Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg PDF Drucken E-Mail

 

Wir haben eure Kriege geführt

Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht der Kolonialisierten

Die Kolonien lieferten im Zweiten Weltkrieg nicht nur wichtige Rohstoffe für die Rüstungsindustrie und Nahrung für die Truppen der kriegführenden Staaten, auch über 20 Millionen Soldaten aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien haben als Soldaten gekämpft. Auf Anerkennung oder Entschädigung warteten sie jedoch vergeblich, nur die wenigsten erhielten Pensionen oder Opferrenten. Weite Teile der kolonialisierten Welt dienten im Zweiten Weltkrieg zudem als Schlachtfelder und blieben nach Kriegsende verwüstet und vermint zurück. Diesem vergessenen Kapitel der Geschichte widmet sich die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“[1], die seit 2009 in zahlreichen Städten Deutschland zu sehen ist.


In der europäischen Geschichtsschreibung wird der Beginn des Zweiten Weltkrieges in der Regel mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen am 1. September 1939 datiert. Bei dieser Sichtweise wird jedoch ignoriert, dass zu diesem Zeitpunkt der Krieg auf anderen Kontinenten bereits im Gange war. Schon im Oktober 1935, vier Jahre vor dem Kriegsbeginn in Europa, waren Truppen des faschistischen Italien in Äthiopien einmarschiert, wo unter Marschall Graziani eine brutale Terrorherrschaft eingerichtet wurde. In vielen Geschichtsbüchern steht auch, dass sich der Krieg erst ab dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 zum Weltkrieg ausgeweitet habe, und das, obwohl die Deutschen schon ein Jahr vorher die pazifische Insel Nauru bombardiert hatten, und die mit den deutschen verbündeten japanischen Streitkräfte seit 1937 einen grausamen Vernichtungskrieg gegen China geführt hatten, in dem Hunderttausende Zivilisten und gefangene Soldaten massakriert worden waren. Diese Sichtweise zeugt von einem einseitigen Geschichtsverständnis aus europäischer Perspektive.

Nicht alle Opfer zählen gleich

Allein China hat mehr Opfer zu beklagen als Deutschland, Italien und Japan zusammen. Auf den Philippinen mussten während der japanischen Besatzungszeit über eine Millionen Menschen ihr Leben lassen. Hinzu kamen Hunderttausende Frauen, die vergewaltigt oder als Zwangsprostituierte verschleppt wurden. Doch in den Statistiken über die Opfer dieses Krieges kommen sie meist nicht vor. Nicht einmal die deutschen Kriegsverbrechen an gefangenen Kolonialsoldaten sind ein Thema. Sogar die viel diskutierte Wehrmachtsausstellung beschränkte sich auf die Dokumentation der deutschen Kriegsverbrechen in Osteuropa.

„Die Forscher aus den wohlhabenden Staaten unterliegen bewusst oder unbewusst einem stillen Rassismus, der sie dazu führt, Geschehnisse außerhalb ihres Wohlstandszentrums als wenig relevant für ihre Arbeit betrachtet“, schreibt Kum’a Ndumbe, Professor an der Universität Jaunde in Kamerun[2]: „Wer die Mittel besitzt, bestimmt auch die Themen, Theorien und Richtungen der Forschung. Opfer aus der Peripherie zählen deshalb nicht. Und die Opfer selbst lesen und lernen die von den Zentren der Wohlhabenden veröffentlichte und weltweit verbreitete Literatur zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und erkennen ihre eigene Geschichte darin nicht wieder.“

Die Ausstellung verschweigt nicht, dass die Kolonialisierten nicht nur Opfer waren, sondern einige nationalistische und anti-koloniale Bewegungen offen mit der faschistischen Kriegsallianz sympathisierten, darunter Führungspersönlichkeiten aus arabischen Ländern, die Militärregenten Thailands und Teile der indischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich durch eine Niederlage der Briten die Unabhängigkeit erhofften. Wenig bekannt ist auch, dass auch die deutsche Wehrmacht Tausende Soldaten aus dem Nahen Osten, Indien und aus den besetzten muslimischen Gebieten der Sowjetunion rekrutierte.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs in Äthiopien

"Wenn die Italiener in großer Zahl angriffen, ließen wir sie bis tief ins Landesinnere hinein vorstoßen. Dort kreisten wir sie ein und besiegten sie. Dann zogen wir uns wieder zurück. Dabei versuchten wir, so viele Waffen und Kugeln zu erbeuten wie möglich, bevor wir uns erneut versteckten." Te Mikael Kidanemariam (geb. 1924) unterstützte schon als Zehnjähriger die Partisanen.

Am 3. Oktober 1935 überfiel eine riesige Streitmacht der italienischen Armee ohne Kriegserklärung Äthiopien, das einzige nicht kolonialisierte Land Afrikas, nachdem Mussolini am Tag zuvor in Rom verkündet hatte, dass die dort lebenden Menschen „nicht wert seien, zu den zivilisierten Völkern zu gehören“. Bei dieser Invasion setzten die italienischen Streitkräfte auch 150.000 Kolonialsoldaten ein, die sie in Libyen, Eritrea und Somalia zwangsrekrutiert hatten. Als Kaiser Haile Selassie in Genf an den Völkerbund appellierte, den Äthiopiern zu helfen, beschloss dieser zwar Sanktionen gegen die Mussolini-Diktatur, allerdings zahnlose. So wurde nur der Handel mit Eseln und Kamelen verboten, nicht aber der Export kriegswichtiger Güter wie Stahl und Öl nach Italien. Die meisten Regierungen (außer die der Sowjetunion, der USA und Mexikos) erkannten zudem das italienische Besetzungsregime an.

Fünf Jahre lang versuchten die Italiener, das Land zu erobern. Obwohl sie dabei Splitter-, Brandbomben und Giftgas nicht nur gegen Kampftruppen, sondern auch gegen Städte und Dörfer, Viehherden, Felder, Weideflächen und Wasserstellen einsetzten, gelang es ihnen nie, das gesamte Gebiet zu kontrollieren. Ihnen gegenüber stand eine halbe Million äthiopischer Männer und Frauen, so genannte Arbagna (Patriots), die teilweise barfuss und mit Speeren bewaffnet erbitterten Widerstand leisteten. Die Landbevölkerung bot ihnen Unterschlupf und Verpflegung, und sogar Kinder halfen als Waffenschmuggler und Kundschafter. Erst als die britische Regierung den Seeweg nach Indien bedroht sah, griff sie ein und schickte Zehntausende Kolonialsoldaten – großteils aus den ost- und westafrikanischen Kolonien – zur Unterstützung der Freiheitskämpfer ins Land. Gemeinsam besiegten sie schließlich die Italiener, und Addis Abeba wurde am 6. April 1941 befreit.

„Wir hatten Gräber und ihr hattet Siege“[3]

Sie haben entweder gezwungen oder als Freiwillige für die Befreiung Europas vom Faschismus gekämpft. Sie kamen nicht nur als Soldaten, sondern auch als Schlepper, Informanten, Späher, Matrosen, Piloten, Dolmetscher, Köche, Fahrer und Sanitäter zum Einsatz. Die Rekruten aus den Kolonien wurden aber nicht nur schlechter bezahlt, sie waren auch rassistischen Angriffen und Schikanen ausgesetzt und wurden – mangelhaft ausgebildet und dürftig bewaffnet – häufig als Kanonenfutter an vorderster Front eingesetzt.

Die afrikanischen Kolonien lieferten den Europäern nicht nur Soldaten und billige Hilfskräfte, sondern auch Bodenschätze, Nahrungsmittel und Geld für Kriegswaffen. So stammte das Uran für die Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, aus dem Kongo. Zwangsarbeiter mussten Kanäle ausheben, im Straßenbau und auf Plantagen schuften. Die ohnehin schon kargen Löhne der Lohnarbeiter auf den Plantagen und in den Fabriken sanken dramatisch. In Südafrika wurden Rüstungsfabriken errichtet, in denen die Arbeiter für Hungerlöhne Waffen, Munition, Kraftwagen und Ersatzteile produzierten. In Algerien litt die Bevölkerung an Unterernährung und Krankheiten, weil sie große Mengen von Nahrungsmitteln in die mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regierung abliefern musste. In Nordnigeria zwangen die Briten 100.000 Afrikaner zur Arbeit in Zinnminen, die jeder Zehnte nicht überlebte, in Rhodesien (heute Zimbabwe) versorgten die Kolonialbehörden weiße Farmer mit Zwangsarbeitern.

Der Zweite Weltkrieg hätte ohne den Beitrag der Kolonialisierten zweifellos einen anderen Verlauf genommen, auf Anerkennung oder Entschädigung warteten sie jedoch meist vergeblich. Im Gegenteil mussten die heimkehrenden Veteranen erkennen, dass die während des Krieges versprochenen Verbesserungen ihrer Lebensumstände – etwa Land, Berufsausbildung oder Arbeitsplätze – nichts als leere Versprechungen waren. „Man gab uns ein farbloses Hemd ohne Knöpfe, eine Decke, ein paar Stiefel und Socken. Die Armee zahlte uns den restlichen Sold und gab uns Fahrgeld und Reiseproviant für den Weg nach Hause. Wir waren als Ex-Soldaten daran zu erkennen, dass wir gerade einmal zehn Cent für einen Tee hatten“, erzählt Samuel Masila Mwanthi, der für die Briten in Äthiopien und Burma gekämpft hatte, über seine Rückkehr nach Kenia.

Im Dezember 1944 kehrten 1300 Tirailleurs Sénégalais aus der deutschen Kriegsgefangenschaft zurück nach Westafrika. Dort warteten sie im Camp de Thiaroye auf die Auszahlung ihres restlichen Solds für die Zeit ihrer Gefangenschaft und Haftentschädigungen, wie sie französischen Kriegsgefangenen zustanden. Als die Kolonialoffiziere diese Zahlungen verweigerten, kam es zur Revolte, die von den Franzosen mit einem Massaker beantwortet wurde. Diejenigen, die überlebten, wurden wegen Meuterei zu Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt.

Die Enttäuschung über die Ungerechtigkeit, aber auch das durch die Erfahrungen gewonnene Selbstbewusstsein, stellten wichtige Antriebe für die Unabhängigkeitsbewegung dar. „Der Zweite Weltkrieg markierte das Erwachen Afrikas“, sagt der Historiker Joseph Ki-Zerbo aus Burkina Faso, denn er habe den Afrikanern die Gelegenheit geboten, das wahre Gesicht des weißen Mannes schonungslos aufzudecken.“

Folgen des Zweiten Weltkriegs

Nach dem Krieg warteten die Afrikaner auch vergeblich auf die von den Alliierten versprochene Freiheit und Demokratie. Sie hatten für die Freiheit Europas gekämpft, doch ihnen selbst wurde die Freiheit verweigert. So hat Frankreich in Algerien nicht nur Zehntausende Soldaten für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg sowie für seinen Kolonialkrieg in Indochina zwangsrekrutiert, sondern auch ein Sechstel der algerischen Bevölkerung ermordet, die für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft hatten. Auch die blutige Niederschlagung des Aufstands gegen die französische Kolonialherrschaft in Magadaskar 1947 oder der gnadenlose Kampf der Briten gegen die Mau-Mau-Bewegung in Kenia sind weitere Beispiele für den Betrug der Europäer an den kolonialisierten Völkern.

Der Zweite Weltkrieg habe aber nicht zur Überwindung des Kolonialismus geführt, lautet das Resümee des kenianischen Historikers Ali Mazrui, sondern stellte auch „ein wichtiges Stadium im Prozess der Eingliederung Afrikas in das weltweite kapitalistische System dar.“ Die Zurichtung der afrikanischen Wirtschaft auf die Bedürfnisse der kriegführenden Mächte habe zu ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen geführt, die bis heute nicht überwunden sind. Bis heute exportiert der Kontinent Rohstoffe und importiert Anlagen und Konsumgüter, daran hat auch die politische Unabhängigkeit nichts geändert. Während Nazis und Faschisten ihre Verachtung offen gezeigt sowie Rassismus und Ausbeutung zum eigenen Nutzen offen propagiert haben, haben die demokratischen Regierungen Europas immer von Freiheit und Demokratie gesprochen. Es darf jedoch in Frage gestellt werden, ob die Handlungen der damaligen Kolonialmächte – oder die kapitalistische Wirtschaftsweise und die neokoloniale Politik heute – sich darin wirklich so grundsätzlich unterscheiden.


[1] Recherche International e.V.: www.3www2.de

[2] Vorwort in: Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im 2. Weltkrieg. Rheinisches JournalistInnenbüro 2005

[3] Zitat aus Proletenpassion (Schmetterlinge, 1976)


veröffentlicht in Talktogether Nr. 57/2016

 

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