Die Räumung der Schlafcontainer auf dem Parkplatz Salzburg Süd PDF Drucken E-Mail

Sich ein paar Stunden lang als Mensch zu fühlen

Die Räumung der Schlafcontainer auf dem Parkplatz Salzburg Süd

Sechs Monate boten die Container am Parkplatz Salzburg Süd den Notreisenden einen Schlafplatz. Am Abend des 17. November 2014 tauchen Polizeibeamte auf, wecken die im Container bereits schlafenden Menschen und teilen ihnen mit, dass ihr Schlafplatz geräumt wird. Am nächsten Morgen um 7 Uhr stehen die Abbautrupps des Magistrats schon da. Am Tag darauf, als die BewohnerInnen bereits in der Stadt unterwegs sind, werden auch die provisorischen Anbauten entfernt – ebenfalls ohne Vorwarnung. Einen Tag später gibt es auf dem Parkplatz keine Spuren mehr von dem Leben, das sich dort abgespielt hat. Alles ist wieder für die Autos reserviert – rechtzeitig zur Eröffnung des Christkindlmarkts.


Ganz so unbemerkt, wie es sich die Verantwortlichen vielleicht gewünscht hätten, ist die Räumung allerdings nicht verlaufen. Einige UnterstützerInnen haben davon erfahren und sind zum Ort des Geschehens geeilt, um den BewohnerInnen beizustehen und zu versuchen, wenigstens ein paar ihrer Habseligkeiten zu retten. „Alle in der Stadt Verantwortlichen haben sich versteckt“, erzählt Ida Grobbauer, die bei der Räumung anwesend war. „Wer dort vor Ort war, weiß wie entwürdigend und menschenverachtend die Aktion war. Und da gibt es keine einzige Pressemitteilung! Ein kollektives Schweigen und Wegschauen auch bei den Medien über dieses skandalöse Vorgehen, was ist davon zu halten?“

Die MitarbeiterInnen des Vereins Phurdo, die die Notreisenden betreut hatten, wussten zwar, dass die Container Ende November entfernt würden, seien aber zu keinem Zeitpunkt über den genauen Termin der Räumung informiert gewesen, so Ida. „Wäre – wie es von einer zivilisierten Gesellschaft zu erwarten ist – ein Termin genannt worden, an dem der Container geräumt sein muss, hätten die Bewohner wenigstens Zeit gehabt, den Container ordentlich und menschenwürdig zu räumen. So aber wurde der Container am Dienstag entfernt, und am Mittwoch der restliche Bretterverschlag – wieder begleitet von einem höchst bedenklichen Polizeiaufgebot – dem Erdboden gleichgemacht.“

Aufgestellt worden waren die Container von der Stadt Salzburg nach der großen medialen Aufregung über die Schlafplätze der Notreisenden unter der Staatsbrücke. Ein halbes Jahr lang sind sie dann auf dem Parkplatz in der Alpenstraße gestanden. Kaum jemand hat etwas davon mitbekommen oder wurde durch ihre Existenz gestört. Den Menschen jedoch, die tagsüber auf den Salzburger Straßen betteln, boten sie Schutz und Zuflucht. „Im Container hatten die Menschen die Möglichkeit, ein paar Stunden Mensch zu sein und sich gerade ausstrecken zu können, ohne Angst vor Repressalien, Polizei oder Angriffen irgendwelcher Art“, so Ida. Obmann Raim Schobesberger, Alina Kugler und andere Mitglieder des Vereins Phurdo haben in unermüdlichem Einsatz dafür gesorgt, dass das Leben im Container halbwegs ordentlich und konfliktfrei verläuft. Damit haben sie der Stadt einen guten Dienst erwiesen: Die Leute mussten nicht mehr in den Parks und unter Brücken schlafen, die BürgerInnen fühlten sich nicht gestört und damit ist mehr Ruhe eingekehrt.

Ida ist erschüttert darüber, dass die Verantwortlichen nicht davor zurückschreckt haben, die Menschen zu Winterbeginn einfach auf die Straße zu schicken. Wobei es für sie wenig Unterschied macht, wer die Räumung angeordnet hat, wenn die anderen schweigend zusehen. Die Szenen, die sie bei dieser Vertreibungsaktion miterlebt hat, haben sie sogar an Erzählungen und Dokumentationen über die Juden- und Zigeunerverfolgung im Dritten Reich erinnert. „Warum musste der Container, nachdem er monatelang nicht beachtet worden war, auf der Stelle und ohne Rücksicht auf die Tränen und Ängste der Leute geräumt werden? Hätte man das nicht auch auf eine humane, anständige Weise erledigen können?“ Sie sie davon überzeugt, dass Runde Tische und Podiumsdiskussionen zum Thema nicht viel nützen, solange ein so brutales und rücksichtsloses Vorgehen möglich ist.

Vergebliche Herbergssuche

Auch bei den UnterstützerInnen der Notreisenden war die Containerlösung nicht unumstritten. Manche befürchteten, dass sich hier am Stadtrand eine Ghettosituation entwickeln könnte. Sie hatten jedoch die Hoffnung, dass sich die Lage mit der Eröffnung einer neuen Notschlafstelle verbessern würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Die neu eröffnete „Arche Nord“ bot zu diesem Zeitpunkt nämlich nur unwesentlich mehr Betten als die geschlossene „Arche Süd“. So gab es keinen Platz für die 40-50 aus dem Container vertriebenen Menschen, zumal sich die Caritas geweigert hat, die Arche Süd für die Vertriebenen zu öffnen. „Was wäre passiert“, fragt Ida, „wenn man die Leute diese Nacht noch in der Arche Süd hätte schlafen lassen? Wäre die Welt aus den Fugen geraten?“ Als trotz intensiver Bemühungen keine Lösung gefunden wurde, organisierte ÖVP-Stadtteilobmann Johann Pongruber einen Bus, der einen Teil der verängstigten Menschen zurück nach Rumänien brachte. Diejenigen aber, die nicht mitfahren wollten, mussten sich wieder einen Schlafplatz im Park oder unter der Brücke suchen.

„Was wäre passiert, wenn die Bettler auch vom Weihnachtsgeschäft profitiert hätten?“ fragt Ida. „Vielleicht wäre dem Einem oder Anderen das Schmalzbrot mit dem dritten Glühwein nicht so leicht runtergerutscht angesichts einer 60jährigen Frau, die beim Dom kniet und um Hilfe bettelt. Aber ein Kind in Rumänien hätte vielleicht eine winzige Chance gehabt, auch einen Hauch von Weihnachten zu spüren, weil die Mama, die Oma oder der Papa aus dem reichen Salzburg etwas Geld mitgebracht hat für ein gutes Essen und womöglich für eine Puppe.“

Seitdem Ida begonnen hat, ehrenamtlich in der Notschlafstelle zu arbeiten, hat sich ihr Leben grundlegend verändert. Im Rahmen dieser Tätigkeit lernte sie Raim Schobesberger vom Verein Phurdo kennen. Sie war tief beeindruckt von seinem unermüdlichen Einsatz für die Menschlichkeit und beschloss, bei der Containerbetreuung am Park & Ride mitzuarbeiten. Durch die persönliche Begegnung haben sich die bettelnden Menschen, die sie früher als anonyme Menge wahrgenommen hat, in liebenswerte Individuen mit Namen, Gefühlen und Schicksalen verwandelt. Durch dieses Engagement hat sie aber auch einige ihrer alten Freunde verloren. Doch die vermisst sie nicht: „Ohne die Bettler wären sie vielleicht ewig meine Freunde geblieben, ohne dass ich gewusst hätte, wes Geistes Kind diese Personen sind.“

Unsichtbare Dörfer

Ein großer Teil der Menschen, die in Salzburg gebettelt und in den Containern übernachtet haben, kommen aus der rumänischen Region Pauleasca, wo in drei Dörfern insgesamt ca. 4000 Angehörige der Rudari-Minderheit leben. In den späten 1940er Jahren hatte die kommunistische Regierung diesen Menschen Land zur Verfügung gestellt. Doch nach dem Sturz des Regimes 1989 wurden die alten Dokumente für ungültig erklärt. Die Dörfer wurden als illegale Siedlungen betrachtet und existieren heute nicht einmal mehr auf den offiziellen rumänischen Landkarten.

Die Menschen in Pauleasca leben in extremer Armut. Die Behörden verboten ihnen, mit ihren Pferdewagen die Hauptstraßen zu benützen, im Wald Holz zu sammeln oder selbstgefertigte Produkte wie Körbe und Besen auf den lokalen Märkten zu verkaufen, und verhinderten damit alle Einkommensmöglichkeiten. Die Häuser sind in sehr schlechtem Zustand, haben weder fließendes Wasser noch sanitäre Anlagen und sind nur teilweise ans Stromnetz angeschlossen. Die Ernährung ist mangelhaft und die Lebenserwartung der Menschen in Pauleasca ist um 13 Jahre niedriger als im rumänischen Durchschnitt. Viele können weder schreiben noch lesen, die meisten Kinder besuchen aber heute die Volksschule.[i]

Bei der Migration dieser Menschen in die reicheren Länder Europas handelt es sich um den Überlebenskampf einer Minderheit, die über die Jahrhunderte mit Gleichgültigkeit, Ausgrenzung und Rassismus konfrontiert war. Heute zählen sie zu den Millionen Menschen weltweit, die für das herrschende Wirtschaftssystem nicht von Nutzen sind und als überflüssig betrachtet werden. Ob bei der Fußball-WM in Brasilien oder beim Salzburger Christkindlmarkt: Statt die Ursachen der Armut zu bekämpfen, werden die Verlierer des Systems aus dem Blickfeld verjagt, damit ihr Anblick den hemmungslosen Konsum nicht stört.

Falls manche nun meinen, Österreich habe nichts mit der Armut in Rumänien zu tun, offenbaren die Wirtschaftsdaten eine andere Wahrheit. Nach dem Zusammenbruch des sog. „Ostblocks“ nutzten österreichische Unternehmer und Banken die geographische und historische Nähe zu Osteuropa, um am Ausverkauf dieser Länder zu profitieren. Bei den ausländischen Direktinvestitionen liegt Ös­terreich in Rumänien nach Deutschland und den Niederlanden heute immerhin an dritter Stelle (vgl. Österr. Nationalbank, WIFO 2013). Gleichzeitig zwingt die EU-Politik Länder wie Rumänien zu Einsparungen im Sozialbereich. Die Menschen, die weder Zugang zu Land noch zu Arbeit haben, haben somit kaum eine andere Wahl, als ihr Glück in reicheren Ländern zu versuchen. Diejenigen, die unter prekären Verhältnissen als TagelöhnerInnen, in Schwarzarbeit, über dubiose Leihfirmen oder als Hausbedienstete arbeiten und ausgebeutet werden, fallen nicht auf. Umso sichtbarer ist die Armut derer, die gezwungen sind, auf der Straße zu betteln oder Zeitungen zu verkaufen.

Ida Grobbauer/Beate Wernegger



[i] Quelle: Mikael Good: The village that doesn’t exist http://www.fotosidan.se/blogs/chasid/pauleasca-the-village-that-doesn-t.htm

veröffentlicht in Talktogether Nr. 51/2015