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المصير – Al Massir – das Schicksal
„Ideen haben Flügel. Man kann sie nicht davon abhalten, die Menschen zu erreichen“
Es beginnt mit einer öffentlichen Verbrennung im christlichen Frankreich des 12. Jahrhunderts. Ein Schriftsteller, der die Werke des arabischen Philosophen Ibn Ruschd, von den Christen Averroës genannt, ins Latein übersetzt hat, ist wegen Ketzerei zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt worden. Sein Sohn Joseph flieht nach Andalusien, wo er von Averroës und seiner Familie aufgenommen wird. In seinem Haus trifft sich eine bunte Gesellschaft von Intellektuellen und Künstlern, darunter die beiden Söhne des Kalifen: Kronprinz Nasser, ein Schüler des Gelehrten, und Abdallah, ein junger Lebemann.
Der Film spielt in der andalusischen Stadt Cordoba, in der Kunst und Wissenschaften blühen und Muslime, Juden und Christen einander mit Offenheit begegnen und einander inspirieren. Doch diese offene Gesellschaft ist bedroht auf der einen Seite durch die Angriffe der spanischen Christen, die Andalusien erobern wollen, auf der anderen Seite durch die fundamentalistische islamische Sekte Magdi Idris, der es sogar gelingt, Abdallah auf ihre Seite zu ziehen. Der Film zeigt, wie er und andere junge Männer in der Wüste einer Gehirnwäsche unterzogen werden, so dass sie bereit sind, im Namen der Religion jedes Verbrechen zu begehen. Auf Befehl ihres Anführers üben sie ein Attentat auf einen Poeten und Sänger aus, der jedoch durch Nassers beherztes Einschreiten und die Heilkünste von Averroës gerettet wird.
Nasser gelingt es zwar, seinen Bruder aus den Fängen der gewalttätigen Sekte zu befreien, jedoch hat deren Anführer bereits Einfluss auf den Kalifen gewonnen. Um seine eigene Macht auszubauen, schreckt der Sektenführer auch nicht davor zurück, die spanischen Truppen herbeizurufen, um sich dann selbst als Retter zu präsentieren. Er behauptet, Tausende Kämpfer mobilisieren zu können, allerdings nur unter der Bedingung, dass der Kalif eine Fatwa gegen Averroës ausspricht und alle seine Bücher verbrennen lässt. Averroës treue Schüler kopieren aber jede einzelne seine Schriften – darunter seine berühmte Interpretation der Werke von Aristoteles – und schmuggeln sie nach Ägypten, wo sie in der Bibliothek von Kairo aufbewahrt werden, um später den Grundstein für die modernen Philosophie, die Aufklärung und die humanistischen Werte Europas zu legen. Der fiktiven Figur Joseph fällt die Aufgabe zu, die Schriften im christlichen Frankreich zu verbreiten.
Der Film, dem es nicht an Liebesszenen und Musikeinlagen fehlt, ist nicht nur wegen der romantischen Bilder und der glaubwürdigen Darstellung sehenswert, durch ihn erfahren wir auch über die großartigen Beiträge arabischer Gelehrter in Mathematik, Philosophie und Medizin und ihre Erfindungen wie das Wasserteleskop. Es wird ja oft vergessen, dass viele mittelalterliche muslimische Gesellschaften den europäischen Gesellschaften nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch in religiöser Offenheit und Toleranz weit voraus waren. Der Film zeigt aber auch, wie der religiöse Fanatismus nicht nur die Gesellschaft aushöhlt, sondern auch die Seelen seiner Mitglieder, und enthüllt die Charakterlosigkeit, Unehrlichkeit und Arroganz seiner Anführer.
„Ideen haben Flügel und man kann sie nicht vom Fliegen abhalten, auch nicht indem man Bücher verbrennt“, lautet die Botschaft des Films. Intoleranz und Engstirnigkeit hat der Regisseur des Films, der Ägypter Youssef Chahine, selbst zu spüren bekommen. 1926 im multikulturellen Alexandria geboren, war er ab den 1970er Jahren immer wieder mit Zensur konfrontiert. Während es zunächst politische Gründe waren, sah er sich später immer öfter mit Anklagen wegen der angeblichen Verletzung religiöser Gefühle konfrontiert. Chahine nannte diese Geisteshaltung „eine schwarze Wolke“, die von den Golfstaaten nach Ägypten herüberziehe. 2008 starb Chahine im Alter von 82 Jahren. Mit seinem Tod verstummte eine Stimme der arabischen Welt, die für die Freiheit des Denkens gekämpft hatte.
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Le Destin (Das Schicksal), Ägypten/Frankreich 1997 Regie: Youssef Chahine. Darsteller*innen: Nour El-Sherif, Laila Eloui, Mahmoud Hemida … 135 min.
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Das Leben und Wirken von Averroës (Ibn Ruschd)
Averroës (1126-1198), mit vollem Namen Abu l-Walid Muhammad Ibn Ahmad Ibn Ruschd, wurde in Cordoba geboren und studierte Recht, Medizin und Philosophie. Sein ganzes Leben lang schrieb er außerdem über Sprachwissenschaft, Metaphysik und Psychologie. Sein Lehrer Ibn Tufail inspirierte ihn, sich mit den Schriften von Aristoteles auseinanderzusetzen. Averroës ging in seiner Beschäftigung mit Aristoteles so systematisch wie möglich vor und interpretierte ihn, wie es niemand vor ihm getan hatte. Seine eigene Philosophie baute auf der Logik auf und begann zunächst mit der Frage, ob es vom religiösen Gesetz her erlaubt oder verboten sei, zu philosophieren. Die Koran-Sure „Denkt nach, die ihr Einsicht habt“ sah Ibn Ruschd als Aufforderung an alle Muslime an, über das Leben und ihren Glauben nachzudenken, und er war überzeugt davon, in der aristotelischen Beweisführung die beste Grundlage dafür gefunden zu haben. Auf den Vorwurf des Unglaubens antwortete er, dass das Wissen Gottes anders sei als das des Menschen, und sich die Menschen deshalb gar nicht vorstellen könnten, was Gott weiß, denn ihr Wissen entstehe Schritt für Schritt, während Gottes Wissen die Ewigkeit umfasse. Gott habe uns jedoch die Intelligenz gegeben, so dass wir über seine Worte nachdenken können und nicht blind der wörtlichen Bedeutung folgen müssen. Ja, es sei sogar Gotteslästerung, Gottes Wissen auf die menschliche Sprache zu reduzieren. Und diejenigen, die eine Interpretation des Korans verbieten wollen, würden nur den anderen ihre eigene Interpretation aufzwingen.
erschienen in Talktogether Nr. 54/2015
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