Die Intrigen der Kolonialmächte
Religionen und Demokratie als Täuschungsmanöver?
von Abdullahi A. Osman
Patrice Lumumba und Thomas Sankara gehörten zu jenen Männern, die nicht davor zurückschreckten, den Kolonisatoren die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Doch für die Mächtigen ist die Wahrheit eine unerträgliche Last. Die Forderungen dieser Freiheitskämpfer entsprachen den Bedürfnissen und Sehnsüchten der afrikanischen Menschen, und zwar nach politischer, wirtschaftlicher und kultureller Selbstbestimmung. Wäre ihr Kampf erfolgreich gewesen, hätte das für die Kolonialherren und ihre Nachfolger bedeutet, entweder auf die Ressourcen Afrikas verzichten zu müssen oder gleichberechtigte Handelsbedingungen zu akzeptieren. Weder das eine noch das andere lag und liegt in ihrem Interesse, darum hat der Kampf von Lumumba und Sankara frühzeitig auf dem Friedhof geendet. Die Niederlage der Freiheitskämpfer Afrikas bestätigt uns, dass weder die vom Westen propagierte Art der Demokratie noch die nach Afrika importierten Eingottreligionen die Menschen in Afrika weiter bringen, sondern dass diese nur Instrumente sind, um die afrikanische Bevölkerung zu zwingen, ihre ewige Unterlegenheit und Abhängigkeit hinzunehmen und jegliche Unabhängigkeits- und Selbstbestimmungsbestrebungen zu untergraben.
War die Unabhängigkeit Afrikas ein Geschenk?
Um die Kämpfe der Freiheitskämpfer zu verleugnen, behaupteten die Kolonialherren, dass sie den afrikanischen Ländern die Unabhängigkeit geschenkt hätten. So etwa der belgische König Baudouin I., als er bei der Unabhängigkeitsfeier die „Errungenschaften“ und „zivilisatorischen Verdienste“ der Kolonialherrschaft lobte: „Kongos Unabhängigkeit stellt die Krönung des Werkes dar, das König Leopolds eigenes Genie ersann, das er mit hartnäckigem Mut unternahm und an dem Belgien unverdrossen weiter arbeitete.“ Wie ignorant muss man sein, um daran zu glauben, dass das kongolesische Volk für die brutale Gewalt, die Knechtung und Ausbeutung dankbar sein sollte? Statt dem vom König erwarteten Jubel und der Dankbarkeit entgegnete Lumumba mit seiner Unabhängigkeitsrede:
„Unser Land wurde beschlagnahmt im Namen von Gesetzen, in denen nur die Macht als Recht anerkannt wird. Diese Gesetze waren nicht gleich für Weiße und Schwarze, für die einen waren sie entgegenkommend, für die anderen grausam und unmenschlich. Die für ihre politischen oder religiösen Überzeugungen verurteilt wurden, mussten entsetzliche Leiden ertragen, in ihrem eigenen Land verbannt war ihr Schicksal grausamer als der Tod. (…). Wer könnte je die Massaker vergessen, in denen so viele unserer Brüder und Schwestern starben? Oder die Zellen in die die gesteckt wurden, die sich weigerten, sich diesem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung zu unterwerfen? All das mussten wir ertragen. (…) Aber nun haben uns eure gewählten Vertreter das Recht gegeben, unser geliebtes Land zu regieren. Wir, deren Körper und unseren Seelen durch die koloniale Unterdrückung gelitten haben, wir sagen euch nun laut, dass dies nun zu Ende ist. Die Republik Kongo wurde ausgerufen und das Land ist nun in den Händen seiner Kinder“.
Nach dieser Rede lebte Patrice Lumumba nur mehr sechs Monate. War diese Rede sein Todesurteil? Unter wirklicher Unabhängigkeit versteht man, wenn ein Staat bzw. ein Kontinent seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entscheidungen eigenständig treffen kann. Ein Dialog auf Augenhöhe findet statt, wenn ehemalige Kolonialherren und ehemalige Kolonialisierte partnerschaftlich verhandeln können. Wenn Respekt und Gleichheit vorhanden sind und wenn auf dem Verhandlungstisch eine friedliche Auseinandersetzung praktizierbar ist. Wie aber kann von einem unabhängigen Afrika gesprochen werden, solange Kolonialismus und Versklavung den Mächtigen noch immer als Vorteil dienen? Wie können wir von Freiheit reden, solange Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligt werden und die Fähigkeiten, die Entschlossenheit und der Mut afrikanischer Menschen als Gefahr angesehen werden?
Wer schuldet wem etwas?
Thomas Sankara wurde von den Handlangern der ehemaligen Kolonialmacht ermordet, aber nicht etwa, weil er Franzosen unterdrückt oder versklavt hätte, sondern weil er der Fortführung der kolonialen Strukturen ein Ende setzen wollte und sowohl die Gier der Kolonialmächte als auch die ihrer Nachfolger kritisierte. „Stellen Sie sich vor, früher sprach man davon, den 13., ja sogar den 14. Monatslohn einzuführen. Gleichzeitig starben Menschen, weil sie sich nicht eine kleine Nivaquine-Tablette kaufen konnten. Man sollte sich deshalb nicht darüber wundern, dass in Frankreich eine Kampagne gegen die „Negerkönige“ entstanden ist, die mit den Steuergeldern Autos kaufen und Schlösser bauen lassen. Dies ist schlichtweg die Folge unserer eigenen Fehler, unserer eigenen Irrtümer.“ Er kritisierte das Ungleichgewicht von Handelsbeziehungen, die die Konsumbedürfnisse einer Elite befriedigen, aber das Land in Schulden stürzen und die Bevölkerung in den Hunger treiben.
In den Augen der ehemaligen Kolonialmächte war es ein Verbrechen, als er auf internationalen Konferenzen die Legitimität der Schuldenrückzahlungen in Frage stellte: „Die Schulden stammen vom Kolonialismus. Die, die uns das Geld geliehen haben, sind dieselben, die uns kolonialisiert haben. Es sind die gleichen, die unsere Staaten und Ökonomien verwaltet haben. Die Kolonisatoren haben Afrika in Schulden gestürzt mithilfe ihrer Brüder und Cousins, die Kreditgeber. Wir hatten keine Verbindung mit diesen Schulden. Deshalb können wir sie nicht zurück zahlen.“ (Rede von Thomas Sankara vor der OAU in Addis Abeba 29.7. 1987). Wer diese Fragen als Verbrechen einstuft, sollte sich schämen, den Menschen in Afrika Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu predigen. Gäbe es eine wahre Demokratie, wären die Kolonialmächte längst vor Gericht gebracht und verurteilt worden. Denn Demokratie kann erst dann als Macht der Völker angesehen und akzeptiert werden, wenn sie die Interessen aller Völker gleichermaßen ernst nimmt, ihre Lebensweise respektiert und ihre Bedürfnisse zur Kenntnis nimmt. Deswegen ist von den westlichen Verfechtern der Demokratie zu fordern, die Entscheidungen anderer Völker zu akzeptieren, auf welche Art und Weise sie sich entwickeln, ihre Sprachen und Kulturen pflegen und ihre Zukunft planen wollen.
Gott und Demokratie als Deckmantel für Gier und Macht?
Sobald die Missionare in fremde Länder und Kontinente kommen, interessieren sie sich nicht dafür, welchen Glauben, welche kulturellen Tradition, welche ethischen Werte und welche Regeln die Menschen für ihr Zusammenleben haben. Sie öffnen ihre Bücher und beginnen, ihnen ihre Wertvorstellungen überzustülpen. Sie behaupten, den Menschen, den einzig richtigen Weg zu Gott zu zeigen und versprechen ihnen ein Paradies nach dem Tod. Aber ein Wasserbrunnen von heute ist für die einheimische Bevölkerung meist viel wichtiger als das Versprechen auf einen Himmel von morgen. Doch die Missionare gehen nicht von Bedürfnissen der Missionierten aus, sondern von ihren eigenen. Sie waren und sind, ob es ihnen bewusst ist oder nicht, Repräsentanten der Interessen der Mächtigen. Wenn ihre Missionierung angenommen wird, verändert sich dadurch ihr Verhalten gegenüber ihren neuen „Schwestern und Brüdern“? Erfahren diese Menschen mehr Respekt oder werden sie weniger ausgebeutet? Wenn sich ihre Einstellung gegenüber diesen Menschen nicht verändert, warum machen sie sich diese Mühe und befriedigen sie ihre Gier nicht ohne den Namen Gottes? Oder dient ihnen die Missionierung nur dazu, die Völker unter Kontrolle zu halten und nach ihrem Interesse zu erziehen? Der Autor des Buches „Frantz Fanon and the Psychology of Oppression“ Hussein Abdilahi Bulhan schrieb dazu: „Der Soldat und der Missionar – wer auch immer zuerst gekommen ist – destabilisierten die einheimische Gesellschaft. Der andere folgte einfach der Verwüstung und wischte auf. Als der Widerstand der Kolonialisierten beschwichtig war, kam schnell das Personal der Nachhut des Kolonialismus zum Einsatz. Ärzte und Lehrer erschienen auf der Bildfläche um den Prozess der Unterwerfung zu vollenden. Am Ende waren die Kolonialisierten physisch und geistig gebrochen“.
Kultur-, Sprach- und Denkmonopole
In Afrika spricht man Französisch, Englisch, Portugiesisch oder Arabisch, während Tausende afrikanische Sprachen vernichtet wurden oder in Vergessenheit geraten sind. Außerdem ist der Kontinent zum größten Teil in Christen und Muslime aufgeteilt. Eine der Folgen dieser Missionierung sind Hass und Kriege, die Waffen dafür werden aus dem Okzident oder Orient geliefert. Ist es dann eine Beleidigung oder Frechheit, wenn ein Afrikaner sagt: ohne diese Religionen hätten wir uns einen Teil unserer Konflikte erspart? Warum dürfen die Bewohner_innen der unterdrückten Kontinente, die von Natur aus anders aussehen, nicht auch ihre Sprachen, ihre Namen, ihre Kulturen und ihre Denkweisen behalten? Diese Völker sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Wege zu gehen, ihre eigenen Problemlösungen zu entwickeln, und keinen kulturellen, sprachlichen oder Denkmonopolen unterworfen werden. Lumumba, Sankara und andere Freiheitskämpfer wurden durch den aus Europa importierten Begriff von Demokratie geschult und trugen die Namen importierter Religionen, aber weder diese Demokratie noch diese Religionen hatten sie vor der Ermordung geschützt. Ist das ein Grund, an der Demokratie und den Grundsätzen der Religionen zu zweifeln?
veröffentlicht in Talktogether Nr. 45/2013
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