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Sklavenhandel, Rassismus, Diskriminierung:
Fluch Noahs oder Phantasie aus dem Orient?
von Eleeke Azikiwe
Gott schuf die Menschen aus Lehm, Adam und Eva waren die ersten menschlichen Geschöpfe und gleichzeitig die Vorfahren aller Menschen. So steht es in den Büchern der abrahamitischen Religionen. Diese Schriften sollen uns sowohl als Lehrbücher dienen, die uns über Gott und seine unermessliche Macht unterrichten, aber auch den Weg zu ihm weisen. Sie lehren uns aber auch die Ebenbürtigkeit und Gleichheit aller Menschen. Aber was ist, wenn diese Bücher als Quelle für Ungerechtigkeit und Ungleichheit herangezogen werden? Was ist, wenn man aus ihnen ableiten kann, dass ein Teil der Menschen diese Gleichheit und Ebenbürtigkeit nach ihren eigenen Wünschen und Interessen interpretiert? Was ist, wenn ein Teil der Kinder „von Adam und Eva“ glaubt, das Recht zu haben, sich als Herren über andere Menschen zu erheben und den übrigen Teil der Menschheit zum Sklavendasein zu verurteilen? Nur weil sie die Möglichkeit hatten, die Lehren dieser Bücher nach ihrem Vorteil zu manipulieren und sich auf Kosten der Anderen zu bereichern?
Noahs Fluch als Legimitation für die Sklaverei
Es wird erzählt, dass Noah ein Landmann war und drei Söhne hatte. Eines Tages trank er so viel, dass er nicht mehr wusste, was er tat. Als Noahs Sohn Ham seinen Vater unbekleidet im Zelt schlafen sah, teilte er das Geschehen sogleich seinen Brüdern Sem und Jafet mit. Die zwei beeilten sich, um ihren Vater vorsichtig zu bedecken. „Noah, ein Land-mann, erklärt die Genesis (IX, 20-27), begann Weinreben anzupflanzen. Er trank von dem Wein und berauschte sich daran. Eines Tages lag er unbekleidet in seinem Zelt. Ham, jüngster Sohn Noahs und Vater von Kanaan, sah die Blöße seines Vaters und berichtete es seinen beiden Brüdern draußen. Da nahmen Sem und Jafet einen Mantel, warfen ihn beide über die Schultern und näherten sich damit rückwärts dem Vater, um seine Blöße zu bedecken. Ihre Gesichter hielten sie aber abgewandt, dass sie die Blöße ihres Vaters nicht sehen konnten.“ (N’Diaye 2008, S. 227)
Wer die Geschichte bis hier liest, bekommt den Eindruck, dass es sich um ein normales menschliches Verhalten handelt und die Söhne gut erzogen sind. Doch dann geht es so weiter: „Als Noah aus seinem Weinrausch erwachte und erkannte, was SEIN jüngster Sohn ihm angetan hatte, sprach er: ‚Verflucht sei Kanaan! ein Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern!’ Und er sprach: ‚Gepriesen sei der HERR, der Gott von Sem, und Kanaan sei sein Knecht! Weiten Raum schaffe Gott dem Jafet und er wohne in den Zelten Sems; und Kanaan sei ihr Knecht!’“
Dieser Teil der Geschichte bringt viele Fragen und Diskussionsstoff mit sich. Vor allem stellt sich die Frage, was Ham seinem Vater angetan hat, außer seine Brüder um Hilfe zu rufen. Könnte es nicht auch sein, dass die schlauen Söhne die Geschichte umgedreht haben und Noah überhaupt nicht Ham und seine Kinder, sondern in Wirklichkeit Sem und Jafet verflucht hat, die ihn, als sie seine Blöße bedecken wollten, aufgeweckt und beim Schlaf gestört hatten? Und dann berichteten die beiden der Welt, dass der Vater Ham und seine Nachkommen verflucht habe. Weil sie die Möglichkeit hatten, die Geschichte so zu schreiben, wie es ihnen passt, denn freiwillig will keiner ein Knecht sein.
Ist es außerdem nicht sehr merkwürdig, dass ein gesunder und vernünftiger Vater, noch dazu ein Prophet, den eigenen Sohn und dessen Nachkommen als Knechte seiner Brüder verflucht? Um ihn zu bestrafen, hätte er ihn auch enterben oder verjagen können. Sein eigenes Kind zum ewigen Knecht seiner Brüder zu verdammen, ist jedoch so hart, dass jeder normal empfindende Mensch die Geschichte in Frage stellen muss. Handelt es sich nur um eine Verleumdung, die zwei Lausbuben erfunden haben? Der Schauplatz der Geschichte von Noah und seinen Söhnen war bekanntlich in Nahen Osten, und der Fluch war ursprünglich an die Kanaaniter gerichtet, die den Israeliten als Sklaven dienen mussten, was als abscheulich zu verurteilen ist. Was aber hat diese grausame Geschichte mit Afrika zu tun? Wie ist Noah zum Großvater der Afrikaner geworden? Oder handelt es sich hier um eine menschliche Phantasie, die dazu dienen muss, die Geschäfte mit der Sklaverei in Afrika rechtfertigen?
Die Araber fanden diese Stelle im Alten Testament, als sie durch die Wüste und über das Meer nach Afrika zogen und dort in brutaler Weise Dörfer verbrannten und alle Menschen, die sie dort erwischten, töteten oder durch die Wüste schleppten, um sie auf Sklavenmärkten in Arabien und in aller Welt zu verkaufen. Angetrieben durch ihre Gier und ohne Angst vor göttlicher Strafe oder Rücksicht auf menschliche Moral machten sie sich diesen Fluch zu Nutze. Auch die Europäer verloren keine Zeit, um sich an diesem Geschäft zu beteiligen. Auch sie machten sich auf dem Weg nach Afrika und nahmen diese Geschichte dankbar an, wie es Tidiane N’Diaye in seinem 2008 erschienenen Buch „Der verschleierte Völkermord“ beschreibt: „Die Muslime bedienten sich als Erste des Fluches von Ham, um die Versklavung der schwarzen Bevölkerungsgruppen zu rechtfertigen. Die Europäer taten es ihnen nach“ (S. 228). Der aus dem Senegal stammende Anthropologe und Volkswirtschaftler beschreibt darin die grausame Gewalt, die Vergewaltigungen, die Versklavung und Ausbeutung, die Vernichtung und Kastrierung, welche die Araber den afrikanischen Völkern angetan haben.
Laut N’Diaye war die Hautfarbe am Anfang kein Grund für Diskriminierung und Sklaverei: „Bis ins 11. Jahrhundert wurde diese sehr abstrakt gebliebene Geschichte nie wirklich mit einer bestimmten Hautfarbe oder Rasse in Verbindung gebracht, die Vorstellung von Afrika und den Afrikanern war in Europa vor dem wirklichen Aufschwung des Sklavenhandels noch nicht abschätzig“ (S. 227). Aber die Araber jedoch herausfanden, wie schnell sie durch den Menschenhandel reich werden konnten, brachten sie den Fluch Noahs als Rechtfertigung für die Sklaverei ins Spiel und behaupteten, dass die Afrikaner die Kinder Hams, während sie selbst aber die Nachkommen Sems seien.
Wenn Noah heute aufwachen würde, könnte er sich viel-leicht verteidigen und sagen, dass weder der Fluch noch die Afrikaner von ihm stammten. Dann würden wir erfahren, dass die Menschen zu allem fähig sind, wenn sie ihren Vorteil im Sinn haben, und alles tun, was ihnen dazu verhilft. Weil ihre Gier und Fantasie keine Grenzen kennen, fällt es ihnen sogar ein, die Afrikaner zu Kindern Noahs zu machen. Oder ist die Geschichte des Fluches tatsächlich wahr? Es ist jedoch in Betracht zu ziehen, dass auf der Welt nicht nur Europäer, Araber und Afrikaner leben, sondern es auch andere Völker auf dieser Erde gibt. Spielen diese Menschen eine Rolle in der Bibel, oder wurde nur über das berichtet, was innerhalb des Horizonts ihrer Verfasser lag?
Loyalität zur Religion als Falle für den Knecht
Trotz allen Missbrauchs haben die allermeisten Menschen in Afrika die eigene afrikanische Religion aufgegeben und sind entweder als Christen oder Muslime erzogen worden. Aus Loyalität gegenüber Gott und dessen Religion fällt es ihnen nicht leicht, in Frage zu stellen, was in der Bibel oder im Koran zu lesen ist, oder den Menschen, die ihnen diese Bücher brachten, zu widersprechen. Nicht einmal, wenn ein arabischer Mann behauptet, er dürfe afrikanische Menschen versklaven, weil sie die Nachkommen Hams seien: „Das hat Noah gesagt, und du willst doch nicht einem Propheten widersprechen?“
N’Diaye klärt in seinem Buch über eine Geschichte auf, die bisher meist nur den Europäern und Amerikanern angelastet wurde, jedoch bei den Arabern und ihren Glaubensbrüdern, den muslimischen Afrikanern, begonnen hatte. Die Europäer kamen entweder als Eroberer, Forscher oder Missionare nach Afrika, während die arabischen Muslime den Koran, die Datteln und die Ketten gleichzeitig gebracht haben. In Afrika wird zwischen Europäern und Christum unterschieden und sagt man nicht, dass die Christen Sklavenhändler oder Kolonisatoren waren. Es gibt aber keine klare Trennung zwischen den Arabern und dem Islam, denn was soll man tun, wenn es sich beim Scheich und beim Menschhändler um die gleiche Person handelt? Die Araber zu kritisieren, fällt vielen muslimischen Afrikanern sehr schwer, weil für sie der Begriff Araber synonym mit dem Islam ist. Wie könnten sie den Nachkommen des Propheten einen Vorwurf machen? Das ist der Grund, meine ich, warum dieses Thema bis jetzt nicht an die Öffentlichkeit gekommen ist.
Meine Absicht ist es nicht, mit diesem Artikel Rachegefühle zu schüren, ich denke aber, dass man auch von der arabischen Gesellschaft erwarten kann, dass sie sich mit dieser Thematik konfrontiert, so wie es die Amerikaner und die Europäer (zumindest teilweise) getan haben. N’Diaye, selbst ein Muslim, fordert die arabischen Muslime auf, dieses Kapitel ihrer Geschichte nicht zu verleugnen, sondern sich damit auseinandersetzen. Manche europäische oder amerikanische Politiker haben Afrika besucht und bedauernde Worte über die Verbrechen geäußert, die ihre Vorfahren auf diesem Kontinent begangen haben. So ist im Buch zu lesen, dass der frühere Papst Johannes Paul II es als Schande bezeichnet hat, was den Menschen in Afrika ange-tan worden ist. „Johannes Paul II, der die gepeinigten afrikanischen Völker um Vergebung bat, bezeichnete diese Schandtaten „als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (S. 87). Diese Worte heilen die Wunden nicht und stellen die geraubte Menschlichkeit nicht wieder her. Sie löschen die Bilder von den zusammenketten Menschen nicht aus dem Gedächtnis, geben uns aber zumindest die Möglichkeit, darüber zu reden. Deshalb sind sie hundertmal besser als das Verleugnen, Ignorieren oder die immer wiederkehrende Wiederholung des Arguments „So steht es in den heiligen Schriften und damit Amen“, wie im Großteil der arabischen Welt noch sehr oft zu hören ist.
Die Religion als Quelle des Widerstands
Doch die Afrikaner haben nicht nur den Islam angenommen, manche haben sich auch mit dem Koran auseinandergesetzt. Sie studierten die Schriften und schöpften damit das Selbst-bewusstsein, sich gegen die gewalttätigen Männer aus Arabien und ihren Missbrauch zu wehren. So bezweifelte der Gelehrte Ahmed Baba (1556-1627) aus Timbuktu, dass die Rasse die Quelle der Sklaverei sei: “Selbst wenn man zugestehen mag, dass Ham der Vorfahre der Schwarzen ist, so ist Gott doch zu barmherzig, um Millionen Menschen für die Sünden eines Einzigen zu bestrafen“ (S.120).
Der Islam wurde auch zur geistigen Stütze einiger großer Widerstandsbewegungen. Beim Aufstand in Bahia 1835 etwa schöpften die gefangenen Yoruba-Sklaven ihre Widerstandskraft aus dem Islam, wobei allerdings die Unterdrücker an diesem Ort keine Araber waren. Doch auch auf dem afrikanischen Kontinent bildeten sich Widerstandsbewegungen gegen den Sklavenhandel, die vom Islam inspiriert waren. Im senegalesischen Gelehrten Cheikh Ahmadou Bamba (1853-1927), dem Gründer der Sufi-Bruderschaft Muridiya, sahen sich Kolonialisten und Sklavenhändler einem erbitterten Gegner gegenüber, den sie nicht mit Waffengewalt bekämpfen konnten. „Sein Gesellschaftsprojekt beruhte auf Brüderlichkeit und gegenseitigem sozialen Beistand und schloss jede Form von Gewalt- und Zwangsanwendung aus. Er sprach jeglicher Machtinstanz das Recht ab, über das Leben eines Menschen zu verfügen, da dieses Privileg einzig dem Allmächtigen zukomme“ (S. 118).
Das Buch: Tidiane N'Diaye, 2010: Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des arabomuslimischen Sklavenhandels in Afrika
Bilder:
- Der berüchtigte Sklavenhändler Tippu Tip, Gemälde aus dem Museum House of Wonders in Zanzibar
- Mitglied der Muridiyya Sufi-Bruderschaf im Senegal vor einer Wandmalerei des Gründers Amadou Bamba und dessen Schüler Cheikh Ibra Fall. (c) Maurizio Ceraldi: https://www.ceraldi.ch/tag/teranga
veröffentlicht in Talktogether Nr. 53/2015
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