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Für dich Lohndumping,
für mich Rettung!
Robert kommt an seinem ehemaligen Taxistand vorbei, weil er ein Taxi braucht. Er sieht einen Afrikaner, der für seine ehemalige Firma fährt und zwar mit dem gleichen Auto, das er früher gefahren hat. Er geht zu dem afrikanischen Taxfahrer, steigt in das Taxi ein und sagt: Zum Bahnhof, bitte schön. Der ahnungslose Rooble freut sich über den Auftrag und fährt sofort in Richtung Bahnhof.
Robert: Ich bin mit diesem Taxi gefahren, bevor mein Chef mich gefeuert und dich eingestellt hat. Und zwar deshalb, weil du wahrscheinlich weniger Gehalt bekommst, als du bekommen solltest. Jetzt fährst du mit meinem Taxi und ich bin ohne Arbeit, das finde ich eine Frechheit.
Rooble: Warum findest du das eine Frechheit? Ich brauche diese Arbeit, weil meine Existenz davon abhängt. Arbeitslos zu sein, kann ich mir nicht leisten, daher muss ich alles tun, womit ich Geld verdienen kann. Du bist arbeitslos und kannst mit dem Taxi fahren, das kann ich nicht, siehst du den Unterschied?
Robert: Auch wenn du anderen die Arbeit wegnimmst? Es ist euch egal, wenn wir ohne Arbeit sind, Hauptsache ihr habt Arbeit. So denkst du, ach so! Kein Wunder, wenn die Blauen immer mehr Stimmen dazu gewinnen.
Rooble: Mir ist wichtig, dass ich Arbeit habe, aber ehrlich gesagt, wünschte ich mir, dass wir alle Arbeit haben. Dass es uns allen gut geht, dass es weder Arbeitslosigkeit noch Neid gibt. Dann hätten wir vielleicht weniger Fremdenhass, obwohl Leute ja immer irgendeinen Grund finden, zu den Blauen zugehen. Aber wenn einer keine Arbeit hat und Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Sozialhilfe bezieht, sollte er besser Robert heißen und nicht Rooble.
Robert: Gemein und frech bist du schon, wenn du willst, dass ich arbeitslos werde, und du meine Arbeit bekommst. Du bist ein Egoist, ich schaue, dass ich meine Arbeit wieder bekomme. Und dass du nicht Arbeitslosengeld kassierst, sondern nach Hause abgeschoben wirst.
Rooble: Du bist auch egoistisch, denn du kannst mir nicht einmal das Arbeitslosensgeld gönnen, ich aber gönne dir sowohl Arbeit als auch Notstandshilfe. Du willst, dass sie mich abschieben? Weißt du überhaupt, wie ich hierher gekommen bin? Wie gefährlich es war, wie ich durch die Wüste gegangen bin und mehrere Länder zu Fuß überquert habe? Weißt du, wie viele von uns auf der Flucht gestorben sind? Nachdem ich mit viel Mühe die Deutschprüfung B1 geschafft habe und endlich den Führerschein und den Taxischein erhalten und damit die Möglichkeit bekommen habe, endlich eine Arbeit zu finden, mit der ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen und mein Visum verlängern kann! Ich nehme diese Arbeit, damit ich das Sozialsystem nicht ausnütze muss und ich hier gut leben kann. Und du willst mich in die Hölle abschieben lassen, der ich entkommen bin! Das ist mehr als egoistisch, denn das würde das Todsurteil für mich bedeuten, verstehst du?
Robert: Was erwartest du von mir, dass ich Mitleid mit dir habe? Du hast mir meine Arbeit weggenommen. Ich brauche meine Arbeit, ich muss meine Miete bezahlen, ein Leben ohne Arbeit ist auch für mich die Hölle.
Rooble: Warum hat dich der Chef überhaupt gekündigt? Hast du etwa Geld in deine eigene Tasche gesteckt? Warum hat er dich nach Hause geschickt?
Robert: Ich habe zwar einen Fehler gemacht, gestohlen habe ich aber nicht. Meiner Meinung nach war es nur eine Ausrede. Es hat nämlich geheißen, meine Lohnkosten sind zu hoch und er kann nicht mehr so viel zahlen. Schuld daran seid ihr, weil ihr gekommen seid und mit weniger Geld zufrieden seid.
Rooble: Was kann ich dafür, dass du Mist gebaut hast? Aber wenn es wegen der Kosten war, heißt das, dass ich weniger verdiene als du, das kann sein. Du hättest auch mit weniger Lohn arbeiten können. Du hast es aber abgelehnt, weil du wählerischer bist als ich. Ich würde mir wünschen, genauso viel zu verdienen und so wählerisch sein zu können wie du. Aber leider kann ich mir das nicht leisten. Nun bist du am Bahnhof, wohin willst du fahren?
Robert: Ich fahre nach Wien, um dort Arbeit zu suchen, denn ich will nicht zu Hause sitzen.
Rooble: Hast du Zeit auf einen Kaffee, ich lade dich ein?
Robert: Du ladest mich auf einen Kaffee ein, warum? Willst du mir damit zeigen, dass du mehr Geld hast als ich? Nein danke! Was schulde ich dir?
Rooble: Lass stecken. Aber ich finde es schade, dass ihr Europäer immer an Konkurrenz denkt, besser sein, reicher sein, mehr Geld haben usw. Ich habe unser Gespräch interessant gefunden, und du bist wirklich mitteilsam, darum habe ich gedacht, wir könnten unser Gespräch weiter führen und finden dann vielleicht eine Lösung. Aber wenn du Eile hast, ist das zu akzeptieren.
Robert: So eilig habe ich es auch wieder nicht, ich kann auch den nächsten Zug nehmen. Aber sag einmal, warum willst du mich einladen?
Rooble: Weil ich dich näher kennen lernen möchte, weil ich unser Gespräch gut finde, und weil ich dir erklären möchte, warum ich mich mit diesem niedrigen Lohn zufrieden geben muss.
Robert: Du akzeptierst nicht nur, dass du so wenig verdienst, du beschwerst dich nicht einmal über die schlechten Arbeitsbedingungen. Du kommst jeden Tag in die Arbeit, sogar wenn du krank bist! Der Aasgeier von Chef nimmt lieber dich als mich, weil du dich nicht wehrst. Früher haben wir als Taxilenker mehr verdient, aber was bekommst du jetzt? Ist das nicht Lohndumping?
Rooble: Ich parke das Auto dort, und wir gehen in einen Kaffee oder ein Essen, sag bitte nicht nein!
Robert: Passt. Aber nur auf einen Kaffee, dann fahre ich!
Rooble: Wer Rückendeckung hat, kann sich wehren. Du hast deine Eltern, deine Großeltern, deine Tanten und Onkel hier. Ich habe hier nichts und niemanden. Ich habe sogar noch nie mit einer Österreicherin oder einem Österreich so lang geredet wie mit dir. Was für dich Lohndumping sein mag, ist es eine Rettung in einer Notlage. Denn wenn ich diese Arbeit nicht annehme, wird mein Visum nicht verlängert und ich werde nicht eingebürgert. Da ich keinen Anspruch auf Sozialhilfe habe, kann ich sonst nicht überleben. Außerdem wartet meine Verwandtschaft in Afrika darauf, dass ich ihnen Geld schicke. Sie sind abhängig von mir, weil sie Schulgeld für die Kinder brauchen und Geld für die ärztliche Behandlung. Meine einzige Chance ist, dass ich meinen Mund halte, um meinen Job zu behalten, auch wenn ich ausgebeutet werde. So sieht meine Situation aus. Aber du bist hier geboren, du bekommst Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe, schlimmstenfalls kannst du einen Antrag auf die Mindestsicherung stellen.
Robert: Das verstehe ich ja, aber du musst auch verstehen, dass ihr mit eurem Lohndumping alles kaputt macht, was wir früher aufgebaut und erkämpft haben. Es gibt viele Einheimische, die Kredite aufgenommen haben, dann plötzlich wegen euch die Arbeit verlieren und mit den ganzen Schulden und ohne Arbeit dastehen. Siehst du einen Grund, warum sie freundlich zu euch sein sollten? Warum verkaufen sich die Ausländer so billig? Die Waren in den türkischen Geschäften sind billiger als in unseren Supermärkten, die Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Ausland sind billiger als unsrige. Hoffentlich kannst du dir vorstellen, warum viele etwas gegen euch Ausländer haben, vor allem wenn ihr so viele seid.
Rooble: Wenn ein Inländer mit ihrer Situation unzufrieden sind, weil sie ihre Arbeit verloren haben, aus welchem Grund auch immer, oder weil seine geschiedene Frau mit einem Ausländern geht, dann geben sie den Ausländern die Schuld und drohen damit, die Rechtsparteien zu wählen. Manche zünden sogar Asylheime an. Ich möchte damit andeuten, dass es immer einen Vorwand dafür gibt, Ausländer zu hassen. Was das Lohndumping angeht: Ich finde, der Staat und die Gewerkschaften sollten einen flächendeckenden Mindestlohn bestimmen und für jeden Arbeitsbereich ein passendes Gehaltschema festlegen. Da hätte ich vielleicht keine Chance auf deinen Job, weil du deine Arbeit behalten würdest, aber wir können dadurch diese Spaltung zwischen Besser- und Schlechtergestellten vermeiden.
Robert: Das finde ich einen guten Vorschlag! Aber ich fürchte, dass der Staat oder die Gewerkschaften so etwas nicht durchsetzen werden, denn die freie Marktwirtschaft ist unantastbar, egal, wie hoch die Kluft zwischen reich und arm ist, egal wie schlecht die Situation der Lohnabhängigen ist, egal ob das Resultat Spaltung oder Fremdenhass ist. Denn die Unternehmerinnen und Unternehmer sind sehr mächtig. Aber auch unkontrollierte Grenzen und zahllose Flüchtlinge haben Mitschuld. Darum gehen viele Einheimische, die gegen die Politik nichts ausrichten können, auf euch los, vor allem euch Schwarze. Ich bin auch dafür, dass ihr zurück in eure Heimat geht.
Rooble: Vorwürfe gibt es immer, und wegen meiner Hautfarbe oder wegen meiner unzureichenden Deutschkenntnisse werde ich sowieso beschimpft. Noch dazu hat seit dem 11. September 2001 auch mein Nachname meine Situation verschlechtert. Trotzdem möchte ich hier bleiben und ein loyaler Bürger werden, und diese Arbeit ist der Grundstein dafür. Wenn jemand mir sagt, lass diese Arbeit, weil du ausgebeutet wirst, oder wenn jemand sauer auf mich ist, weil ich zufällig an seinem Arbeitsplatz arbeite, sage ich nur, mir ist Arbeit lieber als ohne Arbeit zu sein. Denn auch wenn wenig verdiene, bin ich versichert, habe ein Einkommen, kann mein Visum verlängern und Steuern zahlen.
Robert: Ich kann verstehen, dass du jede Arbeit annehmen musst, damit du hier Fuß fassen kannst. Gleichzeitig erwarte ich von dir, dass du weißt, dass es in Österreich Gesetze gibt und du jeden Monat deinen Beitrag für die Gewerkschaft zahlen sollst. Aber wie ich erwähnt habe, sieht es für mich so aus, als ob du sagst: Mir ist egal, was passiert, ich habe eine Arbeit und fertig. Du solltest dich wehren und auch deinen anderen Kollegen sagen, dass sie protestieren um euer Recht verlangen sollen. Was deine Hautfarbe oder deinen Nachnamen angeht, stören die mich nicht, solange du kein Terrorist bist. Deine Einstellung ist gut, aber bitte lerne, dich zu wehren.
Rooble: Du hättest dich wehren sollen, als der Chef dir gesagt hat, du bist mir zu teuer. Außerdem, wenn die Einheimischen sich nicht wehren können oder wollen, kannst du es von den Ausländern noch weniger erwarten. So eine lange Pause kann ich mir nicht leisten, ich muss zurück an die Arbeit! Was sollen wir jetzt tun, was schlägst du vor? Ist es besser, uns gegenseitig auf die Nerven zu gehen, oder gemeinsam gegen Ausbeutung, Spaltung, Terrorismus und den Rassismus zu kämpfen, damit wir alle in Wohlstand und Gerechtigkeit leben können?
Robert. So etwas nennt man Utopie. Ich glaube nicht, dass alle Menschen auf der Welt in Wohlstand leben können, eher in einer Welt ohne Krieg. Daher müssen die Kriege gestoppt werden, damit die Menschen in ihren Länder bleiben können, sonst wird die Welt so chaotisch wie jetzt.
Rooble: Die Kriege sind Geldquellen genauso wie das Öl oder die Industrie, und ohne die können die Reichen nicht reich bleiben. Deshalb können wir Krieg und Kapitalismus nicht trennen. Die Mächtigen spalten die Menschen, damit sie Geld anhäufen können und mit ihren Panamapapers ein gutes Versteck dafür haben. Sie bedauern ihre Taten nicht, sondern nur, dass sie aufgedeckt wurden. Oder sie suchen schon das nächste Versteck, statt das Geld ordnungsgemäß zu versteuern, während die Menschen hier zwischen Terroristen und Nazis stehen. Ich mache einen Vorschlag: Ich kaufe ein Auto und du fährst, was sagst du dazu?
Robert: Ich soll für dich arbeiten, ist schon wieder so eine Angeberei?
Rooble: Du solltest deinen Zug nicht verpassen, aber mein Angebot steht. Und wenn du einverstanden bist, dann weißt du, wo du mich finden kannst. Nabad gelyo.
Robert: Wie kannst du mir vertrauen, du kennst mich doch kaum? Außerdem, woher hast du so viel Geld, hast du auch Geld in Panama geparkt?
Rooble: Erstens: Ich habe Vertrauen in dich, auch wenn ich dich nicht gut kenne. Zweitens: Von Panama habe ich erst gestern im Radio gehört und dort habe ich keinen Platz.
Robert: Über das Angebot werde ich gründlich nachdenken. Jedoch so oder so werde ich mich bei dir melden.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 56/2016
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