Gespräch mit Amin Al-Amin aus Bangladesch PDF Drucken E-Mail


Gespräch mit Amin Al-Amin aus Bangladesch


TT: Was hast du gemacht, bevor du Bangladesch verlassen musstest?

Amin: Nach dem College-Abschluss habe ich das Studium abgebrochen und zu arbeiten begonnen, um meine Familie finanziell zu unterstützen. Ich habe auch begonnen, im Studentenflügel der Bangladesh Nationalist Party mitzuarbeiten.

TT: Wie sah deine politische Arbeit aus?

Amin: Vor allem schreiben und bloggen im Internet. Ich habe mich auch an zahlreichen Demonstrationen gegen die Regierung beteiligt und an Meetings teilgenommen. Die jetzige Premierministerin ist wie eine Diktatorin, sie ist jetzt seit zehn Jahren an der Macht. Die letzten Wahlen zum Beispiel sind nicht fair und unabhängig abgelaufen.

TT: Welche Kritikpunkte hat eure Gruppe gegen die Regierungspartei vorgebracht?

Amin: Diese Regierung tut nichts für die Menschen, sie schafft keine Arbeitsplätze, sie investiert nicht in die Infrastruktur, es gibt überhaupt keine Veränderungen in der Gesellschaft, die wir so dringend benötigen würden. So gibt es viele Probleme im Gesundheits- und im Bildungswesen. Der Regierung geht es aber nur darum, an der Macht zu bleiben und die Opposition zu unterdrücken. Fast 2000 führende Politiker der Oppositionsparteien sitzen im Gefängnis, viele lebenslänglich, einige sind sogar hingerichtet worden. Dagegen haben wir protestiert.

TT: Ist die Regierung demokratisch gewählt worden?

Amin: Die Regierungspartei ist eine demokratische Partei, aber nach den letzten Wahlen hat sie die Macht ohne Legitimation ergriffen. Es gab keine freien und ordentlichen Wahlen. Normalerweise muss die Wahl vom Präsidenten und einer Wahlkommission organisiert werden. Die Premierministerin hat aber die Wahl mit ihren Leuten selbst organisiert, so dass keiner den Ablauf und die Stimmzählung kontrollieren konnte. Abgeordnete kamen so ins Parlament, ohne gewählt worden zu sein. Wir haben die Wahlen boykottiert, weil die Oppositionsparteien keine Möglichkeiten hatten, Wahlkampagnen für ihre Parteien durchzuführen. Viele wurden verhaftet, nur weil sie Wahlveranstaltungen gemacht haben, darunter waren einfache Arbeiter, die sich nie etwas zu Schulden kommen lassen hatten!

TT: Welche Ziele hat die Partei, mit der du zusammengearbeitet hast?

Amin: Die BNP will für die Menschen mehr Arbeitsmöglichkeiten schaffen, vor allem für die armen Menschen. Außerdem möchte sie die demokratischere Strukturen schaffen, damit es nicht nur eine Partei gibt, die die Macht hat, sondern dass auch die Opposition Rechte und faire Chancen bekommt.

TT: Wie ist die Sicherheitslage in Bangladesch?

Amin: Zurzeit ist es vor allem für Angehörige von Oppositionsparteien sehr schwer, in diesem Land zu leben. Selbst einfache Menschen sind nicht sicher. In nur einem Monat wurden so viele Menschen verschleppt und sind seither verschwunden. Keiner weiß, was mit ihnen passiert ist und ob sie noch am Leben sind. Das sind keine Einzelfälle, so etwas passiert ständig. Auch viele Studenten werden vermisst. Über ein paar Fälle wurde in den Zeitungen geschrieben. Nachbarn haben ausgesagt, dass sie gesehen haben, wie Polizisten ihre Zimmer im Studentenheim betreten haben, danach waren die Leute spurlos verschwunden. Niemand wusste, wohin man sie gebracht hatte. Drei Monate später hat man ihre Leichen im Fluss gefunden. Auch führende Politiker sind verschwunden, nicht nur von der Opposition, sondern sogar Angehörige der Regierungspartei. Wer die Regierung und die herrschende Korruption kritisiert, wird sie aus dem Weg geräumt. Die Regierung verbreitet so ein Klima der Angst.

TT: Wie heißt die Regierungspartei?

Amin: Sie nennt sich Awami League, die Abkürzung ist AL. Die Partei ist sehr korrupt. Ihre Mitglieder profitieren persönlich von der Macht, deshalb haben sie kein Interesse an einer Veränderung der Verhältnisse. In ihrem Besitz sind zahlreiche Banken und Textilfabriken. Man fragt sich, wie sind sie dazu gekommen sind.

TT: Ist die Bangladesch Nationalist Party eine demokratische Partei? Was versteht sie unter Nationalismus und warum ist sie deiner Meinung nach besser, als die jetzt regierende Partei?

Amin: Die BNP wurde als erste demokratische Partei 1984 gegründet, zehn Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes von Pakistan. Vorher herrschte eine Militärdiktatur. Nationalismus in ihrem Sinne bedeutet, dass die Partei für ein friedliches Miteinander aller Bevölkerungsgruppen, die in Bangladesch leben, eintritt. Sie ist eine große Partei und natürlich gibt es auch innerhalb dieser Partei Probleme. Aber sie ist meiner Meinung nach besser als die Regierungspartei, weil sie etwas für das Volk tun möchte. Die BNP war vor zehn Jahren an der Regierung. Unter ihrer Amtszeit wurde ist viel passiert: Es wurden Brücken und Straßen gebaut, Arbeitsplätze geschaffen und Zentren gegründet, in denen junge Menschen unterstützt wurden, kleine Unternehmen wie zum Beispiel eine Hühnerzucht, zu gründen. Viele administrative Tätigkeiten wurden ausgelagert und damit Jobs für Universitätsabsolventen geschaffen. Die jetzige Regierung hat das jedoch alles wieder zerstört, so dass viele Menschen arbeitslos geworden sind. Vor allem aber – was mir besonders wichtig ist – die Partei will gegen die Korruption in der Verwaltung vorgehen, damit die Menschen nicht ständig Schmiergeld bezahlen müssen, wenn sie etwas von den Behörden brauchen.

Amin beim Umbrella Marsch 2013

TT: Was war der Grund, warum du dich entschlossen hast, Bangladesch zu verlassen?

Amin: Der Obmann unserer Gruppe war seit fünf Monaten verschwunden. Seine Familie wusste nicht, was mit ihm passiert ist. Unsere Gruppe hat dazu eine Stellungnahme verfasst, die wir an die Polizei und die Regierung geschickt haben. Wir haben auch eine Demonstration organisiert, doch die Polizei ist eingeschritten und hat die Teilnehmer geschlagen. Unsere Gruppe hat auch einen führenden Politiker kritisiert, der nachweislich in den Drogenhandel und die Herstellung gefälschter Medikamente involviert ist. Er ist aber sehr mächtig und sogar die Premierministerin nimmt Geld von ihm an, deshalb kann er tun, was er will.

Am 26. März ist unser Unabhängigkeitstag. An diesem Tag ist es üblich, dass die Leute Blumen zur Unabhängigkeitsstatue bringen. Dabei kam es jedoch zu einem gewalttätigen Zusammenstoß zwischen Anhängern der Regierungspartei und der Opposition, bei der ein Mitglied der Regierungspartei zu Tode kam. Die Regierung hat daraufhin unsere Gruppe beschuldigt, für seinen Tod verantwortlich zu sein. Es wurde eine Liste mit dem Namen von Personen angefertigt, für die ein Haftbefehl ausgeschrieben wurde. Mein Name war auch auf dieser Liste, obwohl ich bei diesem Vorfall nicht einmal anwesend gewesen war.

Als meine Nachbarn mitbekommen haben, dass die Polizei nach mir sucht, haben sie mich gewarnt, so dass ich das Haus verlassen konnte, bevor sie ankamen. Auch mein Vater hat das Haus verlassen. Sie haben das Haus durchsucht, meinen Bruder geschlagen und meine Mutter belästigt. Mein Bruder erlitt so schwere Verletzungen, dass er Tage lang im Spital behandelt werden musste. Ich habe mich bei Verwandten und Kollegen versteckt.

Später habe ich erfahren, dass sie behaupten, dass wir den Mann absichtlich töten wollten, und dass das Gericht einen landesweiten Haftbefehl gegen mich erlassen hat. Wenn man in Bangladesch aber einmal im Gefängnis ist, weiß man nicht, wie lange man dort bleiben muss und ob man überhaupt lebend heraus kommt. Viele warten schon seit Jahren auf ihren Prozess, manche sitzen schon seit zehn Jahren ohne Gerichtsurteil im Gefängnis. Außerdem übt die Regierung Einflussnahme auf die Gerichte aus.

Deshalb bin ich zusammen mit drei Kollegen nach Kalkutta geflüchtet. Aber wie könnten wir dort überleben? Es ist nicht möglich, ohne Papiere Arbeit zu bekommen, außerdem läuft man Gefahr, als Terrorist eingestuft und von der dortigen Polizei verhaftet zu werden. Deshalb beschlossen wir, einen Landsmann zu bezahlen, damit er uns hilft. Damals hatte ich keine Ahnung, wohin er mich bringen würde und dass ich schließlich in Österreich landen würde. Zu meinen Kollegen habe ich keinen Kontakt und weiß nicht, wo sie sich jetzt aufhalten und was mit ihnen passiert ist. Aber mit den Parteigenossen, die in Bangladesch geblieben sind, stehe ich noch in Kontakt. Es ist wirklich interessant, was sie mir erzählt haben. Es hat eine weitere Demonstration gegeben, als ich bereits in Österreich war. Dabei sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Mein Name stand auch auf der Liste derer, die dafür verantwortlich gemacht werden! Jetzt bin ich gleich doppelt gesucht!

TT: Welche Erwartungen gehabt, als du nach Europa gekommen bist?

Amin: Als ich fliehen musste, ist es mir nicht um Erwartungen gegangen. Ich wollte mich nur in Sicherheit bringen. Als ich dem Schlepper das Geld gegeben habe, wusste ich ja nicht, ob er mir Arbeit und Wohnung verschaffen oder mich ins Ausland bringen würde. Im Lastwagen und teilweise zu Fuß bin ich dann über Afghanistan und den Iran in die Türkei gelangt. Dort hat man mir Schlaftabletten gegeben und mich zusammen mit anderen Flüchtlingen in einen Container gesteckt.

Natürlich wünsche ich mir ein besseres Leben. Ich habe begonnen, an der Universität Salzburg Informatik zu studieren und möchte mein Studium abschließen. Daneben möchte ich arbeiten, damit ich aus eigener Kraft leben und meine Familie in Bangladesch unterstützen kann. Ich möchte mich auch weiterhin politisch für mein Heimatland engagieren. Wenn ich auch physisch nichts tun kann, so kann ich doch Artikel im Internet veröffentlichen. Bevor ich das Land verlassen wurde, bin ich zum Obmann unserer Gruppe gewählt worden. Die Leute wissen, dass ich ein ehrlicher Mensch bin, und sie vertrauen mir. Sollte ich aber jemals zurückkommen, werde ich Obmann sein. Deshalb will die Regierungspartei mich loshaben.

TT: Wie geht es deiner Familie heute?

Amin: Mein Vater musste seinen Beruf als Schuldirektor aufgeben und lebt seither getrennt von seiner Familie einem anderen Bundesland, weil die Polizei auch nach ihm sucht, wegen mir. Er hat Angst davon, dass sie ihn festnehmen und foltern, wenn sie ihn finden. Da er aber nur innerhalb des Bundeslandes zur Fahndung ausgeschrieben, hat er zum Glück hat an seinem neuen Wohnort wieder Arbeit in seinem Beruf finden können.

TT: Was wünscht du dir für die Zukunft?

Amin: Das wichtigste für die Menschen in Bangladesch ist, dass sie nicht Angst um ihr Leben haben müssen. Außerdem ist es wichtig, dass sich das Land entwickelt, damit die Leute Arbeit haben und von dieser Arbeit leben können. Ich wünsche mir auch, dass die Menschen das Recht und die Freiheit haben, ihre Meinungen und Überzeugungen zu äußern. Das gilt nicht nur für die Menschen in Bangladesch, sondern auf der ganzen Welt. Ich möchte den Menschen helfen und mich für Menschenrechte einsetzen, wo immer ich die Möglichkeit dazu habe.


veröffentlicht in Talktogether Nr. 52/2015

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