Die letzte Kugel war immer für mich!
Freiheitskämpferinnen im Widerstand gegen das NS-Regime in Österreich
„Ein ungemein wichtiges, längst überfälliges Bauch über weibliche Menschen, die unseren ganzen nationalen und patriotischen Stolz ausmachen müssen“, nennt Elfriede Jelinek das 1985 veröffentlichte Buch „Der Himmel ist blau. Kann sein“, eine Auswahl aus insgesamt 100 Interviews mit Widerstandskämpferinnen gegen das NS-Regime, die Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth Trallori in ganz Österreich geführt haben. Dabei sind sie der Frage nachgegangen, was diese Frauen dazu bewegt hat, so viel Leid, Entbehrungen und Gefahren auf sich zu nehmen.
Obwohl bis dahin wenig beachtet, waren Frauen in allen Bereichen des Widerstands aktiv: Sie organisierten für die Widerstandskämpfer Unterschlupf, Nahrung, Medikamente und Waffen, versorgten Verletzte oder kämpften selbst als Partisaninnen in den Wäldern. Unter Lebensgefahr versteckten sie Menschen vor den Nazi-Schergen, sammelten Geld für die Familien Inhaftierter, betätigten sich als Fluchthelferinnen oder bewahrten im KZ Menschen vor dem Tod in der Gaskammer. Sie sabotierten die Rüstungsproduktion oder versuchten durch „Anbandeln“ Soldaten von der Sinnlosigkeit des Krieges zu überzeugen und zur Desertion zu bewegen. Die Angst vor unmenschlicher Folter oder davor, jemanden verraten zu können, wog schwerer als die Furcht vor dem eigenen Tod. Deshalb trugen die PartisanInnen, wie Johanna Sadolschek erzählt, immer eine letzte Kugel mit, für sich selbst.
In den Gesprächen schilderten die Frauen nicht nur die Grausamkeiten, die sie erdulden mussten, ihre Erzählungen handeln auch von Zusammenhalt und Solidarität, von Disziplin und eiserner Willensstärke. Manche erzählten bereitwillig ihre Erlebnisse und freuten sich über das Interesse, andere dagegen waren skeptisch, warum sich nach so langer Zeit, in der man sie ignorierte und alleinließ, plötzlich jemand für ihre Geschichte interessierte. Manche der Frauen, vor allem jene in Südkärnten, die mit den slowenischen Partisanen gekämpft hatten, zögerten aus Angst vor neuerlicher Diskriminierung.
Wie kannst du nein sagen, wenn dich jemand bittet, sein Leben zu retten?
Die meisten der Frauen waren Arbeiterinnen oder Bäuerinnen, die in bitterer Armut aufgewachsen sind, viele stammten aus einem politisch bewussten Elternhaus. Einige waren bereits im Widerstand gegen das faschistische Dollfuß-Regime aktiv. Manche betätigten sich schon im Teenageralter politisch, Käthe Sasso etwa, die den ersten Eindruck vom Nationalsozialismus in der Schule bekam, als nach dem Anschluss drei Mädchen in der Klasse fehlten. Als sie die Lehrerin nach ihnen fragte, erhielt sie die Antwort: „Jüdische Fratzen haben in unserer Klasse keinen Platz!“ Den Sloweninnen in Südkärnten hingegen blieb nach Umsiedlungen und dem Verbot ihrer Sprache kaum eine andere Wahl, als sich dem Widerstand anzuschließen.
Die Frauen sehen sich selbst nicht als Heldinnen, sondern betrachten das, was sie getan haben, als Selbstverständlichkeit. „Angst hab’ ich schon gehabt, ich hab’ ja doch an meine Kinder denken müssen. Aber wie kannst’ denn nein sagen, wenn dich jemand bitt’, du sollst ihm’s Leben retten?“, so Agnes Primocic. Nicht immer war es für die Frauen leicht, sich bei den Männern durchzusetzen. Diese Erfahrung hat Anni Haider gemacht, als sie ein Flugblatt ihrer Parteigenossen kritisierte: „Du wirst ja ausgelacht, wennst eine Lüge in so ein Flugblatt reinschreibst. Aber ich hab mich durchgesetzt, ich bin da sehr energisch. Ich hab’ oft das Gefühl gehabt, sich von einer Frau was sagen zu lassen, ist net so einfach, das tut einem Mann ein bissl weh.“
Widerstandsstrategien
Manchmal nutzten sie geschickt Vorurteile gegenüber Frauen aus, indem sie Naivität vorspielten, manchmal kam der Zufall zu Hilfe. Etwa als Agnes Primocic mit ihrer Freundin Mali Ziegeleder Zivilkleider und Waffen an Häftlinge schmuggelte, um ihnen bei der Flucht zu helfen. Bei der Kontrolle am Brucker Bahnhof erkannte sie einen ehemaligen Genossen von den Kinderfreunden, der auch sie erkannte und auf eine Gepäckskontrolle verzichtete.
Im Gefängnis hat die Frauen oft die Praxis gerettet, um keinen Preis auch nur die kleinste Kleinigkeit zuzugeben. „Wenn er mir gesagt hätte, der Himmel ist blau, hätt’ ich gesagt: Kann sein“, beschreibt Mali Fritz ein Verhör durch die Gestapo. Für sie bestand eine Kluft zwischen ihr und ihnen, die unüberbrückbar war. Persönliche Strategien, die Isolation in der Einzelhaft zu überstehen, reichten vom Dichten bis zu Tagträumen. Oft waren ein Vogel vor dem Fenster oder eine Spinne in der Zelle, die einzigen Lebewesen, mit denen sie reden konnten. Sie lernten bald, sich mithilfe von Klopfzeichen zu verständigen und Botschaften über eine Schnur zu übermitteln. Ohne Unterstützung hätten viele der Widerstandkämpfer nicht überlebt. So halfen die geistlichen Schwestern im Wiener Inquisitenspital den Häftlingen – allen ideologischen Unterschieden zum Trotz – sogar dabei, eine Widerstandszentrale aufzubauen und eine Zeitung herauszubringen. Eine Anekdote: Um mehr über den Kriegsverlauf zu erfahren, ließ sich der Pfarrer von Anni Haider eine Rede Stalins heimlich im Beichtstuhl vorlesen.
Trotz des unvorstellbaren Ausmaßes an Leid und Gefahr, mit denen diese Frauen konfrontiert waren, erwartete sie nach ihrer Heimkehr oft kein freundlicher Empfang. Käthe Sasso erzählt, wie es ihr erging, als sie erschöpft in Wien ankam: „Die Schaffnerin ist gekommen, wir haben gesagt, dass wir aus dem KZ kommen und uns keine Fahrscheine kaufen können. Die Schaffnerin hat die Straßenbahn angehalten und uns gezwungen auszusteigen. Das war die Begrüßung in der Heimat.“
veröffentlicht in Talktogether Nr. 47/2014
Küchengespräch mit Agnes Primocic
|