"Wir und die Anderen" - Bericht vom Frauentag 2012 PDF Drucken E-Mail

Talk Together! Verein Salzburg – Kommunikation & Kultur


„WIR“ UND DIE „ANDEREN“

Migrantinnen suchen ihren Weg jenseits von Ausgrenzung und Bevormundung

Podiumsdiskussion zum Internationalen Frauentag

Samstag, 10. März 2012
Salzburg, ABZ - Kirchenstraße 34


TeilnehmerInnen:

Julienne Hartig stammt aus Kamerun, arbeitet als diplomierte Krankenschwester in Linz und engagiert sich in der AK-Oberösterreich für die Gleichberechtigung aller ArbeiterInnen unabhängig von ihrer Herkunft

Dr. Sumita Hasenbichler, Germanistin und Mitarbeiterin in einem Migrantinnenprojekt in Salzburg, stammt aus Indien und lebt in Pfarrwerfen

Mag. Helga Suleiman, Historikerin, Aktivistin, Muslimin, Bildungsberaterin im Verein SOMM, Selbstorganisation von Migrantinnen und Musliminnen in Graz

Moderation: Beate Wernegger, Talktogether

Aufnahme/Transkript: Mag. Sandra Wernegger

Gefördert von:
Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit des Landes Salzburg
Integrationsbüro der Stadt Salzburg


Transkript:

Beate: Ich freue mich, dass ihr gekommen seid zu unserer TALK TOGETHER Veranstaltung zum internationalen Frauentag. Wir machen ja schon seit 2003, glaube ich, jedes Jahr eine Veranstaltung zum Frauentag. Heuer haben wir uns für eine Diskussion entschieden. Wir haben folgende Gäste eingeladen. Sumeeta Hasenbichler; sie ist in Salzburg eigentlich relativ bekannt; dann Julienne Hartig aus Oberösterreich, die sich in der Arbeiterkammer für die Gleichberechtigung aller Arbeiterinnen unabhängig von ihrer Herkunft [engagiert]. Sie stammt aus Kamerun; dann Helga Sulaiman; sie kommt aus Graz. Sie ist Österreicherin, sie ist Muslimin und arbeitet im Verein SOMM. Aus diesem Grund haben wir sie eingeladen. Am Anfang werden die drei Gäste diskutieren und Fragen beantworten. Anschließend ist das Publikum - sind alle eingeladen, sich zu beteiligen. Jeder soll auch seine Meinung kundtun.

Julienne, du bist Krankenschwester und engagierst dich in der Arbeiterkammer. Wie war der Weg für dich in Österreich? Wie bist du dazu gekommen, dich in der Arbeiterkammer zu engagieren? Was waren deine Beweggründe?

Julienne: So, bevor ich anfange, stelle ich mich einmal vor. Schön, dass ihr gekommen seid und dass ihr euch wirklich für dieses Thema interessiert. Ich heiße Julienne Hartig, komme aus Kamerun, bin mit 24 Jahren nach Österreich gekommen. Ursprünglich bin ich keine Asylsuchende, sondern mein Papa hat mich damals hierher geschickt, um eine Ausbildung zu machen. Ich hätte studieren sollen, beziehungsweise Medizin studieren, und danach zurück, weil mein Schwager hatte in Kamerun eine Klinik. Und ich hätte bei ihm arbeiten sollen. Ich hätte Anästhesie machen sollen. Er ist Chirurg und ich hätte ihm assistieren sollen. Leider ist der Wunsch von meinem Papa nicht in Erfüllung gegangen und ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Weil, als Kind musste ich immer tun, was der Papa wollte, und irgendwann habe ich die Zeit gehabt, wo ich mir gedacht habe, nein, ich mach’, was ich will. Dann habe ich mich entschlossen den Krankenpflegeberuf zu machen und wenn es mich vielleicht danach noch freut, mache ich Medizin oder Hebamme. Ich bin Mutter von vier Kindern und ich habe neben meinen vier Kindern immer 40 Stunden gearbeitet. Im Jahr 2000 haben sich mein Mann und ich auseinandergelebt. Das ist ein Österreicher, ein Weißer. Nach der Trennung war es so, dass die Kinder beim Vater geblieben sind, und ich hatte so viel Zeit für mich. Und als ich 40 Stunden gearbeitet habe und dabei Kinder betreut habe, hatte ich überhaupt keine Zeit. Und plötzlich hatte ich so viel Zeit und ich wusste nicht, was ich mit der anfangen kann. Das war dann so, dass ein Wahlkampf war 2002 und ich hab eine Freundin gehabt, eine Gemeinderätin. Und sie hat gesagt: „Hey, was machst du zu Hause? Komm mit. Machen wir ein bisschen was in der Politik.“ Die Jahre zuvor wollte ich mit der Politik und Behörden nichts zu tun haben. Und dann habe ich mir gedacht: Ja, ich probiere es einmal. Dann habe ich mitgemacht und irgendwann haben sie beschlossen, ich solle die MigrantInnen an der Arbeiterkammer vertreten. Da bin ich ausgewählt worden und ich hab mir gesagt: Gut, ich werde es lernen. Das war 2004, da hab ich begonnen. Ich habe viel gelernt. Trotz all der Hindernisse, hoffe ich noch immer, dass wir miteinander einfach einmal die Zukunft von unseren Kindern sichern können, dass sie ein besseres Leben haben als wir heute.

Beate: Sumeeta, möchtest du dich vielleicht auch vorstellen? Du bist ja als Studentin nach Österreich gekommen und heute lebst du in einer kleinen Landgemeinde im Pongau. Wie war der Weg für dich und fühlst du dich heute in deiner Gemeinde akzeptiert?

Sumeeta: Wo soll ich beginnen? Soll ich auch meine Lebensgeschichte erzählen? Also ich bin in einer Mittelschicht-Familie in Indien aufgewachsen. Der Vater war allerdings arbeitslos, jahrelang, und wir haben dieses typische Problem gehabt, dass ich in eine Privatschule gegangen bin und wir immer den Schein wahren mussten, dass der Vater doch etwas verdient. Wir haben dann immer heimlich Nachhilfestunden gegeben. Also ich habe mir immer mein Geld selbst verdient und die Familie unterstützen müssen, aber es war eine riesengroße Belastung für uns drei Schwestern, also wir waren ein Dreimädlhaus, dass der Vater nichts verdient hat. Und die Schande, dass in einer Mittelschichtfamilie der Vater nicht für den Familienunterhalt sorgen kann - das war schlimmer, als dass man kein Geld hatte.

Meine Mutter hat geweint, wie ich auf die Welt gekommen bin. Sie hat jedes Mal geweint, wie wir alle drei auf die Welt gekommen sind. Die Oma hat gesagt, macht nichts - deine Töchter werden besser sein, als deine Söhne. Da kannst du sicher sein. Aber da war sie sich nicht so sicher, aber sie hat auf unsere Bildung gesetzt. Also wir haben wenig Geld gehabt, aber Geld für die Bildung hat sie trotzdem irgendwie zusammengebracht. Mein Vater war drei Jahre in Deutschland, war auch bei einem Streik involviert. Er war Gastarbeiter. Er ist abgeschoben worden nach Indien. Und irgendwo habe ich die Bilder und Erzählungen von Deutschland doch im Kopf gehabt und das war sicher der Grund, warum ich mich nach der Schule für Deutsch entschieden habe. Also ich habe Germanistik in Indien studiert. Ein Grund war sicher, dass der Vater drei Jahre in Deutschland war. Er hat zwar kein Geld geschickt, aber die Bilder hat er mitgehabt, wie er gekommen ist. Die Uni in der ich studiert habe in Indien, das war eine hoch subventionierte Uni. Warum ich Germanistik studiert habe, weil ich kein Geld gehabt habe. Ich hätte mir keine andere Uni in Indien leisten können. Das Studentenheim zum Beispiel, wo ich in Indien gelebt habe, da haben wir 10 Rupien Miete pro Monat gezahlt. Das waren 3 Schilling. Selbst im damaligen Indien hat man sonst in Delhi sicher 400 Schilling bezahlt für ein Zimmer. Also es war eine hoch subventionierte Uni. Ich habe meinen Bachelor und meinen Master in Indien gemacht und dann habe ich auch mein Doktorat in Indien angefangen und dann ein Stipendium für Österreich, für meine Doktorarbeit bekommen. Dann war es so, dass ich einen Konflikt mit meinem Professor in Indien gehabt habe, was dann auch der Grund war, so dass andere Professoren mir geraten haben, wegzugehen von dieser Uni und woanders einen Studienplatz zu suchen, weil für mich sicher kein Platz mehr da wäre an der Uni in Indien. Dann habe ich geschaut, dass ich hier die Zulassung kriege, und die Zulassung hier zu bekommen war ein Ding der Unmöglichkeit. Aber ich sehe es als Wunder, dass es mir trotzdem gelungen ist, alle Unterlagen [aufzutreiben], die es gar nicht gibt, die die österreichische Bürokratie von mir verlangt hat. Es ist eine Sache der Unmöglichkeit. Die meisten Beamten
– es ist auch eine strukturelle Logik, die es nicht berücksichtigt, dass es gewisse Dinge gar nicht in anderen Ländern gibt, und dass die Bildungssysteme komplett anders sind. Mir haben da schon viele österreichische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der österreichischen Botschaft in Delhi geholfen. Also die haben wirklich... Vielleicht erzähl ich diese Anekdote auch: Ich habe zum Beispiel große Probleme gehabt, also die Salzburger Uni hat von mir verlangt, dass das Bildungsministerium bestätigt, dass ich die Zulassung habe in Indien. Das Bildungsministerium in Indien macht solche Bestätigungen nicht. Und die haben dann auch bestimmte Unterlagen von mir verlangt, die in Indien nicht existieren. Dann bin ich ganz verzweifelt zur österreichischen Botschaft gegangen und habe gesagt: Was soll ich jetzt tun? Dann haben sie mir es gesagt, doch die Beamten im Bildungsministerium in Delhi und das Außenministerium haben mich immer wieder zurückgeschickt. 40 Grad, Hitze, Sommer – ich bin im Krankenhaus gelandet, extrem heiß und ich lauf’ von einer Stelle zur anderen und ich kriege die Unterschriften nicht. Dann haben sie mir in der Botschaft gesagt, ja vielleicht geben sie dir es erst dann, wenn du sie bestichst. Auf die Idee wäre ich selbst gar nicht gekommen, und als Frau hat mir das keiner gesagt. Dann bin ich wirklich mit Geld hingegangen und es hat funktioniert. Dann hab ich auch auf wundersame Weise Dinge gekriegt, die es gar nicht gibt. Dann hab ich auch die Zulassung bekommen und auch ein Stipendium vom Afro-Asiatischen Institut – für das Studium hier, sonst hätte ich mir das gar nicht leisten können. Ich hab dann das Studium abgeschlossen 2003, meine Doktorarbeit fertig geschrieben, und dann war da die Frage ob ich zurückgehe nach Indien, weil mein Aufenthaltstitel war kurz vorm Ablaufen. Ich habe damals, 2001 schon, meinen jetzigen Mann kennengelernt und dann habe ich gesagt: „Jetzt muss ich eh bald heimkehren, weil, was tue ich?“ Und dann hat er gesagt: „Nein, ich lass dich jetzt nicht heimgehen.“ Und dann habe ich gesagt: „Ich will eigentlich auch nicht heim“. Und dann haben wir geheiratet, auch um da zu bleiben, das muss man schon sagen.

Von 1999 bis 2003 war ich in Salzburg. Ich hab sehr viele Freunde gehabt. Beate zum Beispiel habe ich vom Anfang an gekannt. Und ich war recht gut integriert. Ich hab mich dann sehr wohlgefühlt in der Stadt. Am Anfang habe ich sicher Probleme gehabt, aber trotzdem hab ich mich relativ wohlgefühlt. Aber dann am Land war dann der Schock, ja, Pfarrwerfen, eine kleine Dorfgemeinde. Mein Mann kannte auch keinen. Er war nicht gut integriert, also er ist immer noch nicht gut integriert, weil er außerhalb studiert hat und eine Freundin gehabt hat. Und der Schwiegervater hat auch niemanden wirklich gekannt. Das war insofern am Anfang kein Problem, weil ich auch gearbeitet habe und eh täglich nach Salzburg gependelt bin. Erst wie ich dann die Kinder gekriegt habe, war es auf einmal so, dass ich Tag und Nacht daheim geblieben bin und dann hab ich nicht gewusst, was tun mit mir, zwei Babys. Extreme Isolation, Einsamkeit, Depressionen. Und dann hab ich gesagt, irgendwie ist es schwierig. Ich habe sicher auch Vorbehalte in meinem Kopf gehabt, ÖVP-Gemeinde, schwarz. Die Leute haben auch immer zu meinem Mann „Griaß di“ gesagt und zu mir „Grüß Gott“, oder gar nichts. Oder sie haben nur mit ihm geredet und mich gar nicht angeschaut. Vielleicht haben sie es eh nicht böse gemeint. Und vielleicht war es auch so, weil sie mich nicht gekannt haben. Es war also ziemlich schwierig Fuß zu fassen in der Gemeinde und dann hat eine Freundin von mir, eh vom AAI, einen Kontakt hergestellt mit einer Frau, die in der katholischen Frauenbewegung in Pfarrwerfen sehr engagiert war, und diese Frau hat mich dann immer wieder mitgenommen zu Veranstaltungen und dann bin ich selbst immer mehr in der katholischen Frauenbewegung aktiv geworden und hab dann immer wieder als Referentin dort gearbeitet. Das hat sicher auch dazu geführt, dass ich mich dann mehr getraut habe, mich zu präsentieren. Wir haben ein paar Veranstaltungen von der KFB am Land gemacht und dann hab ich mich irgendwann auch getraut, einen Kochkurs anzubieten. Auf die Idee bin ich vorher selbst nicht gekommen, dass ich das hätte machen können. Und dann auf einmal hab’ ich festgestellt, die Leute sagen dann, „Ah Sumeeta, jetzt erst bist du eine von uns, jetzt bist du a richtige Pfarrwerfnerin. Jetzt hamma so toll gekocht; jetzt hamma so viel gelernt von dir“. Dann bin ich Teil von einem Philosophie-Kreis geworden. Wir treffen uns einmal im Monat. Wir haben einen Artikel verfasst für den Pfarrbrief und in der Kirche ein paar Auftritte gehabt. Ich bin Hindu, ich bin im Vorstand der Katholischen Frauenbewegung in Salzburg. Über diesen Kanal habe ich meinen Zugang zu meiner Gemeinde gefunden, wo ich jetzt... sicher auch durch die Kinder. Seitdem die Kinder in den Kindergarten gehen, ist es so, dass man andere Mütter kennenlernt. Ich bin schon auf die Leute zugegangen. So von sich aus hätten mich die Leute nicht gefragt. Das gibt es einfach nicht am Land. Was ich auch gemacht habe, ich bin jeden Tag spaziert, wie ich noch in der Karenz war, mit meinen Kindern; jeden Tag am Spielplatz; jeden Tag die Leute angesprochen; jeden Tag mit ihnen geredet. Ich spreche immer noch hochdeutsch und hab nicht so einen Dialekt. Das ist auch ein Grund, warum die Leute sich dann nicht trauen, oder wo man nicht so leicht ins Gespräch kommt. Aber es ist besser geworden. Also ich fühle mich jetzt wohl und mich kennen momentan sicher mehr Leute als meinen Mann.

Beate: Danke. Helga du bist gebürtige Österreicherin, du bist Muslimin. Wie hat das dein Umfeld aufgenommen. Möchtest du darüber etwas erzählen?

Helga: Ja, also vielleicht persönlich um kurz anzuknüpfen. Meine Lebensgeschichte ist nicht so aufregend, wie eure. Also damit kann ich wirklich nicht aufwarten. Also ich muss sagen, ich bin einfach ein Wohlstandskind. Ich bin aufgewachsen hier am Land. Meine Eltern haben Arbeit gehabt, beziehungsweise mein Vater. Meine Mutter war Hausfrau. Ein Einfamilienhaus, so wie du sicher viele kennst dort. So eins von denen. Von der Bildung her waren mir alle Wege offen. Ich konnte ins Gymnasium gehen und ich konnte später auch studieren. Und dann muss ich sagen, Gott sei Dank habe ich dann eben meinen Mann kennengelernt. Denn das ist, jetzt mal abgesehen von den Urgroßeltern, mein persönlicher Migrationshintergrund sozusagen. Ich hab ihn kennengelernt, schon über Aktivitäten, die mit der Migration zu tun gehabt haben, weil in der damaligen Zeit, das ist jetzt auch schon 20 Jahre her, damals waren die Asylgesetze noch weniger restriktiv als heute. Es hat aber schon begonnen, dass man die Gesetze immer mehr eingeschränkt hat und es sind damals in der Steiermark am Land und am Berg, wirklich in der Isolation, Flüchtlingsheime entstanden, Asylheime, wo die Leute hingebracht wurden. Und wir waren damals eine Gruppe kritischer Studenten und Studentinnen und wir haben dann auch von diesen Schicksalen immer wieder erfahren und von den Zuständen dort. Wir haben uns engagiert und auch demonstriert, und über diese Aktivitäten habe ich dann meinen Mann kennengelernt. Für mich hat sich damit in meinem Leben sehr viel verändert. Warum? Weil ich wirklich einen anderen Blick auf die Welt gewonnen habe. Also, ich habe gelernt, nicht mehr mit dem europäischen Auge alleine zu schauen, so wie ich das quasi von der Muttermilch her mitbekommen habe und in der Schule und so, sondern ich habe gelernt, auch einmal die Angelegenheiten und auch die Politik mit seinen Augen anzusehen, mit den Augen eines Migranten. Und dadurch viele Dinge zu erkennen, die ich vorher gar nicht wahrgenommen habe. Natürlich hab ich gewusst, dass es Rassismus gibt, dass es Fremdenfeindlichkeit gibt, aber es ist nun einmal ganz was anderes, wenn man das erfährt und weiß, [als wenn] man vielleicht einmal etwas davon erzählt bekommt. Oder wenn man mit wem täglich zusammenlebt, der solchen Konfrontationen immer ausgesetzt ist. Dadurch ist das Thema Migration für mich sehr viel näher gerückt und mir immer näher gekommen und mir auch immer wichtiger geworden, weil noch dazu mein Mann aus einer Situation kommt, die sehr kompliziert ist und auch sehr viel mit europäischer Geschichte zusammenhängt. Mein Mann ist Palästinenser und die Palästinenser haben ja schon ein sehr langes Flüchtlingsschicksal, das über Generationen geht. Und er selbst ist in seinem Leben schon drei oder viermal geflüchtet. Immer wieder Krieg, von einem Ort zum anderen. Er hat in Flüchtlingslagern gelebt. Ist dort eben aufgewachsen, hat kaum Zugang zu Bildung gehabt und hat sich aber letztendlich selber sehr viel angeeignet. Er hat es geschafft, nach Europa zu kommen, auch nicht unter leichten Umständen. Er hat dann hier Deutsch gelernt und Arbeit [gefunden] und so weiter. Er hat diese Hürden alle genommen. Und wie schwierig das ist, hab ich auch an seinem Beispiel [erfahren]. Sicher, er ist ein Mann. Er hat noch einfachere Bedingungen als Frauen, die ja solche Chancen oft kaum haben. Deshalb ist das ja immer sehr, sehr bewundernswert oder wie soll ich sagen, ich finde auch nicht das richtige Wort dafür, wie man das sagen kann. Auf jeden Fall, eine Frau, die das schafft, das weiß ich schon, dass diese Hürden zu bewältigen, einfach ein unheimliches Ausmaß an Stärke und Geduld und an allen möglichen Fähigkeiten [erfordert], die ich mir gar nicht vorstellen kann, weil sie von mir nie gefordert wurden.

Und jetzt vielleicht noch ganz kurz. Ich bin Muslimin, ja und das ist für mich auch der Grund, warum ich heute hier sitze. Es ist ja für mich eine Ehre, dass ich hier eingeladen wurde, und ich war auch ein bisschen skeptisch, weil für MigrantInnen als solche kann ich natürlich nicht sprechen. Ich kann für Musliminnen sprechen und auch wenn ich für Musliminnen spreche, spreche ich für die konvertierten Musliminnen und auch für die, die hier aufgewachsen sind. Und das ist schon auch wieder eine ganz andere Perspektive, denn ich bleibe trotzdem Österreicherin; ich bleibe trotzdem quasi eine Mehrheitsangehörige mit all den Privilegien, die dazu gehören. Das ist ganz klar. Auf der anderen Seite, wenn du mich fragst, was hat sich verändert in meinem Umfeld, als ich Muslimin geworden bin. Also in gewisser Weise ist das Kopftuch tragen eine Chance, meine Zugehörigkeit auch offen zu demonstrieren. Also man kann das sehen, wie man will. Also ich, wie ich mit meinen verschiedenen Freundinnen zusammen war. Und ich hab natürlich auch gesehen, wie es ihnen geht, mit den Diskriminierungen auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch mit der Schönheit und mit der Bedeutung, die dieses Tuch hat. Und dann ist für mich der Moment gekommen, wo ich mir gedacht habe, ja eigentlich, ich hab so viele Privilegien und sie tragen dieses Kopftuch mit Stolz und nehmen all diese Schwierigkeiten auf sich, die das mit sich bringt. Warum soll dann gerade ich mir wieder das Privileg herausnehmen und sagen, ich mache das nicht? Und das war für mich nur ein Grund, aber auch ein wichtiger Grund, dass ich mich entschieden habe, okay, ich nehme das Kopftuch, ich setze es auf. Und natürlich, das war ein großes Pahö auch von Seiten meiner Eltern, war unglaublich, was da passiert ist. Auch in der Nachbarschaft, wo die Leute sonst immer recht freundlich waren, wurde ich wirklich als eine Art Verräterin gesehen. Zum Teil waren sie wirklich bösartig und feindselig. Und Aussagen, wie „nimm den Fetzen oba“, mit dem bin ich dann konfrontiert worden. Aber für mich war das auch wiederum ein Punkt, meinem persönlichen Schicksal und Gefühl näher zu rücken sozusagen, weil es mich dann auch wirklich betroffen hat. Diese Diskriminierung hab ich dann auch selber erlebt, die ich sonst nur über Erzählungen kannte. Und das ist natürlich ein einschneidendes Erlebnis, bis heute.

Beate: Okay, Julienne. Nun zu deiner Tätigkeit in der Arbeiterkammer: Du engagierst dich für die Gleichberechtigung von MigrantInnen. Welche sind hauptsächlich Probleme, die MigrantInnen haben, und wie ist die Meinung innerhalb der Gewerkschaft – die sind ja auch nicht immer unbedingt so migrantInnenfreundlich gewesen. Wie nehmen dich deine Mitstreiter wahr?

Julienne: Naja, in der Gewerkschaft gibt es verschiedene Parteien, wo normalerweise in der Personalvertretung oder Betriebsräte sollen keine Farbe haben. Ich habe die Erfahrung gemacht. Nachdem ich gewählt worden bin, habe ich die Gewerkschaftsschule gemacht. Die dauert vier Jahre. Das ist immer am Abend. Als ich fertig war, kam ich wieder in meinen Beruf und sage, ich würde gerne im Betriebsrat arbeiten. Seitdem haben meine Probleme dann begonnen. Ich gehöre zur Alternativen Grünen Gewerkschaft. Wir sind rot, wir brauchen dich nicht. Als sie mich gesehen haben, haben sie gesagt, unsere schwarze Grüne und dann haben sie gelacht. Ich hab keine Chance gehabt, so haben sie angefangen, mich zu mobben. Es gab die Roten und die Schwarzen und die Grüne Partei, und die haben mich so gemobbt, dass ich krank geworden bin. Was ganz wichtig ist, in der Arbeiterkammer sind 180 Leute, wobei ich die einzige Afrikanerin bin. Wo ich ganz provokant immer so auftrete. Wir haben zwei Mal im Jahr Kammervollversammlung. Ich gehe immer so angezogen hin und ich sage, unsere Farbe ist bunt. Einmal ist dann der Gusenbauer gekommen, der war eingeladen. Und ich habe mir gedacht, ich zeig ihm, ich bin auch integriert. Dann bin ich da mit dem Dirndlkleid hingegangen. Zum ersten Mal. Da haben sie alle Augen gemacht, wow. Ich bin auch integriert. Ich wollte zeigen, ich habe Mut. Weil, warum muss ich mich immer anpassen? Ihr könnt euch genauso ein bisschen was von mir kopieren. Das heißt, sie kennen mich schon mit den bunten Farben und wenn ich nicht da bin, dann schauen sie, wo ich bin. Dann merken sie, dass ich nicht da bin, weil die Farben gehen ab.

Ich höre immer wieder von dieser Barriere beim Arbeitssuchen, dass es immer wieder Probleme gibt. Damals als ich im UKH gearbeitet hab, in der Ambulanz im Unfallkrankenhaus Linz, für 22 Jahre. Bevor ich überhaupt dorthin gekommen bin, war ich im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern. Das ist ein geistliches Krankenhaus. Ich denk mir, Gott ist für alle da. Dann ruf ich an, weil ich gehört habe, sie suchen eine Krankenschwester für den Nachtdienst. Da dachte ich mir, ich bewerbe mich. Meine Kinder waren klein, damals. Nur Nächte, das ist gut. Da hab ich tagsüber Zeit für die Kinder. Dann ruf ich an, stell mich vor, sagt die Dame, ja super, kommen sie übermorgen mit ihren Papieren. Als ich dort war, war die Stelle schon vergeben, plötzlich, weil ich schwarz bin, da war die Stelle weg.

Und ich sag’, vorgestern war die Stelle noch frei und sie sagen, nein, die haben wir schon an wen anderen vergeben. Da hatte ich keine Chance. Und das passiert immer wieder, dass Migrantinnen aufgrund der Hautfarbe, der Kopftücher oder der Religion benachteiligt werden. Ich habe jetzt vor Kurzem eine Dame, die sich nur als Raumpflegerin beworben hat. Sie kommt dort hin, alles super, und nur weil sie schwarz ist, wird sie nicht aufgenommen. Oder eine andere [Mutter?]sprache hat. Es gibt auch immer wieder das Problem, dass Arbeiter eine Wohnung suchen. Man ruft an, super. Dann kommt man dort hin und die Wohnung ist schon vergeben. Das sind Probleme, die wir immer wieder erleben, beziehungsweise die Kollegen.

Beate: Okay, Sumeeta, du arbeitest auch in einem Migrantinnenprojekt. Du hast zwei Jahre lang in einem Projekt gearbeitet, wo es um Qualifizierung geht. Wie ist deine Sicht? Mit welchen Problemen sind MigrantInnen konfrontiert?

Sumeeta: Ich habe in einem Projekt für MigrantInnen gearbeitet, wo es darum gegangen ist, dass sie einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Wir haben ein Mentoringprojekt gestartet und versucht ehrenamtliche Mentoren und Mentorinnen zu finden, die sie bei der Erweiterung des Netzwerkes sowie bei Kontakten unterstützen sollten. Also ich muss sagen, was wir immer wieder gesehen haben sind einfach die strukturellen Diskriminierungen. Es ist so, dass die Nostrifizierung nach wie vor dermaßen kompliziert und dermaßen undurchsichtig ist, selbst für Experten, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist für die meisten und eine riesige Hürde, dass jemals ihre Qualifikation hier anerkannt wird. Wir haben fast 40 Teilnehmerinnen gehabt im Mentoringteil, und die meisten haben eine Qualifikation gehabt, sie haben ein Studium gehabt in ihrer Heimat. Ganz krasse Beispiele, wir haben Ärztinnen. Eine Zahnärztin, die hier dann als Putzfrau gearbeitet hat. Das Problem ist nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache; das Erlernen der deutschen Sprache ist insofern schwierig, ich weiß es von mir selbst. Ich habe 1992 angefangen mit Germanistik, ich lerne immer noch die deutsche Sprache. Es wird immer so sein, dass man nie auslernt und es wird immer so sein, dass man Fehler macht; und es wird immer so sein, dass das schriftliche Deutsch eine riesige Hürde darstellt für die meisten, und wenn Frauen, die eine höhere Qualifikation haben, wenn man von denen verlangt, dass sie auch schriftliches Deutsch so gut beherrschen, dass sie schriftliche Korrespondenz machen können, das ist einfach unrealistisch. Also ich war auch Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache und ich weiß einfach, dass das ganz individuell ist. Es ist sehr, sehr schwierig, Deutsch so zu beherrschen. Es können vielleicht einzelne Genies so machen, aber für die Mehrheit ist es unrealistisch und es ist eigentlich auch strukturell, würde ich sagen, eine Hürde, die gewollt ist und absichtlich ist, dass man von Menschen ein Ding der Unmöglichkeit verlangt. Es ist nicht möglich. Man kann eine Fremdsprache nicht so gut perfektionieren, dass man die schriftliche Korrespondenz in dieser Sprache erledigen kann. Und wenn man das verlangt von Menschen, die eine Qualifikation vorweisen und sie auch in ihrem Beruf arbeiten wollen. Das geht einfach nicht, dass sie so gut Deutsch können. Das ist das eine. Das andere ist tatsächlich die Nostrifizierung, und wir haben auch festgestellt, dass die Nostrifizierung in den meisten Fällen gar nicht notwendig wäre. Es gibt auch Stellen, die einfach die Gleichwertigkeit des Studiums feststellen und wir haben mehrmals die Rückmeldung bekommen, dass nur für staatliche Stellen und nur für ein Studium die Nostrifizierung wichtig ist. Im Prinzip könnte der Arbeitgeber in sehr vielen Fällen im privaten Bereich entscheiden, also der bräuchte gar keine Nostrifizierung, also eine Anerkennung der Qualifikation, aber das passiert nicht. Es müsste mehr dahinter sein, als einfach nur die Nostrifizierung. Es sind einfach diese Vorbehalte gegeben. Und es ist sehr viel Unkenntnis da. Also ich muss auch sagen, in meinem persönlichen Fall. Ich hab mich vor Kurzem im Landesschulrat beworben und sie haben mir einen Brief geschickt, in dem geschrieben wird, dass meine Qualifikation deshalb nicht anerkannt wird; also ich soll mich für ein Anerkennungsverfahren für meine ausländischen Abschlüsse bemühen, obwohl ich hier das Doktoratsstudium absolviert habe; und für Doktoratsstudium habe ich ja die Nostrifizierung gemacht, das Anerkennungsverfahren; und ich bewege mich jetzt wieder im Kreis. Ich habe mich dann an die Gleichbehandlungsanwaltschaft gewendet; das würde ich auch allen anderen empfehlen, die das machen. Ich kenne noch eine Frau, die ihr Studium hier gemacht hat, die Studienberechtigungsprüfung und sie hat dann von einer staatlichen Stelle ein Antwortschreiben gekriegt. Für die Stelle war die Matura Voraussetzung und die haben gesagt, sie hat die Matura nicht und deshalb erfüllt sie die Voraussetzungen nicht. Es wird immer wieder versucht, mit irgendwelchen Schlupflöchern im Gesetz. Oder das Gesetz wird so ausgelegt, dass man einfach versucht, Menschen auszugrenzen. Und das andere ist, die meisten Teilnehmerinnen, die wir hatten, selbst wenn sie irgendeine Ausbildung machen wollten, war es für sie finanziell unmöglich, weil um den Aufenthaltstitel zu behalten muss man berufstätig sein; wenn man länger Sozialhilfe bezieht, dann fällt man aus. Also es sind einfach solche Hürden, die Menschen haben. Sie müssen arbeiten, um zu überleben und auch um den Aufenthaltstitel weiterhin zu haben. Und wie soll dann eine Fortbildung oder irgendwas möglich sein? Menschen vorzuwerfen, dass sie kein Deutsch lernen, ist wirklich zynisch, wo die meisten dermaßen mit der Überlebensarbeit beschäftigt sind, dass sie meistens keine Zeit haben. Keine Zeit, Deutsch zu lernen, und die sind müde und erschöpft. Diese Problematiken haben wir wiederholt in unserem Projekt gehabt. Wir haben natürlich auch Probleme mit der Wohnungssuche oder miserablen Wohnverhältnissen, Diskriminierung am Wohnungsmarkt. Wir haben in sehr vielen Fällen auch Menschen gehabt, die zwar qualifiziert sind, aber nicht nur im beruflichen Sektor Probleme haben, sondern auch im privaten Bereich; die Mehrfachbelastung haben auch im familiären Bereich; Fluchttrauma oft auch mit Krankheiten, mit Kindern – da sind die Frauen oft so, die eine Fortbildung machen wollen oder die Nostrifizierung – weil der Mann krank ist oder die Tochter eine Behinderung hat, ist das dann so schwierig, auch noch an die eigene Fortbildung zu denken. Es kommt sicher noch dazu, dass die Frauen sich zuständig fühlen für ihre Kinder und die Familie; und auch da die tägliche Arbeit machen und alles managen in der Familie. Ich versteh’ das auch, das geht dann einfach nicht dass man dann auf die eigene Fortbildung schaut oder dass noch weiter Dokumente für die Nostrifizierung geholt werden können. Es geht einfach nicht.

Julienne: Ich möchte was dazu sagen. Was Deutsch anbelangt; ich kann nur sagen, in Oberösterreich, ich kann nur ein Beispiel von Oberösterreich [erzählen]; viele können überhaupt kein Deutsch. Wenn Patienten kommen, müssen sie zuerst einmal den Unfallhergang beschreiben. Der schreibt, ich hab mir beim Knie weh getan. Und dann schreibt er statt Knie „Gnie“. Oder umbücken; was ist für mich umbücken – es heißt umgekippt. Die können kaum Deutsch. Sie können vielleicht reden, aber schreiben nicht. Viele sind Analphabeten. Das kann man sagen von den MigrantInnen. Das kann man nicht verlangen von den MigrantInnen. Und wegen der Nostrifizierung. 50 Prozent der Zertifizierungen werden gar nicht anerkannt, leider.

Helga: Ich möchte auch etwas dazu sagen. Ich arbeite ja in SOMM. Das ist Selbstorganisation von und für MigrantInnen und MuslimInnen. Natürlich auch zu uns in die Beratung, zu mir in die Bildungsberatung und in den Deutschkursen und andere Workshops und Sachen, die wir machen, kenne ich genau das, was ihr sagt auch; mit vielen verschiedenen Geschichten, eine haarsträubender als die andere. Vielleicht nur ein Beispiel zu erwähnen. Ich hab vorher mit einer Kollegin telefoniert und sie gefragt, was soll ich heute sagen, was ist dir wichtig? Und sie hat zu mir gesagt, Helga bitte, sag, dass unsere Jugend Hoffnung braucht. Man muss der Jugend eine Chance geben, man muss der Jugend Hoffnung geben; vor allem den Mädchen, dass sie den Bildungsweg beschreiten, dass sie sich das zutrauen, eine Lehre zu machen, oder dass sie sich das zutrauen, zu studieren. Und warum sagt das meine Kollegin, weil abgesehen von den verschiedenen Schicksalen, die wir kennen, will ich erwähnen, dass das AMS Wien vor Kurzem Cartoons herausgegeben hat, auf ihrer Website. Und in diesem Cartoon haben AMS-BeraterInnen einem muslimischen Mädchen gesagt. Dieses Mädchen wollte studieren; ich weiß nicht Biotechnologie, sogar irgendein technisches Studium, was ich weiß und die AMS Beraterin hat zu ihr gesagt in diesem Cartoon: Na was willst du denn so lange studieren? Das ist doch eine verlorene Zeit; mach doch besser eine Lehre in irgendeinem Gesundheitsbereich, oder so. Natürlich hat es über dieses Comic Beschwerden gegeben, aber ich hab den Eindruck gehabt, dass diese BeraterInnen beim AMS, oder die die dieses Cartoon gemacht haben, dass die gar nicht gemerkt haben selber und gar nicht gewusst haben, was sie da tun. Was sie da eigentlich denken und was sie letztendlich auch anstellen. Ich denk mir auch immer wieder: All die Sachen, die ich immer wieder erfahre und die auch ihr jetzt geschildert habt; es kann ja nicht sein; da gibt es so viele Möglichkeiten, es gibt so viel Geld in diesem Staat; es gibt alles was man braucht. Man muss es einfach nur umsetzen, man muss es nur tun, weil die Menschen wünschen sich das und sind dafür bereit, aber es ist wirklich wie du das sagst, diese strukturelle Diskriminierung in dieser Gesellschaft und diese Gesellschaft will, dass MigrantInnen immer die Drecksarbeit machen. Man muss es einfach wirklich so sagen. Es ist so. Es gibt viele ausgebildete Leute. Ich kenne sie auch und sie werden immer wieder vom AMS eingeteilt; du kannst Putzfrau sein. Ich will nicht sagen, dass es immer so ist und es gibt auch Bemühungen; gerade vom AMS Graz gibt es lobenswerte Bemühungen, aber wenn dann gespart wird, so wie es jetzt wieder ist, dann wird als erstes bei den MigrantInnen gespart; dann gibt es halt keine Fortbildungen; und was ich festgestellt habe für bestimmte Frauen, die wenig Bildung vom Heimatland mitbringen, für die gibt es kaum eine Chance, dass sie aus dieser ewigen Putzfrauenschiene raus kommen. Und auch tschetschenisch Frauen, die Ausbildungen haben, die Friseurin gelernt haben, die wirklich alle Möglichkeiten haben, nein, geh in die Lederfabrik arbeiten. Und in der Lederfabrik, das hab ich schon einmal erzählt, das sind härteste Bedingungen, eine schwere Arbeit für Frauen. Da wird nicht gezögert. Für das sollen Migranten und Migrantinnen immer bereit stehen. Und nach wie vor ist es so, dass es sogar Österreicher selber zugeben, nein wir machen diese Arbeit nicht. Es gibt Arbeitslosigkeit, aber wir machen diese Arbeit nicht, aber die Migranten und Migrantinnen sollen es schon machen. Ein Stundenlohn von 5 Euro oder ein Paketzusteller, der arbeitet 50 Stunden am Stück, sein Stundenlohn ist nicht einmal 5 Euro wenn man es ausrechnet. Also haarsträubendste Geschichten. Und so wie du richtig gesagt hast, die Leute müssen es sich auch gefallen lassen, weil was ist sonst mit der Aufenthaltsgenehmigung, was ist sonst mit der Wohnung, was ist mit den Kindern, was ist, was ist mit der Familie dort. Und das ist auch eine internationale Arbeitsteilung, die hier passiert. Sie ist hier im Konkreten in Österreich, in der EU, und sie ist im weltweiten Zusammenhang auch so. Das muss man auch sagen.

Julienne: Leute werden eingesetzt, wo sie gebraucht werden; nicht aufgrund von der Qualifikation. Ich gehe hin, habe eine Qualifikation; nein dort brauchen wir eine Putzfrau, dann muss ich dort putzen gehen. Es reicht auch schon der Name. Wenn ich mich wo bewerbe und ich habe einen ausländischen Namen; das reicht vollkommen, dass man mich einfach mal auf die Seite schiebt.

Beate: Unsere Veranstaltung ist ja zum Internationalen Frauentag. Jetzt wollte ich dich fragen: In der herrschenden Debatte werden ja Frauenrechte und Islam immer gegeneinander ausgespielt. Es wird immer so dargestellt, hier die europäische liberale Gesellschaft, wo die Frauen alle Rechte haben und tun können, was sie wollen, angeblich, und auf der anderen Seite die muslimischen Frauen, die unterdrückt sind. Stimmt dieses Bild mit der Realität überein? Und ist es überhaupt so, wie es dargestellt wird, dass wir nur die Wahl haben zwischen diesen beiden Polen - entweder/oder? Was denkst du darüber?

Helga: Naja, zuerst muss ich einmal sagen, Frauenunterdrückung gibt es überall, weltweit – es ist in jedem System so, es ist in jeder Ideologie bis jetzt so. Also in jeder Ideologie, die auch lebt, hier. Wir sind in einem weltweiten Patriarchat. Man kann es mit diesem Vokabular ausdrücken. Es gibt keine Gesellschaft, in der Frauen wirklich gleichberechtigt leben können heute. Das ist im Islam, im Christentum und Demokratien genauso. Es gibt die hehren Ideale, immerhin, Gott sei Dank, gibt es die. Und die gibt es auch im Islam. Und es gibt jetzt auch mit den verschiedenen Revolutionen im arabischen Raum; natürlich war da auch ein Vorlauf dafür, dass es sehr viele Diskussionen gegeben hat, gerade unter muslimischen Organisationen, unter muslimischen Frauen, die ja auch ausschlaggebend waren, dass sich da auch politisch etwas bewegt hat, weil ich bin schon der Ansicht, letztendlich, es müssen sich in so einem Fall auch die Strukturen ändern. Und erst wenn sich die Strukturen ändern, und da müssen wir auch gemeinsam anpacken mit den Männern, dann kann es dazu kommen, dass die Frauen wirklich gleiche Rechte haben, wie die Männer. Das ist einfach eine Voraussetzung. Und jetzt vielleicht noch einmal zu dieser Frage der muslimischen Frauen. Es ist ja so, muslimische Frauen, und das ist ähnlich wie mit MigrantInnen im Allgemeinen. Muslimische Frauen werden entweder als Opfer gesehen, auf der einen Seite, oder sie werden als Gefahr dargestellt. Und in diesen Bildern der Polarisierung bewegen wir uns. Das heißt einerseits sollen sie arm sein, sie werden zwangsverheiratet oder sie sind unterdrückt oder sie werden beschnitten – all diese furchtbaren Sachen gibt es, ich weiß es – aber sie werden in dieser Gesellschaft oft bewusst so benützt, um sich selber als die bessere Gesellschaft darzustellen. Und vor allem sind da insbesondere europäische Männer ganz stark darin, sich als Befreier dieser Frauen darzustellen. Letztendlich endet das dann auch wieder in Okkupation oder Besatzung oder in sonstigen Interventionen, die halt jetzt politisch oder ökonomisch an der Tagesordnung stehen. Frauen werden hier auch missbraucht, Frauenunterdrückung wird missbraucht, um politische oder ökonomische Zielsetzungen zu verfolgen und durchzusetzen. Auf der anderen Seite ist dann immer die Rede von der islamischen Gefahr und der Scharia und den verschleierten Frauen und wie furchtbar und das ist, alles ganz schlimm für unsere Gesellschaft. Da ist sie dann wieder eine Gefahr, die Frau. Das sind genau diese zwei Pole, wo man sich drinnen bewegt, aber man muss einfach die Frauen selber fragen: Was tut ihr? Was denkt ihr? Wie ist eure Situation? Das betrifft auch die Frauenbewegung, die weiße. Die weiße Frauenbewegung ist auch oft so, dass sie glaubt, sie hat die Weisheit für alle anderen dieser Welt gefunden. So ist es aber nicht. Es gibt verschiedene Kulturen, es gibt verschiedene Befreiungsansätze, es gibt Frauen in anderen Kulturen, in anderen Umständen. Sie werden ihr Schicksal selber bestimmen. Und bitte, jeder von uns, der hier aufgewachsen ist, muss für sich selber reflektieren und muss natürlich auch die Entwicklungshilfe, die passiert, auch unter diesem Blickwinkel anschauen, wer soll oder muss jetzt quasi arm sein, damit der andere reich sein kann und sich als Guter präsentieren.

Beate: Julienne was sagst du zu dem Bild, das in den Medien über Afrikanerinnen herrscht. Wie nimmst du das wahr?

Julienne: Männer sind was anderes, aber Afrikanerinnen: Prostitution. Das ist das Klischee, was sie dann einfach einmal haben. Wir Frauen müssten selber zum Thema Kultur, einfach einmal, wenn wir hier herkommen, um die Akzeptanz zu haben, gehören einfach einmal beide Parteien dazu. Das wir auch bereit sind, die österreichische Kultur kennenzulernen und mitzuleben. Und umgekehrt auch. Wir wünschen uns auch, dass die Österreicher reden oder die Völker unsere Kultur im Spiegel mal ein Bisschen kennenlernen und dann können wir vielleicht miteinander zurechtkommen. Aber Frauen; was ist eine Migrantin? Migrant steht immer da – da haben sie Angst. Vor allem, was fremd ist, haben wir Angst. Was mich ganz massiv stört ist das Bild „Afrikaner = Drogendealer“. Und wenn man mich sieht, dann denkt man sich Drogendealer und ich denk mir, was ist der Unterschied, ich zahle meine Steuern, ich lebe hier, ich habe Kinder. Aber das tut mir weh. Weil ich hatte noch nie mit Drogen zu tun, ich bin noch nie in die Arbeitslosigkeit gegangen und ich werde trotzdem genauso abgestempelt wie andere. Das tut einfach weh. Und was ich auch bei vielen Menschen sehe, die denken, sie ist Afrikanerin, ich weiß nicht was sie denkt. Auf der Straße oder im Beruf. Die sagen: Sind die echt? Und dann haben sie schon die Hände auf meinem Kopf. Was bin ich? Ich glaub keine Österreicherin würde zu einer hingehen, die rote Haare hat und sagen: Sind die echt? Keiner tut das. Wo sind wir? So werden wir behandelt. Das ist ja eine Respektlosigkeit.

Beate: Sumeeta, Migrantinnen stehen oft unter Anpassungsdruck. Vielleicht von beiden Seiten, von dem eigenen Umfeld und von der Gesellschaft. Jeder will: Du sollst so sein, wie wir von dir erwarten. Aus deiner Erfahrung: Was könntest du den Frauen raten, wie sie aus dieser Zwickmühle entkommen können?

Sumeeta: Ich möchte erst einmal etwas zum Frauenbild überhaupt sagen. Erstens einmal, stört es mich überhaupt, dass alle Gruppierungen, ob weiße Frauen, muslimische Frauen, bosnische Frauen, Afrikanerinnen. Egal, jede Gruppe kocht ihr eigenes Süppchen. Für mich, ich hab einmal übersetzt für eine Gewerkschafterin aus Indien und sie hat mich sehr, sehr beeindruckt. Und diese Frau hat gesagt: alle Unterdrückungen hängen zusammen und erst wenn alle Unterdrückungen gemeinsam bekämpft werden, nur dann kann es zu einer besseren Gesellschaft kommen. Und ich finde auch, ob das jetzt Unterdrückung aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, Religion, Hautfarbe, Bildung oder was auch immer ist, es wäre wichtiger sich zu vernetzen, zusammenzutun. Auch die Frauenbewegung und Frauenbewegungen die es gibt, müssten eigentlich auch sich verbünden. Dass man einfach diese Schranken einmal loswird. Diese Schranken sind in allen Köpfen und auch wir Frauen sind nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen, je nach unserer Stellung. Und ich, gebildete Frau aus Indien, hab sicher auch schon mal eine Täterrolle gehabt. Das wäre für mich ein wichtiges Anliegen. Anpassungsdruck ist natürlich da. Indien ist ja exotisch, Indien ist Religion, Leute aus Indien oder Inderinnen sind irgendwo die guten MigrantInnen. Die Erfahrung habe ich gemacht. Die Leute waren immer positiv eingestellt. Jeder und was auch immer; es ist ein bisschen Exotik da; man sagt, ja so fesche Leute. Dann hat eine zu mir gesagt aus Bischofshofen, bei euch ist es eh immer so warm, wo kommt ihr denn her? Ich hab dann gesagt, ich bin in Pfarrwerfen daheim. Nein, aber wo kommst du denn her? Da kommt immer die Frage, wo kommst du her? Ihr seid so fesch, ihr seid so nett und wir haben euch eh lieb und wir fahren eh alle paar Jahre nach Indien und es ist so schön, oder es ist schrecklich, das gibt es auch. Aber Indien hat ein gewisses positives Bild, was leider die türkischen Mitbrüder/Mit[schwestern] nicht haben, aufgrund der Geschichte. Also das ist einfach da.

Den Anpassungsdruck hab ich sicher gespürt. Ich hab mich zum Beispiel schon für meine Mutter geschämt, weil wie meine Mutter hierher gekommen ist; die hat natürlich Salwar Kameez und ihren Sari angezogen und ist mit mir durch Pfarrwerfen spaziert. Und die Leute haben uns natürlich angeschaut. Ich hab dann zu meiner Mama gesagt: Mama, magst du nicht einmal eine Hosen anziehen, ich gebe dir eine Hose. Sie hat gesagt, ich hab noch nie in meinem Leben eine Hose angezogen, werde ich auch nicht machen. Das sind also einmal diese Äußerlichkeiten und sicher, man will nicht auffallen. Und irgendwann habe ich mir gedacht, auffallen tust du so oder so; also ich könnte sogar meine Haut irgendwie bleichen und selbst dann würde ich auffallen; und ich könnte auch eine Perücke aufsetzen und selbst dann würde ich auffallen. Und selbst mit einer Schönheitsoperation oder wenn ich gleich ausschauen würde, selbst dann würde ich an irgendeinem Merkmal, vielleicht meinem Akzent auffallen. Also, es wird immer so sein. Anpassung, denk ich, sicher passt man sich auch sprachlich an. So, wie ich am Anfang gesprochen habe, ich habe das mehrmals erzählt. Die Leute haben immer gesagt, du sprichst ja Deutsch, hast du deutsche Lehrer gehabt? Warst du in Norddeutschland zuhause oder warst du da einmal? Und: du sprichst zwar Deutsch, aber kein Deitsch. Natürlich habe ich dann versucht, mich mehr mit dem Dialekt zurechtzufinden, habe auch immer wieder zugehört, aber mir ist das leider nicht gelungen Dialekt zu beherrschen, ich kann nicht Dialekt reden. Ich rede meinen Mischmasch aus irgendwas, also meinen eigenen Mischmasch, mein deutsch. Meine Kinder wollen das auch. Meine Tochter will auch am allerliebsten blond sein. Wichtig ist einfach ein bisschen Selbstbewusstsein zu haben, um einfach so aufzutreten, wie man sich wohlfühlt. Ich habe auch einmal mit jemandem eine leidenschaftliche Diskussion geführt, ob der Minirock wirklich so emanzipatorisch ist, wie er hingestellt wird, gegenüber dem Sari, weil jemand hat mir gesagt, der Sari behindert die Bewegungsfreiheit und ich hab gesagt, ein Sari ist klimatisch gut angepasst. Ich glaube diese Äußerlichkeiten ob Burka oder Kopftuch oder Sari oder Minirock oder Rock, wichtig ist... ich denk diese Debatte um die Äußerlichkeiten lenkt sehr viel von den eigentlichen Problemen ab. Eigentlich wollen wir alle ein gutes Leben haben, eigentlich wollen wir alle Bildung für unsere Kinder haben, wir wollen alle in Frieden leben, wir wollen Freunde haben, wir wollen etwas Sinnvolles in unserem Leben machen, das vereint uns, wir wollen Liebe und Glück haben. All diese Äußerlichkeiten helfen vielleicht den Mächtigen, hilft auch dem Kapitalismus, das die Leute zufrieden mit sich selbst sind oder irgendwie, dass man den Leuten auch suggeriert, ja, das und das könntest du noch besser machen oder du passt nicht ganz, du könntest vielleicht etwas kaufen/erwerben oder dich weiterbilden und investieren und dann könntest du vielleicht besser in unser System passen. Ich finde schon, dass der Kapitalismus diese Unterschiede schafft, wo die Mensch überhaupt diese Unterschiede braucht, die Spaltungen braucht, damit mehr verkauft werden kann, damit sie immer unzufrieden bleiben, weil wären sie zufrieden, dann würden sie nicht mehr so viele Bedürfnisse haben; und wären nicht so viele Bedürfnisse da, könnte man nicht so viele und immer neue und immer kurzlebigere Produkte verkaufen und somit die Gewinne steigern. Ich weiß nicht, ob ich die Frage beantwortet habe.

Beate: Ja!

Julienne: Darf ich kurz etwas ergänzen? Was ganz wichtig ist. Ich denk mir, wir sind unterschiedlich und wir werden auch unterschiedlich bleiben. Was ganz wichtig ist, was wir gemeinsam haben, sollten wir einfach einmal ausnützen und aufheben. Einfach einmal daran arbeiten. Was ist eine Gemeinsamkeit? Sport, kochen, Info-Abend wie jetzt; dass wir einfach einmal versuchen, was uns verbindet, was wir gemeinsam haben zu fördern.

Helga: Soll ich gleich noch etwas dazu sagen?

Beate: Gerne, wenn du etwas sagen möchtest!

Helga: Ich möchte gerne aufgreifen, was ihr gesagt habt. Du hast sicher recht, der Kapitalismus, diese Form in der wir hier leben ist ein grundsätzliches Übel und befördert ja wirklich das Gegenteil einer solidarischen Gesellschaft. Es ist so, dass sich das in den letzten Jahrzehnten auch sehr verschärft hat, denn man ist ja quasi immer mehr weggegangen von diesem innersolidarischen Modell, das man ja hier als Staat gehabt hat oder hat mit diesem sozialdemokratischen Schema, wie auch in Schweden, die Staaten haben sich ja mit der EU oder in diesem internationalen Wettbewerb immer mehr aufgelöst und damit auch diese Möglichkeiten zur solidarischen Intervention, die man halt da noch hatte, die sind jetzt immer mehr in private Hände übergegangen und dadurch wird der Konkurrenzdruck immer schärfer; es ist ja überall zu merken. Es ist ja schon in der Schule so, wenn wir hinschauen zu den Kindern in der Schule. Dieser Wettkampf darum, wer schafft es, wer kann aufsteigen, wer kann jetzt in die Mittelschule kommen, wer kann es nicht, wer kann nur in die Hauptschule? Und so weiter. Dieses Selektionssystem, das von Anfang an da ist; ich finde das hat eine derartige Brutalität. Und wir haben Kinder. An den Kindern merkt man das selber am ärgsten, wie schlimm das ist und wie weh das auch tut, wenn man da nicht mitkommt und wenn man noch dazu ausselektiert wird quasi, aufgrund von Merkmalen, wie Sprache. Und alle anderen Fähigkeiten und alle anderen Möglichkeiten werden quasi abgeschnitten oder müssen sich einen anderen Weg suchen, einen schwierigeren Weg wahrscheinlich suchen, als bei jemandem der diese Kriterien eben nicht hat. Ich will auch noch etwas zu dir sagen. Denn ich denk mir, okay, den Kapitalismus in irgendeiner Form zu bekämpfen, das ist eine Sache und die Frage ist, wie man dann hier und jetzt leben kann auch in diesem System und auf der einen Seite auch einen Ort des Widerstandes schaffen kann und einen Ort, in dem man sich selber auch treu bleiben kann oder in dem man sich selber ermutigen kann. Und ich wollte auf das Thema Arbeitsmarkt noch einmal kommen. Vielleicht ist ja eine Chance auch die, das man Migrantencommunities fördert und Migranten und Migrantinnen fördert, dass sie selber Betriebe gründen oder Genossenschaften oder etwas in dieser Weise. Ich habe lange drüber nachgedacht auch, was man tun kann, weil die Leute kommen vielleicht zur Arbeiterkammer, aber wenn die Leute zur Arbeiterkammer kommen und sich bei dir zum Beispiel beschweren, ist es meistens schon zu spät oder sie haben ihren Arbeitsplatz verloren und ich weiß aus eigener Erfahrung von vielen MigrantInnen, sie wollen arbeiten, aber die Strukturen in diesen Unternehmen sind dermaßen grauenhaft, so selektiv und auch so auf Rassismus aufgebaut, dass es die meisten nicht schaffen können. Und wenn sie es schaffen, dann nur um den Preis einer Überanpassung, der sie dann auch krank macht auf Dauer. Und ich bin dann zu dem Schluss gekommen, vielleicht soll es wirklich so sein, dass die MigrantInnen ihre eigenen Geschäfte aufbauen, ihre eigenen Firmen, ihre eigenen Betriebe und da drinnen dann dafür sorgen, dass es ein anderes Arbeitsklima gibt, dass es Möglichkeiten zur Entwicklung gibt. Es gibt zum Beispiel für muslimische Mädchen keine Möglichkeit für eine Lehre oder ganz enge Möglichkeiten nur. Man sagt, Frauen in die Technik oder Mädchen in die Handwerkerlehre, aber für ein muslimisches Mädchen und nicht nur das, auch für ein österreichisches Mädchen ist es total schwierig in einen Betrieb zu kommen, wo nur Männer arbeiten und wo einfach solche Strukturen sind, die gezeichnet sind von Rassismus. Das ist einfach ein Wahnsinn, sich dort durchzusetzen. Und daher braucht es da andere Möglichkeiten und daher finde ich, man müsste vielleicht an dieser Stelle das machen.

Julienne: Was du vorher gesagt hast, eigene Betriebe. Die meisten, die hierherkommen sind Asylsuchende. Sie haben keinen Beruf, sie können keine eigene Existenz aufbauen hier. Und was für mich auch ganz wichtig wäre ist, Leute, die hierherkommen und um Asyl ansuchen, wer kann schon von Vorhinein, das man ihn einfach mal in die österreichische Kultur hineinzieht, dass man ihm einfach mal erklärt, wo sie welche Sachen kriegen. Es ist oft zu spät. Wenn man sich eine Arbeit sucht als Frau und meistens hat man Kinder. Man muss dann für die Kinder Plätze suchen. Man kommt da hin. Vorherige Woche war eine Frau da. Sie geht zum Arbeitsmarktservice. Die sagen, ja, haben Sie jemanden für die Kinder, sie müssen jemanden für die Kinder besorgen. Dann geht man zur Krippe. Die sagen zuerst mal brauchst du eine Arbeit und dann Kinderplatz. Und diese Schikane, das geht genauso. Ein eigenes Geschäft, das ist schwer. Selbst wenn sie das Potential dazu hätten, sie können nicht. Auch wenn sie das hätten. Ich kenne selbst Leute die zum Beispiel ein Lokal hatten, aber dann zugemacht haben. Als sie das Lokal hatten, war auf einmal ständig die Polizei dort zur Überwachung. Sie haben keine Freiheit und können sich nicht bewegen. Wir sind laut, wir sind impulsiv. Da muss man beide Kulturen einmal kennenlernen. Afrikaner; wir reden auch, wir schreien. Das ist so, das ist lustig. Wenn der Nachbar das weiß, kann er das eher akzeptieren und vielleicht mitlachen. Ich denk mir, es gibt viele die hier sitzen und die kennen ihre Nachbarn gar nicht.

Beate: Ihr habt jetzt schon einige Dinge beantwortet, die in meinen Fragen erst kommen sollten, aber macht nichts. An alle drei. Der Integrationsstaatssekretär sagt zum Beispiel: „Integration heißt Leistung“. Was sagt ihr dazu?

Sumeeta: Leistung muss sich lohnen. Ich finde es arg, dass das Menschen nur unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Verwertbarkeit für das System angesehen werden. Das ist entmenschlichend für mich. Dass man jemanden nur unter diesem Aspekt sieht, weil dann wären wir sehr bald in der Logik von den 1930ern, weil alle, die nicht wertvoll waren für die Gesellschaft, man weiß schon, was mit ihnen passiert ist. Also diese Debatte finde ich sehr, sehr gefährlich. Was ist mit Menschen, die einfach... Es ist zynisch. Wenn so viele Hürden und Barrieren da sind und dann von den Menschen zu verlangen, dass auch eine Leistung da ist; also dass sie sich integrieren sollen durch Leistung, was ja schon fast unmöglich ist. Ich weiß es nicht. Leisten muss, wenn schon, die Politik etwas, indem sie die Hürden abbaut.

Julienne: Ja, das wäre schön. Ja wir wollen auch etwas leisten, aber dazu müssen wir einfach eine Möglichkeit haben, erstmals die deutsche Sprache zu beherrschen. Und wie? In Wien zum Beispiel geht es ganz gut. Da kriegen sie einmal eine Förderung, 100 Euro kriegt man einmal, um für ein halbes Jahr einen Deutschkurs zu besuchen. In Oberösterreich muss man das aus der eigenen Tasche bezahlen. Viele können das nicht. Migranten die kommen, Asylsuchende, die haben kein Geld.

Wir haben ja vorher schon viel über Barrieren gesprochen, die Anerkennung von Diplomen. Und wenn ich die Sprache nicht kenne, dann kann ich in meine Heimat zurück. Um überhaupt hier zu bleiben, muss ich schon einmal Maturaniveau haben. Vielleicht habe ich in meiner Heimat schon die Matura gemacht und studiert. Aber wenn ich die Sprache nicht beherrsche, wenn ich dann die Prüfung nicht schaffe, heißt das dann, ich muss das Land verlassen. Die Möglichkeit muss da sein für den Menschen, erst einmal die Sprache zu lernen und zwischen den Asylsuchenden gibt es viele, die schon qualifiziert sind. Wir suchen Facharbeiter. Unter den Afrikanern gibt es sicher viele Facharbeiter, aber sie werden zurückgeschickt. Die Möglichkeit geben, Chance geben.

Helga: Vielleicht, um da anzuknüpfen. Eine Wurzel von diesem Rassismus, der hier herrscht und der einfach alle Möglichkeiten, die wir versuchen, auch immer wieder verbaut, die liegt in den Jahren des Faschismus. Ich sehe das wirklich so, wie du auch schon angedeutet oder gesagt hast. Es gibt eine gewisse Kontinuität faschistoider Praktiken bis heute und ich glaube, dass diese Unterteilung von Menschen, die hängt auch mit solch einer Art von Denken, mit solch einer Art von Ideologie und Praxis zusammen. Und ich meine, solange es auf dieser Welt dieses Ungleichgewicht gibt zwischen reichem Norden und armen Süden. Es ist ja so, wenn einer reich ist und der andere arm ist, dann hat der eine dem anderen etwas weggenommen. Es kommt nicht von natürlich her. Es hat einen Grund. Und deshalb denke ich, auch so ein Zitat, wie dieser Mensch sagt, es ist ja einfach total gemein oder es ist auch in dieser Tradition. Weil es bedeutet ja auch umgekehrt, wenn er sagt Integration durch Leistung. Es gibt ja quasi welche, die nichts leisten. Das unterstellt ja quasi schon dieses Gegenteil. Und die die nichts leisten, haben bei uns nichts verloren, weil, wir sind die, die etwas leisten und wir können quasi nur gute Leistungsbringer brauchen. Und das ist genau dieses Gedankengut, nur, dass man es jetzt in anderer Form ausspricht, aber die Idee dahinter ist genau die gleiche. Wir sind die Guten. Und wir bestimmen das. Und wir bestimmen, wer kommt und wer nicht. Und was hat zu geschehen und was hat nicht zu geschehen. Das ist so ein Dominanzverhalten ganz eindeutig. Jetzt ist mir entfallen, was ich noch sagen wollte, weil mich das auch so wütend macht, diese Angelegenheit. Jetzt weiß ich es wieder. Umgekehrt muss es nämlich sein, umgekehrt muss ja die Leistung von den Mächtigen erbracht werden. Und eigentlich muss er es sein und solche, die wie er reden, dieser Kurz, die sich integrieren in Wirklichkeit und nicht umgekehrt. Also das ist auch noch einmal eine andere Diskussion, wenn man darüber spricht, was ist Integration und wer soll sich wo integrieren. Aber in eine menschliche Gesellschaft und in eine gleichberechtigte Gesellschaft sich zu integrieren, da kann er sich selber am Schopf nehmen, weil das ist nämlich dem seine Aufgabe und da wird er lange zum Arbeiten haben dran.

Julienne: Noch etwas dazu. Wenn ich höre integrieren. Ich höre, nach 22 Jahren Erfahrung. Immer integriere dich, integriere dich in der Gruppe. Ich denke mir, wie? Wie soll ich mich integrieren? Ich bin erstens alleine in einer Gruppe von 24 Schwestern auf der Abteilung. Keine hat mich je gefragt woher kommst du? Wie lebst du bei dir? Hast du Geschwister? Wie soll ich mich integrieren, wenn keiner überhaupt interessiert ist, zu wissen, wie ich lebe oder, wie ich gelebt habe. Wir Afrikaner haben immer das Gefühl, dass die Europäer glauben, vielleicht durch die Kolonisation, dass wir nichts im Kopf haben. Einfach nur unterdrücken. Du hast nichts zu sagen. Als Bedienerin bin ich gut genug, aber als Diplomierte, da werde ich nicht akzeptiert, nein.

Beate: Also die Regeln bestimmen die Mächtigen, was Integration bedeutet? Heutzutage wird viel über Diversität geregelt. Was verstehst du unter Diversität und wie sollte Diversitätspolitik ausschauen?

Sumeeta: Diversität wird oft, glaube ich, als Ausrede genommen, um nichts zu tun oder nichts an den Strukturen zu ändern. Man hat so wie die Corporate Social Responsibility ein Diversitätsprogramm und dann tut man hier und da was, damit man großflächig nichts tun muss, finde ich zumindest. Gerade Diversität bedeutet tatsächlich erstens einmal grundsätzliche Gleichheit der Menschen. Diversität würde dann bedeuten, also wahre Diversität bedeutet für mich, dass das Wort Diversität eigentlich gar nicht mehr auftaucht, weil alles so selbstverständlich ist, dass es keine Kategorisierungen mehr gibt. Eine richtig diverse Gesellschaft wäre, wo es selbstverständlich für Menschen wäre, egal welcher Herkunft sie sind, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören, dass sie überall in allen Ebenen zu finden sind, also das wäre wahre Diversität, aber davon sind wir weit entfernt, und Diversität würde auch bedeuten, dass man sich von Nationen und diesen Konzepten wegbewegen müsste, von all dem auch. Eigentlich müsste man, wie man das auch schon zum Beispiel beim Klimawandel sieht, dass es globale Diskurse und globale Lösungen braucht, und eigentlich muss es vielmehr einen grundsätzlichen Diskurs geben über viele grundlegende Sachen des Lebens. Was ist für uns Arbeit, was ist der Wert von Arbeit, was wollen wir im Leben haben, welche Sachen sind uns wichtig, was nicht? Weil wenn wir wirklich sagen, dass alle gleichberechtigt sind, gleich beteiligt sind, wir sind einfach vielfältig, wir haben verschiedene Bedürfnisse, dann müssten auch alle in diesem Dialog, würde ich meinen und dann auch diskutieren.

Beate: Was bedeutet für dich Diversität?

Julienne: Naja, ich unterstütze sie. Sie hat eigentlich fast alles gesagt, weil ich denk mir Aufstiegschance gleich für alle wäre, okay und Gleichberechtigung, ja. Das wäre für mich ganz wichtig.

Beate: Möchtest du noch etwas ergänzen?

Helga: Ja, ganz kurz möchte ich schon noch was sagen. Ich bin natürlich immer hin und hergerissen auch, weil dieses „Diversität“ ist ja auch ein Modewort und im Allgemeinen kommt das ja aus diesen Multinationalen Konzernzusammenhängen, wo Diversität gefördert wird und gut geheißen wird, aber meistens betrifft das nur die obersten Ränge. Die Ränge derer, wo es darum geht, also wie kann ich jetzt für meinen Konzern möglichst gut ausgebildete Leute aus anderen Ländern hereinnehmen, mit dem Ziel, jetzt auch in China zu expandieren oder auch noch irgendeinen Konzern in der Ukraine oder eine Verkaufsstelle hinzustellen oder dort oder da, je nach dem. Das ist das eine, woher das Wort Diversität überhaupt kommt. Auf den untersten Ebenen, wo es dann wirklich um Arbeiter/Arbeiterinnen geht, da wird das nicht umgesetzt oder es wird nur so umgesetzt, wie wir schon festgestellt haben, dass ganz unten immer die arbeiten sollen, die nicht weiß sind oder irgendwie anders sind. Trotzdem muss ich ein Beispiel bringen aus meiner eigenen Erfahrung. Ich weiß, dass IKEA natürlich auch ein internationaler Konzern ist, ich weiß, dass er auch Natur- und Rohstoffe beinhart ausbeutet und auch Menschen sicherlich ausbeutet, in China, wo er produzieren lässt oder das Palmöl auch, wo der Amazonas dann niedergeschlagen wird. Und diese heuchlerische Politik der Konzerne kennen wir. Ich wollte nur sagen, ich habe auch bei IKEA gearbeitet und dort haben sie auch dieses Wort „Diversity“ ganz groß aufgeschrieben und wir sind international und unser Publikum und die Leute sind per Du und so weiter. Und dann habe ich dort gearbeitet. Und erstens einmal habe ich dort einen Arbeitsplatz bekommen und ich wusste, dass dort muslimische Frauen arbeiten dürfen, weil ich kannte auch schon eine, die dort gearbeitet hat. Das ist schon einmal ein Unterschied zu vielen anderen Betrieben in Österreich. Und der zweite war der; als ich schon dort gearbeitet habe und es eben so gewesen ist, dass ein Kollege von mir mit Rassismus konfrontiert war und ich habe das dann gemeldet. Und sie haben dann wirklich reagiert, diese Leute dort, und haben dann wirklich mit diesem anderen Arbeiter, der halt da quasi rassistisch war, so geredet, dass der mit diesem Verhalten aufgehört hat. Und ich muss ehrlich sagen, in der ganzen Zeit, wo ich dort gearbeitet habe, das war fast ein Jahr, bin ich sehr selten mit Rassismus konfrontiert worden in der Arbeitswelt selber. Wir waren dort allerdings auch wirklich viele MigrantInnen. Und da hat das in diesem Fall, vielleicht war das ein Ausnahmefall, es hat gut funktioniert, aber da habe ich mir doch gedacht: Anscheinend wenn es Regeln gibt und es gibt jemanden, der diese Regeln wirklich dann einfordert, nicht nur auf dem Papier, die müssen eingefordert werden und es muss dann auch Maßnahmen geben, wenn sie nicht eingehalten werden. Offenbar kann das auch funktionieren.

Sumeeta: Sanktionen!

Beate: Eine letzte Frage an euch und dann seid ihr [das Publikum] natürlich auch alle eingeladen, etwas zu sagen. Wie können wir die Grenzen zwischen „Wir“ und „Die Anderen“ aufbrechen? Welche Wünsche, Utopien oder Forderungen habt ihr? Vielleicht ganz kurz noch als Abschluss.

Julienne: Wie ich vorher gesagt habe: Die Aufstiegschancen aller.

Sumeeta: Eigentlich wünsche ich mir für alle Menschen, nicht nur Menschen sondern Tiere und Pflanzen und Landschaften und alle inklusive, ein gutes Leben haben können. Für die ganze Schöpfung wünsche ich mir, dass alle in Harmonie und so leben können, wie sie wollen. Natürlich ist das utopisch, das ist eine komplette Utopie. Schön wäre wirklich, wenn Menschen – die Arabische Revolution ist etwas, dass ich zum Beispiel begeistert mitverfolge – und allein, dass die Menschen auf die Straße gegangen sind ist schon ein Zeichen, ein Zeichen des Mutes, denke ich und wichtig wäre, dass wir uns alle Gedanken machen. Eben das, was ich vorher gesagt habe. Welche Gesellschaft wollen wir haben? Was für ein Leben wollen wir haben? Was verstehen wir unter Arbeit. Was ist sie uns wert? Wer bestimmt, welche Arbeit wie viel wert ist? Was für ein System wollen wir haben? Sicher, in Ansätzen gibt es hier und da sehr viel, aber ich glaube, wir müssten noch viel mehr miteinander reden. Also, ich wünsche mir, dass es keine Kategorisierungen mehr gibt. Also weder Mann, Frau. Ich kann auch mittlerweile gar nichts mehr anfangen damit, wenn jemand sagt, wir Frauen, wir sind unterdrückt – kann ich schon gut verstehen, aber ich sage, wir Frauen und Männer, ich denke, dass das Geschlecht nur ein Merkmal ist; es gibt sehr viele andere Merkmale auch, die unterdrückt werden. Sicher ist es auch so, dass man sich auch so bezeichnen muss. Aber mein Blick muss auch andere miteinbeziehen, in meinen Forderungen und ich denke, da müssen wir uns viel mehr miteinander solidarisieren uns viel mehr zusammenschließen.

Julienne: Wir brauchen auch Karriere-Chancengleichheit, weil es so ist, dass die Karriere gefördert werden soll für alle. Um eine Karriere zu machen, wäre es für uns Frauen wichtig, Kinderbetreuungsplätze zu schaffen, dass man die Kinder, wie in Schweden zum Beispiel einfach einmal für drei Tage in einen Hort lassen kann. Dass man einfach eine Möglichkeit hat, die Kinder zu betreuen. Dann kann man die Karriere verfolgen. Das wäre ganz, ganz wichtig. Toleranz; Akzeptanz sind auch sehr, sehr wichtig.

Helga: Ja, ich würde mir mal wünschen, dass alle Grenzen fallen und alle Mauern sollen fallen und diese europäischen Grenzen, dieses Schengen-Abkommen, diese fürchterlichen Stacheldrahtzäune, diese Boote, diese Kriegsboote im Mittelmeer, die ja die Leute, die Flüchtlinge zurückschicken. Diese Lager die es da gibt, das soll alles verschwinden, und ich finde, Europa braucht viel mehr MigrantInnen.

Die Veranstaltung wurde geförder von der Stabstelle für Chancengleichheit, Anti-Diskriminierung und Frauenförderung des Landes Salzburg und vom Integrationsbüro der Stadt Salzburg.

"Wir und die Anderen" geht auf eine Projektidee von Ishraga Mustafa Hamid zurück, eine österreichweite vergleichende Studie, um die Perspektiven von Migrantinnen, Musliminnen und Schwarzen Menschen sichtbar zu machen; leider konnte sie aus finanziellen Gründen nur in Wien umgesetzt werden.