THE MISSING RIGHT
Zu den Kinderzeichnungen aus Theresienstadt
Eine Ausstellung von Elena Strubakis
Vom 12. September bis 2. November 2014 fand im Bezirksmuseum Landstraße in Wien, Sechskrügelgasse 11, die Ausstellung mit dem Titel: „The Missing Right – Zu den Kinderzeichnungen aus Theresienstadt“ statt. Elena Strubakis gestaltete die Ausstellung, sie präsentierte Reproduktionen von Kinderzeichnungen aus dem Ghetto und eigene künstlerische Arbeiten, Bilder auf Leinwand in Öl, die als Einladung und Aufforderung an den Besucher konzipiert sind, in emotionale und intellektuelle Beziehung mit den Zeichnungen der Kinder zu treten. Herr Prof. Rudolf Gelbard sprach als Überlebender des Ghettos Theresienstadt. Moša Šišić und Ljubiša Belkić spielten in memoriam der Kinder auf Gitarre und Violine virtuos verdichtete Klänge.
Elena Strubakis: „Das Projekt, eine Ausstellung meiner Arbeiten gemeinsam mit Reproduktionen von Zeichnungen der Kinder aus Theresienstadt zu machen, hat mir Herr Prof. Karl Hauer vorgeschlagen, er war es, der mir den Floh ins Ohr setzte. Er, der Leiter des Bezirksmuseums Landstraße, überreichte mir vor mehr als einem Jahr, anthrazitgrau und sorgsam gehütet, eine Rolle mit Zeichnungen, die zuvor in seinem Archiv gelegen waren. Prof. Hauer sagte zu mir: ‚Mach etwas daraus! Und zwar mit Hilfe deiner Kunst!’ Ich ließ die Rolle einige Zeit liegen. Dann öffnete ich sie. Diese Kinder hatten gezeichnet, was sie sahen und was sie sich erträumten. Zeichnerisch unterschieden sie sich auf den ersten Blick nicht von anderen Kindern, in dem, was sie sahen und zeichneten, sehr stark. Ich war zutiefst betroffen.“
Prof. Karl Hauer, langjähriger Leiter des Museums, ist den Opfern des Nationalsozialismus seit langem verpflichtet. 1991 begann er, Namen, Wohnorte, Daten und Schicksale der jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner des 3. Wiener Gemeindebezirks während der Zeit des Nationalsozialismus zu erforschen. Die ersten Ergebnisse lagen nach vier Jahren vor. Die Arbeit ist bis heute nicht vollständig abgeschlossen. Prof. Hauer stellte ein Buch mit den Ergebnissen zusammen, das soeben in seiner 4. Auflage mit dem Titel „Gedenkbuch unserer vergessenen Nachbarn“ erschienen ist. 1995 veranstaltete er dazu die Ausstellung „Unsere vergessenen Nachbarn – die Landstraßer Juden“ und richtete einen Gedenkraum ein, dessen Wände mit den Namen der jüdischen Opfer des 3. Bezirks in Blockbuchstaben beschrieben wurden. Dieser Raum besteht bis heute und grenzt an den Raum, in dem Elena Strubakis ihre Ausstellung gestaltete, an. Man betritt ihn durch einen Türstock ohne Türflügel, sodass eine gute und würdige Nachbarschaft der beiden Ausstellungen gegeben war.
Elena Strubakis ist Griechin und Österreicherin, sie wuchs abwechselnd in beiden Ländern auf und ist in beiden Kulturen daheim. Ihren ersten Malunterricht erhielt sie als Zehnjährige. Ihr Zeichenlehrer an der AHS Zirkusgasse in Wien war mit Oskar Kokoschka befreundet und lud ihn in die Schule ein. Kokoschka sah die Zeichnungen der kleinen Elena und bestand darauf, ihr regelmäßig kostenlos Privatunterricht zu erteilen. Der musste im zweiten Jahr beendet werden, weil sie aus familiären Gründen zurück nach Griechenland übersiedelte. Dort beschäftigte sich Elena Strubakis mit der Ikonenmalerei der griechischen Orthodoxie, mit den byzantinischen Ausdrucksformen und Stilen. Als bezahlte künstlerische Ausdrucksform wählte sie später die Architektur. Eines ihrer Spitäler, das nach ihrem Konzept in Sittard, Niederlande, gebaut wurde, ist als „The Hospital of the Future“ ausgezeichnet.
Prof. Hauer beauftragte Elena Strubakis unter anderem auch deshalb mit der Ausstellungskonzeption und -durchführung, weil sie das Werk von Iakovos Kambanellis, „Die Freiheit kam im Mai“, aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzte. Iakovos Kambanellis, der als der bedeutendste Theaterschriftsteller Griechenland gilt, schildert darin das Leben im KZ Mauthausen auf eine sehr eindrucksvoll Art und stellt Aspekte dar, die sonst in der deutschsprachigen einschlägigen Literatur nur marginal zu finden sind. Die Gedichte von Kambanellis, die er dazu schrieb, wurden von Mikis Theodorakis zur weltberühmten „Mauthausen Cantata“ vertont. Der Umschlag des Buches ist einem Gemälde von Elena Strubakis entnommen, das zu ihrem Mauthausenzyklus gehört, den sie während der Übersetzung malte.
Theresienstadt unterscheidet sich von anderen Konzentrationslagern wie Auschwitz oder Mauthausen. Die Organisation des Lagers wurde als „Selbstverwaltung“ deklariert. Dies gibt den Anschein von Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit der Häftlinge. Theresienstadt spielte in der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten eine besondere Rolle. Es war das Vorzeige- KZ. Dorthin wurden internationale Komitees geladen. Dafür wurde jedes Mal ein wahrhaft Potemkinsches Dorf errichtet. Die Gebäude wurden herausgeputzt und die Häftlinge gezwungen, ein normales Leben zu mimen. Dort entstand – durch erzwungene Mitwirkung der Häftlinge – der Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“, der die Welt täuschen sollte.
Bei ihren Recherchen stieß Elena Strubakis auf den „Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945“. Er stellte Reproduktionen von Kinderzeichnungen zur Verfügung, unter denen sich vom Studienkreis beigefügte Angaben befinden. Gelegentlich ist der Name der Zeichnerin und des Zeichners angegeben, weil er auf der Zeichnung vermerkt ist, gelegentlich sind auch andere Daten angeführt, fast immer lesen wir von der Ermordung des kindlichen Schöpfers und der kindlichen Schöpferin. Oft findet man keine Angaben, weil man über die Schöpferin oder den Schöpfer nichts weiß.
Elena Strubakis: „Das Zustandekommen einer Ausstellung mit den Reproduktionen wurde letztlich durch die Kooperation mit dem Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 möglich. Der Studienkreis besitzt in Frankfurt, Deutschland, eine Wanderausstellung zu den Zeichnungen. Durch diese glückliche Fügung war es möglich, eben diese nach Wien zu bringen. Wien ist also die erste österreichische Stadt, in der diese Auswahl der Reproduktionen gezeigt wurde. Das Bezirksmuseum Landstraße ist der Ort, an dem Herr Prof. Hauer die Ausstellung ‚Unsere vergessenen Nachbarn’ mit Reproduktionen der Kinderzeichnungen im Jahre 1995 verwirklicht hatte. Dort wollte er die Ausstellung gestaltet wissen und sollte ich meine Arbeiten präsentieren.“
Das bewerkstelligte Elena Strubakis, indem sie zu jeder Tafel der Kinderzeichnungen ein Werk in Öl malte, das sie zwischen die Tafeln mit den Kinderzeichnungen hängte und das jeweils Kinder unterschiedlichen Alters darstellt. Ein Bild stellt eine sehr junge Frau dar, die einen Säugling auf ihrem Schoß sitzend in den Händen hält. Ein anderes Bild stellt ein junges Mädchen dar, wie es sich an der Hand eines anderen weit älteren Mädchens festhält und, scheint’s, eine Rast im Spaziergang einlegt. Dann sehen wir ein Mädchen, wie es auf einer Schaukel sitzt und schaukelt, vor ihm kullert ein rot-weiß getupfter Ball. Wir sehen ein Mädchen, das uns en face direkt anblickt. Diese Bilder wirken zusammengehörig. Der Hintergrund ist auf allen Bildern als waagrechte Balken gestaltet, deren Breiten gleich und Farben variierend auf jedem Gemälde aufgenommen wurden. Auch die Darstellungsart der Mädchen und Buben ist auf allen Bildern beibehalten worden.
Die Personen sind bunt, detailgenau und dennoch schematisch dargestellt, so wie man es in manchen Kinderbüchern findet. Das Mädchen, der Säugling, die sehr junge Frau, ... sie alle haben kaum Volumen, wirken flächig. Die kräftige, leuchtende, farbenfrohe Darstellung der Personen und ihre Schwerelosigkeit, ja Körperlosigkeit lassen die Personen zwischen Realität und Abstraktion oszillieren. Zwei Gemälde fallen aus diesem Rahmen: Ein Werk in Öl, auf dem die Personen und Gegenstände ohne kräftige Farben auskommen, ihnen nur durch Schatten und Umrisse Gestalt gegeben wird. Es ist doppelt so breit wie alle anderen Werke. Es vermittelt ein Gefühl der Leere, der man nicht habhaft wird. Auf dem anderen stehen Worte, es ist der Titel „The Missing Right“, hier haben gar die Balken die Farbe, die der Pinsel aufgenommen, auf dem Weg von Farbtopf zur Leinwand verloren.
Elena Strubakis: „Die Zeichnungen, mit deren Reproduktionen ich arbeitete, stammen von Kindern, die von 1941 bis 1945 nach Theresienstadt deportiert worden waren. 15.000 Kinder wurden aus ihrem Zuhause gerissen, nach Theresienstadt deportiert, fast alle wurden ermordet. Nur 132 Kinder fand man nach der Befreiung vor (Quelle: www.jewishvirtuallibrary.org). Wir wissen von den Kindern kaum etwas, oft nicht einmal den Namen, wie alt sie waren, aus welcher Familie sie stammten, ob sie Geschwister hatten, wer ihre Eltern, ihre sonstigen Verwandten, ihre Nachbarn waren, wie sie sonst gelebt haben, wie sie ihrem Zuhause entrissen wurden, was sie auf dem Weg der Deportation erlebten, wann und wie sie ermordet wurden, wer um sie trauerte.
Wir haben jedoch Zeugnisse vor uns, die Zeichnungen, die vage auf die Individualität der Kinder schließen lassen. Die Kinder als Personen bleiben aber anonym. Mein Wunsch war, zu versuchen, sie aus der Anonymität zu führen. Ich habe Kinder in verschiedenen Altersstufen auf diese Weise gemalt und platziert, damit der Betrachter oder die Betrachterin der Kinderzeichnungen durch meine zum Dialog gereichten und hinzugefügten Bilder angeregt wird, den toten Kindern in seiner und ihrer Phantasie Gestalt zu geben, sich auszu-‚malen’, wie ich es gemacht habe, wie diese Kinder vielleicht waren, wie ihr Leben war und wie ihr Leben noch hätte sein können.“
Ein besonderer Höhepunkt war, als Prof. Rudolf Gelbard, der als Kind im KZ Theresienstadt Gefangener war, sprach. Er äußerte persönliche Worte, was er sonst kaum je getan hat: „Für mich war das Schlimmste, wenn ich mich von anderen, die auf Transport nach Auschwitz geschickt wurden, verabschiedete, weil ich wusste, dass ich sie nie mehr wieder sehen würde.“
Das Projekt „Never/Forget/Why“, ein Erinnerungsprojekt, das Frau Anna Wexberg-Kubesch im Sommer 2014 initiierte, das zum Ziel hat, 15.000 Kärtchen für 15.000 Kinder, die im KZ ermordet wurden, zu gestalten, kam mitsamt den 400 bisher gesammelten Kärtchen am Mittwoch, 22. Oktober 2014 zu Gast. Olga Kessaris und ihr Ensemble (Keyboard: Nikos Papadopoulos, Bouzuki: Nikos Athanassopoulos) spielte griechische Widerstandslieder und das dritte der vier Lieder aus der Feder von Iakovos Kambanellis, es ist „Der Flüchtling“ aus der „Mauthausen Cantata“ von Mikis Theodorakis. Brot, Salz, Wasser und Wein wurde den Besuchern und Besucherinnen gereicht. Elena Strubakis: „Dem Anliegen von Frau Anna Wexberg- Kubesch, auf Besuch zu kommen, konnte ich nur zustimmen, ist es doch, so scheint es mir, quasi das kleine Geschwisterchen des Projektes ‚A Letter to the Stars’, das Josef Neumayr, Andreas Kuba und Alfred Worm initiierten.“
Die Ausstellung wurde außergewöhnlich rege besucht, auch von jungen Menschen. Sie wurde wegen des großen Interesses um eine Woche bis zum 2. November 2014, dem Tag, an dem Christen aller Seelen gedenken, verlängert. Ein Besucher der Ausstellung regte an, dass „The Missing Right“ auch in Krems an der Donau gezeigt werde. Die Eröffnung findet dort am 1. Dezember 2014 im BRG Krems, Ringstraße 33, 3500 Krems/Donau statt. Prof. Rudolf Gelbard wird in Krems sprechen.
von Franz Richard Reiter/Elena Strubakis
erschienen in Talktogether Nr. 50/2014
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