Gespräch mit Monika Müller zur Kölner Sylvesternacht PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Monika Müller, Reiseleiterin

„Dass man nicht genau erfährt, was in Köln in der Sylvesternacht wirklich vorgefallen ist, trägt viel zur Verunsicherung bei und eröffnet Raum für Spekulationen. Es ermöglicht Gruppen, die Interesse an der Spaltung der Bevölkerung haben, die schrecklichen Vorfälle für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.“


TT: Was sagst du zu den Medienmeldungen über die Vorfälle in der Sylvesternacht in Köln und anderen Städten?

Monika: Das Hauptproblem sind meiner Meinung nach die Widersprüche und die sich ständig ändernden Aussagen. Einmal wurde von nordafrikanischen Banden und dann von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan gesprochen. Dass man nicht genau erfährt, was in Köln in der Sylvesternacht wirklich vorgefallen ist, trägt viel zur Verunsicherung bei und eröffnet Raum für Spekulationen. Es ermöglicht Gruppen, die an der Spaltung zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Neu Angekommenen Interesse haben, die schrecklichen Vorfälle für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

TT: Will die Polizei deiner Meinung nach ihr eigenes Versagen vertuschen, handelt es sich um einen Aufruf an die Politik, ihr Personal aufzustocken, oder geht es darum, bewusst Hass gegen Fremde zu schüren?

Monika: Wahrscheinlich spielt ein bisschen von allem mit. Man sollte immer darauf achten, wer etwas sagt, und welche Interessen dahinter stecken. Man fragt sich schon, warum die Polizei, obwohl sie darüber informiert war, was vor sich ging, einfach nur zugeschaut und nicht eingegriffen hat. Warum sind plötzlich so viele Männer, die sich alle gleich verhalten, auf einem Platz zusammen gekommen, wer hat sie dorthin gebracht? Auch die Spickzettel, die angeblich gefunden worden sind, sprechen für organisierte Übergriffe. Falls es sich tatsächlich um eine koordinierte Aktion gehandelt haben sollte, stellen sich jedoch viele Fragen. Zum Beispiel: Wer steckt dahinter und wer hat Interesse daran? Welches Motiv hat ein Flüchtling, der in Deutschland auf Asyl hofft, bei so einer Aktion mitzumachen? Wenn die Täter aber Diebesbanden waren, die die sexuellen Übergriffe nur als Ablenkungsmanöver benutzt haben, warum haben sie es nicht heimlich getan, warum wollten sie so viel Aufsehen erregen?

Es gibt in manchen Medienberichten auch Vergleiche mit den organisierten Massenvergewaltigungen auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Ich bezweifle jedoch, dass es in Kairo nur darum gegangen ist, dass sich Männer einen Spaß daraus machen, Frauen zu erniedrigen. Sexuelle Gewalt wird ja oft als Waffe eingesetzt. Wahrscheinlicher ist, dass diese Männer von reaktionären Kräften, die eine demokratische Revolution in Ägypten verhindern wollten, beauftragt und bezahlt worden sind. Sollte etwas Ähnliches auch in Deutschland möglich sein? Ich zweifle jedenfalls nicht daran, dass es rechten Kräften – egal auf welche Seite – zuzutrauen ist, dass sie durch Provokationen und Täuschungen Angst und Hass verbreiten wollen. Man denke nur an historische Beispiele wie den Reichtagsbrand oder den fingierten Überfall der Nazis auf den Radiosender in Gleiwitz!

TT: Es wurde sogar behauptet, dass es sich bei den Tätern und Flüchtlinge handelt, diese Tatsache aber wegen der angeheizten Debatte über die Flüchtlingsobergrenzen verschwiegen

worden sein soll. Was sagst du dazu?

Monika: Wenn ich solche Aussagen höre, denke ich gleich an Pegida, Susanne Winter und solche Leute. Es klingt wie eine Verschwörungstheorie. Gerade angesichts der Diskussionen über Flüchtlingsobergrenzen und schnellere Abschiebungen ist es schon ein seltsamer Zufall, wenn es plötzlich heißt, dass die Täter den Gruppen entstammen, die zurzeit hauptsächlich nach Europa flüchten. Auch wenn diese Aussagen dann teilweise wieder zurück genommen wurden, ist der Schaden bereits angerichtet. Damit will ich nicht sagen, dass alle Flüchtlinge nette und friedliche Leute sind, und dass es unter ihnen keine Kriminellen oder Personen mit reaktionärem und frauenfeindlichem Gedankengut gibt. Was in Köln passiert ist, ist ein Verbrechen, und die Täter gehören bestraft, wer auch immer sie sind und woher auch immer sie kommen.

Für die Flüchtlinge sind die Auswirkungen jedenfalls fatal. In Deutschland rufen jetzt alle Parteien nach Abschiebungen, sogar die Linken fordern mehr Polizei. Die Flüchtlinge dagegen empfinden es als Bedrohung, dass die Leute, vor denen sie aus ihren Ländern geflohen sind, nun in auch hier angekommen sind, wo sie Schutz gesucht haben. Sie machen sich auch Sorgen, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung gegen sie wendet. Deshalb haben auch in Salzburg Flüchtlinge eine Unterschriftenaktion initiiert, in der sie erklären, dass sie die sexuellen Angriffe und das respektlose Verhalten gegenüber Frauen, wie sie nicht nur in Köln und anderen deutschen Städten, sondern auch in Österreich vorgekommen sind, verabscheuen und aufs Schärfste verurteilen.

TT: Wie siehst du als europäische Frau, dass nun so viele Flüchtlinge – in der Mehrzahl Männer – nach Europa kommen?

Monika: Ich glaube, es stellt sich nicht die Frage, wie ich das sehe, und ob es mir gefällt oder nicht. Die Menschen haben es sich ja auch nicht ausgesucht, ihre Länder verlassen zu müssen. Nachdem aber Europa für die Ursachen mitverantwortlich ist, müssen unsere Gesellschaften diese Herausforderung annehmen und versuchen, etwas Positives daraus zu machen. Es ist doch klar, dass Flüchtlinge, die in ihren Herkunftsländern oft gute Berufe gehabt und ein gutes Leben geführt haben, nicht wegen dem Sozialsystem nach Europa gekommen sind, sondern dass sie keine andere Wahl gehabt haben. Das Problem ist, dass mit dem Flüchtlingszustrom eine verschärfte Konkurrenzsituation um Wohnraum und Arbeitsplätze geschaffen wurde. Das ist natürlich sozialer Sprengstoff. Genügend leistbaren Wohnraum sowie Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen, sind aber Herausforderungen, die schon seit Langem anstehen, und die nun umso dringlicher geworden sind. Wenn junge Leute keine andere Beschäftigung haben, als vor dem Bahnhof herumzuhängen, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie auf die schiefe Bahn geraten. Statt sie einfach nur durchzufüttern und sich selbst zu überlassen, muss die Gesellschaft in ihre Zukunft investieren. Es gibt ja genügend Leute, die etwas tun wollen und auch gute Ideen haben, sie müssten nur dabei unterstützt werden, diese umzusetzen.

TT: Hast du auf deinen Reisen in orientalische und südasiatische Länder auch Vorfälle erlebt, die dich an Köln erinnern?

Monika: Natürlich gibt es auch solche Erfahrungen. Wenn junge Männer in einer Gesellschaft aufwachsen, in der einerseits eine restriktive Sexualmoral herrscht, andererseits durch das Internet Pornographie leicht zugänglich ist, ist es für sie nicht leicht, ein respektvolles Verhältnis zum anderen Geschlecht zu entwickeln. Hinzu kommt, dass viele ein einseitiges Bild von europäischen Frauen haben. Vor etwa zwanzig Jahren gab es eine Debatte in Bezug auf die Anmachversuche mancher afrikanischer Männer bei Veranstaltungen. Dass einige Frauen Interesse an den afrikanischen Männern gezeigt haben, hat dazu geführt, dass bei einigen ein verfälschtes Bild über die vermeintliche Freizügigkeit europäischer Frauen entstanden ist. Ich denke, dass Aufklärungsarbeit bei jungen Männern über Verhaltensregeln und Grenzen sehr wichtig wäre, und dass dazu vermehrt Workshops – am besten durch ausgebildete Personen, die selbst aus den jeweiligen Kulturkreisen stammen – in Schulen und Betreuungseinrichtungen angeboten werden sollten.

TT: Handelt es sich hier um einen Kulturkonflikt?

Monika: Es ist doch überheblich zu meinen, dass Sexismus ein importiertes Phänomen sei, und Europa frei davon wäre. Beim Münchner Oktoberfest zum Beispiel wurde aufgrund der häufigen Übergriffe die Einrichtung „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ ins Leben gerufen. Statistiken belegen zudem, dass sexuelle Belästigung und Gewalt an Frauen in allen Bevölkerungsgruppen vorkommen, sogar in den höchsten Kreisen – man erinnere sich nur den Skandal um Strauss-Kahn in New York. Es ist auch nicht so, dass man diesem gesellschaftlichen Problem nur hier in Europa Aufmerksamkeit schenkt, im Gegenteil: Gerade in Ländern wie Ägypten, der Türkei, Indien oder Afghanistan wird das Thema Sexismus und Gewalt an Frauen sehr intensiv diskutiert. Aber es gibt natürlich Kräfte – und zwar auf beiden Seiten – die kulturelle Differenzen betonen und für ihre eigenen Zwecke ausnützen. Doch diejenigen, die jetzt Empörung heucheln und die Vorfälle für ihre Propaganda ausschlachten, haben mit Frauenrechten wenig am Hut! Für sie sind in die Vorfälle in Wirklichkeit ein willkommener Anlass, um eine gewalttätige Stimmung gegen Migrant*innen und Flüchtlinge zu schüren.

TT: Müssen Frauen nun Angst haben, auf die Straße zu gehen, und sollten abends lieber zu Hause bleiben?

Monika: Ratschläge für Frauen, wie sie sich verhalten sollen, wie jener von der Kölner Oberbürgermeisterin, Frauen sollten eine Armlänge Abstand von Männern halten, sind völlig daneben. Das hieße ja, den Frauen zu unterstellen, dass sie selbst für die Übergriffe mitverantwortlich seien! So eine Schuldumkehr, nämlich den Opfern eine Mitschuld für die erfahrende Gewalt zuzuschieben, gehört doch auch zum Sexismus. Es sind die Männer, die ihr Verhalten ändern müssen, nicht die Frauen.

TT: Nun zu einem anderen Thema: Bombenangriffe als Antwort auf Terror und Flüchtlingsströme, gibt es keine andere Möglichkeit, als zu töten und zu zerstören?

Monika: Ich finde diese Politik der EU sehr bedenklich, denn damit wird die Gewaltspirale nur weiter in die Höhe geschraubt, ohne die Ursachen für Krieg und Terror anzutasten. Dass der Krieg in Syrien nicht enden will und die Gewalt immer weiter eskaliert ist, dafür sind doch auch die ausländischen Mächte verantwortlich, die in der Region ihre eigenen widersprüchlichen Interessen verfolgen und auf Kosten des syrischen Volkes einen blutigen Stellvertreterkrieg führen. Nach dem Terroranschlag in Paris rief die französische Regierung die EU-Staaten zum Mitmachen beim „Krieg gegen den Terror“ auf. Wo dieser Krieg stattfinden soll (in Syrien oder in den Vorstädten von Paris?), ist genauso unklar wie die Kriegsziele. Doch durch den Lissabon-Vertrag ist die EU ein Militärbündnis geworden, das alle Mitglieder zum Mitmarschieren verpflichtet. Und kurz vor Weihnachten wurde dann auch noch beschlossen, dass Frontex-Truppen auch gegen den Willen von Regierungen in EU-Staaten einmarschieren können. Um sich die Flüchtlinge vom Hals zu schaffen, ist die EU zudem einen Pakt mit der türkischen Regierung eingegangen, was diese als Freibrief dafür benützt, einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung zu entfachen – einen neuen Krieg in einer ohnehin schon von Krieg und Gewalt gebeutelten Region. Die Terroristen keinen keine andere Sprache als Gewalt, werden manche einwenden. Das mag stimmten, doch Brecht sagte in seinem Solidaritätslied: „Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein“. Ich bin überzeugt davon, dass die Bevölkerung vorort selbst am besten weiß, wo die Probleme liegen, und dass die Menschen auch für schwierige Probleme Lösungen finden können, wenn man sie lässt und sie dabei unterstützt. Doch das steht leider nicht auf dem Programm der EU.


veröffentlicht in Talktogether Nr. 55/2016

 

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