Gespräch mit Lina Čenić
Juristin und Beraterin beim Flüchtlingsdienst der Diakonie Salzburg
TT: Kannst du uns kurz die Rechtsgrundlagen des Asylwesens erklären?
Lina: Hauptgrundlage ist die Genfer Flüchtlingskonvention, die im Asylgesetz genauer ausgearbeitet ist. Dann gibt es im Asylsystem noch andere relevante Regelungen wie das Bundesgrundversorgungsgesetz und andere Landesverordnungen, die im Detail klären, wie man die Grundversorgung gestaltet. Im weiteren Laufe des Verfahrens können noch das Fremdenpolizeigesetz, oder das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Anwendung kommen. Die Kinderrechtscharta ist eine weitere Rechtsgrundlage, die aber oft missachtet wird, etwa wenn Schulkinder abgeschoben werden sollen.
TT: Werden die Grundsätze der Genfer Konvention in Österreich immer umgesetzt?
Lina: Laut Genfer Konvention hat ein Mensch Anspruch auf internationalen Schutz, wenn er oder sie verfolgt wird, und zwar durch den Staat oder durch Private, sofern der Staat die betroffene Person nicht vor dieser Verfolgung schützt, und zwar aus einem der folgenden Gründe: Verfolgung aufgrund der politischen Gesinnung, aufgrund der Religion, der Nationalität, der Rasse oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Unter letztere fallen beispielsweise die von Verfolgung, Unterstrafestellung und Diskriminierung der Homosexualität betroffenen oder die von Blutrache verfolgten Menschen. Aber auch Mehrfachdiskriminierungen können den Grad einer Verfolgung erreichen.
Oft scheitert die Anerkennung aber an strittigen Rechtsfragen oder mangelnder Glaubwürdigkeit. An und für sich reicht die Glaubhaftmachung der Verfolgung, aber unter den Umständen, unter denen die Asylsuchenden herkommen und in dieser Maschinerie landen, kommt es oft zu einer vermeintlichen Unglaubwürdigkeit, weil die Leute verunsichert und traumatisiert sind. Viele erleben auch die Einvernahmesituation als sehr belastend, weil sie aufgrund des Machtungleichgewichts nicht in der Lage sind, ihre Gründe ausreichend zu schildern, was noch durch die sprachliche Unterlegenheit und mangelnde Rechtskenntnisse verschärft wird. Seitens der Einvernehmenden scheint es oft an der gebotenen Sensibilität im Umgang mit traumatisierten Menschen zu mangeln, Schulungen und Supervision werden ihnen weitgehend verwehrt.
Wenn Asylsuchende nicht sehr präzise arbeitende Dolmetscher und Dolmetscherinnen zur Verfügung gestellt bekommen, kann es zu Übersetzungsfehlern kommen. Wenn ungenau übersetzt wird, kann es zu Missverständ-nissen kommen, was dann oft als Unglaubwürdigkeit ausgelegt wird. Dann gibt es auch noch die rechtswidrige Praxis, dass die polizeiliche Erstbefragung herangezogen wird, obwohl diese explizit nicht auf den Fluchtgrund eingehen darf. Hier werden nur kurze Fragen gestellt, auf die nur kurz geantwortet werden kann, so dass viele Aspekte unberücksichtigt bleiben. Eigentlich sollte sich die polizeiliche Erstbefragung auf den Fluchtweg begrenzen, um zu klären, ob Österreich oder vielleicht ein anderer Staat zuständig ist. So entstehen aber viele negative Entscheidungen.
Ein strukturelles Problem ist, dass es im Asylverfahren nur eine Instanz gibt, normalerweise hat man in einem Verwaltungsverfahren zwei Instanzen. Der Asylgerichtshof hebt 30 Prozent der Entscheidungen auf, das heißt, dass das Bundesasylamt 30 Prozent falsche Entscheidungen trifft, die existenzielle Folgen für die betreffende Person haben können.
Aber auch der Asylgerichtshof hat einen gewissen Prozentsatz von Fehlentscheidungen. Danach gibt es aber nur mehr außerordentliche Möglichkeiten, zum Beispiel die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes, wenn die Grundrechte verletzt werden. Es ist aber schwierig, diese Rechtswege nutzen zu können, weil sie mit hohen Kosten verbunden sind, die in der Regel privat zu tragen sind, wobei Flüchtlinge in der Regel kein Geld und keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.
Ein weiteres Problem ist auch, dass dort nicht jede Beschwerde behandelt wird, sondern nur solche, wo nach einem Vorprüfungsverfahren davon ausgegangen wird, dass Grundrechte verletzt werden, nicht aber bei Verfahrensfehlern. Außerdem haben diese Beschwerden keine aufschiebende Wirkung, theoretisch könnte jemand, wenn der Verfassungsgerichtshof seinen/ihren Antrag auf Verfahrenshilfe bewilligt und sich das Verfahren über mehrere Jahre hinzieht, bereits abgeschoben sein, wenn sich herausstellt, dass ihm oder ihr dann doch Asyl oder subsidärer Schutz gewährt wird.
TT: Gibt es auch frauenspezifische Fluchtgründe?
Lina: Das fiele dann unter die Regelung „Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe“, also zum Beispiel zur Gruppe der von Genitalverstümmelung betroffenen oder der Gruppe von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen, zur Gruppe der Frauen, die keinen Zugang zu Bildung hat, die Gruppe der Frauen ist nicht per se eine eigene Gruppe. Es ist aber generell problematisch, Frauen, die allein unterwegs sind, keinen Schutz zu gewähren, weil Frauen, insbesondere wenn sie keine Familienanbindung haben, oft unmenschlichen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.
TT: Die Fluchtgründe sind heute andere, als zu der Zeit, aus der die Genfer Konvention stammt…
Lina: Ja, man kann sie aber auch wohlwollend auslegen. Eine wichtige Frage ist zum Beispiel die Wehrdienstverweigerung. Ich würde sagen, Wehrdienstverweigerung heute in Syrien ist eine politische Haltung. Es gibt hier in Europa verschiedene Praxen, eine Vereinheitlichung ist aber vorgesehen. In Österreich werden kaum Anträge von Asylsuchenden aus Pakistan positiv entschieden. Das ist anders in Deutschland, das eine andere Anerkennungspraxis als Österreich hat. Es ist also ein Lotteriespiel, ob man auf dem Weg aufgehalten wird oder es in ein Land schafft, wo die Chancen besser sind.
TT: Aber es geht doch im Verfahren um individuelle Fluchtgründe. Wie kann es sein, dass dann jemand aus einem bestimmten Land weniger Chancen bekommt?
Lina: Österreich sagt, Pakistan ist ein sehr großes Land, wo jeder untertauchen und irgendwo als Tagelöhner arbeiten kann. Das ist aber sehr umstritten. Es gibt zum Beispiel die Gruppe der Ahmadis, die wegen ihrer Religion verfolgt werden. Man kann ihnen nicht zumuten, unterzutauchen und ihre Religion nicht kollektiv ausüben zu können, weil das ihre Grundrechte verletzt. Es ist auch sehr schwierig, einem verfolgten Menschen zu empfehlen, nach Karachi zu gehen, weil es dort sehr viele politisch motivierte Übergriffe gibt. Gerade Pakistan gehört heute zu den gefährlichsten Regionen der Welt.
TT: Inwiefern spielen dabei auch politische Interessen des österreichischen Staates eine Rolle?
Lina: Das kann ich jetzt so nicht sagen. Ich finde es aber schon problematisch, wenn Österreich den Kosovo oder Serbien automatisch als sichere Drittstaaten anerkennt, was da im Detail dahinter steckt, wissen wir aber nicht. Ich habe in meiner Praxis zum Beispiel noch nie erlebt, dass Roma aus Serbien irgendeine Art von Schutz bekommen haben, obwohl man sich bei diesen mannigfaltigen Diskriminierungen schon damit auseinandersetzen müsste, ob es den Grad einer Verfolgung erreicht, wenn eine ganze Ethnie im Substandard hausen muss und im Bildungsbereich diskriminiert wird. Aber insgesamt glaube ich, dass der Staat Interesse daran hat, illegalisierte Menschen hier zu haben, weil dadurch sehr viele Arbeiten übernommen werden, die sonst niemand machen würde. Viele Asylsuchende sind gezwungen, Gewerbe anzumelden z.B. als Zeitungskolporteure. Das funktioniert doch nur, wenn es Leute gibt, die zum besser bezahlten Arbeitsmarkt keinen Zugang haben.
TT: Was passiert mit abgewiesenen Asylsuchenden, die trotz eines negativen Bescheids nicht zurückkehren können?
Lina: Das halte ich für eines der größten Probleme. Es gibt viele Menschen, die faktisch nicht abschiebbar sind. Es wäre zwar rechtlich vorgesehen, diesen Personen eine Duldungskarte auszustellen, mit der sie legalisiert wären, obwohl sie damit weiterhin vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleiben. Ich habe aber bis jetzt erst eine einzige Duldungskarte gesehen, und zwar von einem pakistanischen Staatsangehörigen, der drei Jahre darauf warten musste. Obwohl er rückkehrwillig war und alle geforderten Dokumente gebracht hat, wurden die Rückreisedokumente von der pakistanischen Botschaft nicht ausgestellt. Mit einer Duldungskarte hat man die Möglichkeit, nach einem Jahr leichter eine Niederlassungsbewilligung zu erhalten. Doch man lässt ihn Jahre lang warten, bis er ins Erwerbsleben einsteigen und vielleicht auch irgendwann seine Familie nachholen kann.
TT: Was denkst du über die Rückkehrberatung?
Lina: Da die Diakonie vor allem Rechtsberatung anbietet, lehnt sie es ab, auch Rückkehrberatung zu machen, da sie darin einen Interessenskonflikt sieht. In vielen Fällen warten Asylsuchende sehr lange auf eine Entscheidung und bauen sich in Österreich ein schützenswertes Privat- und Familienleben auf, das in einem Bleiberecht resultieren müsste. Wenn jemand mit einem Negativbescheid zu mir kommt, erörtern wir die Möglichkeiten, die es gibt. Eine Beschwerde beim Verfassungsgericht kann ich nicht machen, weil das nur RechtsanwältInnen erlaubt ist, aber wir vermitteln AsylanwältInnen. Oder wir stellen Duldungsanträge für unabschiebbare KlientInnen, die sonst illegalisiert werden. Dazu hat die Behörde sechs Monate Zeit, sie zu bearbeiten, wenn sie säumig ist, können wir eine Beschwerde einreichen. Dann müssen wir abwarten, denn wir müssen zumindest negative Bescheide kriegen, damit wir sie bekämpfen können, wenn wir gar keine Bescheide kriegen, können wir auch nichts tun.
TT: Wie freiwillig ist eine Rückkehr, wenn jenen, die sich dazu nicht bereit erklären, mangelnde Mitwirkung vorgeworfen wird?
Lina: Genau mit diesem Argument stelle ich bei der Behörde die Duldungsanträge. Die afghanische Botschaft beispielsweise stellt nur Rückreisedokumente aus, wenn eine Person unterschrieben hat, dass sie freiwillig zurück-kehren will. Aber ich kann niemand zur Freiwilligkeit zwingen. Es gibt aber auch Länder wie Algerien, wo die Botschaft unter gar keinen Umständen Heimreisezertifikate ausstellt. Trotzdem gibt man den Leuten keine Duldungskarten. Sie bekommen zwar vom Land Salzburg weiterhin die Grundversorgung, damit sie weiter im Flüchtlingsquartier bleiben können, können aber von der Polizei jederzeit wegen illegalen Aufenthalts bestraft werden. Es ist eine furchtbare Situation und für die Leute psychisch sehr belastend. Sie leben quasi in einer Warteschleife und diese Situation kann unter Umständen ein Leben lang andauern.
TT: Die Asylgesetze sind kontinuierlich verschärft worden. Warum geht man gerade auf Asylwerber los?
Lina: Eigentlich gibt es keine logische Erklärung dafür, warum Menschenrechte nicht eingehalten werden. Ein demokratischer Staat misst sich ja gerade daran, wie er mit der am meisten verletzlichen Gruppe umgeht. Die Motivation dahinter ist wahrscheinlich strukturelle Fremdenfeindlichkeit, verstärkt durch eine mediale Berichterstattung, die Bilder vermittelt, die nichts mit der Realität zu tun haben. Es wird der Eindruck vermittelt, als ob es wahnsinnig Viele wären, die in Österreich um Asyl ansuchen, dabei handelt es sich eine vergleichsweise geringe Zahl – ich glaube, es sind durchschnittlich 15.000 Personen im Jahr. Wenn man sich überlegt, was für ein riesiger bürokratischer Apparat dahinter steht mit Tausenden von Angestellten, Hunderten Gebäuden, wo Leute sitzen, die diese Menschen „beamtshandeln“, dann gibt es noch die Sozialeinrichtungen und die Grundversorgung… Das kostet doch alles sehr viel Geld. Am pragmatischsten wäre es, den Leuten gleich ein Aufenthaltsrecht zu geben.
TT: Was können wir tun, um Veränderungen zu bewirken?
Lina: Ich glaube, die Mehrheit der Bevölkerung ist für eine Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge, trotzdem ist es so schwierig, diese Forderung umzusetzen. Man kann versuchen, solidarisch zu sein und die Leute zu unterstützen, zu Kundgebungen und Demonstrationen gehen und natürlich Parteien wählen, die nicht xenophob sind. Man kann sich überhaupt stark machen für eine Demokratisierung der Gesellschaft und eine gerechte Verteilung von Chancen.
TT: Ist es strafbar, AsylwerberInnen zu helfen, zum Beispiel eine Abschiebung verhindern?
Lina: Prinzipiell nicht, aber die Polizei kann aus irgendwelchen Gründen Verwaltungsstrafen verhängen, oder jemanden zum Beispiel wegen Widerstand gegen die Staatgewalt strafen. Doch falls es tatsächlich zu einer Geldstrafe kommt, die ein Aktivist oder eine Aktivistin nicht aufbringen kann, könnte man ja eine Solidaritätsparty veranstalten.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 44/2013
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