Gespräch mit Feysal aus Somalia
TT: Möchtest du dich kurz vorstellen?
Feysal: Ich heiße Feysal Usman, ich komme aus Somalia und bin als Flüchtling nach Österreich gekommen. Am 15. Jänner 2008 bin ich nach Salzburg gekommen, weil man einen Platz für mich im Clearinghouse gefunden hat und mein Cousin schon hier in Salzburg war. Damals war ich 14 Jahre alt. Ich habe Glück gehabt, nach Salzburg im Clearinghouse betreut zu werden, weil ich dort viele Möglichkeiten bekommen habe. Zuerst habe ich zwei Monate lang einen Deutschkurs gemacht. Meine Lehrerin dort, Frau Krassnig, werde ich nie vergessen, sie hat mich sehr unterstützt. Danach bin ich in eine reguläre Hauptschule gekommen, weil ich noch im Pflichtschulalter war.
Den Abschluss habe ich aber leider nicht geschafft, weil ich ganz neu war. In der Schule war es für mich extrem schwer. Ich konnte mich nicht mit den anderen Jugendlichen unterhalten, weil ich die Sprache nicht konnte. Zum Glück habe ich Englisch gekonnt, was mir sehr geholfen hat. Ich habe die Lehrer und Lehrerinnen gebeten, auf Englisch mit mir zu sprechen, damit ich sie verstehen konnte. Ich habe aber eine sehr gute Deutschlehrerin gehabt, die mich sehr motiviert hat, die Sprache zu lernen. Ich habe ungefähr ein halbes Jahr gebraucht, bis ich mich halbwegs gut verständigen konnte. In der vierten Klasse konnte ich dann schon die meisten Fächer abschließen außer Deutsch, Geschichte und Biologie.
2009 habe ich in beim Verein Einstieg einen Vorbereitungskurs gemacht, weil man für den externen Hauptschulabschluss 16 Jahre alt sein muss. Dort habe ich Tischler- und Bodenlegerarbeiten gelernt, daneben haben wir Deutschkurse gehabt und geübt, Bewerbungen zu schreiben und uns bei Vorstellungsgesprächen zu präsentieren. Meine Fortschritte beim Deutschlernen haben mich motiviert, und ich war immer neugierig und offen, etwas Neues zu lernen. 2010-2011 habe ich dann den Pflichtschulabschluss gemacht und im Juli 2011 das Abschlusszeugnis mit lauter Einsern bekommen. Im Sommer 2011 habe auch ich eine Schnupperlehre bei Spar in Obertrum gemacht. Weil man mit meiner Arbeit sehr zufrieden war, durfte ich dort gleich im September mit einer Lehre beginnen. Ich habe mich sehr gefreut, so schnell eine Lehrstelle gefunden zu haben.
TT: Was ist dann passiert?
Feysal: Da habe ich den Fehler gemacht, die Lehre nach einem halben Jahr abzubrechen. Mir war das Geld, dass ich als Lehrling bekommen habe, einfach zu wenig, und ich wollte lieber als Hilfsarbeiter arbeiten. Noch dazu sind in dieser Zeit meine Eltern nach Österreich gekommen. Sie waren neu hier und haben die Sprache nicht gekannt. Wenn sie einen Termin hatten, musste ich mitgehen, um für sie zu übersetzen. Das war sehr schwierig neben der Arbeit und der Berufsschule.
Ich bin zu meiner Chefin gegangen und habe ihr erklärt, dass es für mich zu schwierig sei, die Lehre weiterzumachen. Ihr ist auch aufgefallen, dass ich oft müde und gestresst war, und dass man mich ständig angerufen hat. Ich habe zum Glück auch bei einem Jugend-Coaching teilgenommen, und meine Betreuerin hat mit meiner Chefin ausgemacht, dass ich ein halbes Jahr Pause machen könne, bis meine Familie halbwegs selbständig sei. Nach einem Monat Arbeitslosigkeit habe ich eine Arbeit gefunden, wo ich erst um 14 Uhr beginnen musste, so dass ich vormittags meine Eltern bei Behördengängen begleiten und Erledigungen machen konnte. Ich habe auch ganz gut verdient. Ich habe da auch schon eine eigene Wohnung gehabt, wurde aber noch vom Clearinghouse betreut. Sie haben nachgeschaut und auf mich aufgepasst, aber eigentlich war ich nie ein problematischer Jugendlicher.
Mit 18 Jahren habe ich dann von Wohnungsamt eine Wohnung bekommen. Weil meine Eltern Deutsch gelernt hatten und halbwegs zurecht kamen, habe ich begonnen, darüber nachzudenken, eine Ausbildung zu machen, damit ich nicht immer Hilfsarbeiter bleiben muss. Allerdings waren die sechs Monate schon vorbei, noch dazu habe ich in der Zwischenzeit geheiratet und meine Frau ist schwanger geworden. Deshalb konnte ich nicht von 400 Euro Lehrlingsentschädigung leben. Da habe ich erfahren, dass es eine Maßnahme vom AMS gab, eine verkürzte Lehre zu machen, die vom AMS und einer Arbeitsstiftung gefördert wird, so dass ich insgesamt ca. 800 Euro bekommen würde. Zusammen mit der Wohnungs- und Familienbeihilfe ist sich das ausgegangen, so habe ich sofort zugestimmt. Die Lehrstelle musste ich aber selber suchen. Wegen einer gesetzlichen Bestimmung durfte ich bei meiner alten Arbeitsstelle in Obertrum nicht weitermachen, deshalb habe ich mich beim Interspar Lehen beworben. Nach zwei Wochen Probezeit habe ich dann die Möglichkeit bekommen, dort meine Lehrausbildung zu machen, die ich 2014 abgeschlossen habe. Ich bin danach auch noch dort geblieben, nach sechs Monaten wechselte ich zum Interspar im Europark, wo ich bis heute arbeite.
TT: Wie war es für dich bei der Arbeit? Hast du auch Schwierigkeiten mit Kollegen oder Kunden gehabt? Warst du auch mit Rassismus konfrontiert?
Feysal: Das ist mir sehr oft passiert. Am schlimmsten war eine alte Dame, die Kundin war. Es ist meine Pflicht, zu Kunden freundlich zu sein, und das tue ich auch gern. Als ich gesehen habe, dass sie etwas sucht, bin ich zu ihr gegangen und habe sie gefragt, ob ich ihr behilflich sein könne. Da hat sie mich nur angeschaut und gesagt: Von einem schwarzen Neger brauche ich keine Hilfe! Sie hat noch etwas gemurmelt, was ich nicht verstanden habe. Sie ist dann zu einer anderen Kollegin gegangen und hat sie gefragt. Doch die war für eine andere Abteilung zuständig und hat sie wieder zu mir zurück geschickt. Sie hat eine halbe Stunde weiter gesucht, traute sich aber nicht, zu mir gekommen. Schließlich ist sie dann doch zu mir gekommen und hat ganz böse gesagt: Ich brauche Kokosmilch. Wo ist das? Ich musste das ignorieren und habe ihr ganz höflich gezeigt, wo das von ihr gesuchte Produkt finden ist. Ich habe bemerkt, dass sie sich geschämt hat. Ich habe meine Arbeit weiter gemacht und bin weggegangen. Nach einiger Zeit ist sie wieder zu mir gekommen und hat sich für ihr Verhalten entschuldigt. Ich habe ihre Entschuldigung angenommen. Ich wollte ihr zeigen, dass ich nicht so bin, wie sie vielleicht vermutet, und dass ich nicht anders bin als sie, sondern nur eine andere Hautfarbe habe. Diese Dame ist meine Stammkundin geworden und seitdem immer zu mir gekommen. Sie ist dann sehr nett zu mir gewesen, hat mir Schokolade geschenkt, und hat all ihren Bekannten über mich erzählt und wie wir uns kennengelernt haben.
TT: Du bist mit 14 Jahren nach Österreich gekommen. Wie lange hast du auf deinen Asylbescheid gewartet?
Feysal: Ich bin 2007 nach Österreich gekommen, nach einem Monat in Traiskirchen bin ich 2008 nach Salzburg gekommen. Schon ein halbes Jahr später, im Juni 2008, habe ich Asyl bekommen. Weil ich noch minderjährig war, hatte ich das Recht, meine Eltern nach Österreich zu holen. Anfangs hat es nicht geklappt, 2010 habe ich dann mithilfe des Jugendamtes den Einreiseantrag für meine Eltern gestellt, meine Eltern sind dann im September 2011 nach Österreich gekommen, genau als ich meine Lehre begonnen hatte.
TT: Wenn du die Situation damals mit heute vergleichst: Was hat sich geändert?
Feysal: Es hat sich sehr viel verändert. Als ich nach Österreich gekommen bin, war die Einstellung der Österreicher und Österreicherinnen gegenüber Flüchtlingen anders. Ich habe einen österreichischen Freund, den ich schon kenne, seitdem ich da bin. Er denkt jetzt ganz anders als damals. Jetzt schimpft er über Asylanten, was er früher nie getan hat. Man merkt den Unterschied auch, wenn man auf die Straße geht. Wenn die Leute denken, dass du ein Flüchtling bist, schauen sie dich böse an, sie halten ihre Taschen fest, wenn du vorbei gehst, also ob du sie bestehlen wolltest, sie haben Angst vor dir ...
TT: Was würdest du anderen Flüchtlingen raten, damit sie erreichen können, was du in den neun Jahren in Österreich geschafft hast?
Feysal: Das Wichtigste ist, dass man sich ein Ziel setzt. Man hat hier in Österreich viele Möglichkeiten und bekommt viel Unterstützung. Ich kenne ein paar Jugendliche, die Asyl haben, aber ihre Möglichkeiten nicht nützen. Das Problem ist, dass ihnen nicht bewusst ist, welche Möglichkeiten sie haben und dass sie ihre Ziele erreichen können, aber hart dafür arbeiten müssen. Sie wissen nicht, dass sie mit einer Ausbildung eine sichere Arbeit bekommen, eine Wohnung bekommen und ein gutes Leben führen können.
Wenn man Kinder hat, bekommt man hier Unterstützung, die Kinder können gratis in die Schule gehen, man bekommt ärztliche Versorgung … im meiner Heimat gibt es das alles nicht! Wenn man Ziele hat, kann man sie auch erreichen, man muss aber offen sein, man muss sich informieren, man darf sich nicht scheuen, Leute, die erfolgreich sind und Erfahrungen haben, um Rat zu fragen oder um Unterstützung zu bitten. Und wenn einmal irgendetwas schief geht, sollte man sich nicht entmutigen lassen. Ich habe selbst erfahren, dass es immer eine andere Möglichkeit gibt.
TT: Du hast aber auch von deinen Erlebnissen mit Rassismus erzählt. Manche Jugendliche geben vielleicht auf, weil sie denken, man will uns hier nicht. Was sagst du ihnen?
Feysal: Es ist wichtig, Geduld zu haben und nicht aufzugeben. Wenn ich mein Ziel vor Augen habe, kann ich auch Hindernisse überwinden, die sich auf dem Weg dorthin stellen. Ich hätte damals auch sagen können: Warum soll ich diese Beschimpfungen ertragen, obwohl ich nur so wenig Geld verdiene? Doch ich habe immer nur mein Ziel gesehen und habe mich davon nicht abbringen lassen. Ich wollte meine Ausbildung abschließen, damit ich eine sichere Arbeitsstelle bekommen, mein eigenes Geld verdienen und auf eigenen Beinen stehen kann.
Alles andere waren für mich nur Kleinigkeiten, die mich nicht aus der Bahn werfen können. Als ich mit der Arbeit angefangen habe, waren viele Kollegen mir gegenüber skeptisch. Manche sind sogar einfach vorbei gegangen, wenn ich zu ihnen „Guten Morgen“ gesagt habe. Aber jetzt haben sich mich kennengelernt, sie respektieren mich und ich gehöre dazu. Zuerst haben die Leute immer Vorurteile: Erstens bist du schwarz, zweitens bist du Ausländer, drittens sprichst du nicht perfekt Deutsch. Du musst dich selber stark machen und auf sie zugehen. Wenn du das nicht aushalten kannst und aufgibst, haben sie gewonnen, wenn du dich nicht aus der Bahn werfen lasst, kannst du nur gewinnen. Ich kann nur jedem raten, sich stark zu machen, die Sprache zu lernen, einen Beruf zu erlernen, um ein unabhängiges Leben zu führen. Wenn ich wie du arbeite, meine Miete und meine Steuern bezahle und keinen Mist baue, hat niemand einen Grund, über mich schlecht zu reden oder vor mir Angst zu haben.
TT: Kannst du verstehen, wenn Österreicher und Österreicherinnen Flüchtlingen gegenüber misstrauisch sind?
Feysal: Ich kann es schon verstehen, weil ja in den Nachrichten viel über negative Beispiele berichtet wird. Ich sage meinem Freund aber immer, dass er nicht alle in einen Topf schmeißen soll. Auch unter den Flüchtlingen gibt wie überall verschiedene Menschen, leider auch solche, die sich respektlos oder kriminell verhalten, die Drogen verkaufen oder gewalttätig sind. Er schimpft nur über diese Leute, aber nicht über mich, weil er mich ja kennt und weiß, dass ich so etwas nicht mache. Er weiß, dass ich nachdenke und welche Pläne ich habe. Das Problem ist, dass viele Österreicher keine Flüchtlinge kennen und deshalb nicht wissen, welche Menschen sie sind. Ich habe selbst einmal gesehen, wie jugendliche Flüchtlinge, die neu in Österreich sind, zwei junge Frauen an der Bushaltestelle belästigt haben. Ich bin zu ihnen gegangen und habe ihnen erklärt, dass sie mit ihrem Verhalten dazu beitragen, dass die Leute, die ausländerfeindliche Propaganda machen, Zustimmung bekommen, und dass sie auch anderen Flüchtlingen damit schaden. Sie haben das verstanden und sich danach bei den beiden Frauen entschuldigt.
TT: Welchen Rat könntest du Flüchtlingen geben, die noch auf Asyl warten?
Feysal: Ich kann ihnen nur raten, Geduld zu haben, und alles zu tun, was in ihrer Möglichkeit ist, und die Zeit möglichst gut zu nützen, die Sprache zu lernen und Freunde zu finden. Es gibt auch viele Leute, die freiwillig Deutschunterricht geben, man kann die Angebote der Stadtbibliothek nützen. Wenn man dann Asyl hat, steht man unter Druck, schnell Arbeit zu finden, da bleibt oft keine Zeit mehr, die Sprache gut zu lernen.
Ich möchte auch dazu sagen, wie wichtig es ist, Kontakte zu knüpfen und Freunde zu finden. Mir haben so viele Menschen geholfen, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann, weil ich fürchte, jemanden zu vergessen. Unbedingt erwähnen möchte ich jedenfalls meine ehemalige Betreuerin Angela Lindenthaler und Anja Hagenauer, die jederzeit für mich da waren und mich immer motiviert und unterstützt haben.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 56
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