Gespräch mit Ferhad, Johannes,
Saied und Wolfgang
Verein Synbiose – zusammen leben in Salzburg
Wolfgang, wie hast du Saied und Ferhad kennengelernt und wie ist der Verein Synbiose entstanden?
Wolfgang: Ich habe im Rahmen eines „Deutsch-als-Fremdsprache“-Praktikums an der Universität Deutschunterricht gegeben, dort habe ich Saied, Ferhad und ein paar andere Asylwerber und Asylwerberinnen kennengelernt. Ich habe noch nie zuvor so motivierte Deutschschüler gehabt! Es hat mich beeindruckt, dass diese Menschen trotz des lange Wartens und der Unsicherheit nicht den Mut verlieren. Deshalb habe ich nach Beendigung des Praktikums ein paar Freunde und Freundinnen gefragt, ob sie Lust haben, mit den Deutschkursen weiterzumachen. Daraus ist der Verein Synbiose entstanden. Später ist Katrin Reiter dazu gekommen, die zusätzlich zu den Deutschkursen ein Freizeitprogramm organisiert hat. Mit der Zeit entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen uns. Nun sitzen wir hier und hoffen, dass einer unserer besten Schüler, unserer Freund Saied aus Afghanistan, in Österreich bleiben darf.
Saied: Ich bin damals, als Wolfgang mein Deutschlehrer wurde, gerade erst nach Österreich gekommen. Hier so schnell gute Freunde zu finden, hat mich ermutigt, die Sprache zu lernen und zu versuchen, mich in die Gesellschaft zu integrieren.
Johannes, wie bist du zum Verein gekommen?
Johannes: Als das Semester vorbei war, wäre es mit dem Deutschunterricht vorbei gewesen. Deshalb hat Wolfgang ein paar Studienkollegen gefragt, ob wir den Deutschunterricht fortführen wollen. Ich habe sofort zugestimmt. Nachdem Wolfgang dann für ein Jahr nach Amerika gegangen ist, habe ich die Funktion als Vereinsobmann übernommen. Von Anfang an bis heute war es unser Konzept, regelmäßig zwei mal in der Woche, jeden Montag und Freitag, Deutschunterricht anzubieten für Leute, die sonst keine Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen, vor allem für Asylwerber und Asylwerberinnen. Dazu gibt es einmal in der Woche eine soziale Aktivität. Früher waren das vor allem Exkursionen – wir haben zum Beispiel eine Almkanalwanderung gemacht –, inzwischen ist das Theaterprojekt unsere Hauptaktivität geworden.
Ferhad, wann hast du Saied kennengelernt?
Ferhad: Ich habe Saied 2010 im Caritas Flüchtlingshaus kennengelernt, und wir haben uns angefreundet. Wir haben dann gemeinsam am Deutschkurs mit Wolfgang teilgenommen. Deutsch zu lernen hat mir sehr geholfen, dadurch finde ich mich besser zurecht und kann mehr unternehmen. Zusammen mit Saied habe ich an Theaterprojekten teilgenommen, zum Beispiel haben wir bei „Dalli-Dalli-Schweißfabrik“ mitgespielt. Außerdem moderieren wir gemeinsam eine Radiosendung. Diese Aktivitäten sind für uns sehr wichtig, denn als Asylwerber darf man nicht arbeiten und hat den ganzen Tag keine Beschäftigung. Wolfgang und seine FreundInnen waren jedoch nie nur Lehrer oder Lehrerinnen, sondern vielmehr wie eine Familie für uns. Jetzt lebe ich nicht mehr im Flüchtlingshaus sondern in einer Privatunterkunft. Aber ich kann nicht leben wir ich es gerne möchte und habe mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass ich es mit der Unterstützung von meinen Freunden und Freundinnen schaffen kann, mir hier eine Zukunft aufzubauen.
Saied, dein Asylantrag wurde abgelehnt, und du bist jetzt von Ausweisung bedroht. Was würde dich im Falle einer Abschiebung in Afghanistan erwarten?
Saied: Das ist für mich unvorstellbar! Wenn ich nach Afghanistan zurück muss, besteht die Gefahr, dass ich mein Leben verliere. Ganz sicher aber verliere ich meine Freiheit. Ich habe auch niemanden mehr in Afghanistan, weil meine Eltern und Geschwister dort nicht mehr leben. Ich bin aus meinem Land geflüchtet, weil ich in Gefahr war. Diese Gefahr ist noch nicht vorüber. In Afghanistan gibt es keinen Frieden und keine Sicherheit. Die Stadt, aus der ich stamme, und die ganze Region werden von den Taliban kontrolliert. Nichts passiert ohne ihre Einwilligung. Meine Familie ist schiitisch, die Taliban aber sind Sunniten. Die Taliban versprechen jedem, der einen Amerikaner tötet, ins Paradies zu kommen. Genau dasselbe sagen sie über Schiiten.
Johannes: Die Lage ist paradox. Die Begründung des Asylgerichtshofes für die Ablehnung von Saieds Asylantrag war, dass Saied in Kabul wohnen könnte, weil es dort wegen der Nato sicherer sei. Gleichzeitig weiß man aber, dass Afghanistan gefährlich ist, und niemand darf gegen seinen Willen dorthin abgeschoben werden. De facto werden die Leute aber gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie freiwillig ausreisen, weil sie sonst jede Unterstützung verlieren und sich quasi illegal in Österreich aufhalten und somit jederzeit verhaftet werden können.
Wie ist die politische Lage in Afghanistan heute?
Ferhad: Die Politiker denken nur daran, ihre eigenen Taschen zu füllen, ob das Volk zu essen hat, kümmert sie nicht. Heute zum Beispiel gab es einen Anschlag mit 42 Toten. Solche Vorfälle gibt es fast jeden Tag.Â
Wolfgang, du kennst Saied seit zwei Jahren. Siehst du ihn als jemanden, der entschlossen ist, sich anzustrengen, um hier Fuß zu fassen?
Wolfgang: Zuerst möchte ich betonen, dass niemand einfach sein Land verlässt, wenn er dort nicht schwerwiegende Probleme hat. Wenn Saied die Möglichkeit hätte, könnte er viel Positives für die Gesellschaft beitragen. Das tut er ja jetzt schon, als Schauspieler und Künstler, als Mensch und Freund. Er ist sehr motiviert, er geht in die Schule, er möchte arbeiten, nur die Gesetze hindern ihn daran.
Wie viele Mitglieder hat der Verein Synbiose?
Johannes: Es gibt eine Kerngruppe von zehn Leuten, mit dem Deutschkurs und der Theatergruppe kommen wir auf ungefähr 25 Personen, das variiert, je nachdem, wie groß die Deutschkursgruppe ist. Das Ziel ist es, mit den Asylwerbern und Asylwerberinnen auf einer Ebene zu arbeiten und zu leben, die über ein Lehrer-Schüler-Verhältnis hinaus geht. Ferhad und Saied spielen dabei im Verein eine sehr wichtige Rolle. Mit ihrer offenen und warmherzigen Persönlichkeit motivieren und unterstützen sie andere Schüler und Schülerinnen, womit sie die Gruppe stabilisieren. Das hat dazu geführt, dass das Klima in der Gruppe sehr gut ist und sich eine positive Dynamik entwickeln konnte.
Es gibt Leute, die der Meinung sind, dass Asylsuchende nur deshalb hier sind, um die Vorteile, die sie hier haben, auszunützen. Was sagst du dazu?
Johannes: Die Situation von AsylwerberInnen ist einerseits deshalb so schwierig, weil das Asylwesen in Österreich ein Thema ist, an dem gesamtgesellschaftlich kaum Interesse besteht, und dementsprechend sind auch nur sehr wenig Menschen tatsächlich darüber informiert. Sämtliche Informationen erfolgen beinahe ausschließlich durch extrem negative Medienmeldungen. Andererseits ist es ein hochpolitisches Thema, mit dem einzelne Parteien gezielt Wahlwerbung machen. Das ist die denkbar ungünstigste Kombination. Zu behaupten, dass jemand freiwillig aus seinem Land mit einer Schlepperbande ins Ungewisse fährt und sein Leben riskiert, nur weil irgendwo die Sozialleistungen besser sind, ist ein unreflektiertes Vorurteil.
Ihr habt aktuell eine große Kampagne für Saied gestartet und es auch geschafft, viele Leute zu mobilisieren. Kannst du uns darüber etwas erzählen?
Johannes: Die Kampagne heißt „zusammenLEBEN. 10.000 FreundInnen für Saied“. Weil es in Österreich keine Rechtsmittel mehr gibt, ist das für uns der letzte Weg, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir haben eine Online-Petition gestartet und eine Presseaussendung gemacht, worauf die Resonanz erstaunlich gut war, mehrere Medien haben sich gemeldet. Wir waren im Radio und einige Zeitungen haben über unsere Kampagne berichtet. Man merkt, dass es ein sehr brisantes politisches Thema ist. In der letzten Zeit gab es ja leider mehrere Fälle, wo Menschen, die sehr gut integriert waren, vom einen auf den anderen Tag abgeschoben wurden, obwohl sich so viele für sie eingesetzt haben. Hier tritt offen zutage, dass es hier im Staat einen massiven Missstand gibt.
Ferhad, wie ist deine Situation?
Ferhad: Ich warte noch auf die Entscheidung über meinen Asylantrag und darf leider nicht arbeiten. Nach dem Deutschkurs bei Synbiose habe ich an der Volkshochschule die A-1 Prüfung absolviert. Ich würde gerne noch weiter lernen, doch weil ich keinen positiven Asylbescheid habe, müsste ich die Kursgebühren selbst bezahlen. Diese sind aber sehr hoch und als Asylwerber habe ich kein Einkommen. Deshalb versuche ich, allein zu Hause zu lernen. Außerdem mache ich mit Saied die Radiosendung „Freundschaftsbaum“. Das Programm ist auf Dari und Deutsch gestaltet, wir laden Freunde und Freundinnen ein, mit denen wir über verschiedene Themen diskutieren, vor allem über die Kulturen in Österreich und Afghanistan, wir stellen Musik aus unserer Heimat vor, trommeln und singen afghanische Lieder.
Möchtet ihr den Talk-Together-LeserInnen noch etwas mitteilen?
Saied: In Afghanistan gibt es keine Freiheit. Ich könnte mich nicht kleiden, wie es mir gefällt, ich könnte beispielsweise keine Kette oder keinen Ohrring tragen. Natürlich würde ich gern mit meinem Vater, meiner Mutter und meinen Geschwistern zusammenleben, das wünscht sich doch jeder. Leider habe ich das alles verloren. Seit elf Jahren sind Truppen aus 50 Ländern in Afghanistan stationiert, aber die Lage ist heute schlimmer als vorher. Damals gab es zumindest keine Bombenattentäter und keine Organhändler-Mafia.
Ferhad: Alle, die das hier lesen, sollten wissen, dass wir unser Land und unsere Familien nicht aus Abenteuerlust verlassen haben, sondern weil unser Leben bedroht war, und dass wir hier bleiben, unseren Beitrag leisten und gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft werden möchten.
zur Petition 10.000 Freundinnen für Saied
veröffentlicht in Talktogether Nr. 41/2012
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