Arbeitsmigration in den arabischen Golfstaaten
nach einem Vortrag von Adam Hanieh
Wer die utopisch anmutenden Wolkenkratzer in Dubai oder Abu Dhabi betrachtet, sollte auch einen Blick hinter die Kulissen werfen, auf die Arbeitsmigranten, die diesen Reichtum erschaffen haben, und auf die Bedingungen, unter denen sie hier leben und arbeiten. Mit der Situation der Arbeitsmigranten in den Golfstaaten, genauer gesagt in den sechs Staaten der Gulf Cooperation Saudi Arabien, Bahrain, Qatar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman und Kuwait, hat sich Adam Hanieh in seinem Vortrag am 29. MÀrz 2012 an der UniversitÀt Salzburg beschÀftigt.
Diese Staaten, deren Reichtum nicht auf Produktion, sondern auf dem Export von Erdöl begrĂŒndet ist, sind nach Europa und Nordamerika die drittgröĂte Destination von ArbeitsmigrantInnen. Alle diese Staaten haben eines gemeinsam, nĂ€mlich dass die Aufenthaltsberechtigung der MigrantInnen, die in diesen LĂ€ndern fĂŒr einen bestimmten Zeitraum arbeiten â es können Monate oder Jahre sein â auslĂ€uft, sobald der Arbeitsvertrag beendet ist. Diese Arbeiterinnen auf Zeit stellen mehr als die HĂ€lfte der Bevölkerung in diesen Staaten, in einigen sogar an die 80 Prozent. Das bedeutet, dass nur eine Minderheit der BewohnerInnen dieser LĂ€nder eine StaatsbĂŒrgerschaft und die dazugehörigen Rechte besitzt.
Der Arbeitsmarkt in diesen Staaten ist extrem hierarchisch. Die einheimische Bevölkerung arbeitet vor allem im Staatsdienst und genieĂt viele Privilegien, wĂ€hrend ArbeitsmigrantInnen hauptsĂ€chlich im privaten Sektor beschĂ€ftigt sind. FĂŒr sie ist jegliche Organisierung in Gewerkschaften strengstens verboten. Auf der einen Seite gibt es auĂerordentlich gut bezahlte Jobs, die vor allem von EuropĂ€erInnen und NordamerikanerInnen ausgeĂŒbt werden. Daneben gibt es Arbeiten wie auf den zahlreichen Baustellen, wo Menschen aus armen LĂ€ndern fĂŒr Hungerlöhne unter prekĂ€ren Bedingungen arbeiten.
Win-Win-Situation oder Ausbeutung?
Ăblicherweise wird Migration anhand von Push und Pull-Faktoren erklĂ€rt. Die Golfstaaten haben eine niedrige Bevölkerungszahl und eine geringe Ausbildungsrate, wĂ€hrend in den HerkunftslĂ€ndern der Arbeitsmigranten die Arbeitslosigkeit hoch ist und die Löhne niedrig sind. Die temporĂ€r beschĂ€ftigten Arbeitsmigranten profitieren, weil sie Löhne erhalten und Geld an die zurĂŒckgebliebenen Familien ĂŒberweisen können. Die Golfstaaten profitieren, weil sie billige ArbeitskrĂ€fte bekommen, die sie nach Hause schicken können, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Hanieh bezweifelt jedoch, dass es sich hier um eine Situation handelt, an der alle gewinnen, er sieht darin vielmehr ein System extremer Ausbeutung und einen Mechanismus, um die Arbeiter unter Kontrolle zu halten.
Bis in die 1990er Jahre kamen die Arbeitsmigranten in den Golfstaaten zu einem GroĂteil aus arabischen Staaten wie Jemen, Ăgypten oder PalĂ€stina. Doch im Zuge des Golfkriegs wurden diese ausgewiesen (vor allem in Kuwait, weil die PLO als UnterstĂŒtzerin der irakischen Invasion angesehen wurde) und durch Arbeiter aus anderen LĂ€ndern ersetzt, vor allem aus asiatischen LĂ€ndern wie Indien, Pakistan, Bangladesh, Thailand oder den Philippinen. Diese haben keine sprachlichen oder kulturellen Gemeinsamkeiten mit der ansĂ€ssigen Bevölkerung, was eine Kontaktaufnahme erschwert.
Die Trennung wird dadurch noch verstĂ€rkt, dass die UnterkĂŒnfte der Arbeitsmigranten meist weit auĂerhalb der Wohngebiete der einheimischen Bevölkerung liegen, wo sie in völlig ĂŒberbelegten Zimmern oder Containern untergebracht sind. Ein solch trostloser Ort ist Sonapur, die sogenannte âgoldene Stadtâ, eine Siedlung von sĂŒdasiatischen Arbeitsmigranten in Dubai. NatĂŒrlich fehlt, als ErgĂ€nzung zur rĂ€umlichen Trennung, auch nicht die wirksame Strategie des Rassismus, um SolidaritĂ€t zu verhindern: Die Migranten werden als Bedrohung fĂŒr die Sicherheit bezeichnet und ihnen vorgeworfen, die nationale Kultur und IdentitĂ€t zu zerstören.
Ein weiterer Faktor fĂŒr die ausweglose Situation der Arbeiter ist das Kafeel System: Agenturen werben die Arbeiter in ihren HeimatlĂ€ndern an, wofĂŒr diese eine GebĂŒhr bezahlen mĂŒssen, die sie mit der Zeit von ihrem Lohn abbezahlen mĂŒssen. Als Druckmittel halten die Arbeitgeber den Pass zurĂŒck. All das sind Mechanismen, die verhindern, dass Arbeiter sich organisieren und fĂŒr ihre Rechte einsetzen können. Sobald sich jemand beschwert oder höhere Löhne fordert, wird er abgeschoben.
HausmÀdchen in den Golfstaaten
âDas Leben fĂŒr ein HausmĂ€dchen ist wie in einem GefĂ€ngnis. Ich habe keinen Kontakt zu niemandem, ich weiĂ nicht, wie das Land ist. Ich habe mir Bahrain nie angeschaut. Drei Jahre und sechs Monate war ich in einem Haus. Sie lassen dich nicht weg, wenn du etwas kaufen willst, ist das nicht einfach. Du musst zuerst fragen und sie kaufen es. Oder sie haben einen Fahrer, er muss das bringen. Sonst geht es nicht, dass du raus gehst. HausmĂ€dchen sind keine Menschen fĂŒr diese Leute. Es ist schwer, weil nichts erlaubt ist, aber sie machen, was sie wollen. Freiheit gibt es, aber nicht fĂŒr HausmĂ€dchen, ein HausmĂ€dchen muss zu Hause bleiben wie in einem GefĂ€ngnis. Ein GefĂ€ngnis ist besser, denn man weiĂ, dass es ein GefĂ€ngnis ist.â
Das sind die Worte einer jungen Frau aus Ăthiopien, die elf Jahre lang als HausmĂ€dchen in Bahrain und Dubai gearbeitet hat. So gering die Möglichkeiten, sich zu wehren, fĂŒr Arbeitsmigranten in den Golfstaaten generell auch sein mögen, die Hausangestellten haben nicht einmal diese. Bei ihnen handelt es sich im Gegensatz zu den Arbeitern in anderen Bereichen um Frauen. Durch ihre Isolierung haben sie keine Möglichkeit, mit anderen zusammenzutreffen. Sie sind somit völlig abhĂ€ngig von ihren Arbeitgebern und ihrer WillkĂŒr und oft auch sexuellen Ăbergriffen ausgeliefert.
Verlagerung der Wirtschaftskrise
In den Jahren 2008 und 2009 fiel der Immobilienmarkt in Dubai in eine Krise. Bauprojekte wurden eingestellt und Baustellen geschlossen, die Arbeiter in ein Flugzeug gesteckt und zurĂŒck in ihre LĂ€nder geschickt. Die spezielle Struktur ermöglichte es den Golfstaaten, die Krise auszulagern, so dass sie dort nicht zu spĂŒren war, stattdessen aber in einem Dorf in Indien oder Pakistan. Dubai hatte kein Problem mit Arbeitslosigkeit, die abgeschobenen Arbeiter keine Möglichkeit zu protestieren.
Ist diese Art und Weise, mit ArbeitsmigrantInnen umzugehen, ein spezifisches Problem der Golfstaaten oder vielleicht sogar kulturell bedingt? Wer jedoch die Phase der Anwerbung von Gastarbeitern in den 1960er Jahren betrachtet, erkennt, dass hier Ă€hnliche Ăberlegungen im Spiel waren, nĂ€mlich gĂŒnstige ArbeitskrĂ€fte, die wenige AnsprĂŒche stellen, nach Europa zu holen und sie nach getaner Arbeit wieder in ihre HeimatlĂ€nder zurĂŒckzuschicken â wenngleich die Arbeiterrechte hierzulande durch Institutionen wie Gewerkschaften und Arbeiterkammer besser geschĂŒtzt sind. Doch gerade die Gewerkschaften haben mit ihrer Devise âĂsterreicher zuerstâ zur Spaltung der LohnabhĂ€ngigen beigetragen. Obwohl das Konzept damals nicht funktioniert hat und die Menschen hier geblieben sind, ist es mit der sogenannten âRot-WeiĂ-Rot-Cardâ zu einer Neuauflage gekommen. âWir holen die, die wir brauchenâ, ist ein hĂ€ufig gehörter Spruch, wobei der Anschein erweckt wird, dass es im Nutzen von uns allen sei, statt Menschen hier auszubilden, billige gut ausgebildete ArbeitskrĂ€fte in unser Land zu holen. Dass diese Strategie auch dazu dient, die Löhne auf niedrigem Niveau zu halten, wird ausgeblendet. Und wenn zunehmend mehr Integrationswilligkeit von den MigrantInnen gefordert wird, geht es vermutlich weniger um die Sorge, ob sich diese Menschen in unserer Gesellschaft gut zurecht finden, als um verĂ€nderte Anforderungen des Arbeitsmarktes, der von ArbeitskrĂ€ften heute mehr Qualifikationen und FlexibilitĂ€t fordert.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 42/2012
|