Paraguay: Wenn Felder zu Kriegsschauplätzen werden PDF Drucken E-Mail

Wenn Felder zu Kriegsschauplätzen werden

Raising Resistance: Ãœber Sojaanbau, Landraub und Widerstand in Paraguay

„Der Schmerz anderer Menschen berührt euch nicht. Ihr sprüht mit Absicht bei diesem Wind“, ruft eine Frau. „Wir sind hier, um euch zu warnen. Wir lassen nicht mehr zu, dass ihr unseren Kindern schadet!“, ergänzt ein Mann. Die Campesinos haben den Traktor der Plantagenbesitzer gestoppt und hindern die Arbeiter daran, weiter Schädlingsbekämpfungsmittel zu sprühen. „Hier herrscht praktisch Krieg“, sagt der Kleinbauer Antonio Cabrera, einer der Sprecher des Campesino-Widerstands von San Pedro.

In eindringlichen Bildern zeigt der Film „Raising Resistance“ von Bettina Borgfeld und David Bernet das Leben der Menschen in Paraguay, wo die Natur zu einem Schlachtfeld der ökonomischen Zwänge geworden ist. Im Film kommen unterschiedliche Akteure zu Wort, deren Leben von der Sojabohne bestimmt ist: die Kleinbauern, die nicht tatenlos zusehen wollen, wie ihr Land, ihre Felder, der Wald in Soja-Monokulturen verwandelt werden; die zumeist aus Brasilien eingewanderten Sojaproduzenten, die hoffen, durch ihre Investitionen zu Wohlstand und Reichtum zu kommen; und die Wissenschaftler, die über die Landwirtschaft mit ihrem technischen Vokabular fachsimpeln. „Soja ist für mich wie eine Bombe!“ Mit diesem Satz eines paraguayischen Kleinbauers beginnt der Dokumentarfilm. Der Film zeigt, wer die Kosten für die Gewinne der Unternehmen trägt, nennt ihre Namen und zeigt ihre Gesichter. Er zeigt aber auch, dass alle Akteure trotz ihrer gegensätzlichen Interessen Gefangene eines Systems sind, in dem nur der Profit zählt.

Mit Gentechnologie gegen den Hunger?

Das Land in Paraguay ist fruchtbar und ertragreich. Heute ist Paraguay der viertgrößte Soja-Exporteur der Welt. Die Gesamtfläche der stetig wachsenden Sojafelder hat heute schon die Größe der EU erreicht. Wo früher Dörfer, Gärten und Wälder waren, sieht die Landschaft heute trostlos, eintönig und leer aus. So weit das Auge reicht, gibt es anscheinend nur mehr die schier endlosen Sojaplantagen.

Der Biotechnologe Dr. Roger Beachy meint: Über eine Milliarde Menschen seien unterernährt. Gentechnisch veränderte Pflanzen könnten die Ernährung der Zukunft sichern. Doch der Soja landet nicht bei den Armen auf dem Teller, sondern wird aufgrund seines hohen Proteingehalts vor allem als effizientes Futtermittel für die Massentierzucht verwendet. Die steigende Nachfrage nach billigem Fleisch in Europa und Asien kann nur durch extensiven Sojaanbau befriedigt werden.

Für den Großgrundbesitzer Clemente Busanello ist Soja ein Geschenk des Himmels. „Als wir nach Paraguay kamen, mussten wir erst einmal den Wald roden. Damals war hier überall Dschungel“, erzählt der Unternehmer, der aus Brasilien gekommen war, um in Paraguay in den Sojaanbau zu investieren. Das Geld, das er verdient hat, investierte er in neues Land. Heute ist sein Besitz so groß, dass er per Funkgerät mit seinen Arbeitern kommuniziert und die Maschinen dirigiert. Die Gesetze sind auf Seiten derer, die das Geld haben, wer sein Land vergrößern will, kann das ohne Probleme tun. Für den Großgrundbesitzer ist die Sache einfach: „Es ist das Gesetz der Macht.“ Doch es gibt Menschen, die sich dieser Macht nicht widerstandslos beugen und sich nicht vertreiben lassen wollen.

Auch Valerio Eichelberger hat in Soja investiert. Er ist kein reicher Investor wie Busanello, sondern hat seinen gesamten Besitz in Brasilien verkauft, um in Paraguay Land zu erwerben. „Hier in der Gegend haben viele schöne Häuser mit guter Einrichtung. So eines hätten wir auch gerne, dafür arbeiten wir“, meint seine Frau. Eichelberger hat viel in Saatgut und Dünger investiert, Schulden gemacht und Hypotheken aufgenommen. Bis jetzt hat er aber keinen Gewinn gemacht, weil ihn die Campesinos an der Aussaat gehindert haben. Mit ihrem Widerstand hat er nicht gerechnet. Wenn er aber nicht aussäen kann, kann er seine Schulden nicht zurückzahlen und verliert sein Land.


Protest gegen den Soja-Anbau am Internationalen Frauentag am 8. März 2007 in Asunción
(Fotos: Ulli Zomorrodian-Santner)

Tödliches Gift

Für die Campesinos ist Soja eine gefährliche Bombe, die ihr ganzes Lebensumfeld zerstört hat. „Sie haben alle Bäume gefällt und verbrannt“, erzählt die Bäuerin Juana Gonzales. Alles ging rasend schnell, und noch heute sieht sie manchmal den Wald vor ihren Augen. „Am Anfang gab es noch Arbeit. Sie haben uns mit Lastwagen abgeholt, um auf den Sojafeldern Unkraut zu jäten.“ Doch als zwischen 1996 und 1998 die genveränderte Soja kam, brauchten sie niemanden mehr. Heute werden hochgiftige Herbizide eingesetzt, die 99 Prozent aller Pflanzen vernichten, nur die resistenten, genveränderten Sojapflanzen überleben. Inzwischen haben die Grundbesitzer längst einen neuen Feind: genresistentes Unkraut, dass sich rasch ausbreitet.

Doch das versprühte Gift tötet nicht nur das Unkraut. Sie vernichtet auch die Ernte auf den Feldern der Campesinos und lässt Juanas Erdnüsse verfaulen. Und es vergiftet das Wasser. Silvio Peralta hat im Bach gebadet, bevor er in die Schule ging. Als er in seinem Klassenzimmer ankam, konnte er seine Hefte nicht mehr sehen. Seitdem ist er blind.

Ein Dorf leistet Widerstand

Umringt von einem Meer aus Sojaplantagen, wo riesige Traktoren wie eine Armee ausrücken, säen die EinwohnerInnen von Santa Rosa in ihren Gärten mit der Hand. Die DorfbewohnerInnen sind entschlossen, sich zu wehren. Für sie geht es in diesem Kampf um alles. Um ihre Lebensgrundlagen. Um ihre Unabhängigkeit. Um ihre Gesundheit. Um die Zukunft ihrer Kinder. Die Menschen bestreiten ihren ganzen Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft. „Die Erde ist die Fabrik der Armen“, sagt der Kleinbauer Geronimo. Viele seiner Nachbarn haben ihr Land schon verlassen.

90 Prozent der Campesinos, die ihr Land verlassen haben und nun an den Rändern der Städte leben, haben weder Arbeit noch Land. „Sie haben ihre Existenzgrundlage verloren und leben als Bettler in der Stadt“, sagt der Aktivist Cabrera. „Oder sie fangen an zu stehlen und kommen ins Gefängnis, werden Prostituierte. Und das alles nur wegen der Soja-Monokultur. Dann kommen die Unternehmer und übernehmen das Land. Die Umwelt ist ihnen gleichgültig.“

Die BewohnerInnen von Santa Rosa sind entschlossen, ihr Land zurückzuerobern, und zwar so viel, wie sie benötigen, um das anzubauen, was sie zum Überleben brauchen. Früher wollten sie nicht Campesinos genannt werden und haben sich dafür geschämt, doch durch ihren gemeinsamen Kampf haben sie ihren Stolz und ihre Würde zurückgewonnen. Durch den gemeinsamen Widerstand haben die DorfbewohnerInnen auch Visionen entwickelt, wie sie ihr Dorf in Zukunft gestalten wollen. „Wie durch soziale Verantwortung neues Leben in der Gemeinschaft entstehen kann“, nennt Geronimo sein Projekt.

Um ihr Land zu verteidigen, haben sich die Einwohner von Santa Rosa mit den Bewohnern anderer Dörfer zusammengeschlossen und Zelte auf den Sojaplantagen errichtet. Doch schnell stoßen die Landbesetzer an die Grenzen des Gesetzes und handeln sich einen Haftbefehl wegen Landfriedensbruchs auf Privateigentum ein. Auf den Feldern eskaliert derweil die Auseinandersetzung, bis schließlich die Polizei einschreitet. Acht der Campesinos werden verhaftet. So sieht die Antwort des Staates auf eine gesellschaftliche Auseinandersetzung aus. Es scheint, dass die Grundbesitzer gewonnen haben. Während Eichelberger erleichtert ist, dass er endlich mit der Aussaat beginnen kann, ist für die Campesinos die Niederlage keine Option. Sie müssen weiter um ihr Überleben kämpfen. „Es ist besser, aufrecht zu sterben, als auf den Knien zu leben“, sagt Antonio Cabrera. In der Hauptstadt Asunción schießt indessen die Polizei auf Demonstranten.

Die globalen Marktführer für Saat und Agrochemie haben ihre Verkaufszahlen in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Der Wert der Aktien dieser Konzerne ist um bis zu 500 Prozent gestiegen. Versicherungen, Pensionsfonds und Privatanleger profitieren davon. „Wir verzeichnen derzeit ein sehr hohes Interesse an Sojabohnen. Der Markt hat großes Interesse an langfristigen Anlagen. Es gibt deshalb eine hohe Nachfrage von Investoren auf dem Spekulationsmarkt. Doch als Investoren brauchen wir Stabilität“, sagt der Anlagemanager Christoph Eibl. „Wir müssen wissen, wie sich die Situation geopolitisch in Südamerika entwickelt.“

Die expandierende Produktion von gentechnisch veränderten Pflanzen ist kein Problem, das sich auf Paraguay beschränkt, denn die extensive und rücksichtslose Rohstoffproduktion findet heute in vielen Regionen der Welt statt. An einer Stelle des Films prognostiziert der Hauptprotagonist Geronimo: „Es wird Zusammenstöße geben, gewalttätige Konflikte, oder einen Krieg mit tragischen Konsequenzen. Die Menschen werden früher oder später auf die Situation reagieren, so wie Bienen, wenn man ihnen zu nahe kommt: Sie verteidigen sich.“


veröffentlicht in Talktogether Nr. 52/2015

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