Gespräch mit Ibrahim aus dem Irak
„Selbst wenn mich die Behörden eines Tages in den Irak abschieben, würde ich nie etwas Schlechtes über Österreich über die Menschen in diesem Land sagen. Trotzdem ich hier nichts habe, keine Papiere, keine Arbeit, keine Perspektive, kann ich sagen, dass ich Österreich liebe.“
TT: Wie war dein Leben in Bagdad, bevor der Krieg begonnen hat?
Ibrahim: Die wirtschaftliche und politische Situation war sehr schwierig. Es gab wenig Arbeit und die Leute verdienten sehr wenig. Weil auch meine Eltern nicht viel Geld hatten, musste ich arbeiten, um die Studiengebühren zu zahlen. Mein Vater war schon in Pension und wir waren acht Geschwister. Ich habe jeden Tag von acht Uhr morgens bis drei oder vier Uhr nachmittags in einem kleinen Supermarkt gearbeitet. Danach habe ich gegessen, mich gewaschen und umgezogen und bin zur Uni gegangen – im Irak müssen alle auf der Universität ein Uniform tragen. Ich habe zwei Jahre lang Elektrotechnik studiert, doch 2003 begann der Krieg mit den USA, musste ich mein Studium beenden.
Nach dem Krieg habe ich weiter im Geschäft gearbeitet. Zusätzlich habe ich einen Parkplatz gepachtet, wo ich mit zwei Mitarbeitern Parkgebühren eingehoben habe. Damit habe ich sehr gut verdient. Doch eines Tages gab es eine Explosion auf dem Parkplatz. Danach kamen und Soldaten und haben mit abgeholt. Sie gaben mir die Schuld an der Explosion, weil ich die Autos nicht gut genug kontrolliert hätte. Wir haben schon jedes Auto kontrolliert, aber nur in den Kofferraum und in die Motorhaube geschaut. Sie haben die Bombe aber versteckt, wo ich nicht nachsehen konnte. Dann haben sich mich ins Gefängnis gebracht, in dasselbe, wohin sie Saddam Hussein gebracht hatten. Dort musste ich zwei Monate bleiben.
TT: Warum ist die Bombe gerade auf deinem Parkplatz explodiert?
Ibrahim: Das hatte nichts mit mir zu tun, das weiß ich. Den Terroristen ist es egal, wo sie ihre Bombe explodieren lassen, auf der Straße, in einer Schule oder im Krankenhaus. In der Nähe des Parkplatzes befindet sich das Verteidigungsministerium. Viele Leute, die dort arbeiten, auch Generäle, haben ihr Auto beim mir geparkt. Am nächsten Tag, als ich schon im Gefängnis war, haben meine Eltern einen Nachbarn gebeten, auf meinem Parkplatz weiterzuarbeiten. Zwei Tage später gab es dort wieder eine Explosion. Mein Nachbar ist aber sofort weggelaufen, so dass die Soldaten niemanden fanden. Ein paar Tage später, gab es in der Nähe wieder Explosionen. Das passiert ständig.
TT: Wie war das Leben in der Zeit, als Saddam Hussein an der Regierung war?
Ibrahim: Das Leben war sehr schwer, denn vieles war verboten, Satelliten waren verboten, Handys waren verboten und niemand wagte es, seine Meinung zu sagen. Es gab nur eine Partei und du warst gezwungen, Mitglied zu sein, sonst hatte man keine Chance, du bekamst zum Beispiel keine Zulassung für die Universität. Ich habe das auf dem Papier gemacht, aber nicht mit dem Herzen, weil ich auf die Uni gehen wollte. Die Leute haben sehr wenig verdient. Für meine Arbeit im Supermarkt bekam ich umgerechnet fünf Euro in der Woche. Man musste sechs Tage arbeiten, nur am Freitag hatten wir frei.
TT: Kannst du dich auch an schöne Zeiten erinnern?
Ibrahim: Ja natürlich, es gab in Bagdad auch schöne Zeiten. Unser Haus lag sehr nahe am Fluss, und wir sind dort immer mit Freunden zum Schwimmen gegangen, wir haben Fische gefangen und gegrillt oder Ausflüge mit dem Boot unternommen. Doch seit dem Krieg ist es alles anders geworden. Weil es ständig Bombenanschläge gibt, ist es gefährlich, aus dem Haus zu gehen. Und auch die Polizei ist ein Problem, bei jeder Begegnung musst du bezahlen, das war aber vorher auch schon so, das hat sich eigenlich nicht geändert.
TT: Gab es vor dem Krieg Probleme zwischen den Volksgruppen oder den Religionsgemeinschaften?
Ibrahim: Nein, man kann sagen, solche Probleme gab es damals nicht. Aber alle hatten Angst, deshalb traute sich keiner, die Zustände zu kritisieren. Sogar in ihren eigenen Häusern trauten sich die Menschen nicht zu sprechen, die Leute fühlten sich einfach überwacht. Denn wer es wagte, die Regierung zu kritisieren, wurde umgebracht. Aber es gab Sicherheit. Zwischen Schiiten und Sunniten gab es keine Probleme, es gab Probleme mit den Kurden, das war aber schon 1991. Auch die Christen hatten Freiheit hatten keine Probleme. Solange du nichts gegen Saddam Hussein oder seine Partei sagtest, konntest du tun, was du willst, du konntest in die Disko gehen, Alkohol trinken. Deshalb sagen manche Leute heute, es wäre ihnen unter Saddam Hussein besser gegangen als heute. Die Leute hatten zwar wenig Geld und wenig Essen, aber sie hatten Sicherheit.
TT: Wie lange bist du zur Schule gegangen?
Ibrahim: Es war damals so, dass jeder junge Mann, der 18 Jahre alt war und nicht mehr zur Schule ging, sofort zum Militär musste. Wer einen Uni-Abschluss hatte, musste eineinhalb Jahre, wer Medizin studiert hatte, nur ein halbes Jahr, wer keine Ausbildung hatte, musste drei Jahre zum Militär. Das war sehr schwer. Deshalb versuchte jeder, die Klassen zu wiederholen und so oft sitzenzubleiben, wie möglich, um den Militärdienst so lange wie möglich hinauszuschieben.
TT: Was war beim Militär so schlimm?
Ibrahim: Die Leute bekamen fast kein Geld, vielleicht 2-3 Euro im Monat. DAvon musste man sich Bustickets und Essen kaufen. Es gab zwar auch in der Kaserne Essen, das war aber sehr schlecht, man nannte es Luft-Suppe, sie bestand nur aus Wasser, Salz und schlechtem Reis. Jeden Tag musstest da ab vier Uhr zum Training. In der Zeit des Krieges 1991 schnitten sie sogar Leuten, die den Militärdienst verweigerten, einen Teil des Ohres ab Aufgrund von Protesten von Menschenrechtsorganisationen haben sie damit aber aufgehört.
TT: Was würde passieren, wenn du in den Irak zurück musst?
Ibrahim: Im Irak habe ich alles verloren, ich habe keine Perspektive. Außerdem ist es sehr gefährlich. Es gibt ständig Bombenattentate und du wirst auf der Straße von Milizen angegriffen. Heute bringen Sunniten Schiiten um und umgekehrt. Zwei meiner Freunde sind durch Selbstmordattentate gestorben. Aktuell herrscht Krieg zwischen den Regierungssoldaten und Terroristen. 40-50 Jahre waren die Sunniten in der Regierung, jetzt sind die Schiiten an der Macht, deshalb kämpfen sie gegen sie. Am besten sollte man den Irak in drei Teile teilen, ein Teil den Schiiten, ein Teil den Sunniten, ein Teil den Kurden. Christen gibt es jetzt nicht mehr viele im Irak. Die meisten sind nach Europa, Amerika oder Australien gegangen.
TT: Haben sie Probleme? Werden sie verfolgt?
Ibrahim: Probleme nicht, niemand bringt die Christen um. Aber das Leben ist heute sehr schwer, es gibt keine Freiheit. Wenn jemand in einem Geschäft Alkohol verkauft, legen sie eine Bombe. Die Christen haben viele Verwandte im Ausland. Sie haben auch gute Beziehungen in die grüne Zone, wo die ganzen Botschaften sind. Dort kommst du nur hin, wenn jemanden kennst, der dort arbeitet, sonst darfst du die Zone nicht einmal betreten. Ich hatte viele christliche Freunde, sie sind in die Türkei und von dort aus nach Australien geflüchtet.
TT: Ist dein Leben bedroht, wenn du in den Irak zurück müsstest?
Ibrahim: Ich kann ich nicht sagen, dass ich sofort getötet würde. Aber vor allem gibt es keine Freiheit. Ich kann am Abend nicht das Haus verlassen. Die Verhältnisse sind sehr schlecht, du kannst kein Vertrauen in die Polizei haben. Trotzdem ich hier nichts habe, keine Arbeit, keine Perspektive, habe ich hier Freiheit und Sicherheit. Ich muss nicht Angst haben, dass plötzlich vor meiner Türe jemand steht, der mich umbringen will. Meine Geschwister sind noch im Irak, aber wenn sie eine Chance hätten, würden sie das Land verlassen. Aber für sie ist es sehr schwer, sie haben Kinder, und man braucht sehr viel Geld, um das Land verlassen zu können. Wenn es keinen Krieg und keine Gewalt mehr gäbe, würde ich sehr gerne zurückkehren. Aber so wie die Lage jetzt ist, würde ich freiwillig auf gar keinen Fall zurückgehen. Wenn sie mich abschieben würden, würde ich erneut versuchen, nach Europa zu kommen. Weil es so gefährlich ist, kommen auch keine europäischen oder amerikanischen Firmen nach Irak. Außerdem wenn ich jetzt nach über fünf Jahren mit leeren Hände zurück komme, würden mich meine Freunde und meine Familie fragen, was ich die ganze Zeit in Österreich gemacht habe. Sie wissen nicht, wie hart das Leben hier ist, wenn man keine Papiere hat und nicht arbeiten darf. Sie können es sich nicht vorstellen, wie kompliziert es hier ist, Asyl zu bekommen.
TT: Du hast hier in Salzburg viele Freunde gefunden. Hast du dich – trotz aller Probleme – hier in Salzburg eingelebt?
Ibrahim: Ja, und das ist auch ein Grund, warum ich hier bleiben möchte. Ich habe viele und sehr gute Freunde gefunden. Die meisten arabischen Freunde haben kaum Kontakte zu ÖsterreicherInnen. Ich habe an Theaterprojekten teilgenommen. Aber das würde meine Eltern und Freunde nicht beeindrucken, sie denken, es ist normal, Freunde zu haben.
TT: Was wünschst du dir für deine Zukunft?
Ibrahim: Seit dem ersten Tag, als ich nach Europa unterwegs war – ich wusste ja nicht, dass ich in Österreich landen würde – hatte ich sehr viele Pläne. Ich wollte Englisch lernen, Sport betreiben, Arbeit finden, ich hatte viele Träume und viel Kraft. Doch alle meine Träume sind zerbrochen. Ich kann weder Englisch noch besser Deutsch lernen, weil man dafür viel bezahlen muss. Ohne Papiere kann ich auch nicht arbeiten. Erst wenn ich Papiere bekommen, wird die Sonne für mich wieder scheinen. Das ist leider die Realität. Die Sorgen über meine ungewisse Zukunft haben mich depressiv gemacht. Ständig quälen mich Gedanken über meine Zukunft, so dass ich ohne Tabletten nicht mehr schlafen kann. Wenn ich keine Tabletten nehme, arbeitet mein Kopf ohne Pause und ich kann die Gedanken nicht stoppen. Ich denke immer, was soll ich tun? Soll ich in ein anderes Land gehen und es dort versuchen? Ich habe so viele gute Freunde, die mir sehr viel geholfen haben. Sie haben mir einen Anwalt organisiert. Aber trotzdem ist keine Lösung in Sicht.
TT: Möchtest du noch etwas hinzufügen?
Ibrahim: Ja. Auch wenn mich die Behörden eines Tages in den Irak abschieben, würde ich nie etwas Schlechtes über Österreich über die Menschen in diesem Land sagen. Ich würde von meinen Freunden und den schönen Erlebnissen, die ich hier hatte, erzählen. Trotzdem ich hier nichts habe, keine Papiere, keine Arbeit, keine Perspektive, kann ich sagen, dass ich Österreich liebe. Ich habe hier von der Caritas Unterstützung bekommen, ich bin krankenversichert und vor allem habe ich nette Freunde, die mich unterstützen.
TT: Wir bedanken uns für das Gespräch!
Veröffentlicht in: Talktogether Nr. 48/2014
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