Einmal Ghana und zurück PDF Drucken E-Mail

Einmal Ghana und zurück.

Von interkulturellen Fettnäpfchen und dem Leben in einem Dagomba Dorf

von Simone Grosser

„Give her the food first, she is my wife“, meinte einer der beiden Busfahrer im Restaurant am Meer, weil er wusste, dass ich schon sehr hungrig war. Das hat mich zwar einerseits gefreut, andererseits aber in mir die Alarmglocken klingeln lassen, ob sich da wohl nicht falsche Hoffnungen aufbauen. Meine Strategie dagegen war, mich zurückzuziehen, im Bus wieder hinten zu sitzen und dadurch weitere vermutlich interessante Gespräche über das Alltagsleben und die Dagomba Kultur zu verpassen. Eine Woche später dann das große Aha-Erlebnis: In Ghana werden Beziehungen gerne über Verwandtschaftsbezeichnungen konstruiert. So ist es keineswegs ungewöhnlich, als „wife“, „sister“ oder „brother“ angesprochen zu werden, wenn Menschen miteinander in Kontakt treten wollen. Ein klassisch interkulturelles Missverständnis, denke ich mir. Eines von mehreren, so wie es sich für eine vierwöchige Reise durch Ghana gehört. Schließlich fuhren wir auch hin, um eine andere Kultur und Lebensweise zu erfahren, unseren eigenen Verhaltensformen den Spiegel vorgesetzt zu bekommen und erstmal grundlegend verwirrt zu werden, weil so viel Neues einfach nicht so rasch aufgenommen und eingeordnet werden kann, wie es unser ordnungsliebendes Hirn gerne hätte.

Eine ungewöhnliche Reise

Vier Wochen, vom 29. Juli bis 26. August 2012, waren wir als 13köpfige Truppe auf Lerneinsatz in Ghana unterwegs. Der Lerneinsatz ist ein Programm der Dreikönigsaktion Österreich (Hilfsorganisation der katholischen Jungschar), um interessierten Menschen eine Reise in eines ihrer Schwerpunktländer und das Kennenlernen ihrer ProjektpartnerInnen zu ermöglichen. Das Programm der ersten Woche war dicht: von der Hauptstadt Accra ging es nach Cape Coast zur Sklavenburg Elmina Castle, weiter zum Kakum National Forest, von dort nach Obuasi, der Goldminenstadt, und nach Kumasi, dem Zentrum der Ashanti Region. Durchgerüttelt von den ghanaischen Strassenverhältnissen, die an eine Achterbahnfahrt erinnern, und voll mit neuen Informationen und Eindrücken kamen wir in Tamale, der Hauptstadt der Northern Region an, wo wir knappe drei Wochen im TICCS (Tamale Institute of Cross-Cultural Studies) verbringen durften. 1983 gegründet, wurde das Institut in den 1990er Jahren zehn Jahre lang von der Dreikönigsaktion (DKA) subventioniert. Mittlerweile ist es seit vielen Jahren finanziell unabhängig und bietet interkulturelle Kurse und Weiterbildungen an. So fanden wir uns vormittags die Schulbänke drückend wieder, um Interessantes über ghanaische chiefs und Politik, Umweltschutz, Bildung, Verwandtschaftsbeziehungen, Islam und traditionelle afrikanische Religionen zu hören sowie mehr schlecht als recht Dagbanli, die Sprache der im Norden lebenden ethnischen Gruppe Dagomba, zu lernen. Der Nachmittag hingegen war voll Aktivität mit verschiedenen Exkursionen wie z.B. zu einem lokalen chief, einem Krankenhaus, einer Privatschule, einem diviner (eine Art Schamane, der die Zukunft vorhersagt) und auch zu einer Pito Bar (Pito ist das regionale Bier, das mit seinem säuerlich, vergorenen Geschmack die Meinungen der Gruppe teilte). In den letzten beiden Wochen besuchten wir ein derzeit von der DKA unterstütztes Frauenprojekt in Damongo und durften drei Tage in einem traditionellen Dorf mitleben.

Kulturelle Besonderheiten

Viel Zeit also, um in das eine oder andere interkulturelle Fettnäpfchen zu treten und sich selbst dabei zu beobachten. Faszinierend war es, festzustellen, wie automatisch unser Körper eingeübte Dinge tut, bis einen das Hirn erinnert, dass manches in diesem Kontext nicht angebracht ist. Gedankenlos schlagen sich die Beine übereinander, auch wenn zwei Stunden vorher gelehrt wurde, dass sich dies vor Autoritäten wie einem lokalen chief nicht ziemt. Ebenso unhöflich ist es, direkt in die Augen eines solchen Dorfvorstandes und seiner Berater, den Älteren, zu schauen. Für den chief muss es wohl ziemlich unverfroren gewirkt haben, als ich mich wieder gedankenverloren in seinen Augen verliere, aus denen der Schalk hervor lacht, bis mich der Linguist, sein Vermittler, mit Handzeichen darauf hinweist. Mit der linken Hand grüßen oder etwas übergeben ist ebenfalls ein Tabu, da die linke Hand unrein ist. Mit Weißen haben aber die meisten GhanaerInnen Nachsehen und lächeln fröhlich, wenn man sich selbst bei solch einem Hoppala erwischt und rasch auf die rechte Hand wechselt. Allzu direkte Fragen, wie zum Beispiel nach dem Alter, gelten als unhöflich; umgekehrt haben GhanaerInnen keine Hemmungen über das Gewicht ihres Gegenübers zu sprechen – etwas das für uns eher überraschend kam. Und nicht zu vergessen ist natürlich das ghanaische Zeitempfinden, bei dem ich mir noch nicht sicher bin, ob es mit dem brasilianischen lockeren Umgang mit Zeit gleichzusetzen oder nicht doch noch einen Tick gemütlicher ist. Zwei Stunden auf ein Essen im Restaurant zu warten, passierte uns nicht nur einmal; die Angaben der Buszeiten haben wir nach dem zweiten Tag schon nicht mehr ernstgenommen – einmal haben wir tatsächlich einen ganzen Tag auf einen für uns bestellten Bus gewartet. Bald entwickelten wir eine Theorie, die den ghanaischen Zeitangaben eher entsprach, da in ihr eine Stunde aus 100 Minuten bestand. Wer sich in Gelassenheit üben möchte, für den ist Ghana sicherlich das richtige Land. Das richtige Land auch, um herzliche Gastfreundschaft kennenzulernen, die einen an der Hand nimmt und durch die Gegend führt, wenn man sich verirrt hat oder nach etwas Bestimmten sucht. Die gleiche Hand haut einen am Markt auch wieder ganz schön übers Ohr, wenn es darum geht, um den Preis zu feilschen. Da wurde nicht selten viel zu viel bezahlt, weil wir den lokalen Preis einfach nicht wussten und der/die kluge HändlerIn das Bestmögliche rauszuholen versuchte. In Anbetracht der ungleichen Ressourcenverteilung dieser Welt ist es aber nur gerecht, wenn uns manchmal zu viel abgeknöpft wurde.


Zu viel und zu wenig

– ein Gegensatzpaar, das besonders in den Dörfern stets präsent war. Napayili, ein 52 Familien fassendes Dorf keine 30 Fahrminuten von Tamale entfernt, ist eines der sieben Dörfer, die seit vielen Jahren mit dem TICCS zusammenarbeiten. Ein compound (vier Lehmhütten mit Strohdächern verbunden mit einer schulterhohen Mauer) wird hier von einer Familie betreut, die sich um die weißen KurzbesucherInnen kümmert. Unser helper Simon spricht zwar nicht so gutes Englisch, bemühte sich aber sehr, uns möglichst viel zu erklären und zu zeigen. Wir gingen auf seine Farm, wo er Mais, Reis, Tomaten und Yams anbaut. Das meiste ist für den eigenen Verzehr, bei einer guten Ernte kann seine Frau Salamatu auch etwas am Markt verkaufen. Uns wurde gezeigt, wie man Shea Butter herstellt – eine Arbeit der Frauen. Überhaupt ist das traditionelle Leben stark nach Geschlechtern getrennt: Männer arbeiten am Feld, Frauen machen die Hausarbeit, sind fürs Kochen zuständig, was auch Holz- und Wasserholen beinhaltet, kümmern sich um die vielen Kinder. Simon selbst stellt fest: Frauen arbeiten hier viel mehr als Männer. Sieben Kinder zählt seine Familie.

Ein wenig „patschert“ stellten wir uns beim Schlagen der zerriebenen Shea Nüsse, vermischt mit heißem Wasser, an. Wir saßen inmitten der Frauen, die sich köstlich über uns amüsierten. Mit der rechten Hand schlugen wir in einer Kreisbewegung gegen den Uhrzeigersinn die schokoladefarbige Masse, die zuerst zu Shea Öl fürs Kochen und dann zu Hautcreme verarbeitet werden kann. Es tat gut, mit ihnen zu lachen, auch ein wenig von ihnen ausgelacht zu werden. Das macht nichts, wo doch der sprachlichen Kommunikation aufgrund unserer mangelnden Dagbanli Fähigkeiten klare Grenzen gesetzt waren. Es ist nicht unüblich, dass GhanaerInnen verschiedene afrikanische Sprachen sprechen, bei rund 50 indigene Sprachen im Land. Englisch muss da nicht dazu gehören. Auch unsere Fähigkeiten beim Wasser-Am-Kopf-Tragen entlockten den Frauen ein Lächeln. Kaum zwei Schritte bewältigten wir ohne Überflutung – eine lächerliche Übung für jedes Kind hier. Zwar gibt es zwei Wasserleitungen im Dorf, die fallen aber regelmäßig für mehrere Wochen aus und dann wird das Wasser in großen Kübeln von einem Wasserloch aus circa 15 Gehminuten Entfernung geholt. Bräunlich ist es und überflüssig die Frage, ob sie es auch zum Trinken verwenden. Was sonst? Elegant balancieren die Frauen die Behälter am Kopf, gekleidet in ihren hübschen bunten Stoffen und was steckt da vorne in ihrem Dekolleté? Ein Handy. Strom gibt es zwar noch keinen im Dorf, aber im Nachbardorf und da wird es dann halt zum Aufladen hingebracht. Kein Strom, kein fließendes Wasser. Dafür viel gemeinsames Arbeiten, viel Kommunikation. Ein Leben wie in einer anderen Welt, ging mir durch den Kopf. Aber nein, es ist nur eine Welt, in der wir leben. Voll von bereichernder Vielfalt genauso wie unfassbarer Ungleichheit.

Die Schieflage der Welt hautnah

Ungleichheit – ein Thema, vor dem man in Österreich vielleicht leichter die Augen verschließen kann. In Ghana springt es einen förmlich an. Ich wusste bisher auch nicht, dass man es körperlich so spüren kann; als tiefes Unbehagen, das sich innerlich festsetzt, und als Wunsch, der Erdboden würde sich hier und jetzt auftun und einen auf der Stelle verschlingen. Etwa, wenn dir ein Baby entgegengehalten wird mit der Frage, ob wir es denn nicht nach Österreich mitnehmen könnten. Oder, wenn die wahrlich berechtigte Frage gestellt wird, warum immer wieder Weiße nach Ghana kommen und warum das denn für uns so leicht sei. Dann ringst du um eine Antwort. Die ehrliche Antwort wäre ziemlich einfach: Weil wir das Glück haben, in eine gut situierte europäische Familie hineingeboren worden zu sein, und den Luxus genießen, fremde Länder bereisen zu können, um dann wieder dankbar und um ein paar Erfahrungen reicher in unsere behaglichen vier Wände zurückzukehren. Denn was wir erfahren haben, ist wahrlich viel und ein kostbares Geschenk. Und danach liegt es an uns, diese Erfahrungen zu teilen – ganz im Sinne „ein Gedanke alleine ist kein Gedanke“ – und aus ihnen etwas zu machen.

Link: www.dka.at/lerneinsatz

veröffentlicht in Talktogether Nr. 41/2012

Â