Das Erbe der Gewalt
Die unversöhnlichen StÀmme in der Stadt Nabadsuge
von Abdullahi A. Osman
Es war einmal ein Land, das hieĂ Nabad-suge, was so viel heiĂt, wie auf Frieden warten. In diesem Land lebten verfeindete StĂ€mme. Obwohl ihre Kultur, ihre Sprache und Religion sehr Ă€hnlich waren, ging die Feindschaft so tief, dass sich die Gewalt von einer Generation auf die nĂ€chste ĂŒbertrug und immer schlimmer und schlimmer wurde. Die angrenzenden NachbarlĂ€nder hielten entweder zur einen Seite oder zur anderen. Es gab weder eine objektive Haltung, noch eine neutrale Schlichtung des Streits. Sie wagten es nicht, die Probleme neutral zu betrachten, sie zu entschĂ€rfen oder sich davon zu distanzieren, sondern unterstĂŒtzten die Gewalt, indem sie beide Seiten einmal mehr oder weniger kriegerisch unterstĂŒtzten.
Eines Tages kaufte sich ein Angehöriger einer der verfeindeten StĂ€mme mit Hilfe von drauĂen einen Hund. Dieser Hund war ein Kampfhund, vor dem alle seine Nachbarn groĂe Angst hatten. Er bellte so laut, dass er mit seinem Gebell jede Nacht die Kinder weckte und auch die Erwachsenen der Nachbarschaft beim Schlafen störte. Weil er so ein hĂ€ssliches Gesicht hatte, bekam jeder Mensch, der sein Gesicht sah, sofort Angst. Der Besitzer dieses Hundes hieĂ Herr M. Wenn Herr M. mit seinem Hund in der Stadt spazieren ging und bemerkte, wie die Leute sich von seinem Hund fĂŒrchteten, zeigte er Stolz und war zufrieden. DafĂŒr liebte er seinen Hund. Als der Hund eines Tages ein Kind tötete und dessen Mutter tödlich verletzte, bekam die Nachbarschaft noch mehr Angst, aber keiner traute sich etwas zu sagen. Ein anderes Mal jagte der Sohn des Hundbesitzers den Hund durch die Nachbarschaft, so dass sich die Leute weder in die Arbeit noch die Kinder in die Schule trauten und fast alle StraĂen der Stadt leer blieben. Wenn seine Frau einkaufen oder mit Kindern hinaus gehen wollte, musste sie vom Hund begleitet werden. Keiner von seiner Familie konnte mehr ohne Begleitung des Hundes das Haus verlassen.
Doch seine Frau und ein Teil seiner Kinder verabscheuten das schreckliche Verhalten des Mannes, weil sie wussten, dass sie dadurch von allen gehasst wurden, und weil sie wussten, dass die Familie wegen des Hundes in der gesamten Umgebung unbeliebt war. âAber warum hassen sie uns alle? Warum können wir nicht wie andere ohne diesen Hund auf den Spielplatz gehen?â fragte sein jĂŒngstes Kind. Darauf antwortete der Mann: âOhne unseren Hund sind wir geliefert, weil uns die anderen alle hassen.â Seine Frau, die vom Anfang an gegen diesen Hund gewesen war, meinte: âVielleicht können wir mit unseren Nachbarn reden und uns mit ihnen versöhnen. Wenn wir in Frieden mit anderen leben wollen, mĂŒssen wir den Hund einzuschlĂ€fernâ, schlug sie vor. Herr M. war empört und lehnte den Vorschlag seiner Frau kategorisch ab mit dem Argument: âWir mĂŒssen uns verteidigenâ. Er bekam sogar UnterstĂŒtzung von einem Teil seiner Kinder und von anderen Menschen, die weit, weit weg lebten und das Problem nur aus dem Fernsehen und aus den Zeitungen kannten, aber nie selber davon betroffen waren. Diese weit weg lebenden Menschen versprachen dem Mann und seinen Kinder sogar, das Futter des Hundes gratis zu liefern, und falls der Hund krank sein sollte, dann wĂŒrden sie sofort einen Tierarzt schicken, er mĂŒsse sich nur rechtzeitig melden. Aber warum machten sie das, warum halfen sie dem Mann mit dem bissigen Hund?
Die Angst und die Machtlosigkeit der Nachbarn erzeugten jedoch immer mehr Hass gegen den Hundbesitzer und seine gesamte Familie. Die Nachbarn versuchten den Hund und seinen Besitzer mit Steinen zu vertreiben, aber je mehr Steine sie nach ihm warfen, desto wĂŒtender wurde Herr M. und desto öfter hetzte er den Hund auf sie. Die Stadt und die gesamte Umgebung waren dadurch zu einem Kriegsgebiet geworden und selbst der Ă€lteste Mann, der dort lebte, konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal ohne Angst auf die StraĂe gegangen war, und wann er das letzte Mal einen Tag ohne Sorge um das Leben seiner Kinder und Enkelkinder erlebt hatte. Wenn jemand ihn ĂŒber seine Erfahrungen mit dem Krieg fragte, sagte er:âGewalt gebiert Gewaltâ. Als der Hundbesitzer das hörte, bedrohte er den alten Mann und verurteilte ihn als VerrĂ€ter. Der gröĂte Teil der Bevölkerung wollte aber endlich in Frieden leben. Eine Nachbarin, die ĂŒber 40 Jahre alt war, klagte: âIch habe nie einen friedlichen Tag in unserer Stadt gesehen und meine Kinder auch nicht! Ich wĂŒnschte mir, dass wenigstens meine Enkelkinder den Frieden erleben werdenâ.
Nach vielen Jahren kaufte sich jedoch ein Mann, der im anderen Teil der Stadt wohnte, heimlich einen Hund. Der Hund war ebenso so gefĂ€hrlich und hĂ€sslich wie der vom Herrn M. Als Herr M. das hörte, war er auĂer sich und schrie als erster, so laut, dass alle Nachbarn aufwachten und sich fragten, was passiert sei. Seine Frau fragte ihn, warum er so laut schreien musste. âHast du nicht gehört, dass der VerrĂŒckte, der dort drĂŒben wohnt, einen Hund gekauft hat? Einen Hund, der unsere Kinder fressen könnte! Einen Hund, der so laut ist, dass unsere Kinder nicht mehr schlafen können! Einen Hund, der so gefĂ€hrlich ist, dass wir keines unserer Kinder mehr auf den Spielplatz schicken können! Hast du das nicht gehört?â Seine Frau antwortete ganze leise und vorsichtig: âNein, aber ist der Hund gröĂer als unserer? Ist sein Hund gefĂ€hrlicher als unser Moppi?â âDas kannst du nicht vergleichen, denn sein Hund ist gefĂ€hrlich und der Mann ist geisteskrank, daher kann er die Verantwortung fĂŒr seinen Hundes nicht ĂŒbernehmenâ, erwiderte Herr M. âAber unser Moppi hat ein Kind und seine Mutter getötet. Ist er nicht gefĂ€hrlich genug?â Da wurde der Mann wĂŒtend und fragte: âAuf welcher Seite stehst du ĂŒberhaupt?â Und er drohte, dass er sofort seine Freunde, die da drauĂen wohnten, anrufen und einen noch gefĂ€hrlichen Hund als Moppi bestellen wĂŒrde.
Manche in der Nachbarschaft jubelten, als sie erfuhren, dass nun auch einer ihrer Nachbarn einen Hund besaĂ. Sie sagten, âwir haben wir nichts zu verlierenâ, und stĂ€rkten dem neuen Hundebesitzer den RĂŒcken. Sie meinten, âHerr M. muss jetzt spĂŒren, was wir bis jetzt durch gemacht haben!â Andere aber waren dagegen und meinten: âEin gefĂ€hrlicher Hund ist schlimm genug und einen anderen können wir nicht brauchen.â Der dritte Teil war auf der Seite von Herr M. und sagte: âNur Herr M darf einen Hund besitzen und kein andererâ. So war die Bevölkerung des Landes in drei Teile gespalten.
Die Hundgegner fanden, dass die Bewohner dieser Stadt das Recht hĂ€tten, ohne Kampfhunde zu leben. Damit der Frieden endlich kommen könne, organisierten sie eine Demonstration und verlangten von den zwei Hundbesitzern, ihre Hunde einzuschlĂ€fern. Sie schrien: âWir wollen keinen Krieg! Wir brauchen keine Kampfhunde! Wir brauchen Friedenâ Am Tag, an dem die Hundegegner und -gegnerinnen demonstrierten, kam ein Reisender, der sich immer fĂŒr die Sprache und die Kultur des Landes begeistert hatte, und hörte zu, was sie riefen. Er sah ein Kind, das ein Plakat trug, auf dem stand: âGenug ist genug! Vom Hass haben wir genug! Genug ist genug! Von Hunden haben wir genug. Genug ist genug, und vom Krieg haben wir genug!â
Als der Reisende die Worte auf dem Plakat las und spĂŒrte, wie sich alle Kinder, Jugendlichen, Frauen und MĂ€nner nach Frieden sehnten, sprach er: â Ich bin hier her gekommen, weil ich mich fĂŒr eure Kultur begeistere. Ich bin hier her gekommen, weil ich ein Freund der Völker dieses Landes bin. Weil ich ein Freund von Stamm A und ein Freund von Stamm B bin. Weil ich mir wĂŒnsche, dass die Frauen und MĂ€nner in diesem Land in Frieden leben können, dass ihre Kinder ohne Angst spielen können und die gesamte Bevölkerung ohne Angst ins Bett gehen und wieder auf stehen kann. Deshalb sollten die Hunde eingeschlĂ€fert werdenâ. Alle jubelten und riefen: âJa, die Hunde mĂŒssen eingeschlĂ€fert werden!â Es kamen sogar Leute auf die Demonstration, die sich vorher nicht getraut hatten. Kurz darauf kam Herr M. mit seinem Hund. Alle Demonstranten liefen weg, nur der Reisende blieb. Herr M. schrie ihn an: âWie können Sie es wagen zu fordern, dass mein Hund eingeschlĂ€fert werden soll? Verlassen Sie mein Land und kommen Sie nie wieder hier her.â Der zweite Hundebesitzer schwieg immer noch. Plötzlich tauchte der Ă€lteste Mann von Nabad-Suge auf und sagte: âIrgendwer musste sagen, was gesagt werden muss.â
Stiftet Frieden und nicht Gewalt
Die Völker brauchen Ruhe, ihr macht Krach und LĂ€rm mit euren Panzern und Flugzeugen. Die Völker warten auf Wasser und Nahrung, und ihr produziert Raketen und Atombomben. Die Völker wollen GemĂŒse und Getreide anbauen und in Frieden ernten. Doch sie können keine BĂ€ume mehr pflanzen, denn ihr macht ĂŒberall ZĂ€une und GrĂ€ber und errichtet Friedhöfe auf dem ganzen Land. SchĂ€mt euch und hört die Stimmen der Völker! Stiftet Frieden und nicht mehr Gewalt! Die Völker wollen Frieden, doch ihr schĂŒrt Krieg. Eure Kinder sind geschĂŒtzt, gehen in die Schule und versĂ€umen keine Unterrichtsstunde, wĂ€hrend die Kinder der anderen durch eure Soldaten und eure Befehle ihre Eltern verloren haben und Waisenkinder oder selbst Opfer geworden sind. Statt in Schulen und KrankenhĂ€user investiert ihr in Waffen und ins MilitĂ€r. Die jungen Leute erben und ernten das, was ihr sĂ€t, denn sie kennen keinen Frieden. SchĂ€mt euch und hört die Stimmen der Völker! Stiftet Frieden und nicht mehr Gewalt! Die Völker schreien nach Frieden und Freiheit, aber ihr wollt töten und Blut vergieĂen und seid machtgierig und stur Eure Verbrechen sind unmessbar und reichen euch bis zum Hals, doch ihr wollt in eure Verbrechen die Völker mit einbeziehen und nehmt sie damit als Geisel. SchĂ€mt euch und hört die Stimmen der Völker! Stiftet Frieden und nicht mehr Gewalt!
veröffentlicht in Talktogether Nr. 40/2012
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