Gola Zareen â Die goldene Kugel
Die Arbeiterinnen wiederholen die immer gleichen Handgriffe: Zwei Nadeln werden durch vorgestanzte Löcher gestoĂen, und danach wird die Naht mit einem krĂ€ftigen Ruck fest zugezogen. âEs ist eine schwere Arbeitâ, erzĂ€hlt eine junge Frau im mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm Gola Zareen. âIch nĂ€he jetzt schon seit vier Jahren, mit meiner Erfahrung fĂ€llt es mir leichter, aber es ist anstrengend. Man braucht sehr viel Kraft.â Drei bis vier BĂ€lle kann eine NĂ€herin am Tag fertigen, dafĂŒr erhĂ€lt sie pro StĂŒck umgerechnet ca. 40 Cent. In den SportgeschĂ€ften Europas werden die BĂ€lle um 25 bis 130 Euro verkauft.
AnlĂ€sslich der FuĂball-WM 2010 in SĂŒdafrika machten sich die österreichischen Filmemacher Christian Krönes und Florian Weigensamer auf die Reise in den Nordosten Pakistans. In Sialkot, einer alten Industriestadt in der bevölkerungsreichen Provinz Punjab, werden fast drei Viertel aller handgenĂ€hten FuĂbĂ€lle fĂŒr den internationalen Markt hergestellt. Vierzig Millionen BĂ€lle gehen alljĂ€hrlich in den Export. Ein GroĂteil der EinwohnerInnen von Sialkot lebt direkt oder indirekt von der FuĂballproduktion. Doch ihre Existenzgrundlage ist durch industriell gefertigte FuĂbĂ€lle aus China und Thailand bedroht.
Kampagne gegen Kinderarbeit
Der Beginn der Sportartikelindustrie in Sialkot reicht bis in die Kolonialzeit zurĂŒck. Bereits im 19. Jahrhundert wurden Sportartikel fĂŒr die dort stationierten britischen Soldaten repariert. SpĂ€ter gingen heimische WerkstĂ€tten dazu ĂŒber, Sportartikel selbst herzustellen. In den 1970er Jahren konnten sich lokale Firmen den Vertrag fĂŒr den WM-Ball âTangoâ sichern, was dazu fĂŒhrte, dass sich Sialkot zu einem Zentrum der globalen Sportartikelindustrie entwickelte.
Sportartikelkonzerne wie Adidas, Nike oder Puma beauftragen verschiedene Subunternehmen in Pakistan. AuĂerdem gibt es eine Vielzahl von stĂ€dtischen Kleinbetrieben und WerkstĂ€tten im GroĂraum Sialkot, die meist auf einen einzigen Fertigungsschritt spezialisiert sind und Auftragsarbeiten fĂŒr GroĂbetriebe ausfĂŒhren. FrĂŒher wurden bei der FuĂballherstellung auch zahlreiche Kinder beschĂ€ftigt. Weil die Sportartikelhersteller dadurch in die Kritik kamen, haben sich die meisten FuĂballproduzenten im Atlanta-Abkommen 1997 dazu verpflichtet, auf Kinderarbeit zu verzichten. Um die Kontrollen zu erleichtern, wurde die Heimarbeit verboten, und NĂ€hzentren wurden eingerichtet. Doch das hat die Situation der Kinder nicht verbessert. âDie Bevölkerung ist bitterarm, sie braucht Kinderarbeitâ, erzĂ€hlt Jean Ziegler im Film. âDie Kinder werden nun eben in die SteinbrĂŒche und in die Ziegeleien geschickt, wo die Arbeitsbedingungen noch schlimmer sind, aber dort gibt es kein Atlanta-Abkommen.â
Trotz der niedrigen Löhne nimmt der Druck auf Sialkots Betriebe stĂ€ndig zu. ThermogeschweiĂte und maschinengenĂ€hte BĂ€lle werden aufgrund technischer Neuerungen qualitativ immer hochwertiger und billiger. Doch nur wenige einheimische Fabrikanten haben genug Kapital, um in solche Technologien zu investieren. Wenn sich die maschinellen Verfahren durchsetzen â was wohl nur eine Frage der Zeit ist â werden tausende Menschen in Sialkot ihre Existenzgrundlage verlieren. Schon jetzt gibt es immer weniger Jobs fĂŒr NĂ€her und NĂ€herinnen. Ende 2006 musste Saga Sports, der gröĂte Arbeitgeber von Sialkot, seine Tore fĂŒr immer schlieĂen, weil der Sportartikelhersteller Nike die VertrĂ€ge kĂŒndigte und die Produktion nach China verlagerte.
Der Ball ist nicht fĂŒr alle aus Gold
Ob sie Arbeit haben und ĂŒberleben können, liegt nicht in den HĂ€nden der BewohnerInnen von Sialkot. Sie haben keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Konzerne darĂŒber, ob sie die Produktion weiterfĂŒhren oder an einen anderen Ort verlagern, wenn sie das als notwendig erachten, um ihre Profite zu sichern. Die Konkurrenz zwingt jeden Fabrikanten zur Vervollkommnung der Maschinerie â gleichbedeutend mit stets steigender AuĂerdienstsetzung von Arbeitern â sowie zur schrankenlosen Ausdehnung der Produktion, schrieb Friedrich Engels 1880; die Folge sei âĂberfluss hier, von Produktionsmitteln und Produkten, Ăberfluss dort, von Arbeitern ohne BeschĂ€ftigung und ohne Existenzmittel.â
Gola Zareen bedeutet goldene Kugel. FĂŒr manche ist die diese Kugel wirklich Gold wert, sie hat ihnen zu Reichtum und Ruhm verholfen. FĂŒr andere dagegen bedeutet sie einfach Ăberleben. Der Film zeigt am Beispiel eines einzelnen Produkts in beklemmender Weise die AbhĂ€ngigkeit der Menschen vom globalen Kapital auf. Er zerstört dabei auch die Illusion, mit MaĂnahmen wie dem Verbot der Kinderarbeit, die vor allem dazu dienen, das Image der Firmen zu verbessern und das Gewissen der KonsumentInnen zu beruhigen, nachhaltige Verbesserungen der Lebensbedingungen der Menschen erwirken zu können.
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