Gespräch mit Hale Dönmez, Gewaltschutzzentrum Salzburg PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Hale Dönmez

Juristin im Gewaltschutzzentrum Salzburg

TT: Wie kommen die Menschen zu euch?

Hale: Das ist unterschiedlich. Es gibt Menschen, die durch Medienberichte von uns erfahren. Es ist uns aufgefallen, dass sich nach Zeitungsberichten oder Radiosendungen vermehrt Menschen bei uns melden. Es gibt Menschen, die im Internet recherchieren oder über Angehörige und Bekannte von uns erfahren, aber auch durch andere Beratungseinrichtungen. Wenn diese feststellen, dass Gewalt im Spiel sein könnte, legen sie den Betroffenen ans Herz, sich bei uns zu melden. Ein großer Teil unserer KlientInnen wird aber von uns proaktiv kontaktiert, weil wir polizeiliche Meldungen bekommen. Dann kontaktieren wir die Betroffenen und bieten ihnen unsere Unterstützung an.

TT: Wer sind eure Hauptzielgruppen?

Hale: An uns können sich prinzipiell Frauen, Männer und Jugendliche richten, also alle, die von Gewalt im häuslichen familiären Bereich oder im sozialen Umfeld betroffen sind. Aber auch die Menschen, die Konflikte erleben, verunsichert sind und noch gar nicht selbst definieren können, ob ihnen Gewalt angetan wird, können und sollen sich an uns wenden. Dann können wir im Gespräch klären, ob es sich um Gewalt handelt.

TT: Was ist deine Definition von Gewalt?

Hale: Gewalt ist nicht nur körperliche Gewalt. Die Auswirkungen von psychischer Gewalt können genau so schlimm sein wie bei körperlicher Gewalt, zum Teil zeigen sie sich auch körperlich durch psychosomatische Erkrankungen und chronische Schmerzen. Es werden Abhängigkeiten missbraucht, es wird gedroht, das Selbstbewusstsein schwindet und der andere wird immer mächtiger und mächtiger. Es gibt auch soziale und ökonomische Gewalt, zum Beispiel wenn der Mann Alleinverdiener ist und verheimlicht, wie viel er verdient, der Frau kein Haushaltsgeld gibt. Das wird aber von den wenigsten als Gewalt wahrgenommen. Ganz allgemein kann man von Gewalt sprechen, wenn ein bestimmtes Machtverhältnis von einem zum Schaden eines anderen ausgenutzt wird. Für mich beginnt Gewalt bei den Auswirkungen, beim Schaden, den ein Verhalten bei einer anderen Person hervorruft. Der Schaden kann sein, dass sich ein Mensch in seinem eigenen Bereich nicht mehr sicher und sich ohnmächtig fühlt.

TT: Was sind die häufigsten Probleme, mit denen die Menschen zu euch kommen?

Hale: Zum einen kommen Menschen zu uns, die klar sagen, dass sie von Gewalt betroffen sind, die sagen: Ich möchte das nicht mehr, was kann ich tun, um das zu beenden? Zum anderen sind es aber auch Menschen, die sich in einer Beziehung unwohl fühlen, aber noch nicht so sicher sind, ob es Gewalt ist, was ihnen widerfährt, und die das gerne geklärt haben möchten.

TT: Du hast gesagt, dass Gewalt nicht immer gleich erkennbar ist. Welchen Rat gibst du Menschen, die befürchten, mit Gewalt konfrontiert zu sein?

Hale: Ich rate den Menschen, sich zu trauen, einen Schritt nach außen zu machen und sich an uns zu wenden, weil wir professionelle Hilfe anbieten können. Viele Betroffenen glauben auch, dass sie die Einzigen sind, denen so etwas widerfährt, und schämen sich dafür. Studien zufolge ist aber jede dritte bis vierte Frau – die Dunkelziffer nicht eingeschlossen – mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. Das wissen viele nicht. Darauf kann man hinweisen. Viele haben oft auch Angst, dass die Polizei ihnen nicht glauben würde. Aber Polizisten und Polizistinnen sind heute gut geschult, was das Thema häusliche Gewalt angeht.

Außenstehenden, die etwas mitbekommen, oder die den Verdacht haben, dass jemand Gewalt erlebt, würde ich raten, das anzusprechen und nicht wegzuschauen, denn genau das Wegschauen ist es, was der Gewalt Vorschub leistet. Wenn man dieses Thema anspricht, ist es aber ratsam, behutsam zu sein, denn man muss sich vorstellen, dass es sich hier um etwas sehr Intimes handelt. Ich würde vermeiden zu fragen „Werden Sie geschlagen?“ sondern die Frage eher offen formulieren, zum Beispiel: „Ich habe den Eindruck, es geht ihnen nicht gut“, und meine Hilfe anbieten. Sonst kann es nämlich passieren, dass die Person sich zurückzieht. Anders ist es natürlich bei einer akuten Gefährdungssituation. Wenn ich in der Nachbarwohnung laute Schreie, Weinen, Türenknallen und dergleichen höre, dann ist es ratsam die Polizei rufen.

TT: Welche Unterstützung bietet das Gewaltschutzzentrum von Gewalt betroffenen Menschen?

Hale: Bei uns können sich die Menschen vertraulich – auch anonym, wenn es der Wunsch ist – beraten lassen. Alles was besprochen wird, bleibt in diesen vier Wänden. Wir versuchen den Frauen im Gespräch klar zu machen, was sie in einer partnerschaftlichen Beziehung erwarten dürfen, nämlich dass der Mann nicht über ihre Bedürfnisse hinweggehen darf, dass er nicht der einzige ist, der bestimmen darf, dass er zum Beispiel akzeptieren muss, wenn sie keine Lust auf Sex hat. Und dass es eine Straftat ist, wenn er Sex mit Gewalt einfordert. Allein dieses Bewusstsein kann schon etwas bewirken. Wenn die betroffene Person erkennt „so sieht eine respektvolle Beziehung nicht aus“, wenn sie das Vertrauen und das Selbstbewusstsein bekommt, „nein“ zu sagen und ihr Recht einzufordern, verändert das die Dynamik in einer Beziehung. Die Frauen empfinden den Mann ja oft als sehr mächtig und werden von ihm als Hysterische oder Verrückte abstempelt. Wenn die Sprachkenntnisse fehlen, können wir auf DolmetscherInnen zurückgreifen. Wir versuchen aber immer zuerst, die Gespräche auf Deutsch zu führen, denn es bedeutet auch einen ersten Schritt zur Selbstermächtigung, wenn eine Frau ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nimmt. Aber wenn es gar nicht funktioniert, haben wir Kontakte zu DolmetscherInnen für die meisten Sprachen, wobei bei uns alle Angebote kostenfrei sind.

TT: Manche Männer haben die Befürchtung, dass ihr die Frauen dazu drängen würdet, sich zu trennen. Ist das so, oder helft ihr auch dabei, gemeinsam Lösungen zu suchen?

Hale: Wir unternehmen nichts über den Kopf der Frau hinweg. Sie muss selbst entscheiden, welche Schritte sie unternehmen möchte. Unser Hauptziel ist Schutz und Sicherheit für die betroffene Person und eine gewaltfreie Beziehung. Oft lieben die Frauen ja ihren Mann, sie wollen nicht den Mann aufgeben, sondern nur nicht mehr in einer Beziehung leben, in der Gewalt ausgeübt wird. Da bleibt dann eben abzuwarten, ob er sich begrenzen lässt. Das ist ja auch in seinem Interesse, wenn er die Beziehung fortführen will. Es gibt aber leider auch Fälle, in denen der Mann nicht bereit ist, ein Beziehungsmuster aufzugeben, das auf Macht und Kontrolle aufbaut. Dann wird der einzige Schritt, um sich zu schützen, die Trennung sein. Das ist aber nicht unser vorrangiges Ziel.

TT: Gibt es auch Männer, die bei euch Unterstützung suchen? Gibt es auch weibliche Täterinnen?

Hale: Ja, wir beraten auch männliche Opfer. Ungefähr 90 Prozent der Opfer sind weiblich und zehn Prozent sind Männer. In der Regel sind die Männer aber wiederum Opfer von anderen Männern, also zum Beispiel, ein Vater wird von Sohn misshandelt, ein Jugendlicher vom Stiefvater oder Gewalt zwischen Geschwistern. Natürlich haben Frauen auch Aggressionspotenzial und es kommt auch vor, dass es Aggressionsakte von Frauen gegenüber Männern gibt. Doch da lohnt es sich, genauer hinzusehen und zu fragen: Ist es eine reaktive Gewalt und wer ist tatsächlich der Aggressor gewesen? Wie sieht es aus mit psychischen Erkrankungen?

TT: Tritt Gewalt in bestimmten Gesellschaftsschichten häufiger auf als in anderen?

Hale: Überhaupt nicht. Die Gewalt geht quer durch alle Gesellschaftsschichten, vollkommen unabhängig von Kultur, Bildung oder Einkommen. Der einzige Unterschied ist vielleicht, je gebildeter ein Täter ist, desto subtiler kann die Gewalt sein.

TT: Gibt es auch Unterstützung für die Täter?

Hale: Wir sind, wie der Name schon sagt, eine Opferschutzeinrichtung, das heißt, wir beraten ausschließlich das Opfer. Das hat auch eine Signalwirkung auf den Angreifer, nämlich die, dass hinter dem Opfer eine Einrichtung steht, die parteilich zu diesem Opfer steht, wobei es allein dadurch schon zu einer Machtumkehr kommt. Es gibt in Salzburg aber auch Einrichtungen wie die „Männerwelten“, die Beratung zur Gewaltprävention anbieten. Wenn eine Frau sagt, sie möchte gerne in der Beziehung bleiben, empfehle ich, dass ihr Mann dort hin geht. Es gibt auch die Möglichkeit eines Anti-Gewalt-Trainings, welches der Verein Neustart anbietet.

TT: Welche persönlichen Erfahrungen hast du in dieser Arbeit gemacht?

Hale: Was mir aufgefallen ist, dass ich auch im privaten Bereich sensibler geworden bin im Hinblick auf Gewalt in der Partnerschaft. Aber auch wenn ich durch die Stadt gehe und zum Beispiel Eltern sehe, die Gewalt auf ihre Kinder ausüben, gehe ich auf sie zu und spreche sie an. Einmal habe ich ein Touristenpaar gesehen, das mit einem Kind unterwegs war. Sie haben das Kind beim Gesicht gepackt und angeschrien. Ich habe sie auf Englisch angesprochen und ihnen gesagt, dass sie so mit dem Kind nicht umgehen dürfen. Da haben sie aufgehört. Damit haben sie offensichtlich nicht gerechnet. Es ist aber unglaublich, wie viele Leute vorbeigegangen sind und nichts gesagt haben. Ich habe Klientinnen, die in der Öffentlichkeit geschlagen wurden, aber niemand ist eingeschritten. Ich frage mich, wenn er sich das schon in der Öffentlichkeit traut, was macht er dann in seinen eigenen vier Wänden? Die Leute schauen aber leider immer noch viel zu oft weg. Sie wollen sich nicht einmischen oder haben Angst, sich Ärger einzuhandeln. Aber man muss sich ja nicht selber in Gefahr zu begeben, man kann auch die Polizei rufen – heute hat ja jeder ein Handy – und einfach den Notruf „133“ wählen.

TT: Welche Möglichkeiten gibt es für ein Opfer, sich schützen zu lassen?

Hale: Durch die Polizei können Schutzmaßnahmen wie das so genannte Betretungsverbot ausgesprochen werden. Das bedeutet, dass die Person, die Gewalt ausübt oder androht, die Wohnung 14 Tage lang nicht betreten darf, völlig unabhängig davon, ob sie Mieter ist oder ob ihr die Wohnung gehört. Das bedeutet für das Opfer erst einmal 14 Tage lang Schutz. Wir kontaktieren dann die Betroffenen telefonisch und versuchen, sie zu einem Beratungsgespräch zu motivieren. Dieses Angebot wird auch ganz häufig angenommen. Dann kann man sich die Situation einmal anschauen: Wo steht die Betroffene, wie lange lebt sie in einer Gewaltbeziehung, möchte sie die Beziehung fortsetzen oder möchte sie länger Schutz haben? In letzterem Fall kann ein Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt werden, mit der dem Gefährder noch länger verboten werden kann, die Wohnung zu betreten, um dem Opfer auch Zeit zu geben, darüber nachzudenken, wie es weiter gehen soll.

TT: Gibt es auch männliche Berater?

Hale: Nein, bei uns gibt es nur weiblicher Beraterinnen, aufgrund dessen, dass 90 Prozent der Opfer Frauen sind. Wir beraten aber auch männliche Opfer, und das wird auch immer sehr gut angenommen. Ich habe noch nie einen Mann am Telefon gehabt, der gesagt hat, dass er lieber mit einem Mann sprechen würde. Ich habe sogar das Gefühl, dass es Männern leichter fällt, mit Frauen über solche Erfahrungen zu sprechen. Männer tun sich leichter, über Gefühle – es geht ja hier um Gefühle wie Ohnmacht, Trauer, Wut – mit Frauen zu sprechen. Männer sind ja oft so sozialisiert, dass sie eher mit der Mutter über solche Dinge reden, während Väter die Rolle des Starken übernehmen.


Das Gewaltschutzzentrum Salzburg ist eine Opferschutzeinrichtung, die Betroffene von Gewalt in der Familie oder im sozialen Umfeld unterstützt.

Adresse: 5020 Salzburg, Paris-Lodron-Straße 3a; 1.Stock / Tel.: 0662/870 100, Fax: 0662/870 100-44 / email: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.

 

veröffentlicht in Talktogether Nr. 51/2015