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„Sacred Souls“
Opfer einer skrupellosen Politik
von Amin Al-Amin
Man sollte davon ausgehen, dass Bildung das Rückgrat einer Nation ist und die Studierenden ihre Zukunft sind. StuÂdentInnen sollten ihre Zeit damit verbringen, zu lernen und mit der Gesellschaft in Interaktion zu treten, um Wissen zu erwerben und zu verantwortungsvollen und selbstbestimmten Menschen heranzureifen. Doch die gegenwärtige Realität in Bangladesch ist, dass politische Parteien Studentenorganisationen für ihre Zwecke manipulieren. Studierende der öffentlichen Universitäten werden im Namen der Politik immer mehr in abscheuliche Parteipraktiken hineingezogen. Sie werden für illegale Aktivitäten – wie Geschäfte mit Auftragsvergaben und Studienzulassungen, bis hin zu Morden – missbraucht. Heutzutage orientieren sich politische Studentenorganisationen weder an den Bedürfnissen des Volkes noch an ihrer eigenen Bildung, sondern an persönlichen Interessen und parteipolitischen Zielen. Sie setzen sich nicht für eine Verbesserung der Studienbedingungen ein, sondern werden als Werkzeuge für Parteiinteressen und für den persönlichen Aufstieg an der Universität missbraucht. Heutzutage tragen unschuldige StudentInnen die Hauptlast dieser Studentenpolitik und werden oft zu Opfern von gewaltsamen Zwischenfällen, die manchmal sogar tödlich ausgehen.
Gewerkschaften und Studentengruppen spiegeln die politischen Neigungen der Parteien wider. Ihre Aktivitäten sind eher konfrontativ als konstruktiv. In der Vergangenheit trugen StudentInnen die wichtigsten politischen Bewegungen in Bangladesch, wie die Bewegung zur Beibehaltung der bengalischen Muttersprache als offizielle Sprache und die Unabhängigkeitsbewegung. Heute wird Politik an den Universitäten jedoch von Nicht-Studenten dominiert. Die Praktiken zu ihrer Durchsetzung beinhalten Erpressung, Landraub, Angriffe auf die Medien und die gewalttätige Verfolgung abweichender Meinungen. Die Partei, die gerade an der Macht ist, benützt die Staatsgewalt, um die Opposition zu unterdrücken. Kritik an der Regierungspolitik wird oft als Verrat und Angriff auf den Staat gewertet, weshalb Mitglieder der Opposition von der Polizei verhaftet werden und Repressionen ausgesetzt sind.
Die Strukturen der Lokalregierungen sind in vielen ländlichen Regionen nicht gut entwickelt, obwohl sie grundsätzlich großes Potenzial hätten. Die lokalen Regierungen, die Union Parishads, halten Wahlen ab in denen die Gemeindevorsitzenden und weiteren Gemeindevertreter bestimmt werden. Jede Parishad-Einheit umfasst 15 bis 20 Dörfer und vertritt an die 25.000 Menschen. Doch in vielen Fällen gelingt es den Parishad Unions nicht, der Dominanz der Zentralregierung entgegenzutreten, und so sind sie leider nicht in der Lage, eine demokratische Alternative zu bieten.
Die Herzen der Massen in Bangladesch schreien nach Wiedergutmachung! Wir schreien nach Wiedergutmachung und nach einer Änderung der Verhältnisse, die uns aufgezwungen wurden! Unsere Herzen lechzen nach Befreiung von der Herrschaft des Terrors und der Gewalt, die schon so lange die Politik in unserem Land kennzeichnen. Die Menschen scheinen den wichtigsten Grundsatz aller Religionen und ethischen Wertesysteme vergessen zu haben: Alles Leben ist heilig! Fast jeden Tag werden heute unschuldige Menschen zu Krüppeln gemacht und getötet. In manchen theologischen Lehren werden die Menschen als heilige Seelen betrachtet, die nach dem Vorbild Gottes geschaffen worden sind. Doch in den Augen unserer politischen Führer sind sie nur Schachfiguren zur Verwirklichung ihrer selbstsüchtigen politischen Agenda. Die Leidtragenden sind normale, unschuldige Menschen, wohingegen die Politiker selbst nicht von den gewalttätigen Aktivitäten betroffen sind. Dasselbe Volk, das sich in der Vergangenheit gegen die pakistanische Besatzung erhoben hat, ist heute zur hilflosen Geisel in den Händen einer skrupellosen Politik geworden. Das ist pure Ironie! Wie lange können wir das noch hinnehmen?
Mitglieder der Opposition tauchten unter, als die Polizei nach den gewalttätigen Parlamentswahlen im Jänner dieses Jahres Säuberungsaktionen durchführte. Ein Reporter einer Menschenrechtsgruppe schrieb: „Die Regierungspartei gewann am Sonntag mühelos eine Wahl, die von Straßenkämpfen, einer niedrigen Wahlbeteiligung und dem Wahlboykott der Opposition geprägt war und mindestens 18 Tote bei gewalttätigen Zusammenstößen forderte. Politische Unruhen sind schon länger Teil der düsteren Geschichte Bangladeschs, und die Wahl hat die Spannungen in diesem Land noch verschärft. Politische Gewalt hat Bangladesch auch in den letzten Monaten erschüttert, als oppositionelle Aktivisten Angriffe, Streiks und Blockaden organisierten, um gegen die Regierung der Premierministerin Sheikh Hasina zu protestieren. Fast 300 Menschen wurden seit letztem Februar in gewalttätigen Auseinandersetzungen getötet.“
Die Polizei verhaftete vier politische Funktionäre der Opposition, darunter einen Berater der früheren Premierministerin Khaleda Zia. Alle vier sind immer noch im Gefängnis. Viele andere hochrangige Oppositionspolitiker, darunter der frühere Justizminister, wurden in den letzten Monaten verhaftet und angeklagt, die Gewalt geschürt zu haben. Unter dem Vorwand, dass die Vorwürfe noch überprüft werden müssten, hält die Polizei sie immer noch in den Gefängnissen fest.
Mirza Fakhrul Islam Alamgir, amtierender Generalsekretär der größten Oppositionspartei, der Bangladesh Nationalist Party (BNP), berichtet, dass Hunderte Parteiführer und Aktivisten aufgrund der Schikanen in den Untergrund gegangen sind. Kaler Khanto, die führende bengalische Tageszeitung, nannte mindestens 17 Führer der BNP und ihres Studentenflügels, die untergetaucht sind. Die Zeitung zitiert Mahbubur Rahman, einen ehemaligen Angehörigen der Armee und hochrangigen BNP-Funktionär, der meint, dass die Regierung die BNP (Zias Partei) auf diese Weise nicht zum Schweigen bringen könne.
Die New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch teilt mit, dass sich viele Oppositionspolitiker und Aktivisten verborgen hielten, und beschuldigt Bangladesch der willkürlichen Festnahme von Oppositionskräften vor und nach der Wahl. „Während die Regierung in manchen Fällen angemessen gehandelt hat, um die Gewalt mancher Oppositionskräfte zu stoppen, ist diese Flut von Verhaftungen Teil einer systematischen Politik, Kritik und Widerstand abzuwürgen und die Macht der regierenden Partei zu festigen“, sagt Brad Adams, der Direktor von Human Rights Watch in Asien.
Massenverhaftungen während politischer Unruhen sind üblich in Bangladesch, wo der Kampf um Macht oft blutige Ausmaße annimmt. Seit der Unabhängigkeit Pakistans 1971 wurden zwei Präsidenten ermordet, und es gab 19 Putschversuche. Aktivisten der Opposition sind deshalb immer wieder gezwungen, Zuflucht in Wohnungen von Verwandten zu suchen oder als Touristen oder Geschäftsreisende getarnt ins Ausland zu fliehen.
Bangladeschs neugewählte Legislative legte am 12. Januar 2014 den Amtseid ab, und Hasina treibt weiter die Bildung der neuen Regierung voran. Die Opposition fordert Hasinas Regierung jedoch zum Rücktritt auf, verlangt die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Ãœberprüfung der Wahlergebnisse und wirft Hasina Wahlfälschung vor – was Hasina jedoch strikt von sich weist. Die politische Lähmung taucht Bangladesch immer tiefer ins Chaos und in den ökonomischen Stillstand. Gleichzeitig kämpft das Land auch darum, die 20 Milliarden US-Dollar schwere Textilindustrie wiederzubeleben, die von einer Serie von schrecklichen Katastrophen erschüttert wurde – darunter der Einsturz eines Fabrikgebäudes letzten April, bei dem mehr als 1100 Arbeiter und Arbeiterinnen getötet wurden.
Auch ohne die umstrittenen Wahlen ist die Gewalt ein Hauptmerkmal der Politik in Bangladesch geworden. Zahlreiche politische Führer und Aktivisten sind von Rivalen oder von ihren eigenen Parteigenossen ermordet worden. Am 7. November wurden von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen erhobene Zahlen in der Zeitung New Age veröffentlicht. Danach liegt die Gesamtzahl der Todesfälle durch politische Unruhen 2013 wesentlich höher als in den vorangegangenen Jahren. Ain O Salish Kendra berichtet, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 289 Menschen politisch motivierten Gewalttaten zum Opfer fielen, während es im gesamten Jahr 2012 84 waren. Einem monatlichen Bericht der Menschenrechtsorganisation Odhikar zufolge wurden bei politischen Unruhen allein im Oktober mindestens 27 Menschen getötet und 3433 verletzt.
Wir hoffen aufrichtig, dass die Verantwortlichen der Regierung den Appellen des Volkes und vieler anderer Staaten Beachtung schenken und ernsthaft nach einer Lösung suchen, um die politische Gewalt zu beenden. Die Nation setzt ihre Hoffnung auf unseren verehrten Präsidenten, dass er die Initiative ergreift, um unsere politischen Führer auf den Weg des Friedens zu weisen. Wir sehen den Präsidenten als Symbol unserer nationalen Einheit und Unabhängigkeit an. Als Wächter und Verkörperung unserer staatlichen Souveränität ist er es, der die erhabene und heilige Verantwortung hat, unserer verehrten Premierministerin zu raten, den Weg dafür zu ebnen.
Um eine freie und faire Wahl abzuhalten, braucht es auch ein passendes Umfeld. Meine ehrliche Meinung ist, dass unsere Premierministerin einer Übergangsregierung nicht vorstehen sollte. Sie ist die Vorsitzende jener Partei, welche jetzt die Hauptrolle in der Regierung spielt. Um Frieden zu ermöglichen, sollte sie einer Person den Platz frei machen, die im Konsens aller Parteien gewählt wird. Lasst die Menschen durch die Wahlurne sprechen. Lasst uns Vertrauen in unser Volk haben.
Wir brauchen eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der Toleranz, eine Kultur des Respekts für die selbstverständlichen Werte der menschlichen Würde, ungeachtet von Religion, Rasse, politischer oder ideologischer Zugehörigkeit, sozialem Status, Geschlecht oder Klassenzugehörigkeit. Wir sehnen uns danach, in einer politischen Kultur zu leben, die uns den Weg zu einem Leben mit sozialer Gerechtigkeit, Frieden und Fortschritt ermöglicht.
Uns gehört ein Land voller enttäuschter Hoffnungen und Träume der überwältigenden Mehrheit eines Volkes, das in sozialer und wirtschaftlicher Armut und Rückständigkeit lebt. Wir wurden unabhängig im Namen der Freiheit. Trotzdem sind unsere Hoffnungen und Sehnsüchte, in einer Gesellschaft frei von Ausbeutung zu leben, ein ferner Traum geblieben. Ihre Verwirklichung hängt zu einem großen Teil davon ab, ob sich die politischen Führer gegenseitig respektieren und eine gemeinsame und klare Vision für die Nation haben. Denn ohne eine Vision gehen das Volk und die Menschen zugrunde! Diese Vision für das Volk ist nicht unmöglich. Von größter Notwendigkeit hingegen sind die Umsetzung demokratischer Prinzipien, die Rücksicht auf andere und der Wille, das Volk leben zu lassen.
Bangladesch, offiziell die Volksrepublik Bangladesch, ist ein Land in Südasien. Durch die Lage am Golf von Bengalen und die zahlreichen Flüsse ist das Land sehr fruchtbar. Die Nachbarländer sind die Republik Indien im Norden, Westen und Osten sowie die Union von Myanmar (Burma) im Südosten und Osten. Der indische Siliguri-Korridor trennt das Land vom Königreich Bhutan und der Demokratischen Republik Nepal. Zusammen mit dem benachbarten indischen Bundesstaat Westbengalen bildet es die ethnisch-sprachliche Region Bengalen. Der Name Bangladesch bedeutet „das Land der Bengalen“, Bengalisch ist offizielle Landessprache.
Die Grenzen des modernen Bangladesch wurden nach der Teilung Bengalens und Britisch Indiens 1947 gezogen, als die Region der Ostflügel des neu errichteten Staates Pakistan wurde. Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet durch politische Ausgrenzung, ethnische und sprachliche Diskriminierung und ökonomische Ausgrenzung durch Westpakistan. Eine Flut von politischer Agitation, Nationalismus und zivilen Ungehorsams führte 1971 zum Unabhängigkeitskrieg, der zur Abtrennung von Pakistan und zur Gründung des unabhängigen Staates Bangladesch führte. Nach der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 1991 erlebte das Land relative Ruhe und ökonomischen Fortschritt, obwohl die Hauptparteien des Landes polarisiert blieben.
Zu den Hauptparteien Bangladeschs gehören die Awami League, die Bangladesh National Party (BNP), die Jatiya Party und die Jamaat-e-Islami. Die ersten beiden führen seit über 15 Jahren einen erbitterten Machtkampf, jede der beiden Parteien bezieht sich auf einen Führer der Unabhängigkeitsbewegung. Die Rivalität zwischen der Awami League und der BNP ist geprägt von Protesten, Gewalt und Morden. Die politischen Studentenbewegungen sind außerordentlich stark, ein Erbe der Unabhängigkeitsbewegung, nach der fast jede Partei über einen äußerst aktiven Studentenflügel verfügt.
Anm. d. Redaktion: Der Autor ist Student, stammt aus Bangladesch und lebt seit eineinhalb Jahren als Asylwerber in Salzburg.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 47/2014
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