Â
Rassismus in Italien
von Helga Suleiman
Der extreme Rassismus in Italien ist ein Ausdruck der vielen Widersprüche, in denen das Land steckt. Am Beispiel Italiens zeigt sich deutlich, welchen Weg Politik und Mehrheitsgesellschaft in Westeuropa einschlagen, wenn die sozialen Verhältnisse prekärer werden, der Run um die Schlagkraft des Ellbogens sich vom Individuum auf sich stramm organisierende rechte Gruppen überträgt, denn „wenn die Zeiten schlechter werden, muss man zusammenrücken“.
Italien – im März letzten Jahres wurde das Jubiläum seiner 150-jährigen Staatsgründung begangen - ist selbst aus einem „Befreiungskampf“ mit antikolonialen Zügen hervorgegangen. Das Konstrukt der gemeinsamen Sprache half nur notdürftig, die Klüfte zwischen Nord und Süd zu überbrücken: erst der gemeinsame Feind im Krieg 1914-1918 schmiedete - über seine hunderttausenden Toten hinweg – eine Einheit.
Um innenpolitische Schwierigkeiten zu kanalisieren, die gekennzeichnet waren durch Massenarbeitslosigkeit und daraus folgende große Migrationswellen, den Bedarf an Rohstoffen für angehende Industrialisierung und dem Druck, sich im imperialen Mächtespiel zu bewähren, befeuerte die italienische Monarchie italienische Kolonialpolitik:
- Der Anspruch auf Tunesien – musste später trotz getaner Investitionen an Frankreich abgegeben werden - 1911 wurde dem Osmanischen Reich wegen seiner Provinzen Tripoletanien und Cyrenaica im heutigen Libyen der Krieg erklärt - Errichtung der Protektorate in Albanien (1917 bis 1920 und 1939 bis 1943) und Montenegro (1941 bis 1943) - Nach den Kriegen gegen Äthiopien (1887 bis 1941) besetzte Italien Teile des heutigen Somalias und Eritrea (ab 1870 bis 1941) - Einige Inseln in der Ägäis, der „Dodekanes“ und Rhodos galten ab 1912 als italienische Kolonien
Der Kolonialismus war das Mittel der Wahl, die unter den ökonomischen Spannungen auftretenden Brüche im Land zu kitten und das Land zu Gunsten aller die innerhalb und außerhalb - wie England und Frankreich- machtpolitisches Interesse daran hatten, in Form eines Nationalstaates zusammenzubinden. Der italienische Faschismus schickte die damals größte europäische Streitmacht mit 417.000 Soldaten nach Eritrea und Somalia, um Mussolinis Traum „von einem einzigen italienischen Reich diesseits und jenseits des Mittelmeeres“ zu realisieren, dem „neuen römischen Imperium“.
Der Journalist Angelo de Boca analysiert dazu: "Mussolini war ein kleines Kind, als es 1896 zur Niederlage von Adua kam. Aus Familienerzählungen wusste er von der Trauer über die Toten, 5.500 Soldaten. Und von dem Gefühl der Schmach für Italien, das als bis dahin einziges europäisches Land von Afrikanern besiegt worden war. Er wollte unter allen Umständen ein zweites Adua verhindern. Deshalb hat er dieses viel zu große Heer auf die Beine gestellt. Man hätte auch mit der Hälfte oder sogar weniger das Land besetzen können. Und dann kam der Gaseinsatz dazu."
Sein autobiographischer Bericht liefert erhellende Einsichten in die Umsetzung der kolonialistischen Popaganda durch die italienische Straße: "Damals gab es ja noch kein Fernsehen, und für uns war das Radio alles. Ich erinnere mich noch gut an den 5. und auch an den 9. Mai, zwei außergewöhnliche Tage. Ich hörte das im Radio und konnte leider damals noch nicht die Falschheit begreifen, in der wir lebten. Man muss auch sagen, in jenen Tagen, am 5. und am 9. Mai, stand Italien hinter Mussolini, aus vollem Herzen und mit Bewunderung. (…) In jenen Tagen habe ich Haile Selassie verbrannt. Wir hatten eine Strohpuppe auf einer Art Trage gebastelt. Da waren auch Erwachsene dabei, aber wir Kinder, ich war damals zehn Jahre alt, sollten die Puppe anstecken…“
De Boca über die Kriegsführung: Der starke antikoloniale Widerstand der ÄthiopierInnen machte den italienischen Truppen schwer zu schaffen und wurde brutal niedergeschlagen. Zehntausende Menschen kamen bei diesen Senfgasangriffen ums Leben.Ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes: "Überall, unter allen Bäumen, liegen Menschen. Zu Tausenden liegen sie da. Ich trete näher, erschüttert. An ihren Füßen, an ihren abgezehrten Gliedern sehe ich grauenhafte, blutende Brandwunden. Das Leben entflieht schon aus ihren von Senfgas verseuchten Leibern."
Die Unmöglichkeit den Widerstand der Bevölkerung zu brechen und das Ende des Weltkriegs erzwang den Abzug der italienischen Truppen, letztendlich aus allen geraubten Gebieten. Der antifaschistische Widerstand gegen die deutschen Truppen passte ins Bild, das sich das postfaschistische Italien geben wollte. Die Kolonialgeschichte wurde nicht aufgearbeitet; der gleichsam nahtlose Übergang in die neokoloniale Epoche unter dem Nato-Schirm war getan. Die Nato überzog Italien mit einem Netz an unzähligen militärischen Einrichtungen und kein Einsatz, in dem nicht italienische Basen in irgendeiner Form miteinbezogen waren: In den Irak-Kriegen und – wen wundert es – in den neualten Kolonien Kosovo und Somalia - unter Verdacht der Kriegsführung mit abgereichertem Uran. Zuletzt Libyen: für Angriffe stellte Italien Militärbasen und Späh-Flugzeuge zur Verfügung, danach Flieger vor Ort für „gezielte Einsätze“. Verteidigungsminister Ignazio La Russa: Es werde sich jedoch „nicht um wahllose Bombardierungen handeln, sondern um gezielte Missionen mit Präzisionsbomben auf ausgewählte Objekte“. Die Formulierung spricht für sich. Tausende Tote LibyerInnen klagen an.
In der Nachkriegszeit wurde das Land von einer Klientel regiert, die in einem Netzwerk klerikal-faschistischer und mafiöser Strukturen agierte. Das miracolo economico nutzte dem Norden und der Mitte Italiens. Süditalien diente als Arbeitskräftereservoir für den Norden Europas. SüditalienerInnen, die ihre Familien nicht ausreichend ernähren konnten, mussten auswandern, um das Wirtschaftswachstum in Deutschland, Schweiz, Belgien und Frankreich zu erarbeiten. In den darauf folgenden Jahren verschlechterte sich die ökonomische Situation rapide. Der starke Widerstand von Arbeite-rInnen, linken Kräften, Gewerkschaften, Parteien, der damit einhergehende Internationalismus und eine Friedensbewegung, die den Ausstieg aus der Nato und deren Abzug aus Italien forderte, versetzte die Geheimdienste des Westens in Panik. Sie verpassten der Zivilbevölkerung tödliche Elektroschocks, mittels „Strategie der Spannung“. Eine Unter-suchungskommission stellte zu verschiedenen Bombenanschlägen im Italien der 90iger Jahre fest: „Diese Massaker wurden organisiert oder unterstützt von Personen in Institutionen des italienischen Staates und von Männern, die mit dem amerikanischen Geheimdienst in Verbindung standen.“
Rechtsextreme Gruppierungen wie „ordine nuovo“ waren damals Ausführende der Attentate, die Linken in die Schuhe geschoben werden sollten. Andreotti, damaliger Ministerpräsident, veröffentlichte die Tatsache, dass solcherlei Einheiten in allen westeuropäischen Ländern existierten. Dabei wäre gerne auf ehemalige SS-Angehörige zurückgegriffen worden. Es gibt allen Grund zur Annahme, dass die blutige Spur der Allianzen westlicher Geheimdienste mit rechtsextremen Kräften sich bis in die Gegenwart zieht.
Berlusconi himself war es schließlich, der einer sich mehr und mehr formierenden revisionistischen Geschichtsdeutung zum Durchbruch verhalf: Duce-Verehrung durch Strassenbenennungen und Filmpropaganda brachten ein Bild des „guten Faschisten“ voran, der Italien seiner Größe und Nationalstolz versicherte. Die dem Antifaschismus verpflichtete Verfassung von 1948 war für Berlusconi kein Hindernis, eine Tourismusministerin zu protegieren, die mit Faschistengruß vor Carabinieris salutierte. Ihn, der sich selbst als „Duce, Duce“ bejubeln lies. Eine Arte Dokumentation entlarvte Berlusconi als Mitglied der P2, jener Geheimorgansiation mit der die Extreme Rechte den italienischen Staat seit den 70iger Jahren unterwanderte.
Seine Handlungen entsprechen dem stramm rechten Jargon: Sofort nach Amtsantritt verschärfte er die Gesetze gegen EinwanderInnen, 2008 rief er einen landesweiten Notstand aus wegen der der „anhaltenden illegalen Einwanderung“. 2008 beschloss das italienische Parlament auf Antrag der rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord die Einführung von separaten Schulklassen für MigrantInnenkinder. In einem Statement zum 11. September erklärte er die muslimische Welt als „zurückgeblieben“, hingegen würden die Werte der westlichen Gesellschaft nicht zu jenen anderer Zivilisationen passen, wie „islamischen und kommunistischen Vorstellungen“. Antiislamische Motive ziehen sich durch jeden Wahlkampf, durch das ganze Land. JournalistInnen, bepackt mit Oriana Fallaci-Theorien bereiten das Terrain vor, die Parteien setzen durch Sprüche à la FPÖ und SVP um.
Auf den Feldern der italienischen Agrokonzerne sind EinwanderInnen aus Marokko und Nordafrika willkommen, um unter sklavenähnlichen Bedingungen zu Hungerlöhnen zu arbeiten. Früchte, die wir „so günstig“ bei Hofer, Lidl und co kaufen sind von ihnen geerntet. 2010 erfolgte eine Hetze auf MigrantInnen in Kalabrien, ähnlich jener im spanischen Huelva. MigrantInnen hatten gegen ihre Arbeitsbedingen, ständige Misshandlungen und Diskriminierungen protestiert. Spezialeinheiten setzten Tränengas ein. Einheimische schossen den ArbeiterInnen in die Beine und prügelten darauf los. Aus einem in der Stadt kreisenden Lautsprecherwagen wurde verkündet: "Jeder Schwarze, der sich in Rosarno versteckt, soll abhauen. Wenn wir euch kriegen, töten wir euch!"
Das Leben für MigrantInnen, MuslimInnen, Roma, Sinti und andere Minderheiten ist gefährlich. Die kürzlichen Ausschreitungen, bei denen ItalienerInnen auf Grund einer erlogenen Vergewaltigung ein Roma-Lager in Flammen setzten und die Ermordung zweier Senegalesen im Stadtzentrum von Florenz sind nur einige weitere Grausigkeiten im italienischen Tagesgeschehen. Dieser Rassimus hat Geschichte und System.
Es scheint, dass die „Strategie der Spannung“ in Italien gegenwärtig ist. Wie am Fließband werden über gleichgeschaltete Medien Sündenböcke für den verheerenden Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und Armut präsentiert: Für die ItalienerInnen im Norden soll es der Süden sein, für alle zusammen die MigrantInnen, Minderheiten und „der Islam“. Sogar „der Feind Kommunismus“ wird noch immer aus dem Säckel der Geschichte herausbeschworen.
Die wirtschaftliche Situation für die größten Teile der Bevölkerung ist miserabel. Dennoch gibt es genug Geld für PolitikerInnen-Gehälter und Pensionen, Abfertigungen und Profite für Industrielle, für das Militär und den Ausbau einer Nato-Struktur, die das Land besetzt hält. Es gibt auch genug Geld für „Auslandseinsätze“: Irak, Ruanda, Albanien, Kosovo, Afghanistan… bei jeder kolonialen Aktion ist das Land zu Gange.
Kein Wunder also: Der permanente Kriegszustand will legitimiert werden. Am Besten durch die bewährte 3er-Strategie: erstens, den im Äußeren zum Feind Deklarierten im eigenen Land ausmachen: MuslimInnen, MigrantInnen; zweitens, Interessensgegensätze von Gruppen erfinden, fördern, polarisieren: Nord/Süd, InländerInnen/AusländerInnen; drittens, Angst und Schrecken verbreiten und die Opposition einschüchtern, um ein möglichst autoritäres Regime implantieren (Demokratie ist da kein Widerspruch dazu!), mit dem Ziel die Macht jener zu stärken und ihre Interessen zu wahren, die davon profitieren und reich werden: Günstlinge des neoliberalen Imperialismus mit faschistischem Ideologiereservoir.
erschienen in Talktogether Nr. 39/2012
|