Gespräch mit Maria Sojer
Leiterin des ABZ Salzburg und Sprecherin der Plattform für Menschenrechte
TT: Wofür was steht das ABZ und seit wann gibt es diese Einrichtung?
Maria: Das ABZ (früher Arbeiter* innen Begegnungszentrum), wurde 1989 von Aktivist*innen der Katholischen Aktion als Treffpunkt für Arbeiter*innen in Itzling gegründet. Es gab ein Beisl, das regelmäßig geöffnet war und von Freiwilligen betrieben wurde. Außerdem wurden rund um das Thema Arbeitswelt Veranstaltungen abgehalten und Aktionen initiiert, um auf die Rechte von arbeitenden und auf die Situation arbeitsloser Menschen aufmerksam zu machen. Heute engagieren wir uns als Betriebsseelsorge, die ebenfalls als ein Arbeitsbereich nach wie vor im ABZ beheimatet ist, und für Arbeitnehmer*innenrechte im Rahmen der Plattform „TTIP stoppen“ oder der „Allianz für den freien Sonntag“.
TT: Heute hat sich das ABZ - Haus der Möglichkeiten zu einem wichtigen Treffpunkt für Menschen aus verschiedensten Ländern entwickelt. Wie beurteilst du diese Veränderung der Zielgruppe?
Maria: Ja, die Zielgruppe hat sich verändert. Das Bild der Menschen im Haus ist bunter und vielfältiger geworden. Wichtig ist uns nach wie vor, dass wir immer nahe an der Lebensrealität der Menschen sind, die sozial ausgegrenzt werden oder am Rande der Gesellschaft stehen. Itzling war früher ein typisches Arbeiter*innenviertel. Heute leben Menschen aus vielen Kulturkreisen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Pensionist* innen, Alleinerziehende, Alleinstehende und viele Familien im Stadtteil. „Arbeit“ ist nach wie vor ein zentrales Thema. In den 1990iger Jahren haben wir unsere Arbeit ausgeweitet in Richtung Stadtteil-Kultur-Arbeit. Sozio-kulturelle Projekte haben auf die Situation der Menschen im Stadtteil aufmerksam gemacht. Empowerment war damals schon großgeschrieben. Das größte Projekt ist der Interkulturellen Gemeinschaftsgarten, den es bereits mehr als 6 Jahre gibt. Seit 2001 ist auch das Büro der Plattform für Menschenrechte im Haus angesiedelt, damit kamen viele Menschen, vor allem Flüchtlinge und Migrant*innen mit ihren Anliegen ins Haus.
TT: Immer weniger ÖsterreicherInnen und immer mehr MigrantInnen kommen ins ABZ, ist das auch ein Reibungspunkt?
Maria: Wie gesagt, die Bevölkerung im Stadtteil ist vielfältiger und bunter geworden, warum soll sich das nicht im Haus wieder spiegeln? Es wird schon wahrgenommen, dass das ABZ auch zu einem Treffpunkt von Flüchtlingen und Migranten*innen geworden ist. Meiner Meinung nach leben Flüchtlinge und auch oft Migranten*innen am Rande unserer Gesellschaft und brauchen unsere Unterstützung, weil sie z.B. nicht arbeiten dürfen, wenige Kontakte haben, unter prekären Bedingungen arbeiten und benachteiligt werden. Gleichzeitig dürfen wir aber auch jene nicht vergessen, die alleingelassen sind, verarmen, krank sind und sich nicht am gesellschaftlichen Leben einbringen oder teilhaben können.
TT: Was könnte man tun, damit das ABZ ein Treffpunkt sowohl für die alte Zielgruppe, als auch für die neu dazu Gekommenen ist?
Maria: Begegnungsmöglichkeiten schaffen und dazu einladen, wie zum Beispiel das Cafe der Kulturen, und gemeinsame Aktivitäten initiieren. Es ist relativ einfach, einen Platz für eine Gruppe zu finden, die für sich etwas machen möchte. Verschiedene Gruppen – ethnischer oder sozialer Herkunft – zusammen zu bringen, ist jedoch immer eine größere Herausforderung und braucht Anstöße, das geht nicht automatisch.
TT: Welche Zielsetzungen hat die Plattform für Menschenrechte
und auf welche Art versucht ihr, sie zu erreichen?
Maria: Die Plattform ist ein großes Netzwerk, das sich dafür einsetzt, dass die Menschenrechte in Salzburg eingehalten werden. Wir engagieren uns für die Gleichberechtigung und das offene Miteinander verschiedener Kulturen und Lebensentwürfe. Wir wenden uns gegen Rassismus und gegen die Diskriminierung von Minderheiten. Wir wollen einen aktiven Beitrag für ein offenes, konstruktives und integratives Klima in Salzburg leisten. Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themenbereichen: z.B. Asyl, Armutsmigration, Zwangsarbeit, Integration, Interreligiöser Dialog, Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Diskriminierungen, Migration, Frauen oder Menschen mit Beeinträchtigung. Wir dokumentieren, recherchieren und versuchen über Gespräche (z.B. mit zuständigen Politiker*innen, Behördenvertreter*innen) oder Öffentlichkeitsarbeit auf die menschenrechtliche Situation von Betroffenen aufmerksam zu machen und der Forderung nach einer Änderung Nachdruck zu verleihen.
TT: Welche Themen sind zurzeit besonders brisant?
Maria: Zum einen die Unterbringung von Notreisenden: Wir fordern u. a. ein dauerhaftes Notquartier, medizinische Betreuung, vor allem aber sozialarbeiterische Betreuung der Menschen und eine Anlaufstelle für alle bei Fragen zum „Betteln“. Ein Verbot verlagert das Problem, löst es aber nicht. Außerdem arbeiten wir konstruktiv am Thema Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt. In Kooperation mit der Antidiskriminierungsstelle, der Lehrlingsabteilung der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer, sowie mit der Industriellenvereinigung versuchen wir die z.B. ablehnende Einstellung gegenüber jungen Frauen mit Kopftuch oder Jugendlichen mit ausländischen Namen bei der Lehrstellensuche zu verändern. Für Gleichberechtigung und Vielfalt zu sensibilisieren ist unser gemeinsames Ziel. Dazu veranstalten wir Workshops, informieren Arbeitgeber*innen und helfen Betroffenen, ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten auszuweiten.
Eine neue Arbeitsgruppe hat sich rund um das Thema Religions- und Weltanschauungsfreiheit entwickelt. Wir beschäftigten uns mit dem neuen Islamgesetz, das gerade erst verabschiedet worden ist, und damit, in welchem Maße Religionsgemeinschaften, Kirchen und religiöse Gruppen unterschiedlich behandelt werden. Wir stellen auf alle Fälle fest, dass „Religion“ bzw. „Spiritualität“ eine weitaus größere Rolle im Leben vieler Menschen und in der Gesellschaft spielt, als man ihr gemeinhin zugesteht.
TT: Was bedeutet für dich das Recht auf freie Überzeugung?
Maria: Mir geht es immer darum, dass wir uns über bestimmte Themen und Problemlagen auszutauschen. Ich persönlich engagiere mich für Flüchtlinge aus einem christlichen Hintergrund und arbeite mit Menschen zusammen, die eine andere Motivation haben, sich für Flüchtlinge zu engagieren. Aus menschenrechtlicher Sicht sind alle Menschen von Geburt an gleich und frei. Wenn es Gruppen gibt, denen Rechte verweigert werden, persönlich oder aufgrund von Strukturen, möchte ich mich für sie einsetzen.
TT: Was heißt Diskriminierung?
Maria: Diskriminierung ist eine Ungleich- oder Schlechterbehandlung ohne Rechtfertigung, sei es aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Herkunft, der Hautfarbe usw. Oder wenn es ungleiche Voraussetzungen gibt …
TT: Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen Diskriminierung
zu wehren?
Maria: Wenn ich mich benachteiligt fühle, ich Benachteiligungen beobachte oder davon erfahre, kann ich mich an die Antidiskriminierungsstelle hier im Haus wenden. Jede betroffene Person erhält kostenlos rechtliche und sozialarbeiterische Unterstützung, wenn dies gewollt wird. Auf alle Fälle dokumentieren wir alle Vorfälle anonymisiert.
TT: Ist Strafe ein geeignetes Mittel, um das Bewusstsein zu fördern und Diskriminierung entgegenzuwirken?
Maria: Nein, vor allem geht es um Einsicht, deshalb wird meist ein positiver Ansatz verfolgt. Zum Beispiel wird zuerst ein Brief geschrieben, um auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen, und eine Lösung vorzuschlagen. Darüber hinaus werden Workshops und Informationsveranstaltungen angeboten. Wichtig ist, sowohl die Betroffenen dafür zu sensibilisieren, welche Rechte sie haben, als auch bei Betrieben und Behörden Bewusstsein für Benachteiligungen zu schaffen.
TT: Führende StadtpolitikerInnen haben in den Medien Menschen aus Tschetschenien und Afghanistan als kriminell und integrationsunwillig abgestempelt. Wie passt das zu einer Stadt, die sich als Menschenrechtsstadt bezeichnet?
Maria: Wir waren über die Äußerung sehr verwundert. Wir als Plattform finden solche Pauschalurteile über ethnische Gruppen sehr schlimm. Wir wollten dies nicht so widersprochen stehen lassen und haben einen Protestbrief an den Bürgermeister verfasst. Es gibt Gesetze als Handhabe für straffällige Personen. Menschen einer ethnischen Gruppe öffentlich zu stigmatisieren oder zu kriminalisieren, trägt nur zum sozialen Unfrieden bei. Statt Menschen auszugrenzen wäre es viel wichtiger, Integrationsmaßnahmen zu setzen, die Menschen beim Spracherwerb oder Arbeitsmarktzugang unterstützen.
TT: Habt ihr auf euren Brief eine Reaktion bekommen?
Maria: Nein.
TT: Was bedeutet für dich Integration und wie stehst du zu dem Begriff?
Maria: Ich verstehe unter Integration keine einseitige Anpassung, sondern eher einen dynamischen Prozess. Es gibt Rahmenbedingungen, an diese muss sich jeder Mensch bis zu einem gewissen Grad halten. Es muss aber auch Platz für Vielfalt geben. Anregungen und neue Ideen kommen oft von außen. Die Begegnung mit anderen fordert mich heraus, mein Verhalten und meine eigene Weltanschauung zu reflektieren. Mich selbst, die ich in einem katholischen Umfeld aufgewachsen bin, hat die Begegnung mit Muslimen dazu angeregt, darüber nachzudenken, was Religiosität für mich selbst bedeutet, was für mich das Wesentliche ist, warum Religion für mich wichtig ist. Ein schönes Beispiel für Integration sind für mich die Asylwerber aus Afghanistan, die im Rahmen eines Nachbarschaftsprojekts ältere Personen betreuen und mit ihnen spazieren gehen. Sie bringen eine Herzlichkeit mit und man sieht, wie sich die Senior*innen darüber freuen. Ob man das als Integration bezeichnen kann? Mit dem Begriff kann ich wenig anfangen. Ich würde es Begegnung auf Augenhöhe mit gegenseitiger Wertschätzung bezeichnen.
TT: Eine andere Schlagzeile kürzlich lautete, dass Asylwerber* innen nach dem positiven Asylbescheid beim Sozialamt landen? Was hat die Politik deiner Meinung nach versäumt?
Maria: Die rasche Anerkennung im Asylverfahren hat dazu geführt, dass viele Familien und natürlich Einzelpersonen Arbeit und Wohnung suchen. Aber wie? Ohne ausreichende Sprachkenntnisse finden sie keine Arbeit. Es fehlen kostenlose Sprachkurse. Zusätzlich dazu bedürfen sie der Unterstützung bei der Arbeitssuche. Hier fehlen Maßnahmen für die Arbeitsmarktintegration. Und es fehlen – wie wir lange schon wissen – leistbare Wohnungen. Täglich kommen Asylwerber*innen und anerkannte Flüchtlinge ins Haus auf der Suche nach Deutschkursen. Hier versuchen wir darauf zu reagieren, wenn auch nur laienhaft. Viele Ehrenamtliche engagieren sich und unterrichten, erklären, übersetzen und helfen, sich im Alltag in Salzburg zurecht zu finden. Wir sollten nicht vergessen, dass viele Flüchtlinge mit guten Qualifikationen unfreiwillig und mit schlimmen Erlebnissen aus ihrer Heimat hierher kommen und einen aktiven Beitrag leisten können. Ich sehe es als wichtige Aufgabe von Politiker*innen, das auch der Bevölkerung zu vermitteln.
TT: Inwiefern sind Flüchtlinge deiner Meinung nach etwas Positives für unsere Gesellschaft?
Maria: Wir stehen vor großen Herausforderungen, zum Beispiel fehlende bzw. fehlende existenzsichernde Erwerbsarbeit oder Umweltschutz und Klimawandel. Die Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft wird uns aber nicht voran bringen, vor allem wird sie die Situation der Menschen am Rande der Gesellschaft nicht verbessern. Nur durch Vielfalt und ein Miteinander, durch Austausch und Kennenlernen können wir diese Herausforderungen meistern. Es gibt viele Menschen – und ich kenne einige davon –, die sich aktiv einbringen und etwas verändern wollen. Nicht alle aber haben Ressourcen dazu. Sie zur Mitgestaltung zu befähigen und gemeinsam mit unseren unterschiedlichen Ideen etwas in der Gesellschaft zu verändern, sehe ich als die große Herausforderung für die Zukunft an.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 52/2015
|