Flüchtlingsproteste:
Lieber tot als ohne Hoffnung
Sie trotzen der Kälte, erdulden den Hunger, halten dem Druck der Polizei stand, riskieren die Abschiebung und ihr Leben. Sie kämpfen nicht für Kleider und warme Betten, sondern für eine menschenwürdige Zukunft. Sie kämpfen für das Recht, Rechte zu haben.
Ihre Forderungen sind bescheiden: die Möglichkeit, Deutsch zu lernen, sich frei bewegen dürfen, nicht im Lager eingesperrt zu sein und ihre Kinder in die Schule schicken zu können. Die Flüchtlinge wollen keine Almosen, sie wollen aus eigener Kraft leben und als Menschen respektiert werden. Warum lösen diese Forderungen so große Aggressionen aus, dass man ihnen mit Baggern begegnet? Werden die Flüchtlinge nur akzeptiert, solange sie als unterwürfige und dankbare Bittsteller auftreten?
Manche von ihnen warten schon seit vielen Jahren auf ihren Bescheid. Andere Ansuchen werden im Eilverfahren negativ beschieden, ohne ausreichende Prüfung der Fluchtgründe der Asylsuchenden. „Wenn wir nicht hierbleiben dürfen, dann sollen sie unsere Fingerabdrücke löschen und uns weiterziehen lassen, um woanders eine Chance zu suchen“, sagt ein Flüchtling in der Wiener Votivkirche, denn einen Weg zurück gibt es für ihn nicht.
Der lange Marsch
Obwohl ihnen der Ausschluss von der Grundversorgung und die Illegalität drohten, haben sich am 24.11. über 200 Flüchtlinge auf den 35 km langen Marsch von Traiskirchen nach Wien gemacht, um gegen die menschenunwürdigen Zustände im Flüchtlingslager zu protestieren. Während ihres Marsches erfuhr die Karawane praktische Solidarität von BewohnerInnen, die sie mit Essen versorgten.
Nach einer Kundgebung in der Wiener Innenstadt errichteten die Flüchtlinge im Sigmund-Freud-Park ein Protest-Camp, das dort bis zur gewaltsamen Räumung durch die Polizei in der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember stand. Im Camp wurde jedoch permanent Druck auf die Protestierenden ausgeübt, sie wurden ständig von der Polizei durchsucht und manchen die Asylkarten weggenommen. Deshalb suchten sie Schutz in der Votivkirche, nicht gerade zur Freude des dortigen Pfarrers.
Unter Vermittlung der Caritas fand am 21.12. ein RoundTable Gespräch statt, bei dem nur drei der Betroffenen teilnehmen durften. Trotzdem sahen sie es als eine Chance an. „Danach sagte man uns: Geht zurück nach Traiskirchen, wir werden jeden Einzelfall prüfen, ob eine Wiederaufnahme in die Grundversorgung möglich ist“, erzählt einer der Sprecher der Flüchtlinge, Muhammad Numan. „Doch das ist keine Lösung für unser Problem. Welchen Sinn hätte unsere Aktion gemacht, wenn wir wieder zurückgehen?“
Sie suchten den Dialog mit der Regierung und haben sich auch an die UNO gewendet. Weil niemand bereit war, auch nur über ihre Forderungen zu sprechen, beschlossen 27 der Flüchtlinge am 22. Dezember in den Hungerstreik zu treten. „Es war unsere letzte Möglichkeit,“ sagt der Flüchtling Adalat Khan, der seine Heimat, das Swat-Tal in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion, verlassen und seine Familie zurücklassen musste, weil er als Mitglied der sozialdemokratischen Partei von den Taliban verfolgt wurde. Nun lebt der ehemalige Unternehmer seit acht Jahren in Europa – zuerst in Griechenland, dann in Österreich – ohne Aufenthaltstitel und ohne jede Perspektive. „Wie sonst können wir den Menschen unsere Probleme erklären? Wie können wir die Menschen erreichen?“
„Uns geht es nicht um spezielle Einzelfälle, wir wollen eine Verbesserung für alle Flüchtlinge erreichen“, erklärt Mohammed Numan selbstbewusst in einer Versammlung in der Votivkirche. „Wir wollen Geschichte machen und dafür sind wir auch bereit, unser Leben einzusetzen.“
Viele der Flüchtlinge stammen aus der Grenzregion zwischen Afghanistan in Pakistan. Sie sind geflüchtet vor Überfällen der Taliban und des pakistanischen Geheimdienstes sowie vor den Angriffen durch Nato-Drohnen. „Aber hier befinden wir uns wieder in einem Krieg“, sagt Numan. „Viele sind verzweifelt und denken an Selbstmord. Aber wir sind nicht hergekommen, um zu sterben, wir wollen nicht Selbstmord begehen.“
Gegen den in manchen Medien geäußerten Vorwurf, die UnterstützerInnen würden die Anliegen der Flüchtlinge für eigene Ziele instrumentalisieren, wehrt sich Numan entschieden: „Wir sind doch nicht ferngesteuert, wir treffen unsere eigenen Entscheidungen! Wir brauchen die UnterstützerInnen, wir haben doch nicht einmal das Recht, eine Demo anzumelden. Nicht die UnterstützerInnen instrumentalisieren uns, sondern es sind die Behörden, die Polizei und die Caritas, die uns zu spalten versuchen.“
„Natürlich wissen sie über die Kämpfe in andern europäischen Ländern, das Problem betrifft ja nicht nur ein Land, sondern die ganze Europäische Union“, meint der Menschenrechtsaktivist und Zeitungsherausgeber Di-Tutu Bukasa, der die Refugee-Protestbewegung als Teil der globalen Proteste aller von Prekarität betroffener Menschen sieht, all jener Menschen, vom herrschenden politischen und wirtschaftlichen System als überzählig betrachtet werden.
Den Protestierenden ist es gelungen, eine Diskussion in den Medien und der Öffentlichkeit über die Situation der Flüchtlinge in Österreich und Europa auszulösen. Sie erhielten zahlreiche Unterstützerschreiben von Prominenten, Kirchenleuten und Organisationen in ganz Europa. Für die Innenministerin sind die Forderungen der Flüchtlinge jedoch schlichtweg nur unrealistisch und sie verweigert jedes Gespräch über ihre Anliegen. Dabei verlangen sie nur Grundrechte, die in einer industrialisierten demokratischen Gesellschaft selbstverständlich sein sollten, nämlich das Recht auf ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben. Manche ihrer Forderungen finden auch breite Zustimmung, so unterstützen Teile der Gewerkschaften und sogar der SPÖ bereits die Forderung nach Zugang zum Arbeitsmarkt. Um etwas Grundlegendes an der restriktiven Asylpolitik zu ändern oder gar die Dublin-Verordnung zu brechen, wird es jedoch noch viele Kämpfe und viele Unterstützer und Unterstützerinnen brauchen.
Auf der Suche nach Menschenrechten
von Abdullahi A. Osman
Drinnen und draußen: Flüchtling und Unterstützer. Foto Talktogether
Obgleich die österreichische Geschichte eng mit der Flucht und Flüchtlingen verbunden ist, hat man das Gefühl, dass man für das Problem nie eine ernsthafte Lösung gesucht hat, sondern dass die Gesetze nur jedes Jahr verschärft werden, um die Menschen abzuschrecken. Am schlimmsten ist es in Wahlkampfzeiten, weil da die rechten Parteien die Bedürfnisse der Flüchtlinge als Vorwand ausnützen, um sie als Diebe, Schmarotzer und Gewalttätige zu diffamieren. Aber auch die großen Regierungsparteien trauen sich leider nicht, dem etwas entgegenzuhalten.
Was suchen die Flüchtlinge?
Diese Menschen haben eine lange und ungewisse Reise unternommen und je näher sie nach Europa gekommen sind, desto mehr erahnten sie Demokratie, Menschrechte, Sicherheit und Wohlstand, und umso größer wurden ihre Freude und Erwartungen. Sobald sie aber hier angekommen waren, wurden sie mit Ablehnung konfrontiert und spüren, dass sie unerwünscht und nicht einmal im Gotteshaus willkommen sind. Wenn sie Glück haben, erfahren sie die Duldung der Kirche. „Wir besetzen die Kirche nicht, wir sind keine gewalttätigen Menschen. Wir sind in die Kirche gekommen, weil wir Schutz suchen, und wenn es nach uns ginge, sollen die Gläubigen sofort ihr Gebet in der Kirche ungestört verrichten“, erzählt ein Flüchtling ohne Pause. Er atmet tief durch und spricht weiter: „Dass die Kirche zugesperrt ist, ist aber sehr schlecht für uns, wir fühlen uns isoliert.“ Ein anderer meint: „Es sieht so aus, als ob man uns noch mehr bestrafen möchte, indem wir keinen Besuch mehr bekommen können und man uns von unseren Freunden trennt“.
Vor dem verschlossenen Kirchentor
Vor der Votivkirche stehen ein Dutzend Leute und die Lage ist angespannt, weil ein Teil der UnterstützerInnen die Kirche nicht betreten darf, während ein anderer ungestört in die Kirche hinein und heraus gehen darf, aber keiner weiß den Grund. „Wir sind von Anfang an dabei gewesen und nun sind wir draußen, während die anderen hinein dürfen,“ klagt ein wütender Unterstützer. „Ich war in der Kirche, aber man hat mich hinaus geschmissen, weil angeblich die Flüchtlinge allein unter sich in der Kirche sein wollen, was ich aber nicht glaube“, meinte ein anderer, der gerade Flugblätter verteilt. Tatsächlich gibt es eine Liste und nur diejenigen, die auf dieser Liste stehen dürfen die Kirche betreten. Warum? Die Flüchtlinge verlieren dadurch Freunde und sie meinen, dass man sie langsam isolieren und zur Aufgabe zwingen will.
Vor dem Kirchentor können drei Gruppen beobachtet werden: die Flüchtlinge, ihre UnterstützerInnen und die MitarbeiterInnen der Caritas. Die Spannung zwischen UnterstützerInnen und Caritas ist nicht zu übersehen. Weil die Situation der Flüchtlinge immer schlimmer wird, verlieren diese das Vertrauen in die Caritas. Gespräche werden über ihre Köpfe hinweg geführt und obwohl es um ihre Anliegen geht, kommen sie nur selten zu Wort. „Wir wissen nicht, auf welcher Seite der Caritas steht, es wird immer über Hilfe geredet, aber es ist keine Veränderung in Sicht“, meinte einer der Flüchtlinge enttäuscht.
In der Kirche ist es kalt und manche von den Flüchtlingen sind seit mehreren Wochen im Hungerstreik, um Aufmerksamkeit zu erreichen, aber Tag für Tag wächst der Druck. Die Caritas ist als Hilfsorganisation für Notleidende bekannt und deswegen ist die Erwartung der Flüchtlinge in sie sehr groß. Aber es scheint, dass anders geredet als gehandelt wird, und man gewinnt das Gefühl, dass die Flüchtlinge nicht einmal im Gotteshaus willkommen und nur wegen der Öffentlichkeit geduldet werden.
In ihrer Heimat hörten die Flüchtlinge, wie demokratisch Europa ist, dass die Menschen dort in Wohlstand und Sicherheit leben und die Menschrechte geachtet werden, all das, was ihnen fehlt. Auf der Suche nach Gerechtigkeit sind sie nach Europa gekommen und nun in Österreich gelandet. Sobald sie hier ankommen, erfahren sie aber schnell, dass Demokratie, Menschrechte, Sicherheit und Wohlstand nicht für sie bestimmt sind. Menschen haben sie hier gefunden, aber ihre Rechte nicht. Wo bleiben die Freiheit und die Gerechtigkeit, die Europa auf seine Fahnen schreibt?
veröffentlicht in Talktogether Nr. 43/2013
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