Gespräch mit Brigitte M.
TT: In der aktuellen Integrationsdebatte wird oft über Frauenrechte geredet. Sind Frauenrechte in Österreich durch Flüchtlinge aus islamischen Ländern bedroht?
Brigitte: Solche Argumente sind nicht neu. Schon in der Kolonialzeit wurden die Frauenrechte dazu verwendet, um die Kolonialisierung zu rechtfertigen. Ein Beispiel war Lord Cromer, der britische Generalkonsul in Ägypten um die Jahrhundertwende. Er kritisierte die Unterdrückung von Frauen in Ägypten und war gleichzeitig in England ein Gründungsmitglied und zeitweiliger Präsident eines Männerbundes gegen das Frauenwahlrecht. Daran sieht man, wie viel diese Leute wirklich für Frauenrechte übrig haben, und wie wenig glaubwürdig sie sind. Man sieht es aber auch an aktuellen Beispielen, zum Beispiel wenn die FPÖ gegen die Finanzierung von Frauenhäusern stimmt, in denen misshandelte Frauen Zuflucht und Schutz vor Gewalt finden, weil diese angeblich die Familie zerstören.
Nicht nur rechte Parteien, sondern auch immer mehr Politiker_innen des Mainstreams schwimmen auf dieser Welle, weil sie sich dadurch Stimmen erhoffen. Man sollte jedenfalls genau hinsehen, welche Ziele sich wirklich hinter solchen Argumentationen verstecken. In Medienkommentaren und Erklärungen argumentieren Politikern oft mit Frauenrechtenrechten, wenn es darum geht, Verschärfungen im Fremdenrecht durchzusetzen. Gerade die rassistischen Bestimmungen des Fremdenrechts sind es aber oft, die Frauen Schutz verweigern und sie daran hindern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Etwa wenn Frauen samt ihren Kindern in Schubhaft gesteckt, abgeschoben und ihren Verfolgern ausgeliefert werden. Oder wenn den Frauen eine Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis verweigert wird und sie so in die Abhängigkeit von ihrem Ehemann gezwungen oder in illegalisierte Arbeitsverhältnisse gedrängt werden, wo sie dann der Ausbeutung schutzlos ausgeliefert sind. Wobei die Gesellschaft vom Wegeschauen profitiert, und der Staat viel Geld spart – man denke nur an die 24-Stunden-Pflegerinnen.
TT: Österreich wird in dieser Debatte als Zentrum des Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit dargestellt, das gegen Bedrohungen wie dem Islam geschützt werden muss. Wie steht es wirklich um die Frauenrechte in Österreich?
Brigitte: Trotz zahlreicher sozialer Rückschritte gehören wir in Österreich zu den privilegiertesten Bewohner_innen unseres Planeten. Die soziale Absicherung ermöglicht es den Frauen, von Männern unabhängig zu leben. Diese Sicherheit und Freiheit sind es, die die Menschen suchen, wenn sie hierher fliehen. Manchmal wird aber leider vergessen, dass diese Rechte immer verteidigt werden müssen, und das wird angesichts des herrschenden Rechtsrucks immer notwendiger. Sexismus und Frauenverachtung sind ja kein Monopol von Männern aus islamischen Ländern. Dass der Sexismus wieder salonfähig geworden ist, davon zeugen ja nicht nur die frauenverachtenden und verletzenden Äußerungen von Donald Trump, sondern hierzulande auch die Hasspostings, Tötungs- und Vergewaltigungsdrohungen, mit denen erfolgreiche Frauen bedroht werden. Vier österreichische Journalistinnen – Ingrid Thurnher, Corinna Milborn, Barbara Kaufmann und Hanna Herbst haben 2016 in der Wochenzeitung „Falter“ über ihre Erfahrungen mit sexistischen Beschimpfungen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen im Netz berichtet.
Das Problem ist aber, dass sich viele Frauen nicht mehr bewusst sind, dass die Rechte, die sie genießen, hart erkämpft wurden. Sie nehmen sie als selbstverständlich wahr, und manche sehnen sich sogar zurück in die Zeiten, als die Frauen zu Hause bei ihren Kindern blieben und ein ihrer Vorstellung nach einfaches und bequemes Leben führten. Wir können aber auch beobachten, dass Frauen in vielen Regionen der Welt eine aktive Rolle in der Gestaltung der Gesellschaft einnehmen. Gerade in Widerstandbewegungen – Kleinbäuer_innen-, Landrechts- und Indigenenbewegungen – spielen Frauen oft Schlüsselrollen. Diese Frauen wissen, dass sie nicht viel zu verlieren haben, außer ihren Fesseln. Die westlichen Medien waren besessen von der kurdischen Kämpferinnen, die gegen die ISIS-Terrormilizen kämpften, vor allem wenn sie jung und hübsch waren. Dass sie auch eine bedeutende Rolle im Aufbau einer demokratischen Gesellschaft spielen – ein Prozess, in dem die Befreiung der Frau einen hohen Stellenwert hat – wird weniger beachtet.
TT: In der Integrationsdebatte werden auch immer wieder die Errungenschaften der Aufklärung beschworen, die gegen rückwärtsgewandte religiöse Denkweisen verteidigt werden müssen. Ist die Sorge berechtigt?
Brigitte: Zuerst sollte nicht vergessen werden, dass die Aufklärung, auf die Europa so stolz ist, auch ihre Schattenseiten hat. Mit dem Sieg von Wissenschaft und Vernunft gingen auch das Gefühl der eigenen Überlegenheit und die Verachtung gegenüber anderen angeblich rückständigen Kulturen einher. Und es waren auch nicht die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Europa in die anderen Erdteile exportiert hat. Den unterworfenen Völkern wurde nicht nur die kapitalistische Wirtschaftsweise aufgezwungen, sondern dazu auch ein patriarchalisches Familienmodell mitgeliefert. Und diese Entwicklung setzt sich bis heute fort. Ein Beispiel ist Ghana, wo erst 1985 auf Druck des IWF ein patriarchalisches Erbsystem eingeführt und damit ein Jahrhunderte lang bewährtes Sozialsystem, das die Entstehung von Ungleichheit in der Gesellschaft verhindert hat, aufgebrochen wurde. Auch dass der Aufstieg reaktionär-fundamentalistischer Gruppen wie der Taliban durch den Westen unterstützt wurde, ist kein Geheimnis.
TT: Alice Schwarzer hat mit Äußerungen aufhorchen lassen, in denen sie falsche Toleranz gegen Muslime kritisiert. Sie hat u.a. das Kopftuch als „Flagge des Islamismus“ kritisiert. Sind ihre Äußerungen rassistisch?
Brigitte: Probleme aus falscher Toleranz zu verschweigen oder unter den Teppich zu kehren, wäre vollkommen falsch. Es wäre gleichgültig und auch auf eine Art rassistisch, wenn man sagt, wir mischen uns nicht ein, so ist halt ihre Kultur. Ob Alice Schwarzers Äußerungen rassistisch sind, weiß ich nicht, zumindest könnte man ihr Eurozentrismus vorwerfen. Bei weißen Feministinnen aus der bürgerlichen Schicht ist ja oft zu beobachten, dass sie Frauen aus anderen Ländern und Kulturen paternalistisch begegnen und meinen: Wir wissen, was gut für dich ist. Diese wehren sich gegen die Bevormundung und werfen den Feministinnen außerdem vor, nichts über ihre Probleme und Lebensumstände zu wissen. Frauengleichberechtigung wird meist daran gemessen, ob Frauen vor dem Gesetz die gleichen Rechte zustehen wie Männern. Doch was nützen diese Rechte den Frauen, wenn ihnen die Möglichkeit fehlt, sie auch zu beanspruchen? Wenn Armut, Krieg und Gewalt verhindern, in den Genuss dieser Rechte zu kommen?
Seit die Frauenbewegung existiert, gibt es Debatten darüber, ob es wichtiger sei, für das Wahlrecht für die Schwarzen zu kämpfen oder für das Frauenwahlrecht, ob die Befreiung der Arbeiterklasse wichtiger sei als der Geschlechterwiderspruch. Ungleiche Machtverhältnisse und Diskriminierung gibt es jedoch auf unterschiedlichen Ebenen: Zwischen den Geschlechtern, zwischen den sozialen Klassen, aufgrund von Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung, zwischen den abhängigen Ländern des Südens und den kapitalistischen Metropolen. Wir sollten uns nicht auseinanderdividieren lassen, indem wir abwägen, welche Befreiung die wichtigere sei, sondern uns stattdessen gegen jede Art von Unterdrückung wehren.
Alice Schwarzer gehört auch zu jenen Feministinnen, die ein Verbot der Sexarbeit fordern, weil diese Arbeit ihrer Meinung nach entwürdigend für die Frauen sei. Bei dieser Sichtweise wird aber überhaupt nicht auf die Gründe eingegangen, warum eine Frau dieser Arbeit nachgeht. Es ist doch eine Illusion zu glauben, dass man mit einem Verbot die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern lösen könnte. Und wie können damit die wirtschaftliche Not und die Perspektivlosigkeit beseitigt werden, die Frauen dazu zwingen, dieser Arbeit nachzugehen? Für viele Frauen ist die Entscheidung für diese Arbeit – bei allen Gefahren und Problemen, die sie mit sich bringt – ein bewusster Schritt, sich aus der Not zu befreien und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Eine Kriminalisierung der Sexarbeit hilft diesen Frauen nicht. Es ist sogar nachgewiesen, dass dieses Verbot in Schweden dazu geführt hat, dass die Arbeit riskanter geworden ist und die Frauen mehr Gewalt ausgesetzt sind. Genauso könnte ein Verschleierungsverbot vielleicht dazu führen, dass die betroffenen Frauen gar nicht mehr aus dem Haus gehen. Den Touristinnen wird es egal sein, sie können ja in ein anderes Land reisen. Es ist immer problematisch, wenn Gesetze erlassen werden, ohne die Betroffenen miteinzubeziehen.
TT: Wie können Frauen unterstützt werden, damit sie sich aus Unterdrückung und Bevormundung befreien können?
Brigitte: Ob Maßnahmen wie die Kürzung der Mindestsicherung oder Bekleidungsvorschriften den Frauen zu mehr Freiheit verhelfen, ist meiner Ansicht nach mehr als fraglich. Als ob es so einfach wäre! Befreiung kann doch nicht von den Behörden verordnet werden. Befreien können sich die Frauen nur selbst. Um sie dabei zu unterstützen, braucht es keine Strafen, sondern Empowerment und Chancen. Die Frauen müssen das Gefühl haben, einen Platz in der Gesellschaft zu haben, dass sie sich einbringen und mitbestimmen, die Gesellschaft mitgestalten können. Aber solange es noch ein großes Problem ist, einen leistbaren Krabbelstubenplatz oder einen Kindergarten in der Wohnumgebung zu finden, solange Alleinerzieherinnen armutsgefährdet sind, ist es noch ein weiter Weg bis dahin. Alle Menschen sind mit Talenten und Fähigkeiten ausgestattet, sie brauchen einen Raum, wo sie diese entfalten und weiterentwickeln können. Wenn wir den Frauen diesen Raum anbieten, wenn wir ihnen ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Anerkennung zu finden, dann schaffen wir die besten Voraussetzungen dafür, dass sie sich von Fremdbestimmung und Unterdrückung befreien können.
TT: Welche Bedeutung hat der Internationale Frauentag für dich?
Brigitte: Der Internationale Frauentag ist – wie der Name sagt – ein Internationaler Tag, der von den Frauen in der ganzen Welt gefeiert wird. Dieser Tag geht auf die Kämpfe der Textilarbeiterinnen für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen am Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, aber auch auf den Kampf für das Frauenwahlrecht. Es geht an diesem Tag nicht nur um den Kampf für die Gleichberechtigung der Frau, sondern um den Kampf für Gerechtigkeit und ein besseres Leben für alle Menschen auf dieser Welt. Ich bin mit Frauen befreundet, die aus verschiedenen Kontinenten stammen, und habe viel über ihre Kämpfe und Schwierigkeiten erfahren und diese zum Teil hautnah miterlebt. Auch wenn sich die Lebensumstände von Frauen unterscheiden, gibt es Probleme, die uns als Frauen gemeinsam betreffen. Deshalb sollten uns davor hüten, auf andere herabzusehen, sondern einander durch Solidarität unterstützen. Das ist der Sinn des Internationalen Frauentags. Und natürlich auch, dass wir diesen Tag gemeinsam feiern!
veröffentlicht in Talktogether Nr. 59/2017
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