Gespräch mit dem Lehrer Peter Ostertag
TT: Im Dezember letzten Jahres streikten die Lehrer und Lehrerinnen. Wogegen richtet sich der Protest?
Peter: Im Prinzip geht es darum, dass es beim neuen Lehrerdienstrecht um nichts anderes geht als um eine reine Einsparungsmaßnahme, die LehrerInnen sollen nämlich länger arbeiten und dafür vergleichsweise weniger Geld bekommen. Die neoliberalen „Reformen“, die in anderen Branchen schon längst üblich sind, sind damit auch bei den LehrerInnen angekommen – angeblich wurden die Maßnahmen von einer Unternehmensberatung entworfen. Allein schon die Forderung, länger arbeiten zu müssen, ist nicht akzeptabel. Ich kann selber von mir berichten, dass die Arbeitszeit lang genug ist. Noch mehr Stunden zu unterrichten, kann nur auf Kosten der Qualität gehen, das ist keine Frage. Mehr Stunden in der Klasse wären noch einzusehen, wenn wir dafür durch Verwaltungspersonal und Personal in pädagogischen und psychologischen Belangen von anderen Tätigkeiten entlastet würden. Das ist aber nicht der Fall. Das bedeutet, mehr Unterricht, und alles andere bleibt gleich.
TT: Heißt das, die Lehrer und Lehrerinnen würden mehr unterstützendes Personal benötigen?
Peter: Ja genau. Beim finnischen Schulmodell, das in den Tests so gut abgeschnitten hat, gibt es zum Beispiel jede Menge SozialarbeiterInnen und PsychologInnen, die das Lehrpersonal unterstützen. Bei uns ist das praktisch nicht vorhanden. Es gibt einen Schulpsychologen für ganz Salzburg, und wenn man dort einen Termin haben will, wartet man ewig. Und ich habe überhaupt noch nie gehört, dass an SozialarbeiterInnen gedacht wäre. Aber mir kommt vor, dass es für uns Lehrer und Lehrerinnen sehr wichtig wäre, kompetente AnsprechpartnerInnen zu haben, wenn es Probleme mit SchülerInnen gibt. Auch in der Verwaltung wäre Unterstützung notwendig. Im internationalen Vergleich haben österreichische LehrerInnen viel mehr Verwaltungsarbeit zu leisten, als das in anderen Ländern der Fall ist. In manchen Ländern muss sich ein Lehrer oder eine Lehrerin nur um den Unterricht kümmern, und um sonst gar nichts.
TT: In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht die Meinung vor, dass LehrerInnen wenig arbeiten Was kannst du diesem Meinungsbild entgegenhalten?
Peter: Das kann ich nicht bestreiten, diese Meinung herrscht in der Öffentlichkeit vor. Objektiv gesehen, kann man dieser Behauptung leicht entgegnen. Es gibt eine Studie zur Evaluierung der Arbeitszeit aus dem Jahr 2000, die vom Bundesministerium in Auftrag gegeben und von einem unabhängigen Institut durchgeführt wurde. Diese ist zum Ergebnis gekommen, dass die durchschnittliche Arbeitszeit der österreichischen LehrerInnen, umgerechnet auf die Jahresarbeitszeit, dem üblichen Stundenmaß des Werktätigen in Österreich entspricht. Die Arbeitszeit ist natürlich sehr ungleich verteilt. Diese Studie wird aber totgeschwiegen, und das Ministerium tut so, als hätte es sie nicht gegeben.
TT: Studien haben auch gezeigt, dass das österreichische Bildungssystem sehr selektiv ist, und die Bildungschancen sehr stark von der sozialen Herkunft abhängig sind. Was wäre notwendig, um dem entgegenzuwirken?
Peter: Meiner Meinung nach wäre eine Gesamtschule für alle 6- bis 14-Jährigen günstiger. Jetzt werden die Kinder schon nach der Volksschule getrennt, und das ist meiner Meinung nach viel zu früh. Am Ende der Volksschule kriegen heute alle (Eltern, Kinder, LehrerInnen) Panik. In manchen Gegenden ist ein Kind mit einem 2er im Abschluss der Vierten Klasse schon in Schwierigkeiten! Das erzeugt eine Atmosphäre der Angst. In einer gemeinsamen Schule würde SchülerInnen mehr Zeit gegeben für die Entscheidung über ihren Bildungsweg.
Ich fürchte allerdings, dass die Neue Mittelschule diesen Anspruch nicht erfüllen kann. Es gibt zwar dort Möglichkeiten wie die Arbeit in Kleingruppen, die es am Gymnasium nicht gibt. Ich habe aber den Eindruck, dass die Neue Mittelschule zwar zunächst einmal mit außerordentlichen finanziellen Mitteln ausgestattet wurde, sie aber jetzt realisieren, dass sie es zum Beispiel nicht durchhalten können, zwei Lehrpersonen pro Klasse zu finanzieren, und nun zu kürzen beginnen.
Damit wird das ganze Konzept aber hinfällig. Um einer vorzeitigen Selektion aktiv entgegen zu wirken, wären natürlich auch verstärkte Fördermaßnahmen notwendig, wie Sprachfördermaßnahmen für MigrantInnen. Ich kenne zum Beispiel den Fall einer Schülerin, die aufgrund eines sprachlichen Problems vom Gymnasium gehen musste, obwohl sie sich viel Mühe gegeben hat und strebsam war. Hätte man rechtzeitig erkannt, dass ein solches Problem vorliegt, hätte man mit gezielten Fördermaßnahmen entgegen steuern können.
TT: Was wären die Aufgaben von SozialarbeiterInnen in der Schule?
Peter: Eine Aufgabe wäre es, eine Gesprächsbasis mit Leuten herzustellen, mit denen wir aufgrund unserer eigenen sozialen Lage nicht so gut ins Gespräch kommen. Wir LehrerInnen kommen ja üblicherweise aus einem gutbürgerlichen Umfeld und wissen nicht viel über die Probleme, die in anderen sozialen Verhältnissen herrschen, das gilt auch für Menschen mit migrantischem Hintergrund. Bei vielen LehrerInnen herrscht zudem noch die Vorstellung einer Vater- Mutter-Kind-Familie, in der zu Hause mit den Kindern gelernt wird und Nachhilfestunden bezahlt werden können.
Eine der Aufgaben von SozialarbeiterInnen könnte es auch sein, bei Konflikten mit SchülerInnen und Eltern Gespräche zu moderieren, wofür wir LehrerInnen ja nicht ausgebildet sind. Auch bei Auseinandersetzungen zwischen SchülerInnen, deren Hintergrund wir nicht verstehen, wäre es hilfreich, jemanden zu haben, der das aufschlüsseln kann.
Was auch dringend fehlt, sind Lehrer und Lehrerinnen, die selbst Migrationshintergrund haben. In Österreich gibt es so viele Menschen, die zum Beispiel aus dem ehemaligen Jugoslawien oder aus der Türkei stammen, aber ich habe keinen einzigen Kollegen oder keine einzige Kollegin mit Migrationshintergrund. Es wäre eine große Erleichterung, ein paar KollegInnen zu haben, die Türkisch oder Bosnisch/Kroatisch/ Serbisch sprechen. Warum gibt es sie nicht? Diese Bevölkerungsgruppen müssten doch auch repräsentiert sein.
TT: Du bist auch in der Gewerkschaft aktiv. Was müsste die Gewerkschaft deiner Meinung nach generell tun, um die kontinuierliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu stoppen?
Peter: Die Gewerkschaften sind meiner Meinung nach viel zu nachgiebig und zu wenig kämpferisch. Andrerseits muss ich die Gewerkschaft auch in Schutz nehmen. Manchmal höre ich von den KollegInnen, die Gewerkschaft müsse mehr tun und bessere Pressearbeit leisten. Dazu muss man aber sagen, dass die Ministerien gelernt haben, professionelle PRArbeit zu machen und genau planen, wann sie welches Gerücht in die Welt setzen, wann sie eine Pressekonferenz machen, und wo wer was sagt. So werden Kürzungen im Bildungsbereich immer kurz vor den Ferien bekannt gegeben, damit sich die Wut nicht in den Konferenzzimmern ballen kann. Wenn die Ferien zu Ende sind, ist die erste Reaktion schon verpufft. Solche Möglichkeiten haben die Gewerkschaften nicht, weil hier eben keine Profis am Werk sind, sondern engagierte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Diese schauen notwendiger Weise in Fernsehdiskussionen und in der Presse gegen diese professionalisierte PR-Arbeit schlecht aus. Es ist ein ungleicher Kampf. Die Arbeit aber, die von unten geleistet wird, wird zum Teil nicht gesehen.
TT: Ist es nicht eine falsche Einstellung, nur von den anderen zu erwarten, sich einzusetzen, ohne selbst aktiv zu werden?
Peter: Das stimmt. Oft beklagen sich ja gerade jene KollegInnen, dass die Gewerkschaft nicht genug tut, die selbst nicht einmal Gewerkschaftsmitglied sind, geschweige denn, sich engagieren. Insgesamt kann man aber sagen, dass das Gewerkschaftssystem zu starr ist und viel zu sehr von parteipolitischen Interessen beherrscht wird. Es ist ein österreichisches Spezifikum, dass Gewerkschaftsfunktionäre gleichzeitig eine politische Funktion für eine Partei innehaben. Das dürfte es eigentlich nicht geben. Im Übrigen habe ich das Gefühl, dass die Gewerkschaften zu wenig die Zusammenhänge im Großen beachten und zu sehr in der Logik des eigenen Betriebs verhaftet sind. Ich kenne GewerkschafterInnen, die sich sehr in ihrer Schule, in ihrem Betrieb oder in ihrem Bundesland engagieren. Die Entscheidungen werden manchmal aber auf anderen Ebenen getroffen, zum Beispiel auf EU-Ebene (Beispiel Bolognaprozess), oder sogar auf zwischenstaatlicher Ebene wie bei TTIP.
Ich glaube auch, dass es zu wenig Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Sektionen der Gewerkschaft gibt. Die Metaller kämpfen nur für die Metaller und sind zufrieden, wenn sie für ihre eigenen Leute eine Lohnerhöhung erreichen. Ein Grundproblem, das die Gewerkschaft auch noch nicht gelöst hat, ist, dass sie die Menschen in den prekären Arbeitsverhältnissen – LeiharbeiterInnen oder geringfügig Beschäftigte – nicht erreichen und ausreichend vertreten können. Da herrscht noch die Vorstellung vom Beruf, den man ganztägig und sein ganzes Leben lang ausübt. Die vielen, die leider immer mehr werden, die überhaupt keinen richtigen Job haben oder mehrere Jobs brauchen, um überleben zu können, die werden – so ist mein Eindruck – noch zu wenig gesehen. Für diese Menschen ist es natürlich viel schwieriger, sich zu organisieren, sie sind verstreut und oft auch weniger informiert. Aber es ist gerade die Stärke der Gewerkschaft, zusammenzukommen und gemeinsam die Kraft zu entfalten. In solchen Situationen scheinen die gegenwärtigen Strukturen der Gewerkschaften aber zu unflexibel zu sein.
TT: Denkst du, dass die Menschen deshalb nicht aktiv werden, weil es ihnen noch zu gut geht?
Peter: Wenn es den Menschen wirklich so gut gehen würde, wäre das ja sehr schön. Die Häuser sind renoviert, die Straßen sind voller Autos, darum kann man den Eindruck gewinnen, es sei alles in Ordnung. Ich glaube aber, dass der gut situierte Bürger einfach viel sichtbarer ist, ihm gehört die Stadt. Die Menschen, denen es nicht so gut geht, wohnen dort, wo wir nicht hinsehen, sie kommen im Fernsehen (außer in Sendungen wie „Am Schauplatz“ zur allgemeinen Belustigung) nicht vor. In meinem Bekanntenkreis geht es den meisten Leuten ja auch recht gut und ich könnte mir nicht vorstellen, dass sie mit mir auf eine Demonstration gehen würden. Es können sich ja auch noch viele etwas leisten, das spricht ja leider für das System. Viele von denen, die jetzt noch satt und gemütlich dasitzen, werden aber früher oder später darauf kommen, dass die Lage doch nicht so gut ist, wie sie glauben, aber dann wird es wahrscheinlich schon zu spät sein. Andererseits gibt es immer mehr Menschen, gerade unter den LehrerInnen, die mit Burnout und Überforderung konfrontiert sind. Denn wenn du als LehrerIn vor der Klasse stehst, musst du funktionieren, egal wie gut oder schlecht es dir geht.
TT: Sind die SchülerInnen heutzutage schwieriger geworden?
Peter: Natürlich spiegelt die Jugend die Widersprüche, Neurosen und Depressionen einer Gesellschaft wider. Ich selbst habe aber nicht die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche heute schwieriger sind als früher. Wenn ich an meine Schulzeit denke, erinnere ich mich an MitschülerInnen, die extrem schwierig waren. Vielleicht wird heute nur mehr darüber geredet. Nein, ich erlebe die heutige Jugend als kritisch und konstruktiv. Sie gibt mir Hoffnung.
Veröffentlicht in: Talktogether Nr. 48/2014
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