInnen einfach nicht in der Lage, ihr eigenes Leben zu bestimmen. Stattdessen wird ihr Schicksal von den imperialistischen Mächten, den Oligopolen und den Spekulanten in der Wallstreet, in London und Tokio entschieden.

TT: Sie sprechen von der Demokratisierung der Gesellschaft, der Produktion, der Wirtschaft und aller Aspekte des Lebens. Wie könnte das funktionieren? Was können und müssen wir tun, um diese Ziele zu erreichen?

Firoze Manji: Wie ich gesagt habe, ist unser Schicksal nicht in unseren Händen. Firmen üben heute viel mehr Macht aus als BürgerInnen. Tatsächlich leben wir in einer Plutokratie und nicht in einer Demokratie – diejenigen mit mehr Reichtum haben mehr Macht und Einfluss. Weil der Großteil der Menschen im globalen Süden aber immer ärmer wird, wird ihr Einfluss immer schwächer. Das bringt mich zum Kern des Themas. Die Selbstbestimmung, die Fähigkeit der BürgerInnen, ihre Schicksal selbst zu bestimmen – ob wirtschaftlich, politisch, sozial oder auf andere Weise – sollte auf den Prinzipien der Demokratie beruhen. Aber es macht wenig Sinn zu versuchen, ein idealisiertes Konzept von Demokratie zu beschreiben, ohne die aktuelle Situation zu analysieren und die Prozesse zu identifizieren, die wir für unsere Agitation brauchen, um in unserer täglichen Praxis die Vision einer Welt aufzubauen, in der wir leben wollen.

Deshalb habe ich immer argumentiert, dass der Fetisch der Wahlurne ersetzt werden muss durch den Kampf für eine Demokratisierung all jener Aspekte unserer Existenz, die uns daran hindern, unser Schicksal selbst zu bestimmen. Für diesen Prozess gibt es weder eine Formel noch ein Modell, sondern er bildet sich in den Kämpfen heraus, wird durch die Besonderheiten, die Geschichte und die Umstände bestimmt und stellt eine Quelle immenser Kreativität dar.

Schauen Sie sich zum Beispiel an, was in Ägypten und Tunesien passiert ist. Nach Jahren voller Kämpfe gegen die Enteignung, die auf den Arbeitsplätzen, auf dem Ackerland, auf den Universitäten, in den Ghettos geführt wurden, war die Geduld der Menschen erschöpft. Massendemonstrationen fanden auf den Straßen statt. Millionen von Menschen wurden mobilisiert. Aber sie mobilisierten und demonstrierten nicht nur: Sie wurden unverzüglich mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Versorgung mit Nahrung, Trinkwasser, die Abwasser- und Abfallentsorgung, die Pflege von Verletzten, Kinderbetreuung und Unterkünfte zu organisieren. Zahlreiche Komitees wurden spontan gegründet, um auf die kollektiven Bedürfnisse zu reagieren.

Eine ähnliche Entwicklung konnten wir bei jeder Revolution beobachten – allerdings ist wahrscheinlich eines der entscheidenden Charakteristika, die Massenproteste von Revolutionen unterscheiden, die Bildung von alternativen Organen demokratischer Entscheidungsprozesse. Wenn ihnen erlaubt wird, sich zu entwickeln, können sie zu Volksorganen einer parallelen Macht werden, die die Autorität des kapitalistischen Staates herausfordert.

Aber es wäre falsch zu glauben, dass wir nur darauf warten müssten, bis ein Massenaufstand entsteht. Der Kampf für Demokratisierung und gegen die Enteignung wird ständig geführt. Er findet auf dem Arbeitsplatz statt, bei der Gründung von Gewerkschaften und Zivilorganisationen, unter den Bauern und Bäuerinnen, die von ihrem Land und den Produkten ihrer Arbeit enteignet werden, bei der Gründung von Frauenorganisationen, die ihre Emanzipation vorantreiben sowie in den verschiedenen Formen von sozialen Bewegungen. Es sind diese Art von Kämpfen, die genährt, gehegt und unterstützt werden müssen, weil sie der Hebel sind, der die Demokratisierung der Gesellschaft vorantreibt und zwar auf eine Weise, die sicherstellt, dass die Bürger und BürgerInnen und nicht die Konzerne und eine kleine Elite unser Schicksal bestimmen.

Das sind die Prozesse, die quer über den ganzen afrikanischen Kontinent stattfinden wie auch in vielen Teilen des globalen Südens. Die Menschen sind frustriert über die kapitalistische Art der Demokratie, die tatsächlich nur eine Wahl bietet zwischen jenen, die der Imperialismus als dezentrale Despoten geeignet hält, um seinen Interessen zu dienen.

Ãœbersetzung aus dem Englischen: Beate Wernegger



[1] kenianischer Journalist und Politiker

Firoze Manji stammt aus Kenia und hat längjährige Erfahrung in den Bereichen  Gesundheit, Menschenrechte und Internationale Entwicklung. Er ist Herausgeber und Chefredakteur von Pambazuka News http://www.pambazuka.org/en/ und Gründer des Fahamu-Networks for Social Justice http://www.fahamu.org/.

Firoze Manji: Afrikas Entwicklung nach Kolonialismus und nationaler Befreiung
http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_23-2010_web.pdf

erschienen in Talktogether Nr. 37/2011

 

 

 

 

 

 

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