DIE „TSCHIKWEIBER“ VON HALLEIN
Zigarrenfabriksarbeiterinnen in den dreiĂźiger Jahren
von Ingrid Bauer
„Die Tschikweiber sind ja berĂĽhmt gewesen...“, heiĂźt es heute noch in Hallein ĂĽber die Arbeiterinnen der ehemaÂligen Zigarrenfabrik. Schon 1940 wurde sie von den Nationalsozialisten geschlossen und in einen RĂĽstungsbetrieb umgewandelt. Trotzdem: Im Bewusstsein der Arbeiterstadt sind die Zigarrenfabriksarbeiterinnen nach wir vor präsent – als „resolute Frauen“, die, so der Halleiner Originalton, bekannt waren fĂĽr „ihr gutes Mundwerk“. Als Arbeiterinnen mit solidarischem Zusammenhalt und dichter gewerkschaftlicher Organisierung: „Die waren von allen Betrieben am besten organisiert, und am 1. Mai sind sie aufmarschiert, der ganze Rudel: Es waren ja ein paar hundert Frauen in der Fabrik. Auch wenn es sonst etwas gegeben hat – eine Teuerung eingetreten ist, oder wie das GerĂĽcht aufgetaucht ist, dass die Saline geschlossen werden soll - ist aufmarschiert worden mit Kind und Kegel. Die meisten waren Sozialistinnen, durch und durch. Wenn ich an die Mali denke, die hat – das war dann schon, wie die Heimwehr mit ‚Bajonett auf’ in Hallein herumgeteufelt ist – auf der StadtbrĂĽcke die Bluse aufgerissen und gerufen: ‚Da, stecht’s her!’ Und wer hat im VierunddreiĂźiger Jahr, wie’s in Wien unten so gewirbelt hat, bei uns gestreikt? – Wieder die Frauen aus der Zigarrenfabrik...“
Auch als die „Frauen, die Geld g’habt haben“, werden sie erinnert. „Die waren begehrt bei der Männerwelt, weil sie gut verdient haben. Es waren ja alle froh, wenn sie eine erwischt haben, die noch ein paar Groschen heimgebracht hat. Weil sie alle arbeitslos waren, die Männer, und weil sie – in der Zellulosefabrik oder als Maurer – oft nur einen Schmarren verdient haben. Also wenn einer eine erwischt hat, die in der Fabrik war und Geld heimÂgebracht hat, dann hat er zugegriffen.“
FĂĽr den „respektablen Facharbeiter“ im „Roten Wien“ mag es damals bereits Symbol des sozialen Aufstiegs gewesen sein, seine Frau nicht mehr arbeiten „schicken“ zu mĂĽssen. Damit fand er sich zudem im wohlgefälligem Einklang mit „seiner“ Sozialdemokratie und auch bei ihr Platz greifenden Vorstellungen von „stabilen“ Familienverhältnissen in der Arbeiterschaft. Im „Roten Hallein“, das – nahe und doch in augenfälligem politischen und sozialen Kontrast zur erzbischöflichbarocken BĂĽrgerstadt Salzburg – einer der wenigen Salzburger IndustrieÂorte war, fehlte fĂĽr solche Anleihen beim bĂĽrgerlichen Familienmodel weitgehend die materiell Basis. Und: die Zustimmung vieler Arbeiterfrauen. Die „Provinz“löhne waren niedrig, und das nicht erst in den wirtschaftlichen Notzeiten der dreiĂźiger Jahre. Auch das Gespenst von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit drohte in den krisenanfälligen Halleiner Industriebetrieben recht kontinuierlich. Mit einem – noch dazu stets unsicheren – Verdienst wäre also eine Arbeiterfamilie damals ohnehin nicht ĂĽber die Runden zu bringen gewesen. Zudem waren es in nicht wenigen Familien der Halleiner Arbeiterschaft die Frauen, die – in seltener Umkehrung der ĂĽblichen Erwerbsarbeits-Realität – die besseren Arbeitsplätze hatten. Wie gesagt: jene in der staatlichen Zigarrenfabrik.
1869 war die Zigarrenproduktion in Hallein aufgenomÂmen worden, und die weibliche Arbeitskraft hatte den „Arbeitgeber“ Staat vor allem deshalb interessiert, weil sie billiger war. Und, wie man hoffte, williger und leichter zu disziplinieren. FĂĽr das Drehen, Spinnen, Sortieren und Verpacken der Zigarren setzte man seither auf die angeblich geschickteren Hände der Frauen. Die Kontrollpositionen von Werkmeister aufwärts waren natĂĽrlich mit Männern besetzt. Also wie gehabt: ein Frauenbetrieb in Männerhand. Auch mit dem ĂĽblichen fabriksinternen Gefälle zwischen Männer- und Frauenlöhnen. Und trotzdem: Mit ihrer geschlossenen und offensiven gewerkÂschaftlichen Organisierung hatten die Arbeiterinnen in den österreichischen Tabakfabriken Arbeitsbedingungen durchgesetzt, die fĂĽr die zwanziger und frĂĽhen dreiĂźiger Jahre relativ privilegiert waren. Nicht selten verdienten sie mehr als ihre Männer in den anderen Halleiner Betrieben. Personalhäuser, medizinische Versorgung, Brausebäder, Wirtschaftsprämien und vor allem der Pensionsanspruch erhöhten die Attraktivität der Fabrik noch zusätzlich: gerade in einer Region an der „Peripherie“ der wirtschaftlichen Entwicklung, wo die soziale Absicherung der Arbeiterschaft ganz allgemein noch ziemlich desolat war.
„Jede von uns war glĂĽcklich, wenn sie in der ZigarrenÂfabrik untergekommen ist, und so einen guten ArbeitsÂplatz gibt man nicht so schnell wieder auf“, erzählt eine heute 86jährige, die, wie die meisten anderen auch, bis zu ihrer Pensionierung in der Fabrik geblieben ist. Trotz der zusätzlichen Belastungen in Haushalt und Familie. „Ich bin froh, dass ich immer arbeiten gegangen bin. Denn wenn man halt selber ‚einen Schilling’ hat, ist man unabhängiger. Man tut sich leichter, man kann sich besser rĂĽhren, man steht ganz anders auf den FĂĽĂźen, als wenn man nur auf den Schilling vom Mann angewiesen ist.“ Meist hatten deshalb schon ihre MĂĽtter und GroĂźmĂĽtter in der Fabrik gearbeitet und ganz gezielt versucht, immer auch möglichst viele andere weibliche Verwandte dort unterzubringen. „Meine Schwägerin hat immer gesagt: ‚Ich bring’ dich auch rein, in die Fabrik. Da verdienst du etwas. Als Zigarrenfabriklerin, da bist du wer.’“
Dieses Selbstbewusstsein bezog sich auch auf ihr Eingenbundensein in jeden solidarischen Zusammenhalt, der seit mehreren Generationen in der Fabrik gewachsen war: als bewusst gesetztes Gegengewicht zum unpersönlichen, konkurrenzhältigen, versachlichten Mit- und GegeneinÂnder, welches das Fabriksystem nahe legt. Und: als Abwehr gegen die porenlose Vereinnahmung ihrer Arbeitskraft unter den Bedingungen fremdbestimmter Akkordarbeit. 600 Zigarren pro Tag hatten sie herzustellen, meist noch in Handarbeit. Ein ĂĽber diese Mindestleistung hinausgehendes „Mehr“ an Zigarren hätte zusätzlichen Lohn gebracht. Nur: „Das hat keine getan, dass sie mehr abgegeben hat.“ Sehr bewusst haben sich die Arbeiterinnen dem individualisierenden Leistungs-Anreiz-System entzogen, wohl wissend, dass ein ständiges Ăśberschreiten der Akkordvorgaben sehr schnell eine – die Arbeitssituation allgemein verschärfende – Anhebung der „Normalleistungen“ nach sich gezogen hätte. Aber auch aus aktiver Solidarität mit leistungsschwächeren Arbeiterinnen wurde die zwingende Akkordlogik „Zigarre = Geld“ durchbrochen: „Wenn eine nicht gut beisammen war oder wenn sie ein seelisches Leid gehabt hat und mit der Arbeit nicht zusammengekommen ist, weil der Kopf oft ganz woanÂders war, dann ist es oft vorgekommen, dass ihr die andere aus ihrem Vorrat Zigarren geschenkt hat. Oder sie hat gesagt: ‚Geh her, ich dreh dir ein paar...’“
Hinter dem selbstbewussten, stolzen „Als Zigarrenfabriklerin, da bist du jemand...“ stand also auch dieses Netzwerk aus gegenseitigen Hilfestellungen und Rücksichtnahmen, aus heimlichen Versuchen, Aufseher und Fabriknormen gemeinsam zu überlisten, und offener gewerkschaftlicher Interessendurchsetzung: aus vielfältigen solidarischen Strategien also, Arbeitsbelastung subversiv zu unterlaufen. „Wir sind gern in die Zigarrenfabrik gegangen...“
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Interviews: Ingrid Bauer. Veröffentlicht in: Die ersten 100 Jahre Österreichische Sozialdemokratie 1888-1988, hrsg. v. H. Meimenn, Wien-München 1988, Fotos: Archiv d. Steinocher Fonds. Ingrid Bauer ist Professorin für Geschichte an der Universität Salzburg
erschienen in: Talktogether Nr. 2/2003
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