Gespräch mit Rosalie Sumampong PDF Drucken E-Mail

Als Hausmädchen in den Golfstaaten

Gespräch mit Rosalie Sumampong

 

TT: Du hast in den arabischen Golfstaaten gearbeitet. Welche Arbeit hast du dort gemacht?

Rosalie: Ich habe fünf Monate lang in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Hausmädchen gearbeitet. Hingebracht hat mich eine Vermittlungsagentur. In den Philippinen gibt es Millionen Menschen, die wegen der dort herrschenden Armut Arbeit im Ausland suchen. Manche haben Geld, um die Vermittlungsgebühr für diese Firmen zu bezahlen, ich hatte keines. Deshalb musste ich drei Monate ohne Lohn bei einer Familie arbeiten.

TT: Was hast du dort erlebt?

Rosalie: In diesen fünf Monaten habe ich viel erlebt. Als ich angekommen war, musste ich, obwohl ich Christin bin, eine Abaya (langer Mantel) anziehen, und zwar eine spezielle für Sklavinnen – sie hat bestimmte Farben als Erkennungszeichen –, dazu Leggins, ein Kopftuch und einen Schleier. Am Anfang war ich die einzige Philippina im Haus, die anderen Bediensteten dort stammten aus Indien und Indonesien. Eine von ihnen war ausgeliehen von der Mutter meiner Chefin, die andere war erst eine Woche vor mir gekommen. Die drei Dienstmädchen, die vor uns da waren, sind nämlich kurz vor meiner Ankunft weggelaufen. Zwei von ihnen flüchteten zu einer Tante in Dubai, die dritte, eine Frau aus Bangladesch, haben sie mitgenommen, damit sie nicht für die anderen bestraft wird. Der indische Chauffeur hat ihnen dabei geholfen, er hatte nämlich als einziger Bediensteter eine Fernbedienung, um das Tor zu öffnen. Er hat einen Spalt offen gelassen, damit sie nachts heimlich durchschlüpfen konnten, während die Familie geschlafen hat. Eine Flucht ist sehr gefährlich. Als Hausmädchen wirst du nämlich an deiner speziellen Kleidung sofort erkannt, egal wo du bist.

Die Familie wohnt in einer riesengroßen Villa. Daneben stehen das Haus der Mutter und das der Tante. Sie haben insgesamt drei Garagen. Fast jeden Monat wechseln sie ihr Auto, so reich sind sie. Wir aber mussten in einem Zimmer wohnen, in dem es nur ein Bett gab, obwohl wir zu dritt waren. Ich habe zu meiner Chefin gesagt: „Madam, Sie haben uns versprochen, dass wir Betten bekommen!“ Sie hat mich angeschrien: „Halt den Mund! Du bist nicht hier, um mir zu sagen, was ich zu tun habe. Du musst warten!“ Wir hatten auch keine Toilette, nur ein Loch, dort mussten wir jeden Tag mindestens drei Mal duschen.

TT: Hat euer Zimmer keine Klimaanlage gehabt?

Rosalie: Unser Zimmer schon, aber im Stiegenhaus, wo ich immer auf den Hausherrn warten musste, war es sehr heiß. Obwohl die Familie so reich ist – sie besitzt eine Fabrik und eine Fluglinie – haben sie uns zum Essen haben wir nur einen schmutzigen Plastikteller gegeben und zum Trinken bekamen wir nur zwei leere Nutella-Gläser – zu dritt. Und das, obwohl sie ein eigenes Zimmer nur für das Geschirr hatten, Geschirr nach allen möglichen Farben sortiert.

Das Essen für das Personal war sehr schlecht. Wir bekamen für eine Woche eine Schachtel gefrorene Hendl, die wir uns teilen mussten. Gemüse oder Salat bekamen wir nur, was die Familie übrig gelassen hat. Sie haben immer zusammen mit der Hand aus einer Schüssel gegessen, auch den Salat, manchmal haben die Kinder das Essen herumgeworfen. Sie aßen auf einem Plastiktischtuch, das rollten sie danach zu und gaben es uns. Jede Woche bekamen sie eine Lieferung Obst, doch das durften wir nicht anrühren. Wir bekamen das, was übrig geblieben ist. Sie haben immer das Obst in eine Schüssel gegeben. Wenn eine Frucht nicht perfekt aussah, wurde sie aussortiert. Manchmal habe ich eine Mango ein bisschen eingedrückt, denn ich musste ja für uns etwas Frisches besorgen. Sie hatten zwei Vögel in einem Käfig. Jeden Tag sollte ich ihnen einen frischen Apfel geben. Ich habe aber um fünf Uhr in der Früh die Äpfel von der vorigen Woche für die Vögel aufgeschnitten und für mich und meine Kolleginnen einen frischen mitgenommen. Ich möchte doch nicht schlechter behandelt werden wie ein Vogel!

Die Frau aus Indien war sehr depressiv. Wir konnten sprachlich nicht gut kommunizieren, denn sie konnte nicht so gut Englisch. Sie sagte immer nur: „Mein Mann, mein Kind, meine Mutter …“ Ich habe den Fahrer gebeten, für uns zu übersetzen. Mit seiner Hilfe hat sie uns mitgeteilt, dass sie nach Hause will. Wenn du die Arbeit vor  Ende des Vertrags beendest, musst du sofort das Land verlassen und deinen Heimflug selber bezahlen. Das war ihr aber egal. Sie hatte ein bisschen Geld gespart, und ich habe ein paar indische Rupies in der Garage gefunden, mit denen die Kinder gespielt hatten, die habe ich ihr gegeben. Zum Glück hat ihr der Chef erlaubt, zu gehen. Der Fahrer hat mir erzählt, dass er seit acht Monaten hier arbeitet und ich in dieser Zeit schon das 41. Hausmädchen war. Ich sei die beste, meinte er, weil ich es so lange ausgehalten habe, aber ich hatte ja keine Wahl, ich habe ja drei Monate lang kein Geld bekommen.

Danach sind zwei andere Frauen aus den Philippinen gekommen, so waren wir jetzt zu dritt. Doch die anderen Frauen haben immer nur geweint, während ich immer versucht habe, mich zu wehren. Ich bin bereit, meine Arbeit zu geben, aber nicht meine Persönlichkeit, denn ich habe Grenzen. Wenn ich mich über etwas beschwert habe, hat mich die Chefin beschimpft: „Du verrückte Christin!“ Ich musste mich vor ihr hinknien und durfte die Augen nicht hochheben, außer wenn sie sagte: „Schau mich an!“ Du darfst nur sagen: „Ja, Madame! Entschuldigung, Madame!“ Vielleicht oder nein ist nicht erlaubt. Die Frau hat immer gesagt: „Du bist hier als Dienerin, und nicht als Madam!“ Ich habe dann erwidert: „Aber du kannst nicht meine Menschlichkeit kaufen!“ Daraufhin sagte sie: „Geh mir aus den Augen, oder ich schlage dich!“

Sie hat mich gehasst, weil ich ihr widersprochen habe. Einmal hat sie sogar gedroht, sie würde mich umbringen. Zum Glück war ihr Mann etwas freundlicher. Doch es war uns verboten, ihn anzusprechen. Wir mussten immer in der Küche bleiben und durften die anderen Zimmer überhaupt nur dann betreten, wenn wir gerufen wurden. Außerdem war der Mann fast nie zu Hause und kam immer erst spät am Abend. Doch einmal hat er mich gefragt, was los sei, dann sagte ich: „Die Frau behandelt uns schlecht, sie beschimpft uns.“ Darauf sagte er: „Ich weiß.“ Ich habe mitbekommen, dass sie danach eine Diskussion auf Arabisch hatten.

TT: Gibt es für Hausmädchen irgendeine Möglichkeit, Hilfe zu bekommen?

Rosalie: Nein. Die Mauer ist so hoch. Wir waren die ganze Zeit eingesperrt und haben nie erlebt, draußen zu sein. Außerdem waren im ganzen Haus Kameras, wir wurden ständig beobachtet. Miteinander reden konnten wir nur in unserem Zimmer, doch meistens kam ich so spät, dass die anderen schon geschlafen haben.

TT: Wie hat dein Arbeitsalltag ausgesehen?

Rosalie: Ich habe um fünf Uhr in der Früh anfangen und musste bis Mitternacht arbeiten, manchmal auch länger. Solange der Hausherr noch draußen war, musste ich auf ihn warten. Wenn er nach Hause kam, hatte er viel zum Ausladen aus seinem Auto. Den ganzen Tag lang hatten wir nur eine Stunde Pause. Eigentlich sollten wir am Freitag freihaben, so ist es in unserem Vertrag gestanden. Wir haben aber sieben Tage in der Woche durchgearbeitet. Meine Aufgabe war es zu kochen, auf die Kinder aufzupassen und das Haus zu putzen. Ich habe Frühstück gemacht. Mittagessen habe ich fast nie gekocht, weil das meistens vom Haus der Mutter meiner Chefin, das nebenan lag, geliefert wurde. Dort waren fünf Hausmädchen beschäftigt, stell dir vor, zwei davon in der Küche.

TT: Was war dein schlimmstes Erlebnis?

Rosalie: Das war, als ich krank wurde. Ich habe um Medizin gebeten, sie haben mir aber keine gegeben. Jeden Tag mussten wir ein halbe Stunde ins Haus der Mutter arbeiten. Dort gab es auch ein philippinisches Hausmädchen. Sie hat mir heimlich drei Tabletten gegeben, die ich in der Tasche meines Kleides versteckt habe. Als ich zurückkam, hat die sechsjährige Tochter gesagt, ich solle zu ihrer Mutter kommen. Ich musste wieder vor ihr knien. Sie sagte: „Gib mir, was du in der Tasche hast.“ So hat sie mir die Tabletten wieder weggenommen.

Das Schlimmste war die demütigende Behandlung, die ich und meine Kolleginnen ertragen mussten, zum Beispiel, vor ihnen knien zu müssen. Noch schlimmer für mich aber war es, meine Mitmenschen leiden und weinen zu sehen. Dass ich dagegen nichts unternehmen konnte, hat mir das Herz gebrochen.

TT: Wie bist du nach Österreich gekommen?

Rosalie: Die Familie hat mich mit in den Urlaub genommen. Eigentlich war meine Kollegin der Liebling von Madam, denn sie hat ihr nie widersprochen. Da ich jedoch die einzige war, die schon drei Monate Aufenthalt hatte und ein Visum fürs Ausland bekommen konnte, mussten sie mich mitnehmen. Eine Kollegin hat mir geraten, meine privaten Kleider mitzunehmen. Deshalb habe ich meine Jeans unter dem Kleid versteckt. Die habe ich dann angezogen, als ich weggelaufen bin.

Im Hotel musste ich neben dem Klo auf dem Boden schlafen. Sie haben mich im Zimmer eingesperrt und ich durfte nichts essen, bis sie am Nachmittag oder Abend gekommen sind. Draußen haben sie ein Schild „Bitte nicht stören“ aufgehängt. Sie haben sogar ihr eigenes Essen und einen Kocher mitgehabt, und ich musste Reis für sie kochen, nicht jeden Tag, aber häufig.

TT: Was hat das Hotelmanagement dazu gesagt?

Rosalie: Natürlich riechen sie, wenn du kochst. Einmal gab es auch einen Rauchalarm. Sie sind dann gekommen und haben gefragt: „Was machen Sie da?“ Im Hotel, in dem wir in Salzburg wohnten, hat auch ein philippinisches Zimmermädchen gearbeitet. Mit ihr habe ich heimlich Kontakt aufgenommen, und sie hat mir ihre Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben. Das war aber schwierig, weil man mir verboten hatte, mit jemanden zu sprechen. Sie haben mir gedroht, dass sie mich ins Gefängnis sperren lassen würden.

TT: Wie hast du es trotzdem geschafft, zu fliehen?

Rosalie: Eines Tages hat sie mich mit dem Bügeleisen verbrannt, weil ich den Anzug ihres Mannes nicht gut genug gebügelt hatte! Als sie dann von ihrem Stadtspaziergang zurückgekommen sind, musste ich die Kinder umziehen. Wie immer musste ich vor ihnen knien, und da hat mir der Sohn Abdelaziz mit der Schuhsohle ins Gesicht geschlagen, so dass ich blutete. In diesem Moment war mir klar, dass ich weg musste, auch wenn ich keinen Pass hatte, egal, was passieren würde. Die ganze Nacht habe ich überlegt, wie ich es anstellen sollte.

Um fünf Uhr in der Früh, als sie alle tief geschlafen haben, habe ich den Türgriff mit Klopapier umwickelt, damit er beim Aufmachen kein Geräusch macht. Ein bisschen Geld, das mir eine Kollegin heimlich zugesteckt hat, habe ich in meiner Unterhose versteckt. Dann bin ich auf die Straße gelaufen, voller Angst, dass sie mich suchen würden. Mit dem Taxi bin ich zur Wohnung des philippinischen Zimmermädchens gefahren und habe an ihrer Tür geläutet. Ein paar Stunden später hat die Hotelmanagerin bei ihr angerufen und nach mir gefragt, denn mein Arbeitgeber hatte bereits nach mir gesucht. Die Frau hat mich zum Glück aber nicht verraten, denn sie hat mitbekommen, wie die Familie mich behandelt hat. Dann hat meine Freundin beim Konsulat angerufen. Später wurde ich gefragt, ob ich die Familie anzeigen wolle. Ich dachte aber, das mache keinen Sinn. Von meiner Heimat war ich es nämlich gewohnt, dass nur Menschen mit Geld vor Gericht Recht bekommen.

TT: Was empfindest du heute, wenn an deine Erfahrungen während dieser Zeit zurück blickst?

Rosalie: Ich bin Gott dankbar, für die ganze Kraft und Ausdauer, die er mir gegeben hat, auch für die schlimmen Erlebnisse, denn die haben mich stark gemacht. Ich habe viel im Leben gelernt und ich kann sagen, diese Erde ist mein Klassenzimmer. Ich bin nicht schuld, dass ich arm geboren bin, aber jetzt kann ich etwas tun, damit ich nicht arm sterbe. Ich danke Österreich von ganzem Herzen, dass ich hier verstanden und gut aufgehoben bin und die Freiheit genießen kann. Hier habe ich meine zweite Heimat gefunden. Bedanken möchte ich mich auch bei meiner Familie und meinen Freunde für die Inspiration und Unterstützung. Mein Dank gilt vor allem auch dem Generalkonsul Dr. Dr. Peter F. Wagner und den Franziskanerinnen von Vöcklabruck, die mir so viel geholfen haben, und Vize-Bürgermeisterin Mag. Anja Hagenauer, dich mich unterstützt, motiviert und mir die deutsche Sprache beigebracht hat.

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Rosalie musste Jahre lang darum kämpfen, eine Aufenthaltsgenehmigung in Österreich zu bekommen. Sie hat eine Ausbildung als Fachsozialbetreuerin Schwerpunkt Altenarbeit absolviert und arbeitet heute in einem Seniorenheim.


Was geht hinter den verschlossenen Türen der Hotelzimmer in österreichischen Luxushotels vor sich?

Urlaubsgäste aus den arabischen Golfstaaten sind in Österreich gern gesehen, weil sie Geld ins Land bringen. Oft nehmen sie auch ihre Dienstboten mit in den Urlaub. Wenn auch nicht alle so schlecht behandelt werden wie Rosalie, ist es eine Tatsache, dass ArbeitsmigrantInnen in diesen Ländern völlig rechtlos sind. Viele Frauen aus armen Ländern versuchen, der Armut und manchmal auch familiären Zwängen zu entfliehen, und suchen in den Golfstaaten Arbeit als Hausangestellte. Sie hoffen, sich mit dem Geld, das dort verdienen, eine bessere Zukunft aufbauen zu können. Durch die Isolation in den Familien, sind sie aber der Willkür ihrer Arbeitgeber wehrlos ausgeliefert.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 52/2015

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