Kongo: Schreie nach Demokratie PDF Drucken E-Mail

Schreie nach Demokratie

Kongolesen demonstrieren fĂŒr Demokratie und Frieden in Salzburg

„Wir fragen: Welche demokratische Spielregeln praktiziert die EU in Afrika? Welche Rolle spielt die internationale Gemeinschaft? Gelten die demokratischen Regeln nur in Europa und Nordamerika?“ fragt eine aus dem Kongo stammende österreichische SchĂŒlerin in ihrer Rede. Sie beantwortet ihre Frage selbst und spricht dabei im Namen aller Kongolesen: “Wir Kongolesen sagen nein zur Korruption, zum Wahlbetrug, zur Gewalt und Vergewaltigungen, zu Kindersoldaten, zu Menschrechtverletzungen und zum Krieg, darum marschieren wir. Wir werden marschieren, bis die Wahrheit der Wahl triumphiert und wir werden siegen. Wir fordern die europĂ€ische Union auf, den Diktator Kabila zum Abdanken zu zwingen, demokratische Spieregeln im Kongo und in ganz Afrika zu akzeptieren und Etienne Tshisekedi als neuen PrĂ€sidenten anzuerkennen.“ “Kongo ist ausgeblutet werden, wir wollen, dass das aufhört! Wir wollen Demokratie!“ riefen die DemonstranInnen, nachdem die jung Frau ihre Rede beendet hatte.

Am 27.01.2012 demonstrierte eine Gruppe von ca. 30 Menschen aus dem Kongo und ein paar FreundInnen in Salzburg. Obwohl die Menge klein war, schaffte sie es, mit Trommeln und Singen auf sich aufmerksam zu machen. Von der beißenden KĂ€lte schienen die AfrikanerInnen sich nicht abhalten zu lassen, um gegen den Krieg, die Korruption und die Gewalt in ihrem Land lautstark zu protestieren. AuffĂ€llig waren die Gesichter mancher PassantInnen, auf deren GesichtszĂŒgen sich Verwunderung, Ärger und vielleicht auch ein bisschen Ängstlichkeit widerspiegelten. Vielleicht haben sich auch manche gefragt: Warum demonstrieren sie bei uns und nicht in ihrem Land? Doch fast jeder dieser Menschen, inklusive der DemonstrantInnen, hat ein Mobiltelefon in der Tasche, das ohne die im Kongo ausgebeuteten Mineralien nicht funktionieren wĂŒrde. Und damit die Konzerne keine Steuer zahlen mĂŒssen und die Kriegsherren von den Konzernen kassieren können, dauert die Gewalt an und die Menschen werden dagegen demonstrieren.

Hintergrund fĂŒr die weltweiten Proteste von KongolesInnen waren die massiven WahlfĂ€lschungen bei der Wahl im Dezember 2011. Eine UNO-Expertengruppe hat festgestellt, dass der Friedensprozess von ehemaligen „Rebellen“ sabotiert wird. International gesuchten Kriegsverbrechern wurden Posten in Regierung und Armee versprochen, wenn sie im Gegenzug die Wahl von Kabila unterstĂŒtzen. Es gibt zahlreiche Berichte, dass Rebellengruppen die WĂ€hler eingeschĂŒchtert und gezwungen haben, fĂŒr Kabila zu stimmen. Die Opposition ist aber entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen und mit allen friedlichen und legitimen Mitteln gegen die WahlfĂ€lscher zu kĂ€mpfen. Dabei werden sie von Kongolesen in der Diaspora unterstĂŒtzt.

Ein unsichtbarer Krieg?

Im Kongo herrscht seit 1996 Krieg. Mit an die vier Millionen Toten wird er als der tödlichste Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg angesehen. Vergewaltigungen von Frauen stehen an der Tagesordnung. Trotzdem gibt es in den Nachrichten nur selten Meldungen. Warum ist dieser Krieg den Medien keine Schlagzeile wert? Warum gibt es keinen internationalen Aufschrei wegen Menschenrechtsverletzungen und einer humanitĂ€ren Katastrophe? Wenn immer ĂŒber die BĂŒrgerkriege und die daraus resultierenden Probleme in Afrika gesprochen wird, fĂŒhren die Ursachen dieser Konflikt nach Europa und Nordamerika, jedoch gibt es auch hausgemachte Probleme. Aber nicht ethnische Konflikte, wie es oft dargestellt wird, sind der Hintergrund fĂŒr diesen andauernden Krieg, sondern die reichen BodenschĂ€tze des Landes: Coltan, Kobalt, Kupfer, Gold und Diamanten. Die Warlords haben ihre Soldaten in eine regelrechte Businessarmee verwandelt, die das Land systematisch ausbeuten und in Verbindung mit auslĂ€ndischen Unternehmen stehen. Die meisten dieser BodenschĂ€tze finden in High-Tech-Industrien Verwendung.

Sklavenhandel, Kolonialismus und UnabhÀngigkeit

Die Geschichte des Kongo steht stellvertretend fĂŒr die Geschichte des afrikanischen Kontinents. Nach ĂŒber drei Jahrhunderten Sklavenhandel erkundete Henry Morton Stanley im Auftrag des belgischen Königs Leopold II mit Hilfe des SklavenhĂ€ndlers Tippu Tipp das große Kongo-Becken. Auf der berĂŒchtigte Berliner Konferenz 1885, wo sich die europĂ€ischen KolonialmĂ€chte den afrikanischen Kontinent aufteilten, wurde das riesige Land König Leopolds als Privatbesitz zugesprochen, der dort ein Netzwerk von MilitĂ€rposten und Sklavenarbeitslagern installierte. Die BrutalitĂ€t in diesen Lagern gehört zu den grausamsten und schrecklichsten der ĂŒberlieferten Geschichte. Mit dem Gummi, Holz und Palmöl, die auf diese Weise aus dem Regenwald gesaugt wurden, bereicherten sich belgische und amerikanische Kapitalisten wie Guggenheim und Rockefeller.

Wenn wir ĂŒber Kolonialismus reden, meinen wir, dass ein Land ein anders Land ĂŒberfĂ€llt, die Bevölkerung unterwirft und die Verwaltung des Landes ĂŒbernimmt. Das alles ist in Afrika passiert. Als die Menschen aufstanden und Freiheit verlangten, ĂŒbergaben die Kolonialherren die Macht an ihre Kollaborateure. Was jedoch in Kongo passierte, war mehr als nur Kolonialismus, weil König Leopold das Land und dessen Bevölkerung als sein persönliches Eigentum betrachtete. Der König beute das Land brutal aus, machte er die Menschen zu Sklaven und ZwangsarbeiterInnen. Ein gesunder Mensch fragt sich, wie gierig ein Mensch sein muss, um solche AnsprĂŒche zu stellen.

Wie in ganz Afrika formierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Kongo eine UnabhĂ€ngigkeitsbewegung, die vom jungen Politiker Patrice Lumumba angefĂŒhrt wurde. Am 30. Juni 1960 wurde der Kongo von Belgien in die UnabhĂ€ngigkeit entlassen. Lumumba scheute sich nicht, in Anwesenheit des belgischen Königs die Kolonialpolitik anzuprangern und erklĂ€rte soziale Gerechtigkeit zum Ziel seiner Politik. „Wir werden Kongo zum Zentrum des strahlenden Glanzes der Sonne fĂŒr ganz Afrika machen. Wir werden die LĂ€ndereien unseres Landes im Auge behalten, um sicherzustellen, dass wirklich dessen Kinder davon profitieren.“ Doch schon ein paar Monate nach seinem Amtsantritt als Premierminister wurde Lumumba in einer tödlichen Intrige von Armee, Minengesellschaften und CIA gestĂŒrzt und am 15. JĂ€nner 1961 erschossen. Lumumba war erst 35 Jahre alt, als er starb. Kurz darauf erhob sich General Mobutu selbst zum PrĂ€sidenten, der Jahrzehnte lang die Bevölkerung brutal unterdrĂŒckte und sein Land Jahrzehnte lang gnadenlos ausbeutete.

“Ich war 1966 in Kongo und damals sah ich wie reich das Land ist. Ich dachte nie, dass Afrikaner aus Hungersnot nach Europa kommen werden. Diese LĂ€nder sind reich und die Bevölkerung ist arm, weil die Kolonie alles angeeinigt hatten“, erzĂ€hlt ein ehemaliger österreichischer SanitĂ€tssoldat, der im Auftrag der Uno im Kongo tĂ€tig war. „Manche Kongolese wollten uns umbringen, weil sie uns als Belgier gehalten hatten, aber die nigerianische Uno Soldaten haben uns gerettet.“ Dann lachte er und fĂŒgt hinzu, dass es schöne Zeit gewesen sei, und trotz aller Schwierigkeiten und Gewalt immer auch HumanitĂ€t zu spĂŒren war.

Seit der Kolonialisierung und der angeblichen „UnabhĂ€ngigkeit“ Afrikas leidet die afrikanische Bevölkerung unter Kriegen, wirtschaftlicher Fehlentwicklung und Perspektivlosigkeit. Waren es frĂŒher Sklavenhandel und Kolonialismus, sind es heute SchuldenrĂŒckzahlungen, ungerechte Handelsbedingungen und sog. „Strukturanpassungsprogramme“, die den Menschen in Afrika das Genick brechen. Die politische InstabilitĂ€t afrikanischer Staaten kommt wiederum den Unternehmen zugute, die mit den Rohstoffen Afrikas gute Profite machen. Die Probleme beschrĂ€nken sich jedoch nicht nur auf diesen Kontinent, sondern dehnen sich bis Europa und Nordamerika aus. Denn die Menschen fliehen vor Krieg und Armut in die Zentren des Wohlstands. Ob sie dort willkommen sind oder ob sie ihr Ziel lebendig erreichen, spielt dabei keine Rolle, denn die Menschen wollen in Sicherheit leben und einen Anteil am Reichtum haben, der ihre LĂ€nder tĂ€glich verlĂ€sst. Wir leben in einer Demokratie, hinter der sich Egoismus und Machtgier verbergen. Ohne Gewalt, und Diktatur und ohne das Monopol der Konzerne könnten alle Menschen auf dieser Erde vom Reichtum des Kongo und aller andere LĂ€nder profitieren.

von Abdullahi A. Osman

erschienen in Talktogether Nr. 39/2012

Brief von Lumumba
http://www.all4all.org/2004/04/758.shtml

Aus dem letzten erhaltenen Brief von Lumumba, das dieser kurz vor seiner Ermordung an seine Frau Paulie schrieb:

Ich schreibe diese Worte ohne zu wissen, ob sie dich erreichen werden, wann sie dich erreichen werden und ob ich noch am Leben sein werde, wenn du sie liest. In der ganzen Zeit meines Kampfes fĂŒr die UnabhĂ€ngigkeit meines Landes habe ich keinen Augenblick daran gezweifelt, dass unsere heilige Sache, der meine GefĂ€hrten und ich unser ganzes Leben geweiht haben, zuletzt triumphieren wird. Aber das, was wir fĂŒr unser Land wollten - das Recht auf ein ehrenhaftes Leben, unangetastete WĂŒrde, uneingeschrĂ€nkte UnabhĂ€ngigkeit - wollten der belgische Kolonialismus und seine westlichen Alliierten, die direkte und indirekte UnterstĂŒtzung, bewusst und unbewusst, bei hohen FunktionĂ€ren der Vereinten Nationen gefunden haben, jenem Organismus, auf den wir unser ganzes Vertrauen setzten, als wir um seine Hilfe baten, nie. Sie haben einige unserer Landsleute korrumpiert, andere gekauft und sie haben dazu beigetragen die Wahrheit zu verdrehen und unsere UnabhĂ€ngigkeit zu beflecken. ...

Ob tot, lebendig in Freiheit oder von den Kolonialisten ins GefĂ€ngnis geworfen, es geht nicht um meine Person. Es geht um den Kongo. Es geht um unser armes Volk, dessen UnabhĂ€ngigkeit man zu einem KĂ€fig gemacht hat, wo man uns von außen betrachtet ... Wir sind nicht allein. Afrika, Asien und alle freien und befreiten Völker in allen Winkeln der Welt finden sich immer an der Seite der Millionen Kongolesen, die den Kampf nicht aufgeben werden, bis zu dem Tag, wo es keine Kolonialisten und deren Söldner mehr in unserem Land geben wird.

Den Kindern, die ich verlasse und die ich vielleicht nicht mehr wiedersehen werde, möchte ich sagen, dass die Zukunft des Kongo schön ist und dass auf sie wie auf jeden Kongolesen die heilige Aufgabe wartet unsere UnabhĂ€ngigkeit und SouverĂ€nitĂ€t wiederherzustellen. Denn ohne Gerechtigkeit gibt es keine WĂŒrde und ohne UnabhĂ€ngigkeit gibt es keinen freien Menschen.

Eines Tages wird die Geschichte ihr Urteil sprechen. Aber es wird nicht die Geschichte sein, die man bei den Vereinten Nationen, in Washington, Paris oder BrĂŒssel lehren wird, sondern die, die man in den LĂ€ndern lehren wird, die vom Kolonialismus und seinen Marionetten befreit sind. Afrika wird seine eigene Geschichte schreiben. Und es wird, nördlich und sĂŒdlich der Sahara, eine Geschichte des Ruhmes und der WĂŒrde sein.
Weine nicht, meine GefĂ€hrtin. Ich weiß, dass mein Land, das so viel leidet, seine UnabhĂ€ngigkeit und seine Freiheit zu verteidigen wissen wird.

Es lebe der Kongo! Es lebe Afrika!