Nachbarschaftsbrunch im Flüchtlingsheim PDF Drucken E-Mail

Nachbarschaftsbrunch im Flüchtlingsheim

Im September luden der Betreiber, die Bewohner und die Mitarbeiterin des kurz davor eröffneten Flüchtlingsheims in der Otto-Nussbaumer-Straße 12 die Nachbarn zu einem Brunch ein. 35 junge Männer wohnen in diesem Haus, die aus verschiedenen Ländern stammen, zumeist aus den Krisenregionen im Nahen Osten, in Afrika oder im Kaukasus. Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Christina Semper leitet Jakob Fieg seit Anfang September dieses Jahres dieses Heim. Für Christina sei es die schönste Arbeit, die sie jemals hatte, erzählt sie, und sie fühle sich als einzige Frau unter lauter Männern respektiert und angenommen, auch, wenn sie mit ihnen Fußball spielt. Weil es aber immer wieder zu Spannungen mit Nachbarn in der Straße gekommen ist, hat sich Jakob entschlossen, diesen Brunch zu organisieren, mit dem Ziel, durch die persönliche Begegnung Vorurteile und Misstrauen abzubauen. Es ist ein sonniger Samstagvormittag. Als einige Nachbarn und Interessierte aus dem Stadtteil eintreffen, sind die Bewohner schon Stunden in der Küche beschäftigt, um Köstlichkeiten aus ihren Herkunftsländern zuzubereiten. Beim gemeinsamen Essen im Garten kommt es zögerlich zu Annäherungen und Gesprächen zwischen den Gastgebern und ihren Gästen ...

Gespräch mit Jakob Fieg, Leiter der Flüchtlingspension Otto-Nussbaumer-Straße

TT: Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Flüchtlingsheim zu eröffnen?

Jakob: In diesem Haus wurde ja schon vorher eine Flüchtlingsunterkunft betrieben. Als meine Eltern dieses Haus gekauft haben, stand deshalb von Anfang an diese Idee im Raum. Vorher habe ich aber keinen Kontakt zu Flüchtlingen und Asylsuchenden gehabt. Dass ich mich dann für ein Flüchtlingsheim entschieden habe, hängt wohl auch damit zusammen, dass ich schon immer eine Persönlichkeit war, die sich für Schwächere einsetzt. In meiner Volksschule zum Beispiel hatten wir einen Lehrer, der die Schüler psychisch terrorisierte. Es gab ein paar Schüler, die sich beim Lernen schwergetan haben, und die hat er fertiggemacht. Es hat mich immer mehr gestört, wenn er auf die losgegangen ist, die sich nicht wehren können, als wenn er mich im Visier hatte. Diese Einstellung hat sich durch mein Leben gezogen. Ich bin generell ein liberaler Mensch, und es freut mich, wenn ich etwas für diese Leute tun kann.

TT: Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um ein Flüchtlingsheim leiten zu können?

Jakob: Prinzipiell läuft das so, dass man zuerst einen Interessensantrag an das Land stellen muss, in dem man angibt, welche Vorkenntnisse man in diesem Bereich hat. Wenn man ein Heim mit Verpflegung führt, benötigt man eine Gastgewerbekonzession. Wenn sich die Leute aber selbst verpflegen, wie das hier der Fall ist, handelt es sich um eine Vermietung und man benötigt keine speziellen Vorkenntnisse.

Das Haus wird dann von Beamten des Landes Salzburg angeschaut und es wird überprüft, ob es für die Unterbringung von Flüchtlingen geeignet ist. Es gibt Vorgaben, wie viele Personen in einem Haus untergebracht werden können, und fixe Sätze, die man pro Person bekommt. Man muss dann einen Kostenplan aufstellen und sich ausrechnen, ob sich das Konzept finanziell ausgeht. Man muss das Ganze auch vorfinanzieren, das heißt, auch eine Bank muss von dem Projekt überzeugt werden. Es geht vor allem um wirtschaftliche Überlegungen und Planungen, denn die Kosten sind ein wesentlicher Faktor. Betriebswirtschaftliche Kenntnisse sind dafür sehr hilfreich.

TT: Wie wir erfahren haben, sind nicht alle Nachbarn begeistert davon, dass hier Flüchtlinge wohnen. Welche Einwände haben sie?

Jakob: Der Widerstand der Nachbarn hat eigentlich schon im Vorfeld begonnen. Als mein Vater das Haus renovieren ließ, wurde er von den Nachbarn angesprochen und gefragt, was hineinkommt. Da hieß es gleich: „Aber hoffentlich nicht wieder ein Asylantenheim!“ Als er darauf geantwortet hat, dass er es noch nicht wüsste, dass es aber durchaus möglich wäre, lautete die Antwort. „Dann werden wir alles unternehmen, um das zu verhindern!“ So hat es schon begonnen. Als das Haus dann eröffnet wurde, habe ich die unmittelbaren Nachbarn zur Eröffnungsfeier eingeladen. Das war aber schon ein Fehler, denn dann haben sich diejenigen, die ein paar Häuser weiter wohnen, aufgeregt, dass sie keine Einladung bekommen haben. Vom ersten Tag an waren Vorurteile zu spüren. Es gab die Befürchtung, dass es zu laut sein könnte, aber es wurden nicht nur nachvollziehbare, sondern auch offen rassistische Einwände vorgebracht. Einer hat sogar gesagt: „Wer garantiert, dass die nicht meine Tochter vergewaltigen?“ Es gibt auch Nachbarn, die anrufen, weil sie sich beobachtet fühlen, wenn die Bewohner aus dem Fenster schauen. Ich lasse mich aber nicht auf solche Diskussionen ein und nehme nur jene Einwände ernst, die ich als relevant erachte, also wenn es zum Beispiel nach zehn Uhr zu laut ist. Wenn aber gesagt wird, sie dürften nicht auf die Straße gehen oder aus dem Fenster schauen, finde ich das unmenschlich und unwürdig.

TT: Gibt es irgendeine rechtliche Grundlage dafür, solche Forderungen zu stellen?

Jakob: Nein, überhaupt keine. Es gibt kein Gesetz, das Menschen untersagt, in einer Gruppe auf die Straße zu gehen oder aus dem Fenster zu schauen. Auch kann mir kein Nachbar vorschreiben, an wen ich mein Haus vermiete. Eigentlich dürften sie nicht einmal zu mir kommen und sich beschweren.

TT: Wenn jemand sagt, er habe Angst, dass seine Tochter vergewaltigt werde, ist das doch eine schwerwiegende Unterstellung. Ist so etwas zu akzeptieren?

Jakob: Meist ist es so, dass sie, wenn sie etwas stört, gleich die Polizei anrufen, nur damit es offiziell ist. Einmal war es tatsächlich ein bisschen lauter im Haus, weil ein paar Leute gestritten haben, was ja vorkommen kann. Dann haben sie einen, der draußen stand, hineingeschickt, um für Ruhe zu sorgen. Doch von ihm wollten sich diejenigen, die gerade in der Diskussion waren, nichts sagen lassen. Die Polizei ist dann gleich mit drei Bussen angekommen, obwohl sich bis dahin längst alle wieder beruhigt hatten. Aber dadurch, dass die Nachbarn so überempfindlich reagieren, passieren viele überflüssige Dinge. Nachdem die Polizei da war, habe ich mit den Beteiligten über den Vorfall geredet und ihnen erklärt, dass sich die Nachbarn durch ihr Verhalten in ihren Befürchtungen bestätigt fühlen.

TT: Hier wohnen auf engem Raum Männer aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen zusammen. Wie funktioniert das Zusammenleben zwischen den Heimbewohnern untereinander?

Jakob: Zu 90 Prozent verläuft das Zusammenleben reibungslos. Aber natürlich, wenn verschiedene Typen von Menschen aufeinandertreffen, kann es immer auch zu Differenzen kommen. Es handelt sich meistens um ganz banale Dinge. So gibt es manche, die sehr auf Sauberkeit achten und jeden Tag putzen, anderen hingegen reicht es, einmal in der Woche zu putzen.

TT: Also Auseinandersetzungen wie in jeder WG?

Jakob: Ja, das Zusammenleben hier ist ja wie in einer Wohngemeinschaft. Nur selten geht es um die Herkunft oder Kultur des anderen, obwohl sich das natürlich schon auch manchmal hinter einer solchen Auseinandersetzung verstecken kann.

TT: Was hast du dazu beigetragen, dass die Leute so gut miteinander auskommen?

Jakob: Wir unternehmen viel gemeinsam, zum Beispiel gehen wir jeden Samstag Fußball spielen. Dabei achte ich darauf, dass sich die Gruppen nicht nach Nationalitäten bilden. Ich denke, ein Mannschaftsgefüge ist ein wichtiges Instrument, Zusammenhalt zu erproben. Natürlich befreundet man sich eher mit denen, die dieselbe Sprache sprechen, aber wichtig ist es, dass sich die Leute als ein Team verstehen.

TT: Was würdest du sagen, wenn dich jemand fragt, warum die Leute nicht arbeiten?

Jakob: Ganz einfach, weil es ihnen das Gesetz verbietet. Ich verstehe diese Regelung aber selbst nicht und finde sie auch nicht gut. Es gibt die Befürchtung, dass Flüchtlinge den Einheimischen Arbeitsplätze wegnehmen könnten, doch dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen. Es ist ja nicht so, dass unbedingt jeder von ihnen sofort arbeiten soll, grundlegende Deutschkurse sind erforderlich, und die Ausbildung der Leute entspricht auch nicht immer den freien Stellen auf dem Arbeitsmarkt. Asylwerber dürfen nur gemeinnützige Arbeiten verrichten. Darüber freuen sie sich anfangs sehr. Doch wenn sie erfahren, dass ihnen von dem Geld, das sie dafür bekommen, das meiste wieder abgezogen wird, ist die Enttäuschung groß.

TT: Die Leute dürfen nicht arbeiten. Wie beschäftigen sie sich den ganzen Tag?

Jakob: Es gibt Deutschkurse, die sie besuchen können. Seit Kurzem gibt es in unserem Haus auch einen Bewohner, der fließend Deutsch, Englisch und Arabisch spricht und jetzt im Haus Deutschkurse abhält. Ich habe ihm die nötigen Materialien dazu, wie eine Tafel, besorgt, und jetzt gibt es drei Mal in der Woche bei uns einen Deutschkurs, der sehr großen Anklang findet und gut angenommen wird.

TT: Was sagst du zu den Vorfällen in den Flüchtlingsheimen in Deutschland?

Jakob: Natürlich sollten die Leute, die mit der Betreuung von Flüchtlingen beauftragt werden, dafür auch geeignet sein. Aber es ist bestimmt viel schwieriger, ein großes Flüchtlingslager zu organisieren als eine kleine Pension wie diese hier. Ich muss sagen, dass es bei uns eigentlich sehr wenige Vorfälle gibt. Da ich aus einer Unternehmerfamilie komme und keine Erfahrung im Sozialbereich hatte, war auch für mich alles neu. Deshalb war ich froh, dass mir gleich zu Beginn ein Mitbewohner Unterstützung angeboten hat. Er übersetzt für mich und informiert die Leute, wenn etwas auf dem Programm steht. Es gibt einige Bewohner, die sehr gut Englisch sprechen, also funktioniert die Kommunikation ganz gut. Nur mit drei Männern aus Georgien war es ein bisschen schwieriger, weil wir auf ein Übersetzungsprogramm auf dem Handy angewiesen waren. Aber je mehr Fortschritte es im Deutschkurs gibt, desto leichter wird es.

TT: Es gibt auch Leiter von Flüchtlingsheimen, die nicht immer so klar auf der Seite der Flüchtlinge stehen. Was ist bei dir anders?

Jakob: Ich sehe diese Menschen als ebenbürtig an. Es sind sehr kluge und gebildete Leute unter ihnen. Manchmal bezeichne ich die Bewohner des Hauses als meine Mitarbeiter. Denn für mich macht es mehr Sinn, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten, nämlich auf ein gutes Zusammenleben. Ich habe am meisten davon, wenn sich die Leute von sich aus bemühen, Probleme mit den Nachbarn zu vermeiden. Ich denke, wir haben uns fiktive Grenzen geschaffen. Wenn jemand aus einem anderen Land zu uns kommt, weil er dort Probleme hat, ist das doch sein gutes Recht. Was habe ich denn dazu beigetragen, dass ich ausgerechnet hier in einem friedlichen Land geboren bin? Das ist doch reiner Zufall.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben erfahren, dass Jakob seit unserem Gespräch aufgrund der Interventionen der Nachbarn Probleme mit der Gewerbebehörde bekommen hat und nun darum kämpfen muss, das Heim weiter betreiben zu können.

Veröffentlicht in Talktogether Nr. 50/2014

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