Das Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer PDF Drucken E-Mail


Am 14. September 2013 nahm Talktogether mit Freunden und Freundinnen an einer historischen Themenfahrt und Wanderung teil, um die NS-Lager Weyer und ihr Umfeld zu besichtigen. Der Schriftsteller Ludwig Laher, hat ĂŒber die Geschichte der Gemeinde St. Pantaleon wĂ€hrend der NS-Zeit recherchiert. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen offenbaren unterschiedliche GrĂŒnde, warum sich Menschen entweder an den Verbrechen beteiligt oder dazu geschwiegen haben. Manche nutzten das System aus, um persönliche Vorteile daraus zu ziehen, andere waren von der Angst gelĂ€hmt. Die Geschichten zeigen aber auch, dass es Menschen gab, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten versuchten, gegen das Unrecht anzukĂ€mpfen oder den Gefangenen zu helfen. Jahrzehnte lang wurde ĂŒber die Verbrechen geschwiegen, die hier verĂŒbt worden waren. Erst im Jahr 1999/2000, 60 Jahre nach der Einrichtung der TerrorstĂ€tte, fasste der Gemeinderat den Beschluss, der Menschen, die hier gequĂ€lt und getötet worden waren, zu gedenken und ein Mahnmal zu errichten.



 

Das Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager

St. Pantaleon-Weyer im Oberinnviertel

von Ludwig Laher

Im Jahre 1938 wurde die Gemeinde Haigermoos an St. Pantaleon angegliedert. Aus diesem Grunde konnte es in einschlĂ€gigen Schreiben des NS-Gauleiters Eigruber vom 31. Mai 1940 und des NS-Beauftragten fĂŒr Arbeitserziehung Kubinger vom 10. September 1940 auch heißen, dass in St. Pantaleon bei Ibm-Waidmoos, Kreis Braunau, ein Arbeitserziehungslager der Deutschen Arbeitsfront (DAF) eingerichtet wird bzw. wurde. Dieses befand sich im Weiler Weyer (heute wieder Haigermoos), die Inhaftierten waren im heutigen Gemeindegebiet von St. Pantaleon zur Moosachregulierung eingesetzt.

In dem erwĂ€hnten Schreiben „An alle BĂŒrgermeister im Reichsgau Oberdonau“ heißt es u.a.: Eingeliefert können solche Volksgenossen werden, die die Arbeit grundsĂ€tzlich verweigern, die dauernd blaumachen, am Arbeitsplatz fortwĂ€hrend Unruhe stiften oder solche, die ĂŒberhaupt jede Annahme einer Arbeit ablehnen, obwohl sie körperlich dazu geeignet sind. Sie mĂŒssen aber alle das 18. Lebensjahr erreicht haben. Auch asoziale BetriebsfĂŒhrer sind inbegriffen. Nur FĂ€lle krimineller Natur können hieramts nicht behandelt werden. Und Schwerinvalide, weil schwere körperliche Arbeit geleistet werden muss.

Im Klartext heißt das, dass sich die BĂŒrgermeister, DAF-FunktionĂ€re etc. unliebsamer Zeitgenossen bequem entledigen konnten. K. G. aus M. etwa, Verwalter eines großen holzverarbeitenden Betriebes, hatte sich geweigert, eine DAF-Fahne fĂŒr das Werk anzuschaffen und eine Betriebsspende fĂŒr die DAF zu leisten. G. wurde verhaftet und nach Weyer verbracht. Die Jugendlichen O. H. und H. M. weigerten sich, am Betriebssport der Papierfabrik in S. teilzunehmen. Sie wurden entlassen, spĂ€ter wieder eingestellt und genötigt, sich am HJ-Sportprogramm zu beteiligen. Bei einem Fußballspiel kam es zum Streit mit dem HJ-Betriebsjugendwalter, worauf die beiden als asozial (gegen die Bestimmungen, weil sie unter 18 waren) nach Weyer eingeliefert wurden. W. B. aus dem mĂ€hrischen B. arbeitete als Mechaniker in Linz und soll ein VerhĂ€ltnis mit einer deutschen Frau unterhalten haben, das dem sogenannten gesunden Volksempfinden widersprach. Resultat: Weyer.

Die „zur Umerziehung Bestimmten“ wurden bei der Festnahme nicht ĂŒber die GrĂŒnde ihrer Einweisung informiert, erst der Lagerkommandant in Weyer tat dies kurz. Widerspruch hatte sofortige Gewaltanwendung zur Folge, Rechtsmittel gab es keine, auch keine Ă€rztliche Untersuchung der LagerfĂ€higkeit.

Die sogenannte „Erziehung“ oblag unqualifizierten SA-MĂ€nnern der Gruppe Alpenland, die ihren Sadismus an den Recht- und Wehrlosen ausleben konnten. Übergriffe erfolgten sowohl im Lager selbst als auch wĂ€hrend der Arbeit an der Moosach. Die lokale Bevölkerung hingegen wurde massiv eingeschĂŒchtert. Als die Einwohner der Ortschaft Roding etwa die Misshandlungen am LagerhĂ€ftling S. R. mitansehen mussten, wurde per Anschlag durch den BĂŒrgermeister von St. Georgen bei Oberndorf gedroht, die Gestapo zu holen, wenn jemand davon etwas weitererzĂ€hle. Auch die Zivilarbeiter der Wassergenossenschaft wurden zum absoluten Stillschweigen verpflichtet.

Manchmal gelang es Dr. A. St., Gemeindearzt von St. Pantaleon und gleichzeitig Lagerarzt, Schwerstverletzte in die SpitĂ€ler von Laufen oder Salzburg ĂŒberweisen zu dĂŒrfen. Eine einschlĂ€gige Krankengeschichte: Es wurden am ganzen Körper Striemen vorgefunden. E. kam im Spital vorĂŒbergehend zu Bewusstsein und erzĂ€hlte, er sei wiederholt ins Wasser geworfen worden. Er starb am 4. September 1940. Der leitende Arzt veranlasste die Leichenöffnung, bei der ĂŒber den ganzen RĂŒcken ausgebreitete, oberflĂ€chliche, blutige Epitheldefekte, besonders an den vorspringenden Teilen des RĂŒckens sowie am Hinterkopf und Oberarm festgestellt wurden. Sie waren offenbar Folge der Misshandlungen.

Weihnachten 1940 wurden, um ein weiteres Beispiel zu geben, acht oder neun HĂ€ftlinge vor allen anderen durch unzĂ€hlige KnĂŒppelhiebe auf das nackte GesĂ€ĂŸ schwerst verletzt. Ein Insasse starb an dieser „Behandlung“, die vom Wachpersonal zynisch „Weihnachtsbescherung“ genannt wurde.

Dieser Fall, der fĂŒnfte Mord kurz hintereinander, veranlasste Dr. St. zu einer Anzeige beim Amtsgericht Wildshut. Die Staatsanwaltschaft Ried wurde eingeschaltet. OSTA Dr. J. N. begann zu ermitteln, er stellte zahlreiche Verletzungen selbst der (offiziellen) Gesetze des „Dritten Reiches“ fest und erhob Anklage gegen Lagerleitung und Wachmannschaft u.a. wegen Totschlags, Erpressung, gefĂ€hrlicher Bedrohung von Lagerinsassen und Bevölkerung sowie wegen Missbrauchs der Amtsgewalt, weil entgegen dem Wortlaut des Erlasses auch Jugendliche unter 18 eingeliefert und maltrĂ€tiert worden waren.

In dieser Situation wurde das Arbeitserziehungslager Anfang 1941 blitzartig geschlossen, wichtige Akten beiseite geschafft, einige HĂ€ftlinge nach dem Versprechen absoluten Stillschweigens ĂŒber alle Verbrechen entlassen und die anderen ins KZ Mauthausen ĂŒberstellt. Selbst dort wollte Oberstaatsanwalt N. noch 51 Zeugen befragen (!), was ihm zunĂ€chst verweigert wurde. Im Verein mit dem Linzer Generalstaatsanwalt wurde erreicht, dass diese Zeugen aus Mauthausen entlassen wurden. Auch die Einvernahmen der Beschuldigten wurden durchgefĂŒhrt, mehrere in U-Haft genommen. Die Beweislage war erdrĂŒckend, als nach Intervention von Gauleiter Eigruber der Reichsjustizminister in Berlin mit ErmĂ€chtigung von Adolf Hitler durch einen Niederschlagungsbescheid des Verfahrens die mutigen StaatsanwĂ€lte nach 15 Monaten vor vollendete Tatsachen stellte.

Es sind aber alle Vorerhebungsakten sowie die Anklageschriften der NS-Gerichte (!) erhalten. LĂŒckenlos lassen sich die schlimmsten Folterungen und Tötungsdelikte im Detail nachvollziehen. Sie stehen jedenfalls den einschlĂ€gigen Zeugenaussagen aus den großen Konzentrationslagern in nichts nach. Das grauenhafte Denunziantentum im Land, die massive EinschĂŒchterung der Bevölkerung, die Komplizenschaft der St. Pantaleoner Gemeindepolitik, all das ist eindrucksvoll und ausfĂŒhrlich dokumentiert, die Akten liegen vor.

Vom Arbeitslager zum „Zigeuneranhaltelager“

Unmittelbar nach Schließung des Arbeitserziehungslagers wurden vorwiegend oberösterreichische und KĂ€rntner Sinti in Weyer interniert, das Lager wurde ab jetzt als „Zigeuneranhaltelager“ bezeichnet. Wachpersonal und Lagerleitung wurden ausgewechselt, ein Gendarmeriemeister sowie zehn Polizeireservisten als Personal bzw. ein Kripobeamter aus Linz als Leiter eingesetzt. Nur noch als Verpflegungsverwalter war ein SA-Mann in Zivil (allerdings einer der TĂ€ter des Arbeitserziehungslagers) im Einsatz.

Auch die Sinti (und ein paar wenige Roma) wurden zunĂ€chst bei der Ibm-Waidmooser EntwĂ€sserung eingesetzt. Im Gegensatz zum Arbeitserziehungslager, in das nur MĂ€nner eingeliefert wurden, waren nunmehr auch Frauen und ĂŒber 200 Kinder und Jugendliche interniert, die unter anderem den Bauern der Umgebung bei der Ernte helfen mussten. Es soll dabei auch zu Diebstahlshandlungen, hauptsĂ€chlich von Nahrungsmitteln, gekommen sein. Andererseits versuchten manche Bauern, den Bedauernswerten etwas Essen zuzuspielen.

VerlĂ€ssliche und nachprĂŒfbare Berichte ĂŒber die Behandlung der „Zigeuner“ im Lager existieren nicht (sie dĂŒrften aber nicht systematisch gefoltert worden, TodesfĂ€lle Resultat von VernachlĂ€ssigung sein). Wohl aber sind die buchhalterischen Akten erhalten, aus denen sich indirekt vieles rekonstruieren lĂ€sst („Belag“, Ausbeutung der ArbeitskrĂ€fte etc.). Mittelbare RĂŒckschlĂŒsse lassen sich auch aus den erhaltenen Sterbeakten ziehen: WĂ€hrend der Tod eines Opfers des Arbeitserziehungslagers dem Standesbeamten immerhin noch vom Gemeinde- und Lagerarzt angezeigt wurde, besorgten das im Zigeuneranhaltelager der Lagerleiter bzw. dessen Stellvertreter selbst. Es ist mithin davon auszugehen, dass den Betroffenen Ă€rztliche Hilfe verweigert wurde. Die von der Lagerleitung angegebenen Todesursachen (LebensschwĂ€che oder Herzkollaps bei Kindern bis hin zur „Herzfleischentartung“ bei einer Frau) sprechen fĂŒr sich. Selbst im Tod wird die unterschiedliche Behandlung von „Volksgenossen“ (Arbeitserziehungslager) und „Zigeunern“ aufrecht erhalten. Erstere wurden anonym auf dem Friedhof von St. Pantaleon bestattet, letztere in Haigermoos.

Im November 1941 wurde das Zigeuneranhaltelager aufgelöst, die ĂŒberlebenden 301 HĂ€ftlinge wurden, nur spĂ€rlich bekleidet, in BĂŒrmoos in Viehwaggons verladen und nach einem kurzen Zwischenaufenthalt im burgenlĂ€ndischen Lackenbach ins Zigeunerghetto Lodz transportiert, von wo keines der Opfer lebend zurĂŒckgekehrt ist. Die besonders qualvollen TodesumstĂ€nde der Betroffenen sind in der einschlĂ€gigen Literatur ausfĂŒhrlich dokumentiert.

Nach dem Krieg wurde ein einziger der Aufseher des Arbeitserziehungslagers, nĂ€mlich jener, dem durch die Anzeige des Arztes Dr. St. die unmittelbare Beteiligung an der Tötung eines HĂ€ftlings wĂ€hrend der „Weihnachtsbescherung“ nachgewiesen werden konnte, zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er nur wenige absitzen musste, alle anderen Straftaten blieben ungesĂŒhnt.

Seit 2000 gibt es in St. Pantaleon die von der Gemeinde und dem Land Oberösterreich geschaffene ErinnerungsstĂ€tte an der Moosach. JĂ€hrliche Gedenkveranstaltungen, FĂŒhrungen (etwa in Zusammenarbeit mit der SLB als historische Themenfahrten) sowie Ludwig Lahers in mehrere Sprachen ĂŒbersetzter Roman „Herzfleischentartung“ erhalten die Erinnerung an die schrecklichen Geschehnisse aufrecht.

mehr dazu: http://www.lager-weyer.at

veröffentlicht in Talktogether Nr. 46/2013

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