Gespräch mit Guy Mavar aus dem Kongo PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Guy Mavar

Journalist und Radiomoderator in Salzburg,
geb. in der DR Kongo

„Wenn ein Land in Afrika keine kriegerischen Auseinandersetzungen hat, kann man davon ausgehen, dass es keine strategisch wichtigen Rohstoffe hat. Mali war ein friedliches Land, bis man Uran entdeckt hat. Jetzt gibt es plötzlich Kriege, Konflikte und Islamisten.“

Die meisten afrikanischen Staaten sind nun seit einem halben Jahrhundert unabhängig. Was ist dein Resúmé?

Guy: Die Bilanz von 50 Jahren Unabhängigkeit ist eindeutig negativ. Der Hauptgrund dafür ist, dass Afrika nach wie vor nicht wirklich unabhängig ist. Der Plan der europäischen Politiker damals war, sich zurückzuziehen und den Staaten eine formale Unabhängigkeit zu gewähren, aber im Hintergrund weiter die Fäden zu ziehen. Tatsächlich sind wir im Lauf dieser 50 Jahre abhängiger geworden als zuvor. Nehmen wir das Beispiel Lebensmittel. Früher konnten wir uns selbst mit landwirtschaftlichen Produkten versorgen. Durch die wirtschaftliche Abhängigkeit, die im Zuge Entkolonialisierung aufgebaut worden sind, sind wir heute auf von Importprodukte angewiesen.

Die Märkte in Afrika sind mit Importwaren überschüttet, mit denen die einheimischen Produkte nicht konkurrenzieren können, weder im Preis noch in der Qualität. Die Leute haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, um die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. Dazu kommt, dass die Produzenten in Westeuropa und Nordamerika von ihren Regierungen stark subventioniert werden. Man kennt die Geschichte der Baumwolle. Durch hoch subventionierte Baumwolle aus den USA werden westafrikanische Baumwollbauern vernichtet, obwohl sie eine bessere Qualität produzieren. Den USA ist es egal, dass die Baumwolle das Hauptexportprodukt vieler westafrikanischer Staaten ist. Das Problem ist, dass die Spielregeln von denjenigen festgelegt werden, die zugleich Teilnehmer auf dem Markt sind. Uns wird nicht erlaubt, unsere Märkte zu schützen und für westliche Importe zu sperren, doch unsere Waren bekommen keinen Zugang zu westlichen Märkten.

Was sind die Ursachen für die Instabilität vieler afrikanischer Staaten?

Guy: Bei den meisten Kriegen, die wir in Afrika sehen, geht es um Rohstoffe. Wenn ein Staatschef die Macht übernimmt, der die Spielregeln des Westens respektiert, wird er unterstützt. Wenn aber jemand an die Macht kommt, der sagt, wir müssen unabhängig werden, wir müssen selbst unsere Preise festlegen, wir müssen selbst entscheiden, an wen wir unsere Rohstoffe verkaufen, bleibt er nicht lang an der Macht. Wenn ein Land in Afrika keine kriegerischen Auseinandersetzungen hat, kann man davon ausgehen, dass es keine strategisch wichtigen Rohstoffe hat. Mali war ein friedliches Land, bis man Uran entdeckt hat. Jetzt gibt es plötzlich Kriege, Konflikte und Islamisten. Es hätte verhindert werden können, dass dort heute Leute mit schweren Waffen unterwegs sind. Die Afrikanische Union war immer gegen den Krieg in Libyen. Aber Großbritannien, Frankreich und die USA hatten ihre besonderen Interessen und haben die Gelegenheit ausgenützt, um die Spielregeln in ihrem Sinne zu ändern. Was heute in Mali passiert, ist ein Ergebnis davon.

Der Kongo, ist seit langem von Unruhen erschüttert. Ist der Rohstoffreichtum ein Fluch für Afrika?

Guy: Der Reichtum gibt zwar Möglichkeiten, aber diese müssen konkretisiert werden. In vielen afrikanischen Ländern profitiert die Bevölkerung nicht vom Reichtum. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit hatten die Menschen in Afrika die Hoffnung, dass sich ihre Länder mithilfe der Rohstoffe entwickeln könnten. Doch Regierungschefs wie Lumumba mussten mit ihrem Leben dafür bezahlen, weil sie sich gegen die Fremdbestimmung durch westliche Konzerne wehrten. Bei der Unabhängigkeitszeremonie hat der belgische König die Unabhängigkeit als ein Geschenk Belgiens an die Kongolesen dargestellt. Darauf ist Lumumba aufgestanden, hat die Bühne betreten und das Wort ergriffen. Er erinnerte an die Ausplünderung seines Landes und an die Erniedrigungen, die sein Volk erleiden musste. Er sagte: Das ist unser Land, ihr habt uns überfallen, warum sollten wir für die Unabhängigkeit dankbar sein? Seine Worte waren für den belgischen König ein Affront und eine Majestätsbeleidigung.

Lumumba wurde in einem Komplott des CIA, der UNO und der belgischen Regierung getötet. Das sind Fakten, die inzwischen aktenkundig sind. Bei der UNO wurden die Unterlagen zwar beseitigt, sind aber einem belgischen Forscher in die Hände gelangt, der die Beweise in die Öffentlichkeit brachte. Die belgische Regierung hat daraufhin die Verantwortung öffentlich eingestanden. Im Kongo mussten die Leute nicht auf diese Unterlagen warten, sie haben immer gewusst, was damals passiert war. Es hat auch einen Prozess gegeben. Einige der Leute, die beauftragt worden waren, Lumumba zu töten, leben noch und haben ausgesagt, darunter der damalige CIA-Chef. Zwei der Mörder, die Lumumba exekutieren mussten, sagten ebenfalls aus, einer von ihnen ist noch stolz darauf, noch Zähne von Lumumba zu besitzen.

Wie ist die Situation im Kongo heute?

Guy: Die Ausbeutung ist die gleiche geblieben, nur funktioniert sie heute mit anderen Methoden, nämlich durch sogenannte Rebellen. Ich frage mich: Warum werden Armeen in bestimmte Länder geschickt, angeblich um die die Bevölkerung von einem Diktator zu befreien, während Söldnertruppen, die seit über zehn Jahren Menschen ermorden und Frauen vergewaltigen, nicht angerührt werden? Warum kommen keine Armeen aus Frankreich, Deutschland und den USA mit UNO-Mandat zum Einsatz, um der Gewalt ein Ende zu bereiten? Doch im Kongo geht es nicht um Früchte oder Erdnüsse, sondern um seltene Mineralien, die der Automobil-, Raumfahrt- und Rüstungsindustrie benötigt werden, und die Handelspartner der Konzerne sind Rebellenarmeen, die man ungehindert weiter machen lässt.

Ist das europäische Modell von Demokratie in Afrika anzuwenden?

Guy: Die afrikanischen Gesellschaften haben auch schon vor der Kolonialisierung demokratische Strukturen gekannt, es gab zum Beispiel die Palaver-Bäume, wo über Probleme diskutiert und auf demokratische Weise Beschlüsse gefasst wurden. Diese Strukturen wurden durch die Kolonialherrschaft zerstört. Demokratie hat auch mit Kultur zu tun. Ein Vergleich: In Europa tanzt man anders als in Afrika. Der Rhythmus, die Denkweise, der Umgang miteinander ist ein anderer. Es würde wenig Sinn machen, wenn wir Afrikaner den Europäern unseren Tanzstil aufzwingen wollten. Das europäische Modell kann nicht exportiert werden, das sieht man deutlich in den arabischen Ländern. Die Wahlen gehen nicht so aus, wie sich das die Regierenden im Westen vorgestellt hatten. Sie hatten geglaubt, dass die Völker, wenn die Diktatoren vertrieben sind, bereit sind, sich vor dem Westen zu beugen. Doch das Gegenteil ist eingetreten und die Menschen wählten anders, als man von ihnen erwartet hat. Abgesehen davon können die strukturellen Probleme vieler afrikanischer Länder nicht nur durch Wahlen gelöst werden.

Das Bild von Afrika hier in Europa hat meistens mit Armut, Krieg und Hunger zu tun. Welche Rolle spielen Entwicklungshilfe und Hilfsorganisationen? Helfen ihre Aktivitäten den Menschen, sich weiter zu entwickeln?

Guy: Ich gebe eine klare Antwort. Wenn man die Bilanz aus über vierzig Jahren Entwicklungshilfe zieht, ist das Ergebnis negativ. Ich sage nicht, dass alle Projekte schädlich sind, aber ein großer Teil davon, weil damit eine Parallelwirtschaft geschaffen wird. Viele NGOs sind Partner des Westens und arbeiten parallel zu den Regierungen. Die NGOs werden meistens von westlichen Regierungen finanziert, die damit auch die Spielregeln festlegen. Das Geld kommt den Menschen in Afrika nicht zugute, denn der größte Teil des Geldes wird für die Verwaltung der Leute, die aus Europa stammen, eingesetzt. Ich sage: Die Entwicklungshilfe hat die Menschen in Afrika nicht unabhängig gemacht, sondern sie in Abhängigkeit gehalten. In vielen Gebieten wurden sogar wirtschaftliche Rückgänge registriert. Meine Kritik richtet sich aber nicht gegen die Menschen, die mit gutem Willen helfen wollen, sondern an das globale System, das die Unabhängigkeit Afrikas nicht ermöglicht. Staaten, die ihre Rohstoffe selbst kontrollieren, können aus eigener Kraft Fortschritte erzielen und brauchen keine Entwicklungshilfe.

Wie könnte eine eigenständige Entwicklung Afrikas aussehen?

Guy: Es gab viele Politiker, die gute Ideen gehabt haben, und die versucht haben, diese umzusetzen. Doch sie wurden daran gehindert. Über Lumumba habe ich schon gesprochen. Ein anderes Beispiel war Thomas Sankara in Burkina Faso. Ihm ist es gelungen, sein Land in kurzer Zeit zu verändern, auch er hat mit seinem Leben bezahlt.

Oder das Beispiel Libyen. Ich bin nicht an einer Debatte interessiert, ob Gaddafi ein blutiger Diktator war, er war nicht blutiger als die, die andere Länder bombardieren und an Diktatoren Waffen verkaufen. Gaddafi war sicher für viele unbequem, man darf aber nicht verschweigen, dass er auch viel für sein Land geleistet hat. Libyen war im Gegensatz zu den meisten afrikanischen Staaten nicht verschuldet und es gab ein Sozial- und Gesundheitssystem, das mit dem in Europa vergleichbar war. Selbst unter Mobutu war die wirtschaftliche Entwicklung im Kongo gut. In den 1970er Jahren war der Zaire, die damalige Währung, stärker als der Dollar. Viele Amerikaner sind in den Kongo gekommen, um zu arbeiten, weil sie dort gut verdienten. Erst Mitte der 1980er Jahre wurde diese Entwicklung gebremst.

Welche Alternativen gibt es für Afrika?

Guy: Die Afrikanische Union hat eine gemeinsame Strategie für die soziale und ökonomische Entwicklung entworfen, die sich „New Partnership for Africa’s Development“ (NEPAD) nennt. Es handelt sich dabei um afrikanische Projekte, initiiert von AfrikanerInnen für Afrika, die alle Bereiche umfassen, zum Beispiel die Entwicklung der Landwirtschaft. Um die Versorgung der Bevölkerung durch eigene Produkte zu gewährleisten und die Abhängigkeit von Importen zu verringern, soll die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte gefördert werden. Mit dieser Initiative hat sich die Afrikanische Union 2001 an die G8-Staaten gewandt. Diese haben auch eine Unterstützung in Milliardenhöhe angekündigt, nur ist das Geld nie angekommen. Daraufhin haben die Afrikanischen Staaten versucht, das Geld selbst aufzubringen. Einer der größten Finanziers des Projekts war Gaddafi. Die Projekte wurden in den letzten fünf Jahren weiter entwickelt und die Ziele wurden ausgeweitet, geplant war nun auch einen eigenen Währungsfonds ins Leben zu rufen, um nicht länger von Institutionen wie IWF und Weltbank abhängig zu sein. Diese Projekte waren bereits fertig ausgearbeitet und finanziert. Natürlich hat Gaddafi versucht, als Hauptgeldgeber seinen Führungsanspruch durchzusetzen, dabei ist er aber auf massiven Widerstand gestoßen. Trotzdem hat er die Projekte weiter unterstützt und das Geld zur Verfügung gestellt. In Sirte wurde eine riesige Infrastruktur für die Afrikanische Union aufgebaut, die im Krieg zur Gänze nieder gebombt wurde. Wie das Projekt nach dem Abgang Gaddafis weitergeht, ist ungewiss. Der Angriff auf Libyen ist also auch unter diesem Aspekt zu betrachten.

Wie ist deine Vision eines unabhängigen Afrikas?

Guy: Es muss sich eine neue Art der Verwaltung und Finanzierung entwickeln, bis wir eines Tages eine wahre Unabhängigkeit erreicht haben. Ein Afrikanischer Währungsfonds wäre ein wichtiger Bestandteil, um uns von der Abhängigkeit des Westens zu befreien und über unsere Rohstoffe selbst bestimmen zu können. Mit einer solchen Struktur hätten wir die Möglichkeit, unsere geplanten Projekte gemeinsam entwickeln und umsetzen zu können.

 


Guy Mavar auf der Radiofabrik: http://radiofabrik.at/programm0/sendungenvona-z/neuentdeckung-afrikas.html

 

veröffentlicht in Talktogether Nr. 41/2012