Gespräch mit Ahmed und Hibo Ahmed und Hibo flohen aus Somalia, einem Land in dem viele Jahre ein blutiger Bürgerkrieg tobte. Heute herrscht dort Anarchie und das Recht des Stärkeren. Ahmed und Hibo leben jetzt mit ihren zwei kleinen Töchtern in einer Flüchtlingsheim in Oberösterreich, wo wir sie besucht haben. Dort leben Menschen aus verschiedenen Ländern. Sie können sich untereinander kaum verständigen und haben keine Beschäftigungsmöglichkeit. Deshalb leiden viele der Flüchtlinge unter Einsamkeit und Depressionen. Talk Together: Wann seid ihr nach Österreich gekommen? Ahmed: Wir sind im Oktober 2002 nach Österreich gekommen. Wir mussten Somalia wegen dem unendlichen Bürgerkrieg verlassen, der dort herrscht. Mein Vater war unter dem Siyad Barre Regime Richter gewesen. Außerdem gehöre ich einer Minderheit an, einem Clan ohne Macht. Aus diesen zwei Gründen wurde ich verfolgt. Mein Vater wurde 1992 von Mitgliedern eines verfeindeten Clans getötet. Als Vorwand behaupteten sie, dass er als Richter eine ungerechte Entscheidung über den Besitz einer Plantage zu ihrem Nachteil gefällt hätte. Früher hat niemand danach gefragt, zu welchem Clan man gehört. Aber als nach dem Sturz Barres der Bürgerkrieg ausbrach, wurde die Bevölkerung gespalten, die großen Clans wurden mächtig und die kleinen unterdrückt. Nur wer einem mächtigen Clan angehört, genießt Schutz. Wenn Räuber ein Geschäft auf dem Markt überfallen, dann gehen sie sicher zu einem, dass jemand aus einen Minderheiten-Clan gehört. Dann war der UNO-Einsatz in Somalia. 50 Clanchefs hatten sich in einem Haus getroffen, um zwischen Aidid und den USA zu vermitteln um den Krieg zu verhindern. Doch die USA bombardierten und trafen das Haus. Alle 50 Clanchefs wurden getötet. Später wurde meinem Clan vorgeworfen, sie wären daran schuld gewesen. Auch meine Schwester wurde aus diesem Grund getötet. Talk Together: Warum bist du nicht schon damals geflüchtet? Wie konntest du überleben? Ahmed: Ich gab mich als Angehöriger eines anderen Clans aus. Ich arbeitete mit Leuten aus einem einflussreicheren Clan zusammen, damit ich Schutz hatte und mein Geschäft führen konnte. Ich hatte nun alle diese Probleme überlebt, doch dann bekam ich Streit mit meinen Geschäftspartnern. Sie wussten ja, aus welchem Clan ich wirklich bin. Einige attackierten mich und ein Freund, der mich verteidigte wurde getötet. Aber diese Probleme waren nicht der einzige Grund, warum wir uns entschieden haben, unser Land zu verlassen. Es gibt viele Minderheiten, die viel ärmer sind als wir waren. Der Hauptgrund war eigentlich, dass wir gezwungen worden wären, unsere beiden Töchter beschneiden zu lassen. Aber darüber kann meine Frau mehr erzählen. Hibo: Ich wurde im Alter von 7 Jahren beschnitten. Vier Frauen kamen und haben mich festgehalten, damit ich mich nicht wehren konnte. Dann nahmen sie eine Rasierklinge und haben alles weggeschnitten. Danach haben sie meine Scheide zugenäht. Ich hatte höllische Schmerzen und konnte nicht urinieren, denn die Wunde brannte schrecklich, wenn sie mit dem Urin in Berührung kam. Ich musste mich 25 Tage lang über ein Feuer hocken, damit der Rauch die Wunde trocknete. Wenn eine Frau beschnitten wird, sind die drei schlimmsten Dinge: Erstens das Urinieren nach der Operation, zweitens die Schmerzen wenn sie die Regel hat, und das dritte ist die Hochzeitsnacht. Manchmal kann es Tage dauern, bis der Mann es schafft, mit seiner Frau zu schlafen. Ich wollte meinen beiden Töchtern dieses schreckliche Leid unbedingt ersparen, das ich erlitten habe. Wir fürchteten, dass wir die Beschneidung unserer Töchter in Somalia nicht hätten verhindern können. Talk Together: Wie ist eure Situation jetzt? Ahmed:. Wir wohnen in einem Flüchtlingsheim. Wir haben ein Dach über dem Kopf und bekommen täglich Essen. Aber wir fühlen uns sehr einsam. Wir haben keine Möglichkeit, die Sprache zu lernen und die österreichische Gesellschaft kennen zu lernen. Außer der Leiterin der Pension kennen wir keine Menschen aus dem Dorf. Und mit den Leuten, die hier in der Pension leben, können wir uns auch nicht verständigen, weil wir mit der Sprache Probleme haben. Alle kommen aus verschiedenen Ländern und Teilen der Erde, niemand versteht die anderen. Wir können nur mit ein paar Brocken Deutsch oder Englisch notdürftig kommunizieren. Es gibt auch keine Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Alle sitzen nur herum und spazieren ein bisschen umher oder sitzen vor dem Fernseher, um so ein bisschen Deutsch zu erlernen. Bevor wir nach Europa kamen, hatten wir erwartet, dass unsere Probleme ernst genommen werden. Wir wollen kein Almosen, wir möchten arbeiten, aus eigener Kraft leben und nicht völlig abhängig sein. erschienen in: Talktogether Nr. 3/2003
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